Читать книгу … wegen ein paar Steinen: Detektei Vokker: Ein Wien-Krimi - Roland Heller - Страница 8

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Seine Augen weiteten sich. Sie drohten aus den Höhlen zu fallen. „Den Toten?“, echote er heiser. „Wovon, zum Henker, reden Sie?“

Lisa Balota trat über die Türschwelle. Der kurze Dialog musste ihr klargemacht haben, dass eine gewisse Lageveränderung stattgefunden hatte.

„Rudolf!“, rief sie verblüfft aus. „Wie kommst du denn hier herein?“

„Na, wie denn wohl?“, fragte er missgelaunt und ohne mich auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. „Ich dachte nicht, dass zu deiner Klientel auch die Bullen gehören. Du machst dich, das muss ich schon sagen. Wie ich herein komme? Durch die Tür natürlich.“

„Er hat einen Schlüssel“, sagte Lisa erklärend und fuhr sich mit einer Hand durch ihre Haare. Es sah so aus, als wollte sie eine Unsicherheit überspielen, aber das nahm ich ihr irgendwie nicht ab. Da erschien es mir schon eher erklärbar, dass sie sich schämte, mir einen Bekannten wie Sedunko präsentieren zu müssen. Sie fing sich aber gleich wieder und wandte sich an Sedunko, der noch immer nicht so aussah, als fände er die Situation sehr beglückend. „Wo ist die Leiche geblieben?“

„Jetzt platzt mir gleich der Kragen!“, explodierte Sedunko. „Von welcher Leiche ist hier eigentlich die Rede?“

Lisa ging an mir vorbei ins Zimmer. Am Schreibsekretär blieb sie stehen. Zögernd wies sie mit der Fußspitze auf eine echte Shiraz-Brücke. „Hier hat er gelegen!“

Ich durchquerte den Raum und ließ mich vor der Brücke auf die Knie fallen. Ich suchte die Brücke mit den Blicken ab. Ich bemerkte einige dunkle Partikel, die mir zu denken gaben, und ich nahm einen schwachen, hässlichen Geruch wahr. Denselben, den ich beim Eintritt in die Wohnung wahrgenommen hatte.

Ein Geräusch ließ mich herumfahren. Rudolf Sedunko verschwand gerade durch die Tür.

Ich legte einen meiner bewährten Raketenstarts hin und spurtete quer durch das Zimmer und die Diele. Ich erwischte Sedunko in dem Moment, als er die Apartmenttür aufzureißen versuchte. Als ich ihn festhalten wollte, wirbelte er herum und verpasste mir einen Schwinger, der nicht zu der Kost gehörte, die ich am Sonntagmorgen besonders schätze. Ich konterte mit der Rechten, die ihm das Gefühl geben musste, einen ebenbürtigen Gegner gefunden zu haben. Im Nu war die schönste Keilerei im Gange.

Rudolf Sedunko war achtundzwanzig Jahre alt. Als Gorilla eines bekannten Kriminellen verfügte er über achtunggebietende Kenntnisse auf dem Boxsektor. Er wollte mich mit einem Tiefschlag zur Strecke bringen, Aber Tricks dieser Art liebte ich nicht. Sedunko merkte das schon bald.

Er fiel um und blieb grunzend liegen. In diesem Moment klingelte es. „Das wird Barisic mit seinen Leuten sein“, sagte ich, leicht außer Atem. Ich öffnete die Tür. Draußen stand Ivo Barisic. Er grinste mich an und meinte: „Ich dachte nicht, dass es dich so bald in das Geschäft zurücktreibt. Du hast wohl Sehnsucht nach deiner regelmäßigen Prügelei.“

Ich rückte meine Krawatte zurecht und sagte vorwurfsvoll: „Hättest du nicht etwas früher kommen können? Immer bleibt die grobe Arbeit an mir hängen!“

Der Kommissar blickte auf den am Boden liegenden und sich noch vor Schmerzen krümmenden Kerl hinunter. „Ist das nicht unser guter Freund Sedunko?“, fragte Ivo vergnügt. „Er steht seit sieben Wochen auf der Fahndungsliste!“

„Das war wohl auch der Grund, weshalb er sich aus dem Staube machen wollte“, sagte ich. „Darf ich dir Frau Balota vorstellen? Sie wohnt hier.“ Der schwache Abglanz eines Feuerwerks, das sich im Hintergrund von Ivos Augen entzündete, machte mir deutlich, dass er Balotas Reize mit einem Blick erfasst hatte.

