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Verbindungen Der große Mondschwindel Verbindungen in der Globalgeschichte

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Christopher Baylys grundlegendes Werk über die Geburt der modernen Welt trägt im englischen Original den Untertitel Global connections and comparisons.1 Daran direkt oder indirekt anschließend ist in der Folge häufig ein historiografischer Zugang der Globalgeschichte insgesamt beschrieben worden, in dessen „Mittelpunkt […] grenzüberschreitende Prozesse, Austauschbeziehungen, aber auch Vergleiche im Rahmen globaler Zusammenhänge“2 stehen, wie Sebastian Conrad es in seiner deutschsprachigen Einführung in die Globalgeschichte zusammenfasst. Patrick O’Brien hat dieselbe Definition in seinem Prolegomenon zur ersten Ausgabe des Journal of Global History im Jahr 2006 unternommen.3 Hierzu ist grundlegend anzumerken, dass die Begriffe Verbindung (connection) und Vergleich (comparison) hinsichtlich ihrer Bedeutung in der Geschichtswissenschaft von gänzlich unterschiedlicher Natur sind. Der Vergleich ist eine Methode und damit ein Untersuchungsinstrument.4 Damit bleiben globale Verbindungen als grundlegende Untersuchungseinheiten der Globalgeschichte. Sie sind die Bausteine für jede Form von Kontakt, Austausch und Vernetzung. Ein zentrales Interesse gilt dabei Fragen nach der Entstehung solcher Verbindungen und nach ihrer Bedeutung für die historischen Akteure. Sie werden als geschichtsmächtig identifiziert und hinsichtlich ihrer Bedeutung innerhalb der wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Entwicklungszusammenhänge einer bestimmten Region oder Zeit untersucht. Im Zentrum eines solchen Zugangs steht die Überzeugung, dass wir eben das Denken und Handeln historischer Akteure – und damit die Geschichte selbst – nicht verstehen und erklären können, wenn wir nicht auch die überregionalen Verbindungen, ihre lokalen Manifestationen und ihr Zusammenspiel mit intrinsischen Faktoren verstehen.

Transregionale Verbindungen sind demnach die Grundbeobachtungselemente der Globalgeschichte. Sie sind zentrale Elemente in einflussreichen Konzepten wie dem Transfer5, der connected oder entangled history6 oder der contact zone.7 Kaum eine globalhistorische Untersuchung kommt ohne den Begriff der Verbindung aus. Und auch in den verschiedenen, in diesem Buch behandelten Beispielen stehen sie analytisch im Mittelpunkt. Sie werden durch Akteure geschaffen (siehe Meuterei auf der Bounty), in Strukturen gegossen und wirken so auf die Akteure zurück (siehe Mont Cenis). Sie schaffen neue Räume und zeitliche Gefüge (siehe Telegrafie). Globale Verbindungen sind also unzweifelhaft von ganz zentraler Bedeutung hinsichtlich des Erkenntnisinteresses der Globalgeschichte.

Dieser Umstand verweist gleichzeitig aber auf ein Grundproblem der Globalgeschichte: Jede Form menschlichen Denkens und Handelns ist in ein komplexes Muster von Verbindungen und Austauschprozessen eingebettet. Jede Form sozialer Organisation beruht grundlegend darauf. Zwischenmenschliche Verbindungen und Interaktionen bilden die Basis jeglicher Form von Vergesellschaftung. Damit ist jede humanwissenschaftliche Disziplin automatisch und immer mit der Bedeutung solcher Verbindungen beschäftigt – auch und ganz besonders die Geschichtswissenschaft. Für die Globalgeschichte ergibt sich daraus, dass ihr Zugang etablierte Ansätze nicht durch einen Fokus auf Verbindungen komplementiert, sondern durch die Beschäftigung mit transregionalen, globalen Verbindungen. Die entscheidende Frage ist demnach, was solche globalen Austauschprozesse und die damit verbundenen Grenzüberschreitungen in theoretischer Hinsicht von anderen Verbindungsarten unterscheidet. Warum und wie müssen Interaktionen über lange Distanzen und über Grenzen hinweg anders gedacht, anders untersucht werden? Inwiefern unterscheiden sie sich hinsichtlich des Denkens und Handelns der jeweiligen Akteure konzeptuell von den grundlegenden Verbindungsmustern jeder Gemeinschaft? Diese Fragen mögen zunächst trivial erscheinen, die Antworten darauf selbstevident. Das Nachdenken darüber aber zwingt uns, unser gängiges Konzept von Verbindungen analytisch zu schärfen und zu fragen, wie sich Faktoren wie räumliche Distanz, nationale Grenzen oder kulturelle Unterschiede – um nur einige zu nennen – diesbezüglich auswirken.

Bisher wurden globale Verbindungen in der Globalgeschichte kaum konzeptualisiert und dadurch gibt es auch wenig bewusste Auseinandersetzung mit dem oben skizzierten Problem. Auch wenn der Begriff der Verbindung in der einschlägigen Forschung omnipräsent ist, so wird er zumeist deskriptiv verwendet. Das macht es schwierig, sich zu diesen wichtigen Fragen zu verhalten. Diese konzeptuelle Lücke ist in der Hauptsache wahrscheinlich eine Konsequenz unserer Perspektive auf Verbindungen. Hier sind insbesondere zwei Punkte erwähnenswert. Erstens denken wir Verbindungen zumeist von ihren Enden her. Wir denken an die Menschen, Orte oder Dinge, die in Verbindung miteinander stehen oder in Verbindung gebracht werden. Dort suchen wir nach den Effekten von Kontakt und Austausch und untersuchen selbige als Faktoren menschlichen Denken und Handelns. Das heißt der Fokus der Globalgeschichte liegt hauptsächlich eigentlich auf dem Verbundenen, nicht auf der Verbindung selbst. Verbindungen werden zumeist als quasi neutrale Zwischenglieder gesehen. Diesen Punkt werde ich vor allem anhand des Begriffes Transit in der sechsten Fallstudie aufnehmen und detaillierter diskutieren.

