Читать книгу Der Fall von Akkon - Roger Crowley - Страница 9
Der Verfluchte Turm
ОглавлениеIm Frühjahr 1291 rückte die größte Streitmacht, die die Muslime jemals gegen die Kreuzritter im Heiligen Land aufgestellt hatten, auf die Stadt Akkon vor. Nach allen Schilderungen war es ein außergewöhnliches Spektakel: eine gewaltige Ansammlung von Männern und Tieren, Zelten, Gepäck und Vorräten. Und das alles vor der letzten Bastion der Christenheit. Das Ziel war ein vernichtender Schlag.
Aus dem ganzen Nahen Osten waren Truppen zusammengezogen worden: aus Ägypten 800 Kilometer südlich und aus Syrien bis hin zu den Ufern des Euphrats im Norden, aus den großen Städten Kairo, Damaskus und Aleppo – eine Vereinigung der militärischen Ressourcen der ganzen Region. Die Elitetruppen waren versklavte, Türkisch sprechende Krieger von jenseits des Schwarzen Meeres; dem Heer gehörten nicht nur Reiter, Fußtruppen und Spezialeinheiten an, sondern auch fanatische Freiwillige. Der Feldzug war von einem allgemeinen Eifer für den Heiligen Krieg durchdrungen – und von einer weniger frommen Gier nach Beute.
In dem Gewimmel konnte man die weißen Turbane der vornehmen Emire wahrnehmen, die kegelförmigen Metallhelme der Fußtruppen, Kettenhemden mit Lederbesatz, die kurzen Bögen der Reiter, deren Tiere bunte Decken und mit den Wappen verzierte Sättel trugen, auf Kamelen sitzende Musiker, die Pauken, Hörner und Zimbeln spielten, wehende gelbe Fahnen und alle möglichen Waffen: Keulen, Speere, Schwerter, Belagerungsarmbrüste, behauene Steinkugeln, Naphtha für die Herstellung des griechischen Feuers und der Lehmgranaten. Ochsen spannten ihre Kräfte an und zogen Karren beladen mit Holz von Bäumen, die in den Bergen des Libanon gefällt und in den Werkstätten von Damaskus bearbeitet worden waren – die vorgefertigten Bauteile der Steinkatapulte, die in der islamischen Welt unter der Bezeichnung manjanig (Mangonel) und bei den Europäern als Trebuchet (Blide) bekannt waren. Die rumpelnden Karren führten eine beispiellose Zahl dieser Waffen heran, teils von gewaltiger Größe, um die Mauern von Akkon zu zerschmettern. Vor dem Zeitalter des Schießpulvers bildeten sie die schlagkräftigste Kategorie der Artillerie.
Islamischer Reiter
Die Stadt, die diese Streitmacht im Begriff war anzugreifen, war sehr alt und hatte bei regionalen Machtkämpfen stets eine bedeutende Rolle gespielt. Sie hatte unzählige Namen: Akko auf Hebräisch, Akka auf Arabisch; Ptolemais für die Griechen und Römer; Akkon im Latein der Kreuzritter; St. Jean d’Acre für die Franzosen. Sie wird sowohl auf ägyptischen Hieroglyphen als auch in den Chroniken der assyrischen Könige und in der Bibel erwähnt. In der Bronzezeit ließen sich Menschen auf dem benachbarten Hügel nieder, der zur Basis für die Belagerer Akkons werden sollte. Die Stadt wurde von Pharaonen erobert und von den Persern genutzt, um Angriffe auf Griechenland zu planen. Alexander der Große nahm sie kampflos ein, und Julius Caesar machte sie zum Landungsplatz für römische Legionen; auch Kleopatra gehörte sie einst. Im Jahr 636, nur vier Jahre nach dem Tod des Propheten Mohammed, fiel sie an die Muslime.
