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Tod am Nil
Оглавление1249-1250
Kurz vor Tagesanbruch am Samstag, dem 5. Juni 1249, machte sich eine Kreuzfahrerflotte bereit, an der ägyptischen Küste, in der Nähe des östlichen Arms des Nils und der Stadt Damiette an Land zu gehen. Das Heer des Fünften Kreuzzugs hatte 30 Jahre zuvor am gleichen Ort angelegt, und diese neuerliche Expedition kam keineswegs unerwartet. »Wir fanden da die ganze Streitmacht des Sultans auf dem Strand des Meeres«, schreibt der französische Ritter Jean de Joinville, der die Szene beobachtete. »Leute, sehr schön anzusehen. Der Sultan führt nämlich goldene Waffen, und wo die Sonne auf sie fiel, glitzerten sie. Das Getöse, das sie mit ihren Zimbeln und sarazenischen Hörnern machten, war schrecklich anzuhören.«1 Bei Sonnenaufgang wateten Tausende von Männern von kleinen Booten aus ans Ufer.
Eine Landung am Strand gegen einen organisierten Widerstand war äußerst riskant, doch die Disziplin unter den Kreuzfahrern war außerordentlich stark, und die Ritter und Fußtruppen wurden von Geschosshagel aus Armbrüsten empfangen. Joinville sah sich unmittelbar nach der Landung einer Gruppe muslimischer Reiter gegenüber. »Kaum sahen sie uns an Land, da ritten sie auch schon spornstreichs auf uns zu. Wir aber, als wir sie kommen sahen, stießen die
Das Siegel Ludwigs IX.
Spitzen unserer Schilde und die Schäfte unserer Lanzen in den Sand, die Spitzen aber gegen sie. Jetzt, wo sie sahen, dass es ernst wurde und sie unsere Speere in den Leib bekommen würden, machten sie plötzlich kehrt und ergriffen die Flucht.«2 Zu seiner Linken erblickte der Ritter eine prächtige, von 300 Mann geruderte Galeere, gespickt mit Schilden, auf denen bunt gemalte Wappen prangten, und im Wind flatterten Wimpel.
Während sie so ankamen, schien es, als ob die Galeere flöge, wegen der Ruderer, die sie mit ihren Stangen vorantrieben, es war, als ob ein Blitz vom Himmel fiele, und dazu knatterten die Fähnlein, und die Zimbeln, die Pauken und sarazenischen Hörner in seiner Galeere [des Grafen von Monbeliart] ertönten. Sobald die Galeere auf den Sand gelaufen war, soweit wie man sie vorantreiben konnte, sprang er mit seinen Rittern von der Galeere, wohl gewappnet und prächtig geschmückt, und so schlossen sie neben uns auf.3
Am ganzen Strand wurden die Standarten der großen Adelsfamilien von Frankreich aufgestellt, als Sammelpunkt für die Soldaten angesichts berittener Angriffe. Unter ihnen ragte das orangerote Banner der französischen Könige heraus, die »Oriflamme«, von der eshieß, sie habe die Farbe des Blutes des Märtyrers Dionysius von Paris (St. Denis). Als König Ludwig IX., der Führer, Organisator und Finanzier dieses Kreuzzugs, von seinem prächtigen Schiff Montjoie aus sah, wie seine Standarte am Strand aufragte, konnte er sich nicht länger zurückhalten. Er sprang ins Meer, den Schild über die Schulter geworfen, den Helm auf dem Kopf, das Wasser bis zur Brust, und watete an Land. In seinem Eifer senkte er die Lanze, packte den Schild und wollte schon die feindlichen Reihen angreifen. Man musste ihn zurückhalten.
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Ludwig hatte die Expedition bis ins Kleinste vorbereitet. Der Kreuzzug war von seiner Idee und Zusammensetzung her französisch und umfasste rund 25 000 Mann – Ritter und Sergeanten zu Pferde, Fußtruppen und Armbrustschützen. Drei Brüder des Königs und die Blüte der französischen Ritterschaft nahmen daran teil. Die Vorbereitungen hatten schon vier Jahre zuvor begonnen. Es handelte sich um eine absolut professionelle Streitmacht: Ludwig hatte die Freiwilligen, die sich am Hafen der Abreise, in Aigues-Mortes, auf eigene Initiative hin gemeldet hatten, zurückgelassen. Er wurde von einem strengen Pflichtgefühl gegenüber seinen Männern und von frommen, christlichen Idealen getrieben, motiviert durch einen Schwur, den er im Jahr 1244 abgelegt hatte, als er dem Tod nahe war. Das ursprüngliche Ziel des Feldzugs war jedoch nicht Jerusalem, sondern Kairo.
Kluge Strategen wie Richard I. hatten erkannt, dass die Siege Saladins in Palästina und Syrien vom Reichtum Ägyptens abhingen. »Die Schlüssel zu Jerusalem«, hatte Richard einmal gesagt, »liegen in Kairo.«4 Diese Denkweise galt ein halbes Jahrhundert später immer noch. Bereits der katastrophale Vierte Kreuzzug, der mit der Plünderung Konstantinopels im Jahr 1204 endete, hatte insgeheim die Absicht verfolgt, das Nildelta anzugreifen. Ein Jahrzehnt später, als Jacques de Vitry in Akkon eintraf, um einen neuen Kreuzzug vorzubereiten, wurde dieses Ziel explizit formuliert: Statt gegen das muslimische Palästina »planten wir, nach Ägypten zu ziehen; es ist ein fruchtbares Land und das reichste im Orient, von dort beziehen die Sarazenen die Macht und die Mittel, die sie befähigten, unser Land zu besetzen, und nachdem wir uns jenes Landes bemächtigt haben, können wir leicht das gesamte Königreich Jerusalem wieder einnehmen.«5 Dieser Fünfte Kreuzzug endete ebenfalls mit einem erbärmlichen Fehlschlag. Es dauerte 18 Monate, die Küstenstadt Damiette, 160 Kilometer nördlich von Kairo, zu erobern. Die Kreuzritter verbrachten weitere 18 Monate ohne Entscheidung dort, lehnten es zweimal ab, einen Friedensvertrag mit dem Aiyubiden-Sultan zu schließen (der ihnen sogar die Rückgabe Jerusalems angeboten hatte), und wurden dann von den jahreszeitlichen Hochwassern des Nils überrascht und saßen im Labyrinth seiner Kanäle fest. Gezwungen, durch hüfttiefes, schlammiges Wasser zu waten, hatte das Kreuzheer am Ende unrühmlich kapituliert.
