Читать книгу Kein Platz für Konkurrenz: Kommissarin Bramberger ermittelt - Roland Heller - Страница 8
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Jessica Wendtner verließ ihre Wohnung gegen vierzehn Uhr zwanzig in guter Stimmung. Ihre fabelhafte Laune war nicht außergewöhnlich. Jessica war fast immer froh gestimmt. Diesmal ging diese gute Laune auf ganz bestimmte und sehr konkrete Ursachen zurück, denn Jessica befand sich auf dem Wege zu ihrem Bräutigam, mit dem sie in einem nahen und sehr guten Restaurant essen wollte.
Bis zu ihrer Heirat waren es noch vier Tage. Jessica und Robert Krüger kannten sich seit vielen Jahren. Die Heirat war der krönende Abschluss einer Jugendliebe.
Jessica hatte mit Krüger zweifellos das große Los gezogen. Er hatte reiche Eltern und war dazu bestimmt, in einigen Jahren die renommierte Farbenfabrik zu übernehmen, die sein Vater aufgebaut hatte und die seiner Familie immer noch zu neunzig Prozent gehörte. In seiner Jugend war Krüger ein ziemlicher Wirrkopf gewesen, aber zwei Jahre Aufenthalt in England hatten eine wohltuende und sehr erzieherische Wirkung auf ihn ausgeübt.
Umgekehrt konnte man Krüger zu Jessica beglückwünschen, denn ihre heitere Frohnatur verband sich mit einem Maximum an äußeren Reizen. Jessica war goldblond und gut gewachsen, sie hatte ein schmales Gesicht von auffallender Schönheit, dessen Wirkung sich kaum jemand entziehen konnte.
Jessica hatte keine Eltern mehr, aber bei ihrem um einige Jahre älteren Bruder, Thomas Wendtner, war sie gut aufgehoben. Er vergötterte sie.
Wie gesagt, Jessica verließ das Haus in großartiger Laune, und daran änderte sich auch nichts, als sie von dem jungen Mann angesprochen wurde.
Der junge Mann war knapp fünfundzwanzig Jahre alt. Er war leidlich gut angezogen, obwohl die Krawatte um eine Nuance zu auffällig war. Er lächelte Jessica an und sagte: „Gut, dass Sie mir in die Arme laufen, ich wollte Sie gerade abholen!“
Jessica blieb stehen. Sie erwiderte das Lächeln des jungen Mannes. „Abholen? Mich?“
„Ja«, sagte er. „Robert schickt mich.“
„Oh, Sie sind ein Freund von Robert?“
„Wir sind unzertrennlich“, versicherte der junge Mann. „Hat Robert Ihnen noch nichts von mir erzählt? Ich heiße Frisch. Arthur Frisch. Robert nennt mich Arty.“
„Tut mir leid, Arty... ich darf Sie doch Arty nennen? ... Ich kann mich nicht erinnern, dass Robert Sie schon einmal erwähnt hat.“ Rasch und wie entschuldigend fügte sie hinzu: „Das kann durchaus meine Schuld sein. Ich habe ein miserables Namensgedächtnis und höre nur mit einem Ohr zu, wenn Robert von Leuten erzählt, die ich noch nie gesehen habe. Werden Sie mit uns essen?“
Die Frage kam nur widerstrebend, denn eigentlich hatte sie sich auf ein Essen zu zweit gefreut. Da kam ihr der zusätzliche Gast am Tisch gar nicht gelegen. Darum atmete sie erleichtert auf, als Arty die als Einladung gemeinte Frage gleich ablehnte.
„Nein, ich muss verschwinden, sobald ich einen Aperitif getrunken habe“, meinte er, dann deutete er auf die gegenüberliegende Straßenseite. „Mein Wagen steht dort drüben.“
Als sie die Straße überquerten, kam Jessica auf einmal zu Bewusstsein, dass das plötzliche Erscheinen von Frisch im Grunde sehr merkwürdig war. Bis zum Restaurant waren es außerdem nur zwei Häuserblocks. Diese Strecke mit dem Fahrzeug zurückzulegen, zahlte sich kaum aus. Wegen der Halte- und Parkschwierigkeiten, die in dieser belebten Straße bestanden, hatte sie mit Robert ausgemacht, ihn im Restaurant zu treffen. Weshalb war er nur auf die Idee verfallen, sie durch einen Freund abholen zu lassen?
