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… und die Sonne

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In der kurzen Zusammenfassung des sechsteiligen Berichts im vorigen Kapitel wird nicht nur der Inhalt des sogenannten „großen Mondschwindels“ deutlich, sondern auch dessen beindruckende, mit großer Liebe zum Detail vorgenommene Inszenierung. Die Sun überfiel ihre Leser nicht mit großartigen Enthüllungen über Leben auf dem Mond, sondern machte lange Tage nur vage Andeutungen. Stattdessen ergingen sich die Autoren der angeblich zitierten schottischen Zeitschrift in ausführlichsten technischen Beschreibungen. Diese bauten sprachlich wie inhaltlich auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik auf. Damit überforderten sie weite Teile der Leserschaft, machten aber wohl gerade deshalb einen glaubwürdigen Eindruck. Zudem rief der Bericht viele weithin bekannte wissenschaftliche Autoritäten an. Neben dem Protagonisten John Herschel wurde dessen berühmter Vater William mehrfach erwähnt. Der schottische Physiker David Brewster wurde namentlich genannt und damit auch indirekt ein Bezug zum Edinburgh Journal of Science hergestellt, dessen Herausgeber Brewster bis 1832 gewesen war. Zudem liefen die sechs Teile zwar klar und deutlich auf eine Klimax zu, dennoch aber wurde der Erzählfluss immer wieder von für den Laien wohl eher weniger interessanten Einlassungen zur Topografie des Mondes oder technischen Details der Mondbeobachtung unterbrochen.34 Dies sollte wohl zum einen – ebenso wie die beschriebenen Cliffhanger – die Spannung beim Leser nochmals erhöhen, trug aber sicherlich auch nochmals zur Glaubwürdigkeit des Texts bei. Dazu kamen schließlich die vagen Andeutungen auf Nichtbeschriebenes (vielleicht sogar Unsägliches?), das wenn dann nur von Herschel selbst offenbart werden dürfe.

Der Inhalt des Berichts mochte unglaublich sein, seine Verpackung aber war es nicht. Geschickt baute der Text auf den globalen (im konkreten Beispiel hauptsächlich transatlantischen) Verbindungen der Zeit auf und nutze sie, um glaubhaft zu erscheinen. Viel Zeit und Mühe muss in diesen Text geflossen sein, ebenso wie breite astronomische und physikalische Kenntnisse und ein ausgeprägtes schriftstellerisches Talent, um eine derart überzeugende Inszenierung zu erreichen. Mit großer Wahrscheinlichkeit war der Journalist und damalige Chefredakteur der Sun Richard Adams Locke der Verfasser des Texts. Locke hatte seine Autorenschaft nach der Aufdeckung des Schwindels zwar nur indirekt zugegeben, in der Retrospektive spricht aber fast alles für ihn als Verfasser. Auch von vielen Zeitgenossen wurde er schon relativ früh nach der Veröffentlichung des Berichts als dessen Autor identifiziert – allen voran von James Gordon Bennett, dem Besitzer des New York Herald, der Lockes Autorenschaft auch sofort in seiner Zeitung öffentlich machte.35

Richard Adams Locke war in der schreibenden Zunft New Yorks kein Unbekannter und wurde unter anderem für seinen scharfen Verstand geschätzt. Edgar Allan Poe hat im sechsten Band der Literati of New York City über ihn geschrieben:

He is about five feet seven inches in height, symmetrically formed; there is an air of distinction about his whole person — the air noble of genius. His face is strongly pitted by the small-pox, and, perhaps from the same cause, there is a marked obliquity in the eyes; a certain calm, clear luminousness, however, about these latter, amply compensates for the defect, and the forehead is truly beautiful in its intellectuality. I am acquainted with no person possessing so fine a forehead as Mr. Locke. He is married, and about forty-five years of age, although no one would suppose him to be more than thirty-eight. He is a lineal descendant from the immortal author of the „Essay on the Human Understanding.“36

Richard Adams Locke wurde im Jahr 1800 im County Somerset in England geboren (auch wenn er später New York als seinen Geburtsort angab). Die Familie Locke war verhältnismäßig gut situiert und umtriebig. Neben vielen anderen einflussreichen Personen entstammte ihr unter anderem auch der Philosoph John Locke (1632-1704) – allerdings war Richard Adams Locke im Gegensatz zu seinen eigenen später von Poe übernommenen Angaben kein direkter Nachkomme Johns. Richard war ein guter Schüler und wurde von einem Privatlehrer unterrichtet. Er gab später an, in Cambridge studiert zu haben – allerdings gibt es in den dortigen Immatrikulationslisten keinen Hinweis darauf, dass er auch nur einen Kurs besucht hätte. Anstatt sich auf dem Familienanwesen zu engagieren, wurde Locke Journalist. Er schrieb zuerst für mehrere Zeitungen in London und wurde später Redakteur eines neugegründeten Blattes in Somerset. Seine republikanischen Ansichten erwiesen sich aber als unpopulär. Er verlor seine Stelle, sah in England wenig Perspektive und wanderte Ende 1831 mit seiner kleinen Familie nach New York aus.37 Dort machte sich Locke schnell journalistisch einen Namen. Der junge Benjamin Day, Gründer und Besitzer der Sun, wurde auf ihn aufmerksam. So wurde Locke im Mai 1835 neuer Redakteur des Blattes.38

Day hatte die Sun zwei Jahre zuvor als erstes penny paper der Stadt (abgesehen von einem anderen, sehr kurzlebigen Unterfangen) gegründet. Anders als die bereits existierenden Tageszeitungen, die auf ein wohlhabenderes, besser gebildetes Publikum zielten, wurde die Sun nicht zum Preis von sechs Cent, sondern für lediglich einen Cent pro Ausgabe verkauft. Benjamin Day wollte damit ein breites Publikum und eine hohe Auflage erreichen. Er war mit diesem Plan auch einigermaßen erfolgreich. Die Sun erzielte Mitte 1835 eine tägliche Auflage von etwa 15000 Stück.39 Bald folgten andere, ähnlich konzipierte Zeitungen – zum Beispiel der bereits erwähnte New York Herald unter Bennett – und die sogenannte penny press begann sich zu formieren. Diese unterschied sich allerdings nicht nur in Preis und einem kleineren Format von den etablierten Blättern – sie schlug auch einen anderen Ton an. Sie langweilte ihre Leser kaum mit differenzierten politischen Analysen oder der in den hochklassigeren Blättern üblichen internationalen Berichterstattung. Stattdessen widmete sie sich gefälligeren und oft auch regionaleren Themen. Häufig tendierten ihre Artikel zum Sensationalismus und versuchten mit aller Macht, die Aufmerksamkeit einer breiten Leserschaft zu gewinnen.40

Lockes elaborierter Mondschwindel lässt sich insofern gut in der üblichen Berichterstattung der penny press verorten, als es sich um eine sensationelle Geschichte handelte, die ohne Rücksicht auf ihren Wahrheitsgehalt allein mit der Auflagenzahl im Auge lanciert wurde – auch wenn Locke die Great Astronomical Discoveries wohl als Satire gemeint hatte, wie er selbst beteuerte.41

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