✳
Die lange Besiedlung Akkons und ihr Wert gingen auf ihre Lage und strategische Bedeutung zurück. Die Stadt grenzt an das Mittelmeer, auf einer hakenförmigen und felsigen Landzunge, die einen kleinen, aber einigermaßen geschützten Hafen bildet. Im Süden liegen eine Küstenebene und eine langgezogene Bucht mit feinstem Sand, der zur Zeit der Phönizier für die Glasherstellung geschätzt wurde. Der Fluss Naaman fließt hier durch und bewässert das Hinterland. Auf der nächsten Landzunge, gut 16 Kilometer entfernt, ist die ebenso alte Stadt Haifa zu sehen. Aufgrund der Lage auf halbem Weg entlang der Küste der Levante war Akkon eine natürliche Zwischenstation – eine Drehscheibe für den Seehandel, in Nord-Süd-Richtung vom Schwarzen Meer nach Ägypten, und in Ost-West-Richtung für den ganzen Mittelmeerraum. Akkon war der Umschlaghafen für den Austausch und das Umladen von Waren, auf dem Land- und Seeweg verbunden mit Routen entlang der Küste und ins Herz des Nahen Ostens. Dabei war es, unter der Oberfläche des Krieges, ein Tor, durch das Agrarprodukte, Waren, Know-how, Sprachen, Religionen und Menschen passierten und das den Kreislauf des Handels ebenso wie die Entwicklung der Zivilisation bereicherte.
Für die Kreuzfahrer spielte Akkon immer eine bedeutende Rolle. Als Papst Urban II. im November 1095 seine flammende Predigt auf einem Feld in der Nähe des französischen Clermont hielt und zur Errettung Jerusalems aufrief – jener Stadt, in der Jesus Christus gelebt hatte und gestorben war –, da entfachte er die Fantasie der westlichen Christenheit, mit erstaunlichen Ergebnissen. Im Ersten Kreuzzug brach eine große Schar einfacher Menschen spontan nach Osten auf – und kam jämmerlich um – und anschließend ein besser organisiertes Expeditionsheer unter dem Kommando großer europäischer Fürsten. Tausende von Soldaten schleppten sich die gut 3000 Kilometer quer durch Europa bis in den Nahen Osten. Wider Erwarten eroberten sie im Juli 1099 Jerusalem und trampelten bei ihrem Zug auf den Tempelberg über die im Kampf gefallenen Muslime und Juden hinweg. Aber ungeachtet dieser Eroberung hatte der erste lange Marsch ins Heilige Land gewaltige Opfer gefordert. Von den ungefähr 35 000 Mann, die aus Europa aufgebrochen waren, haben vermutlich nur 12 000 Jerusalem erblickt. Daraus zogen militärische Strategen rasch den Schluss, dass Heere auf dem Seeweg herangeführt werden mussten und dass man dringend Hafenstädte wie Akkon brauchte, um sie zu empfangen.
Akkon wurde erstmals 1104 von Balduin von Boulogne, dem ersten Kreuzfahrerkönig Jerusalems, eingenommen und entwickelte sich dann zum Hauptlandeplatz für Pilger und die Truppen, die für deren Schutz benötigt wurden. Die Stadt war so wertvoll, dass der Herrscher von Damaskus, als vier Jahre später der Kreuzfahrer Gervais de Bazoches, Fürst von Galiläa, bei einem Raubzug gefangen genommen wurde, versuchte, seinen Gefangenen und dazu noch Haifa und Tiberias gegen die Stadt einzutauschen. Balduin beschloss, den Mann zu opfern. Gervais’ Skalp, an einem Pfahl befestigt, wurde zu einem Banner der Muslime, sein Schädel zum Trinkbecher des Emirs.
Der Besitz von Akkon erwies sich als maßgeblich für den Fortbestand von Outremer (»Übersee«), wie die Franzosen die Herrschaften an der Küste Palästinas und Syriens nannten, die sie während des Ersten Kreuzzugs gegründet hatten. Doch knapp ein Jahrhundert später eroberten die Muslime die Stadt zurück; im Zuge der Vernichtung der Streitmacht des Königs von Jerusalem in der Schlacht bei Hattin Anfang Juli 1187 wurde Akkon rasch übergeben. Den christlichen Bewohnern wurde freies Geleit gewährt.
