Читать книгу Kein Platz für Konkurrenz: Kommissarin Bramberger ermittelt - Roland Heller - Страница 7
Оглавление2
Polizeichef Xaver Ludendorfer schob seufzend den Kaffeebecher beiseite und griff nach dem Telefon, dessen aggressives Läuten wieder einmal das vorzeitige Ende einer Pause bedeutete. „Ja?“, fragte er mürrisch.
„Bauer“, meldete sich der diensthabende Polizist. „Ich hab‘ hier gerade eine Anzeige bekommen, von Frau Lassnig.“
„Ach du lieber Himmel, was will die alte Schachtel denn diesmal?“
„Sie behauptet, man hätte ihren Arzt entführt.“
„So, behauptet sie. Deswegen rufst du gleich den obersten Chef an?“
„Na ja, die Lassnig ist immerhin wer. Außerdem wollte sie unbedingt Sie sprechen!“
„Ist sie etwa noch dran?“
„Nein, ich konnte sie Gott sei Dank abwimmeln und damit vertrösten, dass sie gleich zurückgerufen wird, wenn ich den zuständigen Beamten erwischt habe.“
„Na, zumindest das hast du bravourös hingekriegt.“
„Danke. Und was machen wir jetzt mit der Anzeige?“
„Na, protokollieren müssen wir sie.“
„Ich könnte sie zum Arzt überweisen.“
„Die braucht keinen Arzt, die braucht einen Psychiater“, knurrte Ludendorfer. „Seitdem ich vor Jahren diesen Laden übernommen habe, vergeht keine Woche, ohne dass die fabelhafte Frau Lassnig eine Anzeige erstattet. Was war es doch gleich vorige Woche? Ach ja, richtig! Sie behauptete, ihr Wagen sei gestohlen worden. Später fiel ihr ein, dass sie lediglich vergessen hatte, sich den richtigen Parkplatz zu merken. Die Alte ist so verrückt wie die bunten Hüte, die sie auf ihrem grauhaarigen Geierschädel balanciert.“
„Aber vergessen Sie nicht, dass sie auch einen angesehenen Ruf bei unseren Honoratioren genießt. Und arm ist sie auch nicht gerade. Es heißt, sie hätte ihr Vermögen an der Börse gemacht. Jedenfalls ist sie millionenschwer. Vorigen Monat hat sie zweihunderttausend Euro zum Bau eines Waisenhauses gestiftet. Dementsprechend groß ist Lassnigs Einfluss bei den Verwaltungsleuten. Wenn wir auf die Späße der alten Dame nicht gebührend eingehen, schwärzt sie uns an.“
Ludendorfer räusperte sich kühl. „Danke, Bauer, auf Belehrungen dieser Art kann ich verzichten. Was ist das nun für eine Geschichte mit dem Arzt?“
„Es handelt sich um einen gewissen Dr. Thomas Wendtner. Er hat seine Praxis in der Innenstadt und besucht die alte Dame einmal in der Woche. Frau Lassnig behauptet, dass sie am Fenster gestanden habe, um ihm nachzublicken.“ Der Polizist kicherte leise. „Ehe sie zur Sache kam, erzählte sie volle fünf Minuten lang, wie tüchtig und verehrungswürdig dieser Thomas Wendtner ist. Ich glaube, die Spinatwachtel hat sich in den Medizinmann verknallt! Wie gesagt, sie quatschte und —"
„— und quatscht!“, ergänzte Ludendorfer ärgerlich. „Genau wie ein gewisser Beamter Bauer. Kommen Sie endlich zur Sache.“
„Tut mir leid“, sagte Bauer. „Sie will gesehen haben, wie ein großer, schlaksiger Bursche in einem gelben Sakko von hinten an Wendtner herantrat und ihm eine Pistole in den Rücken stieß. Und das auf offener Straße.“
„Weiter“, drängte Ludendorfer.
„Der Gangster — jetzt bin ich bei der Wortwahl von Frau Lassnig — dirigierte den Arzt zu seinem Wagen, einem Bentley, und dann fuhren die beiden los.“
„Das ist alles?“
„Das ist alles.“
„Geben Sie eine Meldung an alle Stationen durch. Bentleys sind hierzulande rar. Es kann nicht schwerfallen, den Schlitten aufzuspüren. Rufen Sie aber vorher bei Wendtner in der Praxis an, vielleicht ist er schon zu Hause.“
„In der Praxis hab‘ ich schon angerufen“, sagte Bauer. „Die Sprechstundenhilfe sagte mir, dass sie den Doktor nicht vor vier Uhr Nachmittag zurückerwartet. Er macht eine Reihe von Krankenbesuchen.“
„Okay. Schicken Sie jemanden zu Frau Lassnig. Er soll sich eine Beschreibung des Mannes im gelben Sakko geben lassen.“
„Nehmen Sie die Anzeige wirklich ernst?“
„Ich nehme Frau Lassnig ernst“, sagte Ludendorfer seufzend. Er griff nach dem Kaffeebecher und trank.