Lisa gab Ivo die Hand. Ich fand, dass er sie länger als notwendig festhielt. „Frau Balota hat in ihrem Wohnzimmer eine Leiche gefunden“, sagte ich milde. Ivo ließ Lisas Hand los. „Aber sie ist verschwunden“, ergänzte ich den Bericht.

Ivo hatte einige Fragen, die ich kurz und präzise beantwortete, dann kam auch Lisa an die Reihe, auf seine Fragen zu antworten.

Zwischendurch bückte ich mich, um festzustellen, ob Rudolf Sedunko eine Waffe bei sich trug. Er hatte weder ein Messer noch eine Pistole bei sich, Aber in der Tasche seines nougatfarbenen Anzuges entdeckte ich eine dicke Rolle Hunderteuroscheine. Ich zählte davon fünfundzwanzig Exemplare. „Notiere dir die Nummern“, bat ich Ivo. „Freund Sedunko wird uns erklären müssen, woher die Scheine stammen.“ Sedunko kam mühsam auf die Beine. Er schleppte sich ins Bad.

„Woher kennen Sie ihn, und wie kommt es, dass er einen Schlüssel zu Ihrer Wohnung besitzt?“, wandte ich mich an Lisa.

Sie zuckte die Schultern. Anscheinend war das eine für sie typische Geste. „Rudolf ist okay“, meinte sie. „Immer guter Dinge, immer spendabel, nicht sehr anstrengend...“

„Wie viele Schlüssel existieren zu dieser Wohnung?“, unterbrach ich sie.

Lisa starrte mich an. „Fünf, glaube ich.“

„Wollen Sie sagen, dass Sie fünf Freunde haben, und dass jeder im Besitz eines Schlüssels ist? Und dass sie nicht wirklich wissen, wie viele im Umlauf sind?“

Lisas Lächeln wirkte etwas frostig. „Ist das etwa verboten?“, fragte sie unschuldig.

Ivo und ich wechselten einen Blick. Wir begriffen, was es mit Lisa Balotas Reizen für eine Bewandtnis hatte. Wir waren verwundert, sie wirkte nicht billig. Auch die Tatsache, dass Rudolf Sedunko zu ihren Freunden zählte, war keine beträchtliche Wertminderung. Fest stand, dass Lisa Balota den Schlüssel zu einem mysteriösen Verbrechen besaß.

Als Sedunko aus dem Bad taumelte, gingen wir gemeinsam ins Wohnzimmer und setzten uns.

„Haben Sie die Fenster vor dem Weggehen geöffnet?“, fragte ich Lisa.

„Nein“, sagte sie.

„Wie steht es mit Ihnen, Rudolf?“

„Ja. Ich bin hereingekommen und habe die Fenster aufgerissen, ehe ich mich auf die Couch gepackt hatte“, erklärte er mit schwacher Stimme. „Ich habe intensiven Lavendelduft aus ihrem Bad versprüht und Lisas Rückkehr abgewartet... Es hat fürchterlich gestunken in der Wohnung.“

„Wussten Sie nicht, dass sie eine Woche in Zürich bleiben wollte?“

„Nee“, sagte er verblüfft.

„Kommen Sie immer ohne Vorankündigung?“

„Normalerweise nicht.“

„Ich habe es keinem erzählt, dass ich nach Zürich wollte. Ich bin ja nicht allein ...“, warf Lisa dazwischen. Wir verstanden auch so, was sie meinte, auch wenn sie den Satz nicht zu Ende geführt hatte. „Das mit dem Lavendelduft ist leicht zu verstehen. Die Leute, die die Leiche abgeholt haben, haben ja nicht an meine Nase gedacht. Sie haben ja nicht einmal die Fenster geöffnet. Danke, Rudolf, dass du daran gedacht hast.“

„Vermuten Sie das nur oder wissen Sie es?“, fragte Ivo Barisic.

„Wie soll es sonst gewesen sein?“, gab sie schnippisch zurück.

Ich wandte mich an Sedunko. „Seit wann sind Sie hier?“

„Als Sie aufkreuzten, hatte ich mich gerade hingelegt“, sagte er.

„Weshalb wollten Sie sich aus dem Staub machen?“

Er grinste matt. „Ich wollte Ihnen die lästigen Protokollarbeiten ersparen, Vokker.“

„Dafür kriegen Sie nachher einen extra starken Kaffee“, sagte ich ebenso spöttisch.

