Читать книгу … wegen ein paar Steinen: Detektei Vokker: Ein Wien-Krimi - Roland Heller - Страница 6

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Ich fiel nicht gleich vom Stuhl, aber ich hatte das sichere Empfinden, dass man ruhige Sonntage nicht vor dem Abend loben sollte. „Wenn es ein Verkehrstoter sein sollte...“, begann ich, aber die Dame in Rot ließ mich nicht aussprechen. „Ich bin nicht gekommen, um einen Unfall zu melden“, sagte sie.

„Kein Unfall also“, bemerkte ich überflüssigerweise. Ich hatte nichts dagegen, mein Gegenüber eine Zeitlang genauer zu betrachten. Als hässlich konnte man die Dame keinesfalls bezeichnen. Das Gegenteil war eher der Fall. Die Dame in Rot war, um es milde auszudrücken, eine hochinteressante Erscheinung. Sie war zweifellos nicht mehr ganz neu, und meine Schätzung, dass sie seit mindestens fünfunddreißig Jahren ihre Umgebung mit den großen graugrünen Augen und einer hinreißenden Figur verwirrte, erwies sich später als zutreffend.

Das Gesicht hatte Klasse. Die hoch angesetzten Backenknochen waren von der Art, die Schönheit über Jahrzehnte hinweg zu konservieren versteht. Nur die Haut hatte schon etwas von ihrer jugendlichen Straffheit und Frische verloren; unter der dünnen Puderschicht wirkte sie leicht brüchig, wie wertvolles Pergament.

„Wie ist Ihr Name?“, fragte ich und nahm den Kugelschreiber.

„Woher soll ich das wissen?“, erstaunte sie sich. Ich begriff, dass sie glaubte, ich spräche von der Leiche.

„Ihren persönlichen Namen hätte ich gern, Madam.“

„Ich bin nicht verheiratet,“ informierte sie mich. Ihre Hände vollführten wieder eine Reihe unruhiger Bewegungen. „Verzeihung, ich bin noch ganz durcheinander“, sagte sie. Kurz trommelten ihre Finger auf der Schreibtischplatte einen Trommelwirbel, ehe sie sich dessen bewusst wurde und abrupt ihre Trommelei einstellte. Stattdessen kramte sie in ihrer Handtasche nach etwas. Ich ließ ihr Zeit. „Hätten Sie vielleicht eine Zigarette für mich?“

Auch das noch. Seit drei Jahren war ich persönlich clean, aber es reizte mich immer noch, wenn jemand neben mir sich einen Glimmstängel anzündete. Trotzdem, für meine Klienten hatte ich vorgesorgt.

Ich schob ihr ein Päckchen hin und gab ihr Feuer. Sie hielt meine Hand für den Bruchteil einer Sekunde fest. In dem Augenblick hatte ich das Gefühl, dass sie mit Männern umzugehen verstand.

„Danke“, sagte sie, nahm ein paar hastige Züge und lehnte sich anschließend zurück. Jetzt machte sie einen gefassten Eindruck. „Ich heiße Lisa Balota, für meine Kundschaft auch manchmal einfach Lisa.“ Sie sagte es mit einer kühlen, stolzen Selbstverständlichkeit.

Ich schrieb den Namen auf. „Ihre Adresse?“

Sie nannte sie mir. Gleich um die Ecke in der Dommayergasse logierte sie.

„Also ganz in der Nähe“, stellte ich fest.

„Deshalb komme ich doch zu Ihnen“, meinte sie. „Es war ja nur ein Katzensprung.“

„Wie sind Sie eigentlich auf mich gekommen?“

„Ich habe Ihre Tafel erst heute Morgen zufällig entdeckt. Irgendwie ist sie mir aufgefallen. Vielleicht weil sie noch so neu ausgesehen hat.“

„Warum haben Sie nicht angerufen?“

„Das kann ich Ihnen genau sagen. Ich hätte dann auf Sie warten müssen... mit der Leiche im Rücken.“ Sie schüttelte sich. „Nein, das wäre zu viel für mich gewesen!“

„Die Leiche ... Sie haben sie in Ihrer Wohnung gefunden?“, fragte ich ungläubig.

Sie nickte. Der Blick, den sie mir zuwarf, sprach Bände. Sie überlegte wohl, ob ich ihr vorbehaltlos glaubte.

Nun, ich erwog immerhin diese Möglichkeit. Hübsche Frauen konnten mich zwar leicht um den Finge wickeln – zumindest ließ ich mich meist auf dieses Spiel ein -, aber mit dieser Masche hatte es noch niemand probiert. Ich ließ es darauf ankommen und blickte ernst in ihre strahlenden Augen.

„Wie kommt die Leiche in Ihre Wohnung?“, erkundigte ich mich.

„Das ist eine gute Frage“, meinte Lisa. „Darauf wüsste ich nämlich ebenfalls liebend gerne eine Antwort.“

„Für Mord ist die Polizei zuständig“, klärte ich sie auf.

