Читать книгу Kein Platz für Konkurrenz: Kommissarin Bramberger ermittelt - Roland Heller - Страница 6

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Der Stoß kam hart und plötzlich, so dass Dr. Thomas Wendtner unwillkürlich seine Instrumententasche fallen ließ und nach Luft schnappte. Er wollte sich empört umdrehen, aber der mahnende Druck eines Pistolenlaufs in seinem Rücken ließ ihn rechtzeitig innehalten. Seine Empörung verwandelte sich in Sekundenschnelle in eine nahezu unbändige Wut und wich dann einem Zustand jäh aufkommender Angst, als er sich des Pistolenlaufs in seinem Rücken so richtig bewusst wurde.

„Hallo, Doktor“, sagte eine männliche Stimme dicht an seinem Ohr. Die Stimme war nicht sehr laut, sie hatte einen heiseren, ironisch-vergnügten Klang, sie war selbstsicher und drohend zugleich.

„Sie haben etwas fallen gelassen. Heben Sie ihre Tasche auf. Nicht dass noch jemand auf die Idee kommt, sie haben hier eine Bombe deponiert, wenn wir einfach ohne die Tasche weitermarschieren.“ Der Kerl lachte, als hätte er gerade den Witz des Jahrhunderts unter die Leute gebracht.

Wendtner fand die Situation alles andere als zum Lachen, dennoch bückte er sich und nahm seine Arzttasche wieder auf, ja presste sie regelrecht an seine Brust, als könnte sich daran schützend festhalten.

„Und jetzt horchen Sie mir genau zu. Sie richten sich ab nun danach, was ich Ihnen in ihre Ohren flüstere!“

Thomas Wendtner atmete tief durch. Er durchlebte einen dieser Momente, in denen sich die Grenzen von Traum und Wirklichkeit verwischten. Das durfte einfach nicht wahr sein! Niemand konnte es ernsthaft wagen, mitten auf einer belebten Straße einer deutschen Kleinstadt einen bewaffneten Überfall durchzuführen! So etwas passierte doch nur in den Großstädten von Nord- und Südamerika, oder in den Metropolen Asiens. Aber hier? Wer rechnete schon damit, dass mitten in Bad Reichenhall auf offener Straße jemand gekidnappt wurde. Aber genau das war der Fall. Wendtner sah die Gesichter der vorüberströmenden Passanten, blasse, abgespannte Masken, blind für eine Umgebung, die ihnen nichts bedeutete.

Niemand schenkte ihm oder dem Mann hinter ihm auch nur die geringste Beachtung. Der Gangster hatte Zeit und Platz des Überfalls gut gewählt. Sie standen dicht am Rinnstein. Zur Straße hin wurden sie durch die parkenden Wagen abgeschirmt, während der Gangster mit seinem Körper die Pistole verdeckte, die sich noch immer mit schmerzhaftem Druck in Thomas Wendtners Rücken bohrte.

Ich muss ruhig bleiben, dachte der Arzt, ganz ruhig. Dann stand er sehr steif in der Mittagssonne, wie ein Soldat, der auf das nächste Kommando wartete. Ganz in der Nähe lachte ein Kind. Wendtner zuckte zusammen.

„So ist‘s brav“, lobte die heisere, vergnügte Stimme. „Gehen Sie jetzt zu Ihrem Wagen und steigen Sie ein. Vergessen Sie dabei keine Sekunde, dass ich eine Kanone habe.“

Eigentlich wollte Wendtner darauf etwas erwidern, aber die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Er wusste, dass er sich eigentlich wehren sollte, aber er konnte sich nicht dazu überwinden. Er hätte früher reagieren müssen. Gleich zu Beginn, als er das erste Mal den Lauf der Pistole in seinem Rücken gespürt hatte.

Wendtner setzte sich in Bewegung. Er registrierte mit Erleichterung, dass der Mann die Pistole zurückzog. Aber was half das schon? Der Kerl blieb so dicht hinter ihm, dass Wendtner meinte, den heißen, scharfen Atem des Gangsters an seiner Wange zu spüren.

Thomas Wendtner hatte keine Lust, den Helden zu spielen. Im Grunde gab es keinen Anlass, die Situation zu dramatisieren. Überfälle ereigneten sich überall in der Welt häufiger als man gemeinhin annahm. Man war nur maßlos überrascht und entsetzt, wenn sie einen selbst betrafen. Was konnte ihm schon passieren? Er hatte rund zweihundert Euro in bar bei sich, die musste er natürlich abschreiben. Hinterher würde es dann noch die zeitraubenden Scherereien mit der Protokollaufnahme bei der Polizei geben, das war alles.