Er verzog das Gesicht. Ihm schien es so, als habe er noch nie zuvor so miserablen Kaffee getrunken.
Die Tür öffnete sich. Ludendorfer stellte den Becher beiseite. Seine Züge weichten auf, sie wurden freundlich, aber sie zeigten eine Schattierung von Respekt. Er erhob sich.
„Hallo, Herr Stabau!“, sagte er und ging dem Besucher entgegen. „Wenn Reinhard Stabau hier aufkreuzt, kann eine gewisse Verena Bramberger nicht weit sein, und wenn sich diese Beamten zeigen, gibt es entweder Ärger oder Arbeit oder beides zusammen. Setzen Sie sich, Reinhard.“ Er gab dem Kriminalpolizisten die Hand und rückte ihm einen Stuhl zurecht. „Kaffee?“, fragte er.
Reinhard schüttelte lächelnd den Kopf. „Danke. Diesmal ist es nichts Aufregendes. Nur eine Routinesache.“
Ludendorfer nahm wieder am Schreibtisch in seinem Drehsessel Platz. Er lehnte sich weit zurück und grinste wohlwollend-spöttisch. „Ihre sogenannten Routinesachen kenne ich, Reinhard. Sie führen meistens zu Überstunden. Worum geht's denn diesmal?“
„Rauschgift“, sagte Reinhard kurz. »Wir haben erfahren, dass unsere Kollegen in Salzburg am Bahnhof eine Ladung Heroin sichergestellt haben – und in der Folge haben unsere Leute in Freilassing zugeschlagen. Wenn es stimmt, was man uns gesagt hat, handelt es sich um einen größeren Transport, der außerplanmäßig aus China via Hongkong und London gekommen ist. Wir fragen uns, was die Intensivierung der Lieferungen zu bedeuten hat. Soviel wir wissen, ist der Markt gesättigt. Oder haben Sie das Gefühl, dass die Zahl der Kokser zugenommen hat?“
„Ich kann nur für meinen Bezirk sprechen“, meinte Ludendorfer. „Hier kenne ich nahezu jeden Penner, der das Zeug nimmt oder vertreibt. Ich schmeichle mir, dass meine Leute innerhalb des letzten Jahres die Zahl dieser Brüder drastisch reduziert haben, aber natürlich kommen immer neue hinzu.“
„Der Rauschgifthandel ist, wirtschaftlich betrachtet, ein Markt wie jeder andere“, sagte Reinhard. „Er lässt sich nicht beliebig erweitern, seiner Expansion sind Grenzen gesetzt. Aber neue Leute suchen sich neue Kundenkreise. Darin sehen wir die größte Gefahr. Neue Leute werden zu neuen Methoden gezwungen. Sie sitzen an der Quelle, Chef. Ich möchte Sie bitten, diesen Punkt im Auge zu behalten und uns sofort anzurufen, wenn sich irgendwelche Anzeichen für eine Aktivität dieser Art bemerkbar machen sollten.“
„Geht in Ordnung, Reinhard. Ich spreche das mit meinen Leuten durch. Sind sie bereits konkret an dem Fall dran?“
„Nein, aber wir sollten die Sache im Hinterkopf behalten“
„Da stimme ich mit Ihnen überein. Hier habe ich übrigens etwas für Sie.“
„Betrifft es diese Sache?“
„Nein, es handelt sich um einen Fall von Menschenraub, vorausgesetzt, dass die Dame, der wir die Anzeige verdanken, nicht an Halluzinationen leidet. Was mich betrifft, so glaube ich bei ihr eher an Wahnvorstellungen als an die Entführung, die sie gesehen haben will.“
Er berichtete kurz, was die alte Dame vom Fenster ihrer Wohnung beobachtet hatte.
Reinhard machte sich einige Notizen. „Ich habe veranlasst, dass ihr jemanden auf die Bude geschickt wird“, meinte Ludendorfer. „Wenn sich herausstellen sollte, dass an der Sache was dran ist, erhalten Sie sofort einen vollen Bericht.“
„Ist der jemand schon losgegangen?“
„Moment.“ Ludendorfer griff nach dem Telefonhörer und sprach gleich darauf erneut mit Bauer. Als er auflegte, blickte sein Gesicht breit grinsend Stabau an.
„Der Beamte war noch im Haus. Ich habe ihn zurückgepfiffen.“
„Dann soll wohl ich die Sache in die Hand nehmen. Aber fertigen Sie trotzdem einen schriftlichen Report an, nur der Ordnung halber.“
Reinhard erhob sich. Ludendorfer stand gleichfalls auf. Er brachte den Besucher zur Tür.
„Grüßen Sie Verena von mir“, bat er, „und sagen Sie ihr, sie soll endlich mal den Fuß vom Gaspedal nehmen!“
Reinhard grinste matt. „Das sollten Sie den Herren Gangstern sagen, Chef. Die bestimmen das Tempo.“