Der Kreuzzug Ludwigs kam mit dem gleichen strategischen Ziel, einer klareren Absicht und dem gesamten Wissen, das sie über die einzigartige Gewässerkunde des Nils von ihren Vorgängern hatten in Erfahrung bringen können. Die ganze Expedition begann überaus vielversprechend. Laut Joinville schickten die Verteidiger Damiettes eilig Brieftauben nach Kairo, bekamen jedoch keine Antwort. Der Sultan al-Salih lag im Sterben. »Da glaubten sie, der Sultan sei tot, und so räumten sie Damiette«, lautete die selbstbewusste Erklärung im christlichen Lager.6 Wo ihre Vorgänger neun Monate für eine lange und furchtbare Belagerung benötigt hatten, betraten Ludwigs Truppen nunmehr schon nach einem Tag die Stadt und stellten fest, dass der Befehlshaber, Emir Fakhr al-Din, samt seiner Garnison geflohen war. Die in Panik geratene Bevölkerung war ihnen gefolgt. Das erschien als Fügung des Schicksals – ein Zeichen Gottes, dass Ludwigs Kreuzzug von Erfolg gekrönt sein würde – und verlieh dem König ein bedenklich großes Selbstvertrauen. Die Strategen wussten von der Verwundbarkeit des Regimes der Aiyubiden, da es von inneren Kämpfen zerrissen war und sich in einem allmählichen Niedergang befand. Das war auch ein Beweggrund gewesen, nach Ägypten aufzubrechen. Damiette hätte Vorräte und eine Garnison gehabt, um einer langen Belagerung standzuhalten; folglich schien die Kapitulation zu bestätigen, dass sie offene Türen einrannten. In muslimischen Chroniken wird dies als »ein Unglück ohnegleichen« bezeichnet und als eine Schande seitens des Emirs und seines Regiments.7 Allerdings wussten die Kreuzritter nicht, dass Fakhr al-Din die Stadt nur deshalb kampflos übergeben hatte, weil er nach dem Tod des Sultans seinerseits nach der Macht greifen wollte.
Es folgte eine weit schrecklichere Wiederholung des Fünften Kreuzzugs, nur gewissermaßen in Zeitlupe. Jean de Joinville überliefert uns die Ereignisse sehr anschaulich und detailliert. Ludwig forderte von seinen Truppen unbedingten Gehorsam, doch bei den ersten Scharmützeln verleitete die Angriffslust einzelne Ritter dazu, sich auf den Feind zu stürzen und dabei ihr Leben zu lassen. Ludwig hatte bei der Landung am Strand selbst ein Exempel der Ungeduld gegeben, und der ritterliche Ehrenkodex der Tapferkeit im Zweikampf war ein immer wiederkehrendes Problem: Es erwies sich als schwierig, den Adel von leichtsinnigen Heldentaten abzuhalten.
Der Sturm der Kreuzritter auf Damiette. Zu einer Verteidigung, wie hier in diesem mittelalterlichen Manuskript gezeigt, kam es nie.
Die Stadt war verlassen.
Schon bald zeigte sich die bittere Realität. Ungeachtet des Falls von Damiette wurde das Lager der Kreuzritter nachts von beduinischen Pferdedieben und Mördern aufgesucht. »Sie kamen und töteten den Wachposten des Lords von Courtenay, und ließen seinen Leichnam auf einem Tisch liegen, nachdem sie ihm den Kopf abgeschnitten hatten, und sie machten sich mit ihm davon. Das taten sie, weil der Sultan für jeden Kopf eines Christen einen Goldbesanten zahlte.«8 Aus dem gleichen Grund hieß es von den Beduinen auch, sie würden von Gehenkten die Köpfe abschneiden und bestattete Leichname ausgraben. Die Kreuzritter sahen sich gezwungen, ihr Lager vor Damiette mit einem Graben zu befestigen und rund um die Uhr zu bewachen. Sie diskutierten über ihren nächsten Schritt: ihre Stellung festigen durch die Einnahme des strategischen Hafens von Alexandria, knapp 200 Kilometer westlich, oder direkt auf Kairo marschieren. Ludwigs Bruder Robert, der Graf von Artois, plädierte vehement für Kairo, mit dem Argument: »Wenn man die Schlange mit einem Hieb töten wolle, dann müsse man ihr den Kopf zerschmettern«,9 doch die Streitmacht musste abwarten, bis das Hochwasser des Nils zurückging. Erst im November machte sie sich auf den Weg und folgte mit einem Marsch flussaufwärts nach Süden dem Pfad, den der Fünfte Kreuzzug gewählt hatte, mit dem Ziel, die strategisch wichtige Stadt Mansura einzunehmen, bis zu der sich das Heer des Sultans zurückgezogen hatte. Angespornt von dem beispiellosen Erfolg vor Damiette herrschte eine große Zuversicht, dass Ägypten, wenn es gelänge, die Stadt einzunehmen, rasch zusammenbrechen werde.
