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Redux: Verbindungen in der Globalgeschichte
ОглавлениеWas wurde eigentlich aus Richard Adams Locke, nachdem sein Schwindel endgültig aufgeflogen war? Im Herbst 1836, also etwas mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung der moon hoax, verließ Locke die Sun und wurde Redakteur bei New Era, einem neugegründeten penny paper mit höherem journalistischem Anspruch. Der neuen Zeitung aber fiel es schwer, sich in der New Yorker Presselandschaft zu behaupten. Die wirtschaftliche Situation von New Era wurde schließlich so schwierig, dass Locke im Winter 1838 keine andere Möglichkeit mehr sah, als erneut zu einer hoax zu greifen, um die Auflage zu steigern. In The Lost Manuscript of Mungo Park behauptete er, dass die verlorenen Tagebücher des Afrikareisenden Mungo Park entdeckt worden wären, der 1806 auf einer Nigerexpedition spurlos verschwunden war. New Era versprach, dass die Tagebücher endlich Licht in Parks Verschwinden bringen würden. Diesmal aber funktionierte der Schwindel nicht. Das Publikum wusste genau, wer hinter der Geschichte stand: derselbe Mann, der vor drei Jahren den Great Moon Hoax inszeniert hatte.73
Lockes Name blieb für immer mit dem Mondschwindel verbunden. Dieser erste Schwindel lebte von der Vielschichtigkeit globaler Austauschprozesse, von der Bündelung vieler einzelner Verbindungen, die ganz unterschiedliche Formen und Intensitäten haben können. Als historisches Fallbeispiel verweist die moon hoax damit exemplarisch auf einen zentralen Punkt, den eine analytische Konzeptualisierung des Verbindungsbegriffs berücksichtigen sollte. Der Charakter und die Wirkmächtigkeit globaler Beziehungsgeflechte ergeben sich aus dem Zusammenspiel der einzelnen Verbindungsstränge, aus deren Querverweisen und Spannungsverhältnissen. Die räumliche Distanz zwischen Europa, Nordamerika und dem südlichen Afrika und die damit verbundenen Kommunikationshemmnisse schufen einen bestimmten Kontext, in dem manche Verbindungen besser funktionierten als andere. Wechselseitiges Interesse und grobes, etwas veraltetes Wissen über das Geschehen in Europa und Südafrika war in Nordamerika vorhanden und schuf einen Assoziations-, Erwartungsund Möglichkeitsraum. Unmittelbare Kontrolle oder Nachfrage aber war nicht möglich, wodurch dieser Raum eine ganze Weile bestehen bleiben konnte. Dieses Bündel aus gut und nicht so gut funktionierenden Verbindungen, bzw. aus Verbindungen und Nicht-Verbindungen, ist eine Folge der zu überwindenden Distanz, der zu überschreitenden Grenzen. In einem lokalen Kontext wäre das Bündel gänzlich anders geschnürt gewesen. Die spezifische Situation, in welcher der Mondschwindel gelingen konnte, entstand demnach aus der Gleichzeitigkeit globaler Verbindungen und Nicht-Verbindungen. Dadurch wird in diesem Fall die Pluralität von globalen Verbindungen besonders deutlich, diese ist aber auch über den Spezialfall des Mondschwindels hinaus für globalhistorische Untersuchungen insgesamt von höchster Relevanz. Globale Verbindungen entfalten ihre Bedeutung immer im Zusammenspiel mit anderen Verbindungen oder expliziten Nicht-Verbindungen.
Das tritt auch in allen anderen in diesem Buch vorgestellten Fallbeispielen immer wieder klar hervor. Der Abschnitt über den Transitbegriff etwa, der sich der zweiten klaffenden Lücke im landläufigen Verständnis von Verbindungen annimmt und deren Bedeutung als eigenständige historische Phänomene erörtert, widmet sich zu diesem Zweck der Flucht und schließlichen Gefangennahme des mordverdächtigen Dr. Crippen im Jahr 1910. Die Umstände der Jagd auf Crippen verweisen dabei deutlich auf die wichtige Phase des Transits, gleichzeitig aber wird in ihnen auch die Pluralität von globalen Verbindungen deutlich. So befanden sich die Flüchtigen in diesem Beispiel auf einem interkontinental verkehrenden Dampfschiff, das wiederum per Funktelegraf in ein weltweites Kommunikationsnetzwerk eingebunden war. Erst die teils widersprüchlichen Beziehungen zwischen diesen Verbindungen und Nicht-Verbindungen schufen den historischen Hintergrund, auf dem sich diese Geschichte entfalten konnte. Ähnliches gilt für die Beispiele, die in den Erörterungen zu Raum und Zeit zu Rate gezogen werden. Globale Vernetzungsprozesse, so wird dort gezeigt, schufen neue Räume oder veränderten bestehende. Diese Veränderungen manifestierten sich aber erst im Zusammenspiel mit anderen Räumen oder anderen Zeitstrukturen. Diese Pluralität von Räumen und Zeiten verweist letztlich zurück auf die hier exemplifizierte Pluralität von Verbindungen. Selbst in den beiden Abschnitten, die sich mit der Rolle von Akteuren und Strukturen beschäftigen, ist diese stets präsent – am deutlichsten vielleicht, wenn am Beispiel der Alpenüberquerung das Zusammenspiel verschiedener Verbindungswege zwischen Europa und Asien diskutiert wird.