Wendtner runzelte die Augenbrauen. War es wirklich alles? Ihm fiel ein, dass der Gangster Doktor gesagt hatte. Das war beunruhigend, denn gerade die Betonung auf das Doktor ließ vermuten, dass dem Überfall ein bestimmter Plan zugrunde lag.

Sie gingen knapp fünfzig Meter weit. Als Wendtner sich an das Steuer seines Bentley New Flying Spur setzte, hatte er zum ersten Mal Gelegenheit, den Gangster im Rückblickspiegel zu mustern. Der Bursche machte es sich im Wagenfond bequem. Er behielt eine Hand in der Tasche seines nougatbraunen Tweed-Sakkos und rutschte tief nach unten, als wollte er sich absichtlich klein machen.

Wendtner schätzte das Alter des Mannes auf knapp fünfunddreißig. Der Gangster hatte die blasse, leicht gelblich getönte Haut eines Leberkranken. Sein Gesicht war schmal und scharfkantig. Die dünnen, fast blutleeren Lippen deuteten an, dass er frei von sentimentalen Gefühlen war. Er trug keinen Hut.

Das graublonde Haar war kurz geschnitten. Alles in allem sah er nicht übel aus. Er hatte das Gesicht eines energischen, etwas nervösen Mannes, der Widerspruch hasste und dessen Humor genau dort endete, wo seine persönliche Eitelkeit verletzt werden konnte.

„Schaukeln Sie ‘rüber nach Salzburg“, befahl der Mann im Fond. „Benutzen Sie den kleinen Grenzübergang.“

Wendtner machte sich bereit, den Wagen in Betrieb zu nehmen. Er merkte, dass seine Angst sich mehr und mehr verflüchtigte. Vielleicht lag das daran, dass der Mann im Fond nicht wie ein Killer aussah.

„Was, zum Teufel, haben Sie eigentlich vor?“, fragte Wendtner.

„Wir brauchen einen Doktor“, sagte der Mann spöttisch. „Das ist alles.“

„Und in Salzburg gibt es keine Ärzte?“, wagte Wendtner einzuwenden.

„Wir brauchen auch deinen Ruf!“, meinte der Mann gelassen und erklärte sich nicht weiter, als sei damit bereits alles gesagt.

Wendtner holte tief Luft. Er glaubte zu verstehen. Vermutlich gehörte der Bursche einem Syndikat an. Möglicherweise war bei einer Schießerei ein Gangster verletzt worden, ein polizeilich gesuchter Gangster, der es sich nicht leisten konnte, einen x-beliebigen Arzt aufzusuchen. Aber wieso verfielen sie in diesem Fall gerade auf ihn?

Wendtner startete die Maschine.

„Seidenweicher Lauf“, sagte der Mann im Fond anerkennend. „Schnurrt wie ein Kätzchen! Ein Bentley! Wirklich nicht übel. Absolute Klasse. Der Rolls Royce von Leuten, die etwas Untertreibung lieben. Na, wer sagt es denn? Es muss sich lohnen, die Wehwehchen der High Society zu pflegen!“

Wendtner lenkte den Wagen aus der Parklücke. Die Kerle wissen also, dass ich mehr oder weniger das bin, was man einen Modearzt nennt, überlegte er. Er bezweifelte plötzlich, dass man ihn als Mediziner benötigte. Es gab keinen vernünftigen Grund für diese Leute, die Behandlung einer Schussverletzung ausgerechnet ihm anzuvertrauen. – Falls es sich um eine Schussverletzung handelte.

Wendtner fädelte sich in den Verkehr ein.

„Wollen Sie Geld?“, fragte Wendtner.

„Wer will das nicht?“, meinte der Mann ausweichend. Es klang eher müde als spöttisch.

„Ich habe zweihundert Euro bei mir“, erklärte Wendtner und umspannte das Lenkrad fester. „Sie können das Geld haben. Es wäre mir lieb, wenn Sie es akzeptieren und den Fall auf diese Weise abkürzten. Meine Patienten erwarten mich. Es sind ein paar dringende Fälle darunter.“

Der Mann kicherte. „Mein Gott, zweihundert Euro!“, meinte er dann und verdrehte die Augen, als sei Wendtner ein Kind, das versucht habe, ihm ein halbgelutschtes Bonbon anzudrehen. „Wir sind keine Leute, die mit Hühnerfutter handeln.“

„Sagen Sie mir endlich, was Sie wollen!“, stieß Wendtner hervor. Er wurde wütend.