Unter den Muslimen herrschte wegen dieser Option Alarmstimmung: »Die Franken dagegen … wussten sehr wohl, dass jetzt in kurzer Zeit ganz Ägypten ihnen gehören könnte, wenn sich das bei al-Mansura liegende Heer auch nur einen Tagesmarsch weiter zurückzöge.«10 Ganz Kairo geriet in Panik. Die Truppen in Mansura verschanzten sich, um entschlossen Widerstand zu leisten, mit dem sterbenden Sultan an ihrer Seite.
Der Marsch über 65 Kilometer nach Süden war eine kombinierte Operation: Das Heer rückte entlang des östlichen Nilufers vor, begleitet von Galeeren, die Proviant an Bord hatten. Die Franzosen kannten die Verhältnisse des Flusses relativ gut, versäumten es aber sträflich, die Bedeutung eines scheinbar toten Wasserweges, des Mahalla-Kanals, zu erkennen, der auf halber Strecke bis zu ihrem Ziel auf der gegenüberliegenden Seite in den Fluss mündete. Der Kanal sah zu unbedeutend aus, um eine Blockade in Betracht zu ziehen. Dabei hatte er 30 Jahre zuvor an der Niederlage des Kreuzzugs am Nil maßgeblichen Anteil gehabt und sollte wieder eine wichtige Rolle spielen. Als sich Ludwigs Männer Mansura näherten, fanden sie den Weg von einem weiteren Nebenfluss versperrt, den die Christen Tanis nannten. Ihre Gegner hatten am gegenüberliegenden Ufer ein Lager aufgeschlagen, und die Kreuzritter machten jetzt in der Gabelung zwischen Nil und Tanis halt.
Am 22. November, während Ludwig und seine Mannen auf dem Marsch waren, starb der Sultan. Al-Salih hatte bei Fakhr al-Dins Abzug aus Damiette Verdacht geschöpft und die ganze desertierte Garnison hängen lassen. Jetzt schienen sich diese Befürchtungen zu bestätigen. Zusammen mit einer Witwe des Sultans verheimlichte Fakhr al-Din der Bevölkerung den Tod des Sultans, und ein Machtkampf um die Nachfolge setzte ein. Er fälschte al-Salihs Unterschrift auf Dokumenten und forderte die Bevölkerung auf, ihren Kampf zu unterstützen. Mitten in den Gerüchten und Gegengerüchten schickte er Aktai, den Befehlshaber des Mamluken-Regiments Bahriya, in das ferne Hisn Kaifa, eine Stadt am Tigris im Südosten der heutigen Türkei, mit dem Auftrag, den Sohn des Sultans al-Muazzam Turanschah einzuladen, den Thron zu besteigen. Womöglich hoffte er, dass dieser niemals eintreffen würde.
Trotz der Geheimhaltung sickerte die Nachricht vom Tod al-Salihs durch, doch die Bevölkerung hatte zu große Angst, um das zu sagen, was sie befürchteten. Unter den Emiren ging man davon aus, dass »Fakhr al-Din eine tyrannische Alleinherrschaft anstrebe, falls es al-Malik al-Muazzam [Turanschah] unmöglich sein sollte zu kommen.«11 Auf jeden Fall verbreitete Turanschah, der jüngste und einzige noch lebende Sohn des Sultans, nicht gerade Zuversicht. Er war seinem Wesen nach eher ein Gelehrter als ein militärischer Führer, und es heißt, sogar al-Salih habe große Befürchtungen wegen seiner Nachfolge gehabt: »Wenn der Tod mich ereilt, dann holt nicht Turanschah aus Hisn Kaifa und vertraut nicht ihm das Land an, denn ich weiß, dass von ihm nichts Gutes kommen wird.«12
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Mittlerweile stellte der Fluss Tanis ein gravierendes Hindernis für die Kreuzritter dar. Sie mussten ihn auf jeden Fall überqueren, doch der Fluss hatte eine starke Strömung und war offenbar zu tief, um ihn zu durchwaten; außerdem war das Heer der Aiyubiden entschlossen, jeden Versuch abzuwehren. Ludwig und seine Befehlshaber beschlossen, einen Damm zu bauen. Und zum Schutz der Männer, die ihn errichteten, wurden zwei »Katzen« – bewegliche, hölzerne Türme – konstruiert und Katapulte in Stellung gebracht, um das ägyptische Lager zu bombardieren. Von muslimischer Seite aus richtete sich ein vergleichbarer Hagel aus Katapultgeschossen und griechischem Feuer gegen diese Türme. Um den von den Katzen gebildeten Schutzschirm zu überwinden, »schossen [die Sarazenen] senkrecht in die Wolken, so dass die Pfeile genau von oben auf uns niederfielen«.13 Die Bewachung der Holzkonstruktionen wurde lebensgefährlich, sowohl wegen der Gefahr, bei lebendigem Leib zu verbrennen, als auch wegen des Pfeilhagels, den die ägyptischen Soldaten über den Fluss schickten. Angesichts »einer riesigen Waberlohe«, die auf sie zuraste,14 mussten Joinville und seine Männer ihre Deckung verlassen, um das Feuer möglichst zu löschen. »Und noch ehe wir damit fertig waren, bedeckten uns die Sarazenen mit ihren Pfeilen, die sie über den Fluss zielten.«15 Er war regelrecht erleichtert, als der Turm, den er bewachen sollte, vor seiner nächsten Wache in Flammen aufging: »Das war nun wieder eine große Freundlichkeit, die der liebe Gott mir und meinen Rittern erwies; denn wenn wir die Wache gehabt hätten bei der Katze, so hätte es uns schlimm ergehen können.«16
Ägypten und das Nildelta
Während der Angriffe (und selbst, wenn es keinen Angriff gab) erwies es sich für die Kreuzritter als schwierig, einen Damm zu bauen. Die starke Strömung des Flusses trug unablässig das Material ab, und ihre Gegner verlegten das gegenüberliegende Ufer zurück und verbreiterten auf diese Weise ständig den Kanal. Wie schnell die Kreuzritter auch Erde und Steine heranschafften, es führte zu nichts. Ludwig musste einsehen, dass diese Strategie nicht erfolgreich war. Die Moral sank. Wenn sie den Tanis nicht überqueren konnten, war der ganze Kreuzzug gescheitert.