„Das weiß ich, aber ich brauche Sie als meinen privaten Berater.“

„Was stellen sie sich eigentlich genau vor, das ich tun sollte?“

„Die Polizei wird vermutlich einige Namen von mir hören wollen, doch meine Kunden möchte ich nicht bekannt machen.“

„Ehe ich die Mordkommission verständige, die für den Fall zuständig ist, möchte ich noch einige Fragen an Sie richten. Wann haben Sie die Leiche entdeckt?“

„Als ich nach Hause kam... etwa vor einer Stunde“, sagte sie.

„Sie waren verreist?“

„Ja. Am Freitag bin ich abgeflogen... nach Zürich.“

„Spontan oder bereits länger geplant? Wie lange wollten Sie dort bleiben?“

„Den Trip habe ich schon länger geplant. Eine Woche war geplant. Leider wurde mein Freund krank, so dass ich gezwungen war, heute Morgen zurückzufliegen.“

„Wer ist Ihr Freund?“

Lisa Balota betrachtete interessiert das glühende Ende der Zigarette. „Ich möchte ihn nicht in diese Sache hineinziehen. Wenn es Ihnen um ein Alibi gehen sollte, können Sie sich an die Fluggesellschaft wenden. Ich bin mit der AUA geflogen.“

„Ist es eine männliche oder eine weibliche Leiche?“, fragte ich.

„Eine männliche.“

„Kennen Sie den Toten?“

„Ich bin außerstande, diese Frage zu beantworten“, erwiderte sie und zog wie fröstelnd die Schulter hoch. „Das Gesicht ist nicht zu erkennen...“

Ich legte die Stirn in Falten. „Führen Sie das auf die Folgen des Schusses zurück?“

„Ich würde eher sagen, dass er gebrannt hat.“

„Gebrannt?“

Lisa Balota lehnte sich zurück und schloss erschöpft die Augen. „Ich werde das Bild nie vergessen“, murmelte sie, „und auch nicht den Geruch, der jetzt in der Wohnung ist. Ich muss Sie nachher bitten, allein hinaufzugehen. Ich habe nicht die Kraft, mir das ein zweites Mal anzuschauen.“

„Schildern Sie bitte genau, wie und wo Sie den Toten fanden“, bat ich. „Haben Sie nach der Entdeckung der Leiche sofort die Wohnung verlassen, um hierherzukommen? Oder haben Sie sich erst in den anderen Räumen umgesehen?“

„Ich stutzte sofort, als ich das Apartment betrat“, erinnerte sie sich. „Dieser Geruch! Ich dachte zunächst, es läge daran, dass die Wohnung seit Freitag nicht mehr gelüftet worden war, aber dann, beim Betreten des Wohnzimmers, sah ich den wahren Grund. Ich musste mich setzen. Ich glaubte zu träumen! Dann genehmigte ich mir einen dreistöckigen Whisky. Danach torkelte ich zum Telefon. Ich musste dabei über den Toten steigen... er lag direkt vor dem Sekretär. Ich hatte den Hörer schon in der Hand, als mir einfiel, welche Folgen der Anruf haben würde. Nein, ich wollte nicht mit der schrecklich zugerichteten Leiche in der Wohnung bleiben, bis die Polizei kam. Ich erinnerte mich spontan daran, ihr Schild gesehen zu haben und dass Ihr Büro nur wenige Häuserblocks von meiner Wohnung entfernt liegt und hielt es für besser, Sie persönlich von dem grausigen Fund in Kenntnis zu setzen.“

„Sie haben den Weg zu Fuß zurückgelegt?“

„Ja... ich brauchte dringend frische Luft.“

„Ist Ihnen klar, dass der Mörder dadurch eventuell einen entscheidenden Vorsprung gewinnen kann?“

Lisa Balota schüttelte den Kopf. „Der Tote ist nicht in meiner Wohnung ermordet worden. Man sieht ihm an, dass er gebrannt hat. Jedenfalls ist er völlig verkohlt. Der Teppich, auf dem er liegt, ist aber sauber. Es steht fest, dass der Tote erst nach seinem Ableben in meine Wohnung gebracht worden ist.“

„Warum?“

Lisa Balota zuckte hilflos die wohlgerundeten Schultern. „Ich kann mir nur denken, dass...« Sie unterbrach sich und schwieg.

Ich beugte mich interessiert nach vorn. „Ich habe eine Vorliebe für nicht zu Ende geführte Sätze, Frau Balota.“

„Jemand will mich hineinlegen!“, sagte sie durch die zusammen gepressten Zähne. „Eine andere Erklärung gibt es nicht.“

„Haben Sie Feinde?“

„Wer hat die nicht?“

„Gibt es jemanden, dem Sie eine solche Tat Zutrauen?“

„Nein“, sagte sie sofort.