Der Mann grinste. Es war ein breites, sehr hässliches Grinsen, dessen Anblick Wendtners Zorn rasch dämpfte. „Sie haben nicht gut zugehört, Doktor“, sagte er. „Wir brauchen Sie als Repräsentanten Ihrer Zunft!“

„Verschonen Sie mich bitte mit diesem albernen Gerede“, meinte Wendtner scharf. „Kommen Sie endlich zur Sache!“

„Sie sind in Ihrem Beruf ein berühmter Mann, Wendtner“, sagte der Bursche im Fond. „Sie haben eine steile Karriere hinter sich. Wer in dieser verdammten Stadt etwas auf sich hält und über mehr als Hühneraugenkummer klagt, wendet sich an Sie. Das gehört einfach zum guten Ton, nicht wahr? Uns ist diese Tatsache nicht entgangen, und wir hoffen, daraus Kapital zu schlagen.“

„Wie, wenn ich fragen darf?“

„Das wird Ihnen der Boss erklären.“

Wendtner schwieg einige Minuten, dann sagte er mit fester Stimme: „Ich hoffe, Sie geben sich keinen Illusionen hin. Ich bin nicht geneigt, mich irgendwelchen Forderungen zu beugen, die das Gesetz missachten.“

„Ich liebe diese Idealisten!“ Der Mann im Fond lachte kurz und verächtlich. Das war alles.

Wendtner unterdrückte weitere Fragen. Es hatte keinen Sinn, mit dem Mann im Fond zu sprechen. Er führte nur einen Auftrag aus. Davon konnten ihn weder Drohungen noch Versprechungen abhalten.

Als Thomas Wendtner in langsamem Tempo über die Grenze nach Salzburg fuhr, lächelte ihn der Polizist freundlich an. Seit sich die Ströme der Flüchtlinge aus den Krisengebieten im Nahen Osten vervielfacht hatten, sah sich die Regierung gezwungen, die Grenze zu überwachen. In diese Richtung – nach Österreich - gab es keine Probleme. Wenn er allerdings von Österreich in Richtung Deutschland zurückfuhr, konnte es schon passieren, dass er bis zu zwei Stunden warten musste, je nachdem, wie genau kontrolliert wurde.

Das Schlepperunwesen war auch Wendtner nicht unbekannt. Nun, in seinem Luxusgefährt vermutete wahrscheinlich niemand einen illegalen Einwanderer. Aber er musste trotzdem geduldig in der Reihe bleiben – und das kostete Zeit.

Einen Moment lang erwog Wendtner, einfach auszusteigen und zu sagen: ´benachrichtigen Sie die Polizei, dieser Bursche ist ein Gangster und bedroht mich!´, aber die kurze Aufwallung wurde im Keim erstickt, als Wendtner sah, wie der Mann im Fond sich straffte. Der Pistolenlauf zeichnete sich deutlich unter dem braunen Tweed ab.

Sie fuhren weiter.

Wendtner befolgte die Anweisungen seines Begleiters und bog kurz vor dem Flughafen nach rechts ein. Ehe sie den Flughafen erreichten, sagte der Mann im Fond: „Sehen Sie da vorn den Parkplatz? Halten Sie dort!“ Wendtner gehorchte. Unter dem Parkplatzschild saß ein junger Bursche in einem knallroten Sporthemd. Er erhob sich träge und kam auf den Wagen zu geschlendert. Da er beide Hände in die Gesäßtaschen seiner Blue Jeans geschoben hatte, spannte sich das Hemd sehr knapp über seiner athletischen Brust. Man sah, wie gut entwickelt seine Muskeln waren. Er hatte strohblondes Haar und helle, sehr flach wirkende Augen. Er war nicht älter als zwanzig Jahre.

„Beeil dich, los!“, knurrte der Mann im Fond.

Der junge Bursche ging ohne Eile um den Wagen herum. Er öffnete den Wagenschlag auf der Fahrerseite und sagte zu Wendtner: „Steig hinten ein, Partner!“ Wendtner befolgte die Anweisung. Der junge Mann nahm hinter dem Lenkrad Platz. Sie fuhren weiter.

„Legen Sie sich auf den Boden!“, befahl Wendtners Nachbar.

„Ist das Ihr Ernst?“

„Ja“, meinte der Gangster und lächelte breit. „Das ist mein Ernst!“

Ein harter Schlag in den Nacken untermauerte sein Verlangen.