In diesem Moment kam ein Beduine in das Lager und erbot sich, den Kreuzrittern gegen eine angemessene Belohnung eine Furt zu zeigen, wo sie übersetzen konnten. Ein neuer Plan wurde ausgeheckt: den Fluss durchwaten, am anderen Ufer geordnet Stellung beziehen und dann das feindliche Lager angreifen. Der Brückenkopf sollte ausschließlich von Reitern errichtet werden, weil es in der ersten Phase schwieriger war, Fußtruppen überzusetzen.
Am Faschingsdienstag, dem 8. Februar 1250, »gleich bei der Morgendämmerung machten wir uns fertig«, berichtet Joinville. Die Furt war jedoch tiefer, als der Beduine versprochen hatte: »… und als wir fertig waren, setzten wir über den Fluss, und unsere Pferde schwammen hinüber. Wie wir in die Mitte des Flussbettes kamen, fanden wir festen Grund, wo unsere Pferde Fuß fassen konnten.« Einige Pferde verloren jedoch den Halt, sodass ihre Reiter ertranken. Das ganze Geschehen wurde von 300 berittenen Sarazenen beobachtet: »und jetzt, wo wir drüben waren, ergriffen die Türken die Flucht.«17 Geplant war, dass die Templer in der Vorhut den Ring am Südufer hielten, während der König und die Hauptstreitmacht übersetzten und sich neu gruppierten.
An diesem kritischen Punkt brach die Disziplin zusammen: Robert von Artois, der Bruder des Königs, beschloss, einen leichtfertigen Angriff auf das muslimische Lager – der Kommandeur der Templer, Bruder Giles, konnte ihn nicht zurückhalten. Robert und seine Männer fielen über einen ahnungslosen Gegner her.
Sie griffen die dort gelagerten sarazenischen Truppen an, die einen derartigen Überfall nicht erwartet hatten. Einige schliefen noch fest, andere lagen im Bett. Die Sarazenen, die Wache hatten, wurden zuerst besiegt und so gut wie alle mit dem Schwert erschlagen. Unsere Männer brachen in die türkischen Quartiere ein, töteten alle und verschonten niemanden: Männer, Frauen und Kinder, alt und jung, groß und klein, reich und arm, sie schlugen zu und stachen und metzelten alle nieder … Es war wirklich traurig, so viele Tote und so viel vergossenes Blut zu sehen, abgesehen davon, dass sie Feinde des christlichen Glaubens gewesen waren.18
Unter den bei diesem Gemetzel Getöteten war auch der Emir Fakhr al-Din selbst, den man bei der morgendlichen Waschung überrascht hatte. Brieftauben brachten die Nachricht von einer großen Schlacht bei Mansura nach Kairo. Die Muslime waren sich über deren Bedeutung im Klaren, »so dass wir und alle Muslime sehr erschraken«, schrieb ein Chronist, »und eine schreckliche Niederlage für den Islam befürchteten.«19
Wenn die Vorhut nach der Zerstörung des Lagers halt gemacht hätte, wäre alles gut gewesen. Bruder Giles versuchte erneut, Robert von einem weiteren Vorrücken abzuhalten, aber vergeblich. Den endgültigen Sieg vermeintlich vor Augen und möglicherweise wegen der Leichtigkeit, mit der Damiette gefallen war, warf Robert den Templern Feigheit vor. »Mein Herr«, erwiderte Bruder Giles, »weder ich noch meine Brüder haben Angst. Wir werden nicht zurückbleiben, wir werden mit Euch reiten. Aber lasst mich Euch sagen, dass keiner von uns damit rechnet, zurückzukehren, weder Ihr noch wir selbst.«20 Sogar die ausdrücklichen Befehle des Königs (seines Bruders) konnten Robert nicht davon abhalten, in die Stadt einzudringen. In Mansura erwarteten sie die furchterregenden Mamluken des Bahriya-Regiments.
Es kam zu eben der Katastrophe, welche die Templer vorhergesehen hatten. In den engen Gassen der Stadt wurden die Eindringlinge rasch voneinander getrennt. Die über das Massaker in ihrem Lager erbitterten Mamluken »hieben und stachen und packten und fesselten sie und führten sie in Gefangenschaft. Manche flüchteten in Richtung Fluss, um dem Tod zu entrinnen, aber die Sarazenen waren ihnen auf den Fersen und holten sie mit dänischen Streitäxten, Keulen und Schwertern vom Pferd, und wenn sie den Fluss erreichten, groß, schnell und tief, und sich in ihn warfen, so ertranken sie.«21 Aus der Sicht der Muslime erschütterte ein einziger Angriff auf die Franken »deren Fundament, brachte ihr ganzes Gebäude zum Einsturz und stellte ihre Kreuze auf den Kopf. Mit Schwertstreichen und Keulenhieben fielen die Türken über sie her, brachten ihnen Tod und Wunden und verstreuten sie in den engen Straßen Mansuras.«22 Es herrschte großer Jubel über das Wohlwollen Gottes, als die Nachricht Kairo erreichte.