„Ich schaue mir die Sache an“, beruhigte sich sie, „aber ich muss die Mordkommission einschalten.“

Lisa Balota nickte. „Es geht wohl nicht anders“, sagte sie. „Aber ich kann mich auf Sie verlassen?“

„Solange ich nicht draufkomme, dass Sie die Mörderin sind ...“

Sie blickte fast beleidigt, als ich das sagte, aber sie erwiderte darauf nichts.

Ich griff nach dem Hörer und stellte eine Verbindung mit dem Morddezernat her. Ich hatte Glück. Inspektor Barisic meldete sich. Er gehörte zu den netten Kollegen, die auch nach meiner Suspendierung noch freundschaftlich mit mir verkehrten. Ich sagte ihm, worum es ging und schloss: „Ich fahre jetzt mit Frau Balota zu ihrer Wohnung und erwarte Sie dort, okay?“

„In Ordnung“, sagte er.

„Kennen Sie Inspektor Barisic? Kann man mit ihm reden?“

„Ich kenne ihn“, antwortete ich ihr. „Wir kommen gut miteinander aus. Immerhin haben wir jahrelang zusammengearbeitet.“

„Und jetzt haben Sie sich selbstständig gemacht?“, erkundigte sich die rote Dame interessiert.

„Mehr oder weniger gezwungen“, gab ich zu. „Bevor ich ohne Ehren entlassen wurde, habe ich den Dienst quittiert.“

„Was haben Sie sich denn zuschulden kommen lassen?“, wollte sie wissen. „Etwas richtig Kriminelles?“

„Ich benutze zu wenig oft Samthandschuhe.“

„Aha, das verstehe ich. Geht mir manchmal auch so.“

„Ich bin mir noch nicht ganz klar, wo ich Sie berufsmäßig einordnen soll“, sagte ich frei heraus.

„Da kommen sie schon noch dahinter“, meinte sie nur und stand auf. Sie wollte damit wohl anzeigen, dass es Zeit wurde zu gehen.

„Du hälst derweil die Stellung“, sagte ich zu Florian, dann verließen wir das Büro.

Als ich mit Lisa Balota vor meinem weinroten Jaguar MK II Baujahr 1968 stand, rundeten sich ihre Augen zu grünlich schimmernden Spiegeln der Hochachtung. Dann schaute sie mich an. Es war nicht sehr schwer zu erkennen, dass ich neu eingestuft wurde. Sie lächelte. „Der Wagen gehört Ihnen?“

„So ist es“, bestätigte ich. „Bitte, steigen Sie ein.“

Sie blickte mich noch immer an, irgendwie amüsiert und sogar bewundernd. Sie schien plötzlich an mir Eigenschaften zu entdecken, die ihr bisher entgangen waren.

„Zahlt sich das überhaupt aus?“, meinte sie noch, aber man sah ihr bereits die Vorfreude an, einmal in diesem Fahrzeug kutschiert zu werden.

„Heute ist Sonntag. Da gibt es kein unüberwindliches Parkplatzproblem.“

Wir stiegen in den Jaguar und fuhren los. Die Sicherheitsgurte hatte ich natürlich nachträglich eingebaut. Einen Vorteil hatte dieser nachträgliche Einbau. Wenn man sie vergaß, piepste das System nicht gleich. Lisa reizte es, die wenigen Meter einmal ohne Gurt zurückzulegen, aber nach wenigen Metern bekam sie ein schlechtes Gewissen und legte den Gurt um.

Fünf Minuten später standen wir vor Lisa Balotas cremefarbig lackierter Wohnungstür.

Lisa Balota residierte, wie gesagt, im 13. Bezirk in der Dommayergasse, ganz in der Nähe von Schloss Schönbrunn und nicht weit vom Zoo entfernt. Sie bewohnte in einer der herrschaftlichen Villen ein ganzes Stockwerk. „Hier haben Sie den Schlüssel“, sagte Lisa. „Ich bleibe in der Diele. Oder in der Küche. Ich bringe es einfach nicht fertig, nochmals in mein Wohnzimmer zu gehen, nicht, solange der Tote darin liegt.“

Ich schloss die Tür auf. Wir traten ein. Die Diele hielt mit der Klasse des Hauses Schritt. Sie war groß und elegant. Schnuppernd hob ich die Nase. Ich roch es auch. Eindeutig verbrannt. Dann ging ich zu der Tür, von der ich annahm, dass sie ins Wohnzimmer führte, und riss sie auf.

Der Mann, den ich sah, lag nicht auf dem Teppich vor dem Sekretär. Er ruhte auf der Couch.

Und obwohl über seinem Kopf eine dünne, bläuliche Rauchwolke schwebte, war er zweifellos weder verbrannt noch tot.

Er wandte träge den Kopf. Als er mich sah, sprang er hoch, als habe sich vor der Couch eine angriffslustige Kobra aufgerichtet. Mich hatte er vermutlich nicht hier erwartet. Er nahm die Zigarette aus dem Mund. „Harry Vokker!“, stieß er hervor. „Verdammt!“

Ich ging auf ihn zu. „Guten Morgen, Herr Sedunko“, sagte ich. „Wo haben Sie den Toten gelassen?“

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