Wendtner presste die Lippen aufeinander, um nicht aufzuschreien. „Sie müssen lernen, rascher zu reagieren, Doktor“, sagte der Mann neben Wendtner. „Ich war mal Coach einer Fußballmannschaft. Seit diesen Tagen habe ich die Angewohnheit, jeden auf Trab zu bringen, der sich müde bewegt.“

Wendtner kniete sich zähneknirschend auf den Wagenboden. Er erhielt einen weiteren heftigen Schlag in den Nacken. Als er protestieren wollte, riss der Mann den Fuß hoch. Der Schuh landete mitten in Wendtners Gesicht. Blut schoss aus seiner Nase.

Er merkte, wie ihn Zorn und Hass zu ersticken drohten, aber er wusste auch, dass es keinen Sinn hatte, sich gegen seine Peiniger aufzulehnen. Er legte sich auf den Wagenboden und bettete den Kopf in die verschränkten Arme. Während er mit der Zunge das Blut ableckte, konzentrierte er sich auf die Geräusche, die von draußen hereindrangen.

Das rasche Anschwellen des Verkehrslärms machte ihm klar, dass sie mitten durch die Stadt fuhren. Dann wurden die Straßen schlechter; das machte sich trotz der ausgezeichneten Federung des Bentleys deutlich bemerkbar. Draußen wurde es ruhiger. Offenbar hatten sie einige weniger belebte Vorortstraßen erreicht. Nach etwa fünfzehn Minuten Fahrzeit hielt der Wagen. „Alles okay?“, hörte Wendtner den Mann im Fond fragen.

„Die Luft ist rein.“

„Hoch mit dem Kopf, Doktor!“ Wendtner gehorchte. Im nächsten Moment wurde eine sackähnliche Hülle über seinen Kopf gestülpt. Jemand öffnete den Wagenschlag. Er wurde von zwei kräftigen Armen gepackt und ins Freie gerissen. Unter seinen Füßen war asphaltierter Boden. Er erhielt einen kräftigen Stoß in den Rücken und stolperte vorwärts. Nach sechs, sieben Schritten stieß er gegen eine Steinstufe.

„Füße heben!“, sagte jemand. Er bekam einen weiteren Stoß und torkelte in das Innere eines Raumes.

Hinter ihm klappte eine Tür zu. Wendtner hörte, wie die Maschine seines Wagens aufheulte. Seine Schultern sackten nach unten, als sein Wagen weggefahren wurde.

Die haben an alles gedacht, schoss es ihm durch den Sinn. Falls ich gesucht werden sollte, wird man bestimmt meinen Wagen entdecken, aber ich werde nicht mehr in seiner Nähe sein!

„Nehmen Sie den Hut ab, Doktor, er kleidet Sie nicht!“, wurde die spöttische Stimme seines Begleiters laut.

Wendtner zerrte die Hülle von seinem Kopf. Blinzelnd schaute er sich um. Sie standen in einem schmalen, muffigen Korridor. Der Gang hatte keine Fenster und wurde von einer Glühbirne erhellt, die an einem Draht von der Decke herabhing.

„Gehen Sie nur voran, mein Lieber“, sagte der Gangster. „Man erwartet Sie bereits!“

Wendtner marschierte auf die Tür zu, die den Korridor begrenzte. Er öffnete sie und trat über die Schwelle.

Unwillkürlich hob er den Ellbogen vor die Augen. Das grelle Licht, das ihm entgegensprang, traf ihn wie ein Peitschenschlag. Es schien, als würde er mit einem Dutzend grell strahlender Jupiterlampen konfrontiert.

„Weitergehen!“, sagte der Mann hinter ihm.

Wendtner machte zwei Schritte nach vorn, langsam, vorsichtig. Weiter kam er nicht. Irgend etwas traf ihn in der Magengrube. Er riss den Mund auf, aber es kam kein Laut über seine Lippen. Dann traf ihn ein zweiter Schlag.

Wendtner ließ den Ellenbogen fallen. Er krümmte sich. Ihm war, als würde sich das grellweiße Licht verfärben und zu feinem glühenden Rot werden. Das Rot begann sich zu drehen wie eine Batterie von Feuerrädern.

Wendtner erhielt einen dritten Schlag. Es war beinahe wohltuend, zu spüren, wie die Ohnmacht nach ihm griff. Das Rot erlosch. Thomas Wendtner wurde bewusstlos.

Kein Platz für Konkurrenz: Kommissarin Bramberger ermittelt

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