Die Episode hatte auch eine Bedeutung, die über das Ausmaß der Katastrophe hinausreichte. Es war das erste Mal, dass christliche Kreuzritter am eigenen Leib die Kämpferqualitäten der Mamluken erfuhren. Im Rückblick würdigten die arabischen Chronisten dies als Wendepunkt in der »ersten Schlacht, in der die türkischen Löwen die ungläubigen Hunde bezwungen hatten«.23 Dieses Aufeinandertreffen sollte Konsequenzen für das ganze Schicksal der Kreuzzüge haben. Der Sieg bei Mansura hatte zwar das Überleben der Aiyubiden in Ägypten gesichert, aber er hatte auch deutlich gemacht, wer wirklich die Macht hatte. Unter denjenigen, die die eingeschlossenen Kreuzritter niedermachten, war ein junger Mamluk namens Rukn al-Din Baibars.
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Für Ludwig hatte das Ganze unmittelbar ernste Konsequenzen. 600 Mann waren in die Stadt geritten; nur wenige waren lebendig zurückgekehrt. Robert und Giles waren beide in dem Gemetzel gefallen. Die Kreuzritter hatten wertvolle Krieger verloren und dem Gegner Mut gemacht. Die Truppen des Königs hatten sich kaum am südlichen Ufer eingerichtet, als sie durch Gegenangriffe massiv unter Druck gesetzt wurden. Bewaffnete Reiter nahmen sie unter Beschuss, Hagel von Pfeilen und Armbrustbolzen sausten durch die Luft. Wie die Chronisten berichten:
Ein gewaltiger Lärm aus Fanfaren, Hörnern und Trommeln brach aus, Männer schrien, Pferde wieherten … sie umzingelten unsere Truppen vollständig und schossen dichte Wolken aus Bolzen und Pfeilen auf sie; weder Regen noch Hagel hätte eine solche Finsternis bewirken können … Der König und unsere Männer hatten keine Armbrustschützen bei sich; alle, die den Fluss zusammen mit dem König überquert hatten, waren in der Vorhut getötet worden, denn die Sarazenen töteten gnadenlos jeden Armbrustschützen, den sie ergriffen. Als der König und die Unsern sahen, dass sie und ihre Pferde vernichtet waren, stürzten sie in einem massierten Angriff vorwärts, um den Pfeilen der Türken zu entrinnen.24
Joinville, der sich mitten im dichten Kampfgetümmel wiederfand, hat vielleicht den eindringlichsten Augenzeugenbericht einer Feldschlacht von allen Kreuzzügen geliefert – allerdings wohl nicht ohne eine gewisse Tendenz, seine eigene Tapferkeit und die Taten des Königs schönzureden. Ein muslimischer Reiter, so erinnert er sich, »versetzt mir im Vorüberreiten mit seiner Lanze einen Stich zwischen die Schultern und drückt mich so auf den Hals meines Pferdes, dass ich mein Schwert, das ich umgürtet trug, nicht ziehen konnte«. Nachdem er diesen Stoß irgendwie überlebt hatte, eilte er einem anderen Ritter zu Hilfe, den man zu Boden geworfen hatte. Daraufhin wurde er erneut von Reitern mit Lanzen angegriffen. »Mein Ross sinkt in die Knie unter der Last, die es spürt, und ich gleite vornüber zwischen die Ohren des Pferdes, richte mich aber so schnell wie möglich wieder auf, den Schild am Hals und das Schwert in der Hand.« Kaum hatte er sich wieder aufgerappelt, da wirft ihn eine zweite Welle Reiter »zu Boden, [sie] machen sich über mich her und rauben mir den Schild vom Hals«. Verwirrt und orientierungslos führten andere Ritter ihn in ein eingefallenes Haus, um dort Stellung zu beziehen. »Da griffen uns die Türken von allen Seiten an. Ein Teil von ihnen dringt in das zerstörte Haus, und die stechen nun von oben auf uns ein mit ihren Lanzen.«25 Er sah einen Mann, der von drei Lanzenstichen im Gesicht verwundet war, und einen anderen, getroffen von einem Lanzenstoß zwischen die Schultern mit einer Wunde so groß, »dass ihnen das Blut aus dem Leibe strömte wie der Wein aus einem Spundfass«. Unterdessen bekam aber sein Herr Érard de Siverey »einen Säbelhieb über das Gesicht, dass ihm die Nase auf die Lippen fiel«. Während der offenbar unverwüstliche Joinville ein Stoßgebet an den heiligen Jakob sandte, machte Érard de Siverey, der noch sprechen konnte (später allerdings starb) nüchtern den Vorschlag, von anderen Hilfe zu holen, aber nur »wenn Ihr meint, dass weder ich noch meine Erben dafür zu tadeln seien«. Der Ehrenkodex der Ritter und die Angst, man könnte ihnen Feigheit vorwerfen, galten selbst im Angesicht des Todes.26
Den ganzen Tag über versuchte Ludwig verzweifelt, den Brückenkopf am Südufer des Tanis zu halten und seine Männer an der Flucht zu hindern. Mit einer gehörigen Portion Unverständnis hatten die Muslime die Dummheit von Artois verfolgt, der ihnen in Mansura in die Falle gegangen war. Jetzt führten sie in dichter Formation unter Schreien und Rufen eine Angriffswelle nach der anderen, ließen immer wieder »die Trompeten und die Zimbeln und die sarazenischen Hörner« ertönen.27 Am Flussufer festgenagelt, beobachtete Joinville, wie sich die Lage verschlechterte: »So sehen wir denn flussabwärts das Wasser bedeckt mit Lanzen und Schilden und Ross und Mann, die ertrinken und untergehen.«28 Sechs türkische Reiter hielten Ludwigs Pferd am Zaum fest, doch der König habe »sich dann aber ganz allein mit mächtigen Schwertstreichen, die er auf die Feinde geführt, wieder herausgehauen«.29 Ein dichter Hagel von Pfeilen surrte durch die Luft, und mit Armbrüsten verschossenes griechisches Feuer. Ein Ritter »fängt … den Topf mit dem griechischen Feuer mit seinem Rundschild auf; wenn nur etwas davon ihn getroffen hätte, so wäre er ganz verbrannt«. Des eigenen Schildes beraubt, schnappte sich Joinville die wattierte Unterjacke eines Muslims als behelfsmäßigen Ersatz, »der mir sehr zustatten kam, denn ich wurde nur an fünf Stellen von ihren Wurfspeeren verwundet, während mein Streitross an fünfzehn Stellen getroffen wurde«.30
Irgendwie gelang es Ludwig, die Reihen geschlossen zu halten, indem er seine Männer anspornte und außerordentlich tapfer an ihrer Seite kämpfte. Am späten Nachmittag wurde ein frisches Kontingent Armbrustschützen an die Front geführt, und die Muslime zogen sich daraufhin zurück. Bei Sonnenuntergang schlichen Beduinen, die Plünderer der Schlachtfelder und Halsabschneider, herbei, um das verlassene muslimische Lager auszurauben, und schleppten alles weg, was noch übrig war.