Das war das Vorspiel zu einer der zermürbendsten militärischen Auseinandersetzungen der Kreuzzüge im Heiligen Land. Volle 683 Tage lang, von 1189 bis 1191, versuchte eine christliche Streitmacht, Akkon zurückzuerobern. An dem Ringen um die Stadt waren die größten Feldherren jener Zeit beteiligt: Saladin, der Sultan der Aiyubiden-Dynastie, kämpfte gegen die gekrönten Häupter Europas: Philipp August von Frankreich, Richard I. von England, Guy de Lusignan, König von Jerusalem, und die Truppen des Dritten Kreuzzugs. Es war ein Kampf der Titanen, in dem die belagernden Kreuzritter zeitweilig selbst belagert wurden. Dazu zählten Seeschlachten und offene Feldschlachten ebenso wie Ausfälle und Hinterhalte. Die Mauern wurden von Katapulten und Rammen erschüttert, von Belagerungstürmen aus angegriffen, mit Tunneln untergraben, durch ein Gegenbombardement mit Steinen, Pfeilen und Brandsätzen verteidigt. Männer wurden mit Schwertern, Streitkolben und Speeren in Stücke gehauen und verbrannten durch das griechische Feuer bei lebendigem Leib. Jede Seite stand abwechselnd wegen Hunger, Seuchen und Verzweiflung kurz vor der Aufgabe.
Am Ende konzentrierte sich der Kampf auf einen bestimmten Punkt. Mittelalterliche Besucher von Akkon überlieferten lebhafte Analogien, um das Aussehen der Stadt zu beschreiben. So beschrieben sie die Stadt als geformt wie eine Axt oder ein Kreuzfahrerschild oder einfacher als ein Dreieck mit der Küste als Grundseite. Die beiden anderen Seiten wurden von dem nördlichen und östlichen Teil der Stadtmauer gebildet, die von Toren und Türmen unterbrochen war. Vor ihr lagen ein niederes Vorwerk und der Graben. Sie trafen sich an der Spitze des Dreiecks. An dieser Stelle befand sich der verwundbarste und am stärksten befestigte Sektor, und genau hier tobte der Kampf um Akkon am heftigsten. Die Spitze wurde von einem eindrucksvollen Turm überragt – dem Grundpfeiler der Verteidigung, den die Kreuzfahrer den Turris maledicta, den Verfluchten Turm, nannten.
Der Ursprung dieses Namens ist nicht ganz geklärt. Es kursieren mehrere Legenden um den Turm mit den schlechten Vorzeichen: dass Christus ihn verflucht habe, als er durch das Heilige Land reiste, und die Stadt deshalb nie betreten habe. Oder dass die Stadt in gewisser Weise an dessen Verrat beteiligt gewesen sei: Es hieß, die 30 Silberlinge, für die Judas Ischariot ihn verkaufte, seien hier geprägt worden. Der Name mag schon älter als die Belagerung sein, doch der Geistliche Wilbrand von Oldenburg, der die Stadt kurz danach aufsuchte, äußerte eine gesunde Skepsis gegenüber apokryphen Erklärungsversuchen. Er glaubte vielmehr Folgendes: »Als nämlich die Unsern die Stadt belagerten, vertheidigte sich dieser Thurm vor allen andern am hartnäckigsten, weshalb die Unsrigen ihn den Verfluchten nannten.«2
Um dieses Bollwerk hatte man erbittert gekämpft. Im Frühjahr und Sommer 1191 waren die Mauern des Turms einem furchtbaren Bombardement durch mächtige Katapulte ausgesetzt. Die Verteidiger erwiderten den Angriff entsprechend. Der Turm wurde untergraben und gegenunterminiert; Männer kämpften in pechschwarzen Tunneln und vereinbarten dann eine unterirdische Waffenruhe. Als ein Abschnitt der Stadtmauer, der an den Turm grenzte, zusammenbrach, versuchten die Franzosen mit einem Frontalangriff über die verstreuten Trümmer ihr Glück und wurden niedergemetzelt; ein hoher Adliger, Albéric Clément, der Herr von Le Mez und erste Marschall Frankreichs, wurde bei dem Versuch erschlagen. Und an eben dieser Stelle beugten sich die muslimischen Verteidiger der Stadt dem Unvermeidlichen und kapitulierten, nachdem Mineure am 11. Juli 1191 endlich den Turm zum Einsturz brachten.
