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Rettungsanstalt für kulturelle Relikte

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Hermann Lübbes These vom Museum als Aufbewahrungsort für fortschrittsbedingt Veraltetes beantwortet die Frage, warum es zur Aufnahme von Abfall oder «Beinahe-Abfall» in die Wertsphäre des Museums kommt, wie folgt:2 Durch die Fortschrittsdynamik der modernen Zivilisationen werden laufend Bestände ausgeschieden, die es in irgendeiner Weise zu behandeln gilt. «Erst im Fortschritt fällt Veraltetes an und gewinnt komplementär zur Dynamik des Fortschritts an Aufdringlichkeit»,3 und erst im Fortschritt stellt sich das Problem der Entsorgung von Relikten früherer Evolutionsstufen. Sollen diese Überbleibsel vor dem endgültigen Verschwinden bewahrt werden, bleibt nur ihre Überführung in den Status von Antiquitäten oder – wirkungsvoller, da mit Aussicht auf dauerhafte Erhaltung verbunden – ihre Musealisierung. «Das Museum ist zunächst einmal eine Rettungsanstalt kultureller Reste aus Zerstörungsprozessen, denen irreversibel ausgesetzt ist, was als im aktuellen Reproduktionsprozess funktionslos durch die kulturelle Evolution ausseligiert [sic!] worden ist.»4 Der Gewinn, der sich daraus ergibt, dass die Relikte der obsolet gewordenen Praktiken nicht entsorgt, sondern für Gegenwart und Zukunft konserviert werden, besteht nach Lübbe darin, dass dem Schwund an kultureller Vertrautheit, den die fortschrittsbedingte Veränderungsdichte als «Nebenwirkung» mit sich bringt, auf diese Weise kompensatorisch entgegengewirkt werden kann. In immer schneller sich ändernden Umwelten erbringt das Museum mit der Deponierung von vertrauten Elementen – und vor allem mit ihrer sinnhaltigen Exponierung – wenigstens in Ausschnitten Angebote zur Erfahrung von Kontinuität. «Die bündelnde Formel für diese Struktur lautet: Durch die progressive Musealisierung kompensieren wir die belastenden Erfahrungen eines änderungstempobedingten kulturellen Vertrautheitsschwundes.»5 Dieser Logik folgend übernimmt das Museum die Funktion, den in ihrem Empfinden kultureller Zugehörigkeit herausgeforderten Subjekten der Moderne Identitätserfahrungen und Integriertheitserlebnisse anzubieten. Boris Groys weist überdies darauf hin, dass das Museum auch deshalb «die charakteristischste Institution der Moderne» ist, weil mit der fortschreitenden Aufklärung und Säkularisierung bisherige Identitätsgaranten wie die Religion an Verbindlichkeit eingebüsst haben und daher ein künstliches Gedächtnis in Form der Museen und Archive nötig wurde.6

Die Stringenz dieses Erklärungsmusters ist frappierend und Beispiele zu seiner Verifizierung finden sich allenthalben. Stellvertretend sei hier angeführt: die Musealisierung von eliminierungsgefährdeten, da militärisch funktionslos gewordenen Zeughäusern und Festungsanlagen in der Schweiz während der Zeitspanne von 1990 bis 2006. Massnahmen zur Modernisierung der Schweizer Armee, etwa die Reformprojekte «Armee 95» und «Armee XXI», führten bei gleichzeitigem Spardruck zur Schliessung von Zeughäusern und Festungen, zur Abschaffung von Truppengattungen und zur drastischen Reduktion des Personenbestandes. Mit der Verwandlung von Gebäuden und Ausrüstungsgegenständen zu realem oder potenziellem Abfall korreliert nun statistisch gesehen ein deutlicher Anstieg von Museumseröffnungen in den Bereichen Militär- und Festungsgeschichte. Der vom Verband der Schweizer Museen herausgegebene Museumsführer aus dem Jahr 1969 verzeichnete gerade einmal sechs Militär- und Festungsmuseen; elf Jahre später, 1980, waren es noch immer erst sieben Museen. 1991, nach weiteren elf Jahren, lag die Zahl bei zwölf, doch in den folgenden fünf Jahren bis 1996 stieg die Anzahl sprunghaft auf 42, und in der Ausgabe von 2006 wurden 49 Museen aufgeführt. Während des rund fünfzehn Jahre dauernden Truppenabbaus wurden demnach 37 Museen neu in das Verzeichnis aufgenommen, was dem Dreifachen aller Jahre vor 1991 entspricht.7 Zu den neu gegründeten Museen gehörten, wie im Fall der Relikte der Industriekultur8 und der vorindustriellen Lebenswelt, auch zahlreiche in-situ-Erhaltungen.

Die Logik des Museums

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