Noch ehe sie es schaffte, eine Antwort auf diese Frage zu finden, hatten sie und der junge Mann in einem flaschengrünen überdimensional großen Audi Platz genommen. Das Auto passte eigentlich gar nicht zu dem jungen Mann, dachte sie spontan.
Sie fuhren los.
„Wir hätten zu Fuß gehen sollen“, meinte Jessica lächelnd. „Sie werden Mühe haben, einen Parkplatz zu finden.“
„Darf ich?“, fragte der junge Mann höflich anstelle einer Antwort. Er beugte sich über sie und drückte den Sicherungsknopf der Tür nach unten. Dann legte er noch einen weiteren Hebel um, dessen Funktion Jessica nicht begriff.
„Die Tür hat die betrübliche Eigenschaft, während der Fahrt aufzuspringen“, erklärte der junge Mann. „Deshalb habe ich die Doppelsicherung eingebaut.“
„Dabei schaut der Wagen ganz neu aus“, bemerkte Jessica.
„Das täuscht“, lächelte der Mann, „aber ich pflege ihn. Da gibt er gleich noch mehr her.“
Sie rollten die Straße hinab.
Arthur Frisch. Arty ... Jessica zerbrach sich den Kopf, wann und wo Robert den Namen schon einmal erwähnt haben könnte. Nein, sie war sicher, dass sie ihn nicht kannte. Robert besaß außerdem keine Freunde, mit denen er ein so enges Verhältnis pflegte, dass er sie als unzertrennlich titulierte. Er hatte das erst kürzlich mit einer gewissen Wehmut festgestellt.
„Ich empfehle Ihnen, an der übernächsten Kreuzung nach rechts einzubiegen“, meinte Jessica gutmütig. „In der Stadt-Garage besteht noch am ehesten die Chance, einen freien Platz zu finden.“
Der junge Mann gab keine Antwort. Jessica wandte den Kopf und musterte ihn verblüfft. Er sah ernst aus, fast düster. Es schien, als säße neben ihr plötzlich ein anderer. Es fiel schwer, sich vorzustellen, dass dieses Gesicht noch vor einer Minute gelächelt hatte.
Jessica merkte, wie sich ihre frohe Stimmung verflüchtigte. Ihr war, als griffe eine kalte, knochige Hand nach ihrem Herzen. Sie schüttelte die Furcht ab. Das war doch lächerlich! Robert ließ sie abholen, in zehn Minuten würde sie bei ihm sein. Rings um sie her pulste das Leben der Stadt, es war ein herrlicher, warmer Spätsommertag, und es gab nicht den geringsten Grund, sich dummen Depressionen hinzugeben!
„Jetzt sind wir zu weit gefahren, Arty“, sagte Jessica. „Sie hätten rechts abbiegen müssen!“
Frisch blickte starr geradeaus. Er gab keine Antwort.
„Arty!“, sagte Jessica drängend. „Hören Sie mir überhaupt zu?“
„Jetzt bist du ganz ruhig!“, stieß Frisch hervor. Jessica war es, als ob sie eine Ohrfeige erhielt. Ungläubig blickte sie in das Gesicht des jungen Mannes. Es wirkte jetzt roh, abweisend und arrogant.
Jessica merkte, dass sie ganz ruhig wurde. Sie war kein Mädchen, das sich von Panik übermannen ließ. Angesichts einer Gefahr, die sie zu begreifen begann, zeigte sie Mut und Beherrschung. „Halten Sie sofort an!“, verlangte sie.
Frisch antwortete nicht. Dafür begann er zu pfeifen. Es war ein dünnes, verstimmt klingendes Pfeifen, das Jessica auf die Nerven ging. „Hören Sie nicht? Sie sollen anhalten! Ich möchte sofort aussteigen!“, sagte Jessica.
„Was Sie wollen, steht hier nicht mehr zur Debatte!“, stellte Frisch bestimmt fest, sagte aber nichts weiter.
Er stellte das Radio an. Er drehte es auf volle Lautstärke. Jessica streckte die Hand aus und presste den Aus-Knopf nach unten.
„Anhalten!“, wiederholte sie. In diesem Moment erreichten sie eine Ampel, die gerade auf Rot sprang. Frisch hielt. Jessica versuchte die Tür zu öffnen, aber sie wusste nicht, wie die Doppelsicherung zu lösen war. Sie rüttelte an der Tür und merkte plötzlich, dass Tränen des Zorns in ihre Augen traten.