Unter gigantischen Kosten hatten die Kreuzritter die Stadt zurückerobert. Womöglich verkörperte der Turm die ganze Tortur, und sein Name brachte einfach die Enttäuschung, den Schmerz und das Leid zum Ausdruck, das die Heere vor den Mauern Akkons erfahren hatten. Die Einnahme der Stadt gewährleistete, dass die Kriege zwischen den Franken und den Sarazenen, wie sie sich gegenseitig nannten, noch ein weiteres Jahrhundert anhalten sollten.
✳
Das Nachspiel der Belagerung ließ ein bitteres Vermächtnis zurück. Am 20. August 1191, kurz nach der Kapitulation, fesselte Richard I. von England – genannt Löwenherz – die muslimischen Verteidiger Akkons mit Stricken, ließ sie auf die Ebene vor der Stadt bringen und enthaupten. Es dürften rund 3000 Männer gewesen sein. Laut einer mit Saladin getroffenen Vereinbarung sollten sie eigentlich ausgetauscht werden. Bei den taktischen Maßnahmen und Gegenmaßnahmen während der Schlacht um Akkon waren auf beiden Seiten Fehler unterlaufen, doch Saladin hatte eine einmalige Gelegenheit verpasst, die Ungläubigen ein für allemal ins Meer zu werfen. Am Ende war er gezwungen gewesen, um Verhandlungen zu bitten und die Stadt zu übergeben. Als die Kreuzritter meinten, er habe gegen die vereinbarten Bedingungen verstoßen, deckte Richard dies nach einer im Kriegsrat gefällten Entscheidung auf und handelte skrupellos.
Der Dritte Kreuzzug, für den diese Belagerung von Akkon der Prolog war, erreichte nicht das eigentliche Ziel, Jerusalem zurückzuerobern. Richard machte knapp 25 Kilometer vor dem ultimativen Preis kehrt, weil er die Risiken für zu hoch hielt – ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als Saladin schon die Evakuierung der Stadt vorbereitete. Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden großen Gegnern endete mit einem Patt, die Stadt des Herrn blieb unerobert, und die Kreuzritter klammerten sich hartnäckig an den Küstenstreifen Palästinas. In der Folge wurde Akkon zur Drehscheibe und zum Herz der späteren Kreuzzüge. Nach 1191 hing der Fortbestand Outremers ganz erheblich von der Stadt ab. Sie wurde rasch von den Kreuzrittern neu bevölkert, und ihr wurde, durch einen sprachlichen Kunstgriff, der Titel Hauptstadt des Zweiten Königreichs Jerusalem verliehen, während Jerusalem selbst bis auf einen kurzen Zeitraum in muslimischer Hand blieb. Die christlichen Monarchen Akkons sonnten sich in dem hochwichtigen und häufig umstrittenen Titel König von Jerusalem. Dementsprechend wurde auch die höchste religiöse Autorität, die nur dem Papst unterstand, Patriarch von Jerusalem genannt.
Das Siegel von Richard Löwenherz
Die Hinrichtung der muslimischen Garnison, die bereits kapituliert hatte, durch Richard Löwenherz ist noch heute eine umstrittene Episode in der Geschichte der Kreuzzüge, für die bislang keine schlüssige Erklärung gefunden wurde. »Gott weiß es am besten«, sinnierte Baha al-Din, Saladins Berater.3 Genau hundert Jahre später erinnerte man sich an das Schicksal der hingerichteten Muslime. Im Jahr 1291 sollte ein muslimisches Heer Akkon unter Beschuss nehmen, und Christen verteidigten den wiederaufgebauten Verfluchten Turm. Das vorliegende Buch ist eine Schilderung der Ereignisse, die zurück vor die Tore der Stadt führten in jenem Frühling – dem Schlussakt in dem 200-jährigen Ringen, das bei arabischen Historikern als Kriege gegen die Franken und bei Europäern als Kreuzzüge ins Heilige Land bekannt ist.