Für die Kreuzritter war die Schlacht ein Sieg der Tapferkeit und Standhaftigkeit, doch es war nur eine sehr kurze Atempause. Die Muslime waren sich sicher, dass sie das Lager am Südufer des Tanis dem Erdboden gleichmachen konnten. Noch vor Morgengrauen wurde Joinville schon wieder vom Ruf zu den Waffen geweckt. Da er zu stark verwundet war, um einen Harnisch zu tragen, warf er sich ein wattiertes Wams über den Rücken und bereitete sich auf die Fortsetzung des Kampfes vor. In den folgenden Tagen wehrten Ludwigs Männer mehrere Angriffe ab. Es gelang ihnen, von den muslimischen Belagerungsmaschinen Holz zu beschaffen und um ihr Lager eine Palisade und einen Graben zu ziehen. Über den Fluss war aus Booten eine Brücke gebaut worden, um die beiden Lager miteinander zu verbinden, doch die Zahl der Opfer stieg unaufhaltsam.
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Ungeachtet des mutigen Widerstands war die Lage hoffnungslos. Ludwig hielt hartnäckig die Stellung, immer noch geblendet von dem Glauben, das Sultanat der Aiyubiden stünde kurz vor dem Zusammenbruch, und Gott würde ihnen den Sieg gewähren. Die Realität sah jedoch anders aus. Er wagte es nicht, sich über den Tanis zurückzuziehen, hätte er doch damit eingestanden, dass der Kreuzzug gescheitert war. Doch die Situation im Lager verschlechterte sich zusehends. Neun Tage nach der ersten Schlacht trieben die Leichen der Erschlagenen an die Wasseroberfläche und blockierten die Brücke, die die beiden Lager Ludwigs miteinander verband. »Und es waren ihrer so viele, dass der ganze Fluss von einem Ufer zum andern von ihnen bedeckt war auf die Wurfweite eines kleinen Steins.«31 Man stellte Männer ab, um die Leichen der beschnittenen Muslime auf die andere Seite zu werfen, damit sie flussabwärts trieben, während die Christen in einem langen Graben beerdigt wurden. Da die Fastenzeit angebrochen war, aßen die Überlebenden nur Fisch aus dem Fluss, genauer Schlammaale. Die Aale wiederum »fraßen die Toten, denn sie sind sehr gefräßige Fische«, erinnerte sich Joinville voller Ekel.32 Er führte auf diese Ernährung die Ausbreitung der »Heeresseuche« (höchstwahrscheinlich Skorbut) zurück, die allmählich die Soldaten befiel: »Die Seuche begann nun aber im Lager so um sich zu greifen, dass unseren Leuten das Zahnfleisch verfaulte, die Barbiere mussten es abschaben, damit die Kranken das Essen kauen und hinunterschlingen konnten.« Während die Barbiere ihre Arbeit taten, war das Lager von den Schreien der Kreuzfahrer erfüllt, denn »sie wehklagten wie Frauen in Kindesnöten«.33 Joinvilles eigener Priester brach inmitten der Messe zusammen. Joinville nahm ihn darauf in die Arme und brachte ihn wieder zu Bewusstsein. Der Priester schaffte es, die Messe zu beenden, aber »er hat … nie wieder eine Messe gesungen«.34 Das Überleben hing inzwischen davon ab, dass Vorräte von Damiette aus flussaufwärts gebracht wurden, doch das Los der Kreuzritter sollte sich binnen kurzer Zeit noch dramatisch verschlechtern.