Das ist eine Entführung!, schoss es ihr plötzlich in den Sinn.
Sah denn niemand, dass man sie zu entführen versuchte?
Die Ampel sprang auf Grün. Der flaschengrüne Audi setzte sich wieder in Bewegung.
„Wir sind mitten in der Stadt“, stieß sie wütend hervor und bewegte sich unruhig auf ihrem Sitz. Ihr war, als fessle sie der Sicherheitsgurt zusätzlich an den Sitz. Sie versuchte ihn zu lösen, aber auch dieses Schloss war blockiert. „Ehe wir die Stadt verlassen, müssen Sie noch hundertmal anhalten. Ich werde schreien und mich bemerkbar machen! Ich werde nichts unversucht lassen, um Ihr Konzept zu zerstören! Sie dürfen sicher sein, dass mir das gelingen wird!“
Er wandte den Kopf und blickte sie an. „Sei ruhig, ich werde sonst unangenehm“, sagte er. Seine Stimme war leise, beinahe nonchalant. Aber Jessica bezweifelte keine Sekunde, dass seine Drohung ernstgemeint war.
„Wo bringen Sie mich hin?“, fragte Jessica.
„Zu Ihrem Bruder“, erwiderte er und grinste.
Jessica starrte ihn an. „Zu Thomas? Wo ist er?“
„Drüben in Salzburg“, sagte Frisch.
„Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt? Warum haben Sie mir vorgeschwindelt, dass Sie in Roberts Auftrag handeln?“
„Es fiel mir gerade so ein“, sagte er gleichmütig. „Außerdem weiß ich, dass Sie jeden Mittag mit Krüger essen gehen. Das machte alles viel leichter.“
„Sie sind ein Lügner, ein gemeiner Schuft!“, stieß Jessica hervor.
Frisch lachte kurz. „Nun mach einmal einen Punkt, Süße. Es hat keinen Zweck, dass du dich aufregst. Dein Brüderchen ist ziemlich in der Klemme. Vielleicht schaffst du es, ihn daraus zu befreien. Wir setzen auf deine Karte.“
„Ich verbiete Ihnen, mich zu duzen!“
Er grinste. „Ich könnte mich totlachen“, meinte er.
Wieder schien die eiskalte Hand nach Jessicas Herzen zu greifen. „Was ist mit Thomas?“
„Wir haben ihn augenblicklich auf der Sparflamme sitzen“, meinte Frisch. „Aber das wird sich bald ändern. Du musst ihm gut zureden. Du musst ihn veranlassen, für uns zu arbeiten.“
„Was soll ich? Ich sollte Thomas bitten, für euch... Wer sind Sie überhaupt?“
„Das tut nichts zur Sache.“
Sie fuhren weiter. Jessica überlegte fieberhaft. Sollte sie einfach mit dem Ellenbogen eine Scheibe einschlagen und laut um Hilfe rufen? Sie war sicher, dass das der beste Weg war, die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zu lenken. Frisch schien zu erraten, was sie dachte.
„Hör zu, meine Liebe“, meinte er. „Du bist dir anscheinend noch nicht über den Ernst der Lage klar. Du willst doch in vier Tagen heiraten, nicht wahr? Den Tag willst du doch in schöner Erinnerung behalten. Ich wette, dein süßer Robert nimmt dich nur dann, wenn an deiner Larve keine entscheidenden Änderungen vorgenommen werden.“
Jessica schluckte. „Was soll das heißen?“
„Ich bin im Allgemeinen ein ruhiger Bursche“, sagte er. »Ausgeglichen und verträglich. Mein einziger Fehler ist, dass ich leicht reizbar werde, wenn man mir Schwierigkeiten macht. Dann spiele ich verrückt. Ja, meine Liebe! Neulich hat das ein Mädchen zu spüren bekommen. Sie bildete sich ein, ihren Kopf durchsetzen zu können. Na, die hat mich kennengelernt! Jetzt ist sie gerade dabei, sich ein Gebiss verpassen zu lassen. Mit den Zähnen, die ihr verblieben sind, kann sie nämlich keinen Staat machen. Von dem, was ihrer Nase zugestoßen ist, wollen wir gar nicht erst reden. So ist das nun mal. Wenn meine Fäuste erst mal zu tanzen beginnen, ist es schwer, sie zur Ordnung zu rufen!“
„Sie sind