„Wir werden uns lange miteinander unterhalten müssen, Rudolf. Nennen Sie mir die genaue Zeit Ihres Kommens“, sagte Ivo.

„Fünfzehn Minuten nach zehn war es, mit einem möglichen Plus oder Minus von zwei bis drei Minuten.“

Ich wandte mich an Lisa. „Wann haben Sie die Wohnung verlassen?“

„Genau kann ich es nicht angeben, Aber es dürfte gegen neun Uhr fünfzig gewesen sein.“

„Das dürfte den Tätern etwa eine halbe Stunde Zeit gegeben haben, die Leiche zu entfernen“, sagte ich.

„Sie müssen die Wohnung beobachtet haben“, vermutete Ivo.

„Weshalb?“, mischte sich Rudolf ein.

„Das ist doch klar“, sagte Ivo. „Wenn man eine Leiche herumträgt, lässt man sie am besten nicht unbeobachtet. Und die Tatsache, dass sie wieder verschwunden ist, zeigt deutlich, dass sie die Leiche nicht einfach loswerden wollten.“

„Klar, jetzt müssen wir noch herausfinden, weshalb“, schloss ich den Gedankengang des Kommissars ab.

„Nehmen die Herren einen Drink?“, fragte Lisa und erhob sich. „Einen Whisky vielleicht oder einen Kognak?“

„Danke, nicht am frühen Morgen“, sagte Ivo.

„Mir kannst du einen verpassen“, ließ sich Sedunko vernehmen. „Dieser Vokker hat meinen Magen in Plisseefalten gelegt!“

„Sie haben mich dazu herausgefordert, Rudolf“, stellte ich fest. So früh am Vormittag verzichtete auch ich auf einen harten Drink. Als Gastgeberin war Lisa ganz in ihrem Element.

Es klingelte. Ivo ging zur Tür. Kurz darauf trat er mit seinem Stab in das Wohnzimmer ein. Im Nu wimmelte es hier von Leuten. Ein paar davon kannte ich, nämlich den Polizeiarzt Dr. Gartner, zwei der Fotografen und einen der Assistenten. Nach zwanzig Minuten hatten wir die Kompetenzen abgegrenzt und eine vernünftige Arbeitsteilung vorgenommen.

Barisics Spurensicherungsdienst sollte die Wohnung durchschnüffeln, und ein Mann machte sich mit der Shiraz-Brücke auf den Weg ins Labor. Sedunko nahmen die Herren Polizisten mit, damit er zu einem späteren Zeitpunkt verhört werden konnte. Gartner und der Rest von Barisics Truppe marschierte gegen elf aus der Wohnung. Zurück blieben im Wohnzimmer die attraktive Lisa Balota, Inspektor Ivo Barisic und ich.

Es gab an sich keinen Zweifel, dass Lisa die Wahrheit gesagt hatte. Was hätte sie veranlassen sollen, eine solch makabre Geschichte zu erfinden?

Ich brach das Schweigen, um die Vernehmung anzukurbeln. „Was kostet diese Wohnung, Frau Balota?“

„Neunhundert im Monat.“

„Eine hübsche Stange Geld. Wovon leben Sie?“

„Ich besitze Vermögen“, wich sie einer ehrlichen Antwort aus.

„Wieviel?“

„Stehe ich schon unter Verdacht? Aber ich bin nicht arm, wenn Sie das ansprechen wollen.“

„Haben Sie das Geld geerbt?“

„Nein, verdient“, sagte sie.

„Sind Sie berufstätig?“

Lisa Balota schaute mich an, ohne zu blinzeln. In vielerlei Hinsicht war sie eine bemerkenswerte Frau.

„Sie haben doch längst erraten, wie ich mir mein Leben eingerichtet habe“, sagte sie. „Ich weiß, dass das kein Beruf von hohem Sozialprestige ist“, fügte sie hinzu.

„Sie sind nicht auf den Kopf gefallen und werden sicherlich längst begriffen haben, was uns zuerst interessiert. Wir müssen die Namen der Schlüsselbesitzer feststellen. In diesem Zusammenhang ist noch eine andere Frage wichtig. Wer von den fünf Schlüsselbesitzern hat gewusst, dass Sie in Zürich sind?“, fragte ich.

