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Auswirkungen auf Familie und Partnerschaft

Vor allem meine Frau belasteten die nach Sensationen heischenden Titelzeilen so, dass sie sich allein mit dem Verstand nicht mehr dagegen wehren konnte. Sie war emotional so betroffen, dass sie immer weniger Freude daran hatte, vor die Tür zu gehen. Sie hatte gemütliche Stadtbummel und Besuche im Freundeskreis schon nahezu vollständig eingestellt. Und ich hatte das alles lange Zeit nicht bemerkt, so sehr war ich mit mir selbst beschäftigt gewesen! Alles hatte sich auf mich konzentriert. Zum Glück wurde mir das rechtzeitig bewusst. Sonst hätte diese Spirale unsere Beziehung vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt unwiederbringlich aus dem Gleichgewicht geworfen. Indem ich den Blick nicht mehr nach innen richtete, auf mich und meine Atmung, die mein Leben dominierte, öffnete sich mein Blick für mein Umfeld. Das hatte sich komplett nach mir ausgerichtet. Ich war der Pol, um den sich das Familienleben drehte. Silvia klagte nicht, motivierte mich, gewann jeder Situation etwas Positives ab. Doch ich kenne sie gut genug, um zwischen den Zeilen zu lesen und ihre Blicke zu deuten, wenn sie sich unbeobachtet wähnte. Müdigkeit und Resignation lagen in ihren Zügen, wenn sie mit ihrer Schwester oder Freundinnen am Telefon plauderte, wenn draußen die Sonne schien und der Frühling zum Ausflug lockte. Doch wir blieben zu Hause, machten es uns im Garten gemütlich. Es fehlte uns an nichts – nur an der Freiheit zu gehen, wann und wohin wir beziehungsweise vor allem Silvia wollten. Aus Liebe und Sorge wich sie nicht von meiner Seite. Sie teilte alles mit mir – auch die zunehmende, selbst gewählte Isolation, in der ich mich vor neugierigen Blicken sicher fühlte.

Ich konnte und durfte durch meinen Beruf und die damit verbundenen Reisen ausbrechen. Meine Konzerte waren Fluch und Segen zugleich. Ich ging ja unter Menschen, wenn auch jedes Mal zunächst mit einem gewissen Widerwillen. Mein innerer Schweinehund war zuweilen schon recht hartnäckig. Und war der erste Schritt getan, hatte ich unglaublich viel Freude mit der Musik und tankte Energie durch den Enthusiasmus, mit dem das Publikum mich bei meinen Auftritten feierte. Das war Leben pur! Für Augenblicke gab ich mich im warmen Rauschen des tosenden Beifalls der Illusion hin, meine Krankheit abschütteln zu können. Tatsächlich atmete ich befreiter. Die Entspannung, die allgemeine Zustimmung streichelten mein Selbstbewusstsein und taten mir zudem spürbar rein körperlich gut. Doch während ich meine beruflich bedingten Auszeiten nahm, blieb Silvia zu Hause bei den Kindern, führte das Büro und hielt an der administrativen Front die Stellung.

Mir wurde klar, wie egoistisch ich ihre Liebe und Fürsorge angenommen, ja aufgesogen hatte. Ich hatte es für selbstverständlich genommen, dass Silvia aus falsch verstandener und von mir eingeforderter Liebe zu mir meine Lügen deckte. Zudem musste sie mit der Belastung alleine zurechtkommen, die diese Krankheit natürlich auch für sie bedeutete. Auch wenn bei uns zu Hause der Fernseher für ein gutes Gespräch oder Buch aus bleibt, hatten wir ein Thema zunehmend gemieden: die COPD. Silvia hatte über lange Zeit weder in mir, geschweige denn in einem Dritten einen Gesprächspartner. Denn ich wollte von der COPD überhaupt gar nichts mehr hören. Mit meiner Verweigerungshaltung der Wahrheit gegenüber überforderte ich sie schlicht.

Die unbestritten objektiven Messwerte meines mich seit meinem ersten Krankenhausaufenthalt behandelnden Professors hatte ich in dieser ersten Zeit des Versteckspiels und der Geheimniskrämerei ebenfalls ins Negative verkehrt. Dies, die Tatsache, dass sich meine Werte durch meine Ignoranz und den damit verbundenen körperlichen Raubbau schleichend verschlechterten, und meine Weigerung, meine Krankheit unter keinen Umständen zuzugeben, bildeten gemeinsam einen alles andere als fruchtbaren Nährboden dafür, optimal mit der Krankheit umzugehen. Was sollten denn andere Menschen für eine Chance haben, wenn ich mir selbst jede Grundlage entzog, das Beste aus den nun einmal unwiderruflichen Umständen zu machen? Ich hatte mich selbst in eine Situation manövriert, in der ich auf immer mehr Unverständnis und Ablehnung stieß.