Am 25. Februar traf der Sohn des Sultans, der gelehrte Turanschah aus Hisn Kaifa ein, um das Kommando zu übernehmen. Von Anfang an schätzte er die Situation falsch ein. Ein Wechsel des Sultans brachte häufig einen Wechsel der Verwaltung mit sich, doch ein kluger Herrscher führte diesen Übergang schrittweise durch. Nicht so Turanschah: Er machte sich die führenden Emire und Feldherren zum Feind. Womöglich war er außerstande, jene, die in Mansura gekämpft hatten, zu belohnen; allem Anschein nach versäumte er es jedenfalls, Aktai, dem Kommandeur des Mamluken-Regiments, die Steuereinnahmen aus Alexandria zu gewähren, die man ihm versprochen hatte. Zudem ersetzte Turanschah die führenden Emire durch seine eigenen Leute. Die neuen Emire waren den Leuten vor Ort jedoch nicht bekannt und genossen keine große Unterstützung. Lebhafte Geschichten kursierten über die Verderbtheit Turanschahs; es hieß von ihm: »Wenn er betrunken war, dann stellte er Kerzen auf und schlug ihnen [den Kerzen] mit dem Schwert die Köpfe ab und köpfte sie mit den Worten: ›So werde ich mit den Bahriya verfahren‹, und er pflegte die Mamluken seines Vaters namentlich aufzuzählen. Die von niederer Geburt wurden erhöht und jene von guter Qualität entfernt. Er behandelte den Chef der Mamluken seines Vaters mit Verachtung.«35 Er begriff nicht, dass die Dynastie der Aiyubiden nun einen Ritt auf dem Tiger der eigenen türkischen Sklaven unternahm.
Ungeachtet dieser unterschwelligen Strömungen erhielt der Feldzug der Muslime neuen Auftrieb, und die Bedeutung des Mahalla-Kanals, welche die Kreuzritter bei ihrem Marsch entlang des Nils nicht erkannt hatten, wurde jetzt deutlich. Die Kreuzritter verfügten in Mansura und bei Damiette an der Küste über Schiffe, doch Turanschah kappte jetzt die Verbindung zwischen den beiden Orten. Er ließ 50 Galeeren mithilfe von Kamelen über Land tragen und setzte sie weiter oben im Verlauf des Mahalla-Kanals ein. Das Wasser stand zwar still, war aber so hoch, dass man oberhalb des Kreuzritterlagers zurück zum Nil segeln konnte. Als die christlichen Proviantschiffe aus Damiette kamen, gerieten sie in einen Hinterhalt, die Vorräte wurden erbeutet und die Besatzungen getötet oder in Gefangenschaft geführt. Die Muslime hatten zwar bereits 30 Jahre zuvor gegen den Fünften Kreuzzug einen ähnlichen Hinterhalt gelegt, doch Ludwig und seine Männer wurden davon völlig überrumpelt. Sie wussten anfangs auch gar nichts von ihrem Unglück, bis es einem kleinen Kreuzfahrerschiff gelang, die Blockade zu überwinden und zu ihrem Lager zu gelangen. Die Türken hatten »zum größten Erstaunen vieler Leute mehrere ihrer Galeeren oberhalb unseres Lagers« weiter unten wieder in den Fluss gesetzt. »Dies geschah, um uns auszuhungern«, berichtet Joinville.36 Angesichts der schlimmen Lage schnellten die Lebensmittelpreise in die Höhe. Im ganzen Lager machte sich Verzweiflung breit. Die Seuche grassierte. Alle blickten dem Tod ins Auge.
Von diesem Moment an war Ludwigs Kreuzzug zum Scheitern verurteilt, doch der König zögerte immer noch. Er war außerstande, den Kreuzzugstraum aufzugeben, bis es zu spät war. Versuche, einen akzeptablen Waffenstillstand auszuhandeln, schlugen fehl. Erst am 5. April 1250 gestand der König endlich die Niederlage ein und gab Befehl, sich nach Damiette zurückzuziehen. Ludwig bestand darauf, die Kranken und Verwundeten in die Boote zu legen, während er selbst bis zum Ende beim Heer bleiben und die gut 60 Kilometer bis nach Damiette auf dem Landweg reisen wollte. Zu der Zeit litt er unter der Ruhr, weigerte sich aber, ein Schiff zu nehmen. Der Plan, unbemerkt vom Südufer abzuziehen, misslang. Der Mann, der den Befehl hatte, die Seile auf der Brücke zu kappen, geriet in Panik und schaffte es nicht. Muslimische Truppen überschritten die Brücke. Der geordnete Rückzug wurde zu einem Albtraum. Der verwundete Joinville – »am Mund und an den Beinen« von der Seuche befallen und zu schwach zum Gehen – war unter den Kranken, die auf die Schiffe gebracht worden waren.37 Bei Einbruch der Dunkelheit sah er im Feuerschein Muslime, wie sie die restlichen Kranken töteten, die, in der Hoffnung, mitgenommen zu werden, zum Ufer getaumelt oder gekrochen waren.