„Ich habe es keinem erzählt.“

„Jemand muss davon aber Wind bekommen haben“, sagte ich.

„Ich wüsste nicht wie und wodurch. Allerdings bin ich keine Einsiedlerin. Wenn mir jemand nachspioniert hat, hat er es vielleicht irgendwie mitbekommen“

„Vermutlich hat Sie jemand angerufen und um ein Rendezvous gebeten, das Sie absagen mussten?“, mutmaßte ich.

„Nein.“

„War absolut niemand darüber informiert, dass Sie eine Woche lang in Zürich zu bleiben beabsichtigten?“

„Ja, außer mein Nachbar. Ich musste ihm wegen der Post Bescheid sagen“, meinte Lisa. „Aber das ist ein netter alter Herr, der sich jedes Mal freut, wenn ich ihn anlächle. Der arbeitet gewiss mit keinem Gauner zusammen.“

„Wer außer Sedunko besitzt einen Schlüssel zu Ihrem Apartment?“, fragte Ivo.

„Ich bin außerstande, sie zu nennen“, erwiderte Lisa kühl.

Wir starrten sie an. Ungläubig. Sie wusste schließlich genau, welche Bedeutung die Namen für uns und für die Aufklärung des Verbrechens hatten. Lisa hielt es für angezeigt, ihre Haltung zu verteidigen. „Einige dieser Männer sind in hohen Positionen, andere sind verheiratet“, meinte sie. „Jeder einzelne hat mich stets wie eine Dame und wie eine gute Freundin behandelt. Es wäre gemein von mir, diese Männer bloßzustellen. Für einige von ihnen könnte es der Ruin sein.“

„Frau Balota...“, begann Barisic eindringlich.

Sie unterbrach ihn. „Sparen Sie sich die Worte. Ich weiß genau, was Sie sagen wollen. Aber meine Freunde haben mit der Sache nichts zu tun. Davon bin ich überzeugt.“

Barisic wurde grob. „Seitdem ich weiß, dass Typen vom Schlage Sedunkos zu Ihren Freunden zählen, kann ich Ihre Überzeugung leider nicht teilen.“

Leichte Röte legte sich auf Lisas Pergamentwangen. „Rudolf ist eine Ausnahme, das sagte ich bereits“, meinte sie.

„Die Namen, los!“, polterte Barisic.

„Keinen Namen!“, sagte Lisa energisch und hob das Kinn. Sie war wirklich eine faszinierende Frau.

Barisic grinste. „Ich kann die Namen innerhalb der Akten bleiben lassen, wenn sie sich als harmlos herausstellen“, bot er Lisa an.

Lisa schüttelte den Kopf. „Die Männer vertrauen mir. Ich kann sie nicht enttäuschen!“

„Na, schön. Wie Sie wollen“, sagte Barisic resignierend. „Ich hoffe doch, dass Sie sich darüber im Klaren sind, was jetzt kommt. Wir werden im Hause herumfragen. Bei den Nachbarn, beim Friseur. Im Supermarkt. Wir werden untersuchen, mit wem Sie gesprochen haben und gesehen worden sind, wir werden entdecken, wo Sie diniert, getanzt und getrunken haben, kurzum, wir werden in weniger als zwei Tagen mehr Material über Sie zusammengetragen haben, als ein Autor für eine detaillierte Biografie braucht.“

„Soll ich jetzt erstaunt sein?“, fragte Lisa kühl. „Sie langweilen mich. Ich weiß, dass Schnüffelei der Pol ist, um den sich der Polizeiapparat dreht, Aber ich wusste nicht, dass Sie mir mit diesen Methoden kommen würden! Anscheinend haben Sie vergessen, dass ich es war, die die Anzeige erstattete.“

Barisic grinste. „Donnerwetter, ich wollte Sie nicht explodieren lassen, Fräulein, ich dachte nur, es sei ein guter Gedanke, Ihnen zu erläutern, was Ihre missverstandene Diskretion auslösen muss.“

„Aber es ist nun mal so“, meinte Lisa, die sich wieder beruhigt hatte. „Wenn Sie die Namen der Männer auf Grund Ihrer Nachforschungen herausfinden, kann ich meine Hände in Unschuld waschen, und darauf lege ich Wert.“

„Ist das Ihr letztes Wort?“, fragte Barisic.

Lisa erhob sich. „Das ist mein letztes Wort!“, sagte sie mit fester Stimme.

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