Vor allem Fernsehaufzeichnungen waren mir ein Gräuel. Das unerbittliche Auge der Kamera, die gleißenden Scheinwerfer, die trockene, heiße Luft in den Studios stellten mich jedes Mal vor eine Herausforderung.

Sollte ich lange Wege gehen, schob ich meinen Manager und technischen Leiter Roger vor, ging mit Vorgaben an den Start, die bei den TV-Redaktionen auf Unverständnis stoßen mussten, weil sie ja über meinen Gesundheitszustand nicht Bescheid wussten. Roger setzte mich im wahrsten Wortsinn ins richtige Licht. Fotografen kamen erst gar nicht an mich heran, wenn er es irgendwie vermeiden konnte. Ich wusste damals noch nicht, dass er längst ahnte, was mit mir los war.

Während andere noch im Dunkeln tappten – waren das jetzt Starallüren, hob der Kaiser ab? – hatte er schon das Auffangnetz unter meinem Trapez gespannt. Mein Team tastete sich in vertrauensvollen Gesprächen an die Wahrheit heran, wartete auf ein offenes Wort von mir. Niemand drängte mich. Sie gaben mir Zeit. Danke für den ­Respekt und die Toleranz, mit der ihr mir begegnet seid und die mich über Jahre begleitete!

Wer nicht so vertraut mit mir war, sah hinter der Bühne, auf dem Weg zwischen Garderobe und Auftritt nur mein offensichtliches Verhalten: schroff, kurz angebunden, unnahbar, arrogant, selten ein Lächeln. Zum Glück hatte ich Erfolg und durfte mir bis zu einem gewissen Grad Extravaganzen erlauben. Zumal ich mit meinem Freund Roger und dem Promotionteam der Plattenfirma eine Crew an meiner Seite hatte, die für mich ein Umfeld schuf, in dem ich mich unbehelligt von Nachreden bewegen konnte.

Dabei machte ich mir das Leben doch nur selbst unnötig schwer. Wenn ich zum Beispiel bei einer Fernsehsendung zusagte, aber ­keinem offenbarte, dass mich lange Wege anstrengen und aus Angst vor Atemlosigkeit automatisch in Stress versetzen, dann konnte ich es dem Regisseur auch nicht verdenken, wenn er vorschlug: „Pass mal auf, folgende Idee: Du machst das und das, dann gehst du da hinüber und die Treppen hoch ins Publikum, kommst wieder runter und gehst anschließend durch die Halle zurück – und dann proben wir gleich den nächsten Titel.“ Was sollte er denn machen? Er wusste doch gar nicht, dass mich das überanstrengte. Hätte ich mich ihm offen anvertraut, dann hätte er es auch nicht von mir verlangt. Niemand würde einem blinden Sänger wie beispielsweise Andrea Bocelli ins Drehbuch schreiben, dass er in einer TV-Show durch die Halle wandeln oder die Treppe hochgehen muss (mit der vagen Anweisung: „Da hinten …“). Wenn ich den Regisseuren, TV-Redakteuren und Kameraleuten nicht sagte, dass mich das unverhältnismäßig mehr anstrengte als Kollegen, die besser bei Puste sind, dann konnte ich auch nicht erwarten, dass man Rücksicht nimmt. Das war mein größter Fehler: Es dauerte zu lange, bis ich erkannte, dass eine Schwäche nur dann eine Schwäche ist, wenn man sie nicht zugibt. Man kann aus vermeintlichen Schwächen Stärken machen, wenn man sich zu ihnen bekennt und die Energie ins Positive verkehrt. Und der absolut größte Fehler war, die Mitarbeiter des eigenen Teams darüber nicht zu informieren. In meinem Fall hieß das konkret, Roger nichts zu sagen, obwohl er nun wirklich der zuverlässigste und umsichtigste Begleiter ist, den ich mir nur an meiner Seite wünschen kann. Ich hätte ihm bloß einen Fingerzeig geben müssen, und er hätte die Situation maßgeblich entschärft, indem er etwa den Parkplatz so gewählt hätte, dass sich die Wege verkürzen, und alles von mir ferngehalten hätte, was mich gestresst hätte. Zeitnot wäre erst gar nicht aufgekommen, weil ich vermeintlich „trödelte“, lässig schlenderte, auf den letzten Drücker ankam. – Aber ich verbat mir jedes klärende Gespräch, und das ging auf Kosten meiner Gesundheit. Dabei tappte ich sehenden Auges und hoch erhobenen Hauptes in meine eigene Falle. Rückblickend bedauere ich, dass ich nicht die Größe und vor allem nicht den Mut besaß, diese – objektiv betrachtet – absoluten Kleinigkeiten anzusprechen. Stattdessen ging ich weite Wege. Der damit verbundene Stress und das fiktive Szenario, das sich in ­meiner Phantasie abspielte – nämlich plötzlich vor laufenden Kameras wirklich in größte Not zu geraten –, das war einer meiner größten Fehler überhaupt.

Atempause

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