Eine schmähliche Niederlage nahm ihren Lauf, da die Muslime jene verfolgten und umbrachten, die zu Land reisten. Joinvilles Schiff wurde von einem Gegenwind gebremst, geriet in einen Seitenarm und wurde vom Ufer aus mit Bolzen und Salven des griechischen Feuers beschossen. Der Konvoi wurde von den Schiffen des Sultans abgefangen. Joinville konnte sehen, dass die Besatzungen anderer Schiffe getötet und ins Wasser geworfen wurden. Während sie vor Anker mitten im Fluss ihr Schicksal erwarteten, warf Joinville seine Juwelen und Reliquien in den Fluss. Als sich eine Galeere näherte, flehte einer der Schiffsleute ihn an: »Herr, lasset mich nur sagen, Ihr seid des Königs Vetter, denn sonst bringt man Euch alle um und uns dazu.«38 Joinville stimmte zu. Als ihr Schiff geentert wurde, warf man Joinville zu Boden und hielt ihm Messer an die Kehle. Während er den Tod erwartete, rief ein Mann plötzlich: »Das ist der Vetter des Königs!« Schlagartig war er zu einer wertvollen Geisel für eine Lösegeldforderung geworden. Andere hatten weniger Glück. Joinville sah zu, wie sein Priester ermordet und in den Fluss geworfen wurde; dessen Gehilfen, der in Ohnmacht gefallen war, schlug man einen Mörser aus Stein gegen den Kopf. Joinville protestierte gegen diese Schlächterei, »aber man antwortete mir, das seien ja keine Menschen, die noch zu irgendetwas taugten, da sie sich wegen ihrer Krankheit ja nicht einmal mehr auf den Beinen halten könnten«.39
Die Gefangennahme Ludwigs war erniedrigend. Seine Ruhr war so schlimm, dass die Diener das Hinterteil seiner Beinkleider ausschneiden mussten. Er wurde halbtot in ein Haus gebracht. Das Ganze war vorbei, es war eine totale Niederlage: »Hier wurde die oriflamme in Stücke gerissen, auf dem bauséant [dem schwarz-weißen Banner der Templer] wurde mit Füßen herumgetrampelt, ein Anblick, wie keiner sich erinnerte, dass er ihn jemals ertragen musste. Und drüben wurden die Banner der Magnaten, seit jeher ein Gegenstand der Furcht für die Ungläubigen, mit dem Blut der Männer und Pferde bespritzt … und am übelsten zerstört und mit Verachtung behandelt.«40
Für die Muslime gab es allen Grund zu großem Jubel: »Gott säuberte Ägypten von ihnen.«41 Ein Chronist berichtet: »Eine Strichliste wurde aus der Zahl der Gefangenen erstellt, und es waren über 20 000; jene, die ertrunken oder getötet worden waren, zählten 7000. Ich sah die Toten, und sie bedeckten in ihrem Überfluss das Antlitz der Erde … Es war ein Tag, wie die Muslime ihn noch nicht erlebt hatten; ja, nicht einmal hatten sie auch nur von etwas Vergleichbarem gehört.«42
Damiette wurde übergeben. Die Gefangenen wurden in Lager zusammengetrieben, von den sozusagen Wertlosen unter ihnen wurden 300 am Tag geköpft. Die Restlichen ließ man am Leben, um für sie ein Lösegeld zu fordern. Joinville überlebte, ungeachtet der Scheinexekutionen, während der er vor dem Henkersbeil gekniet hatte. Ludwig erklärte sich bereit, eine gigantische Summe – annähernd eine Million Goldbesanten – als Lösegeld für 12 000 Mann zu zahlen. Er zahlte die Hälfte der Summe vorab und segelte dann, mit Joinville an Bord, nach Akkon, um die restliche Summe aufzutreiben und so die Männer, die noch in Gefangenschaft waren, zu befreien.
Am 7. Mai 1250 brach er nach Akkon auf. Fünf Tage zuvor war er Augenzeuge eines erdbebenähnlichen Machtwechsels in der islamischen Welt geworden – eines Wechsels, den sein Kreuzzug unbeabsichtigt mitbewirkt hatte. Turanschah hatte sich das Korps der Mamluken zum Feind gemacht, entweder durch das Ausbleiben von Beförderungen oder durch seine Weigerung, die Kriegsbeute zu teilen. Am 2. Mai griff Aktai, der Kommandeur der Mamluken, den Sultan an und verwundete ihn schwer. Der verletzte, aber nicht tote Turanschah versprach, ihm die Einkünfte Alexandrias zurückzugeben, aber es war zu spät. Der Sultan hatte nicht bemerkt, dass sich die Machtverhältnisse verschoben hatten. Dem Vernehmen nach gab Rukn al-Din Baibars dem Sultan den Todesstoß. Aktai schnitt Turanschah das Herz aus der Brust und trug es mit blutigen Händen zu dem erschöpften Ludwig. Er hielt ihm die grauenvolle Trophäe vor und sagte: »Was gibst du mir dafür, dass ich deinen Feind erschlagen habe, der dich getötet hätte, wenn er am Leben geblieben wäre?« Vor Entsetzen brachte der König kein Wort über die Lippen.43
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Die Nachricht von der vernichtenden Niederlage Ludwigs traf Europa schwer. Der Papst schickte »Worte der Trauer, geschrieben im Kummer« an Königin Bianca, die Mutter Ludwigs.44 Es folgte eine tiefe Gewissensprüfung. Wie konnte das passieren? Ludwigs Expedition, die doch so fromm und so gut vorbereitet gewesen war, war vernichtet worden: »Wir müssen über die Gründe nachdenken«, heißt es in einer Predigt über die Verluste von Mansura, »weshalb der Herr es zuließ, dass ein so tragisches Ereignis das christliche Volk ereilte … Wie konnte Er es zulassen, dass gekaufte Sklaven … Sklaven des Teufels, voller Verderbtheit, solch edle Männer töteten, solch mächtige Freunde Gottes und Vorkämpfer des ganzen christlichen Volkes?«45
Die Rolle und der Status der Mamluken als Sklaven beunruhigten besonders: Wie hatten sie obsiegen können? Was hatten sich die Christen zuschulden kommen lassen? Warum diese Strafe Gottes? Die Antwort lautete: Sünde, dann eine Lektion der Selbstkasteiung, und weiter Demonstrationen der rätselhaften Gerechtigkeit und Liebe Gottes.
Ob Baibars wirklich Turanschah den Todesstoß versetzte oder ob dies eine Art Hagiografie im Rückblick war, ist nicht bekannt. Doch der Tod Turanschahs durch die Hände der Mamluken war ursächlich für eine Neugestaltung des ganzen Nahen Ostens. Er läutete den Todeskampf des gespaltenen und geschwächten Sultanats der Aiyubiden ein; an dessen Stelle sollte die Dynastie der Mamluken treten, die ein skrupelloses militärisches Geschick im Krieg gegen die Christenheit bewiesen. Die Schlüssel des Königreichs Jerusalem lagen weiterhin in Ägypten, und zu gegebener Zeit würden sie in die Hände des ehrgeizigen Baibars fallen.