Zweitens denken wir Verbindungen binär, als eins oder null, als existent oder nicht existent. Globalgeschichtliche Forschung ist in vielen Fällen auf den Nachweis einer Verbindung zwischen Gegenständen konzentriert, die man bisher als nicht verbunden wahrgenommen hat. Tatsächlich aber wird ein solcher Ansatz der Komplexität historischer Sachverhalte nicht gerecht. Verbindungen treten immer im Plural auf und verhalten sich zueinander. Beziehungen zwischen einzelnen Akteuren und deren Gemeinschaften basieren immer auf einem ganzen Bündel verschiedener Verbindungsformen. Globale Verbindungsbündel müssen große Distanzen überbrücken und überschreiten in diesem Zusammenhang häufig verschiedenste Arten von Grenzen oder Hindernissen. Das beeinflusst manche Verbindungsarten aus dem Bündel mehr als andere. Einige funktionieren besser über kurze Distanzen, manche überschreiten Grenzen, andere nicht. Im Vergleich zu lokalen Verbindungen verändert sich das Zusammenspiel der einzelnen Verbindungen, was auf deren Qualität zurückwirkt. Die Zusammensetzung eines solchen Verbindungsbündels variiert nicht nur von Situation zu Situation, sie unterscheidet somit auch globale von lokalen Austauschprozessen. Man könnte sagen globale und lokale Verbindungen differieren (abhängig natürlich auch vom jeweiligen historischen Kontext) im Zusammenspiel von verschiedenen Verbindungen und Nicht-Verbindungen in solch einem Bündel.

Will die Globalgeschichte auf produktive und analytisch solide Weise der Rolle von transregionalen Verbindungen in der Geschichte nachspüren und deren Bedeutung präzise ausloten, so benötigt sie zumindest auf diesen beiden Ebenen ein differenziertes, anschlussfähiges Verständnis von Verbindungen. Erstens muss sie Verbindungen als eigenständige historische Phänomene ernstnehmen, die einen eigenen Raum und eine eigene Zeit aufweisen. Sie muss Verbindungen als Mediatoren und nicht als Zwischenglieder, um Begriffe aus der Akteur-Netzwerk-Theorie zu bemühen, betrachten und zu einer integrierten Untersuchung von Verbindung und Verbundenem kommen. Wie dies aussehen könnte, wird im Abschnitt zum Transit anhand einer konkreten Fallstudie nachvollzogen. Zweitens muss die Globalgeschichte aber auch die Pluralität und Vielschichtigkeit von globalen Verbindungen in den Blick nehmen. Das folgende Beispiel ist der Versuch, diese Vielschichtigkeit und ihre Bedeutung für das Denken und Handeln historischer Akteure empirisch zu illustrieren. Es soll unter anderem gezeigt werden, dass globale Verbindungen sich im 19. und 20. Jahrhundert nicht nur stetig verfestigen, sondern auch instabil, gefühlt, eingebildet, vage oder unterbrochen sein können und deshalb nicht an Bedeutung für das Denken und Handeln der Menschen verlieren. Verdeutlichen lässt sich dies zum Beispiel am sogenannten „großen Mondschwindel“ des Jahres 1835 und seiner Rezeptionsgeschichte.

Im April 1836 fühlte sich der Herausgeber der Londoner Athenaeum – einer Zeitschrift für Literatur, Wissenschaft und Kunst – verpflichtet, sein gebildetes Publikum über den Wahrheitsgehalt kürzlich verbreiteter Mondbeobachtungen aufzuklären:

The absurd accounts lately referred to in our daily papers, about some extraordinary discoveries made by Sir John Herschel, are now said to have been originally put forth in America. How this may be, we know not, but a correspondent has obligingly forwarded to us copies of the Granada Free Press newspaper, in which we find a „full, true, and particular“ report, professedly copied „from a Supplement to the Edinburgh Journal of Science,“ […] [t]he papers are admirably written, and we would willingly have given our readers a taste of their quality, but it would have required more space than we could conscientiously spare for a mere joke.8

Für die gelehrten Leser des Athenaeum war sie also bestenfalls ein gutgeschriebener Scherz, die unglaubliche Geschichte, die sich seit Monaten von Nordamerika ausgehend über die Karibik9 nach Europa und darüber hinaus verbreitete. Für unsere Zwecke aber ist sie aus verschiedenen Gründen ein besonders geeignetes Fallbeispiel. Erstens ist diese sogenannte Great Moon Hoax selbst in vielerlei Hinsicht ein globales Phänomen. Die Geschichte breitete sich von New York über große Teile der Welt aus, wurde breit rezipiert und diskutiert. Zudem verweist das große Interesse an der Mondbeobachtung und an der Astronomie auch auf eine gewisse globalisierte Selbstwahrnehmung der Zeitgenossen im frühen 19. Jahrhundert. Die Beobachtung des Extraterrestrischen machte für sie die Weltgemeinschaft besonders deutlich. Zweitens und noch wichtiger brechen sich im Mondschwindel des Jahres 1835 verschiedenste Ebenen der Verbindungsgeschichte. Der Schwindel konnte nur dank des geschickten Spiels mit globalen Verbindungen und Nicht-Verbindungen, die in einem Verbindungsbündel zusammenwirkten, überhaupt funktionieren. Diese globale Anatomie der moon hoax soll im Folgenden exemplarisch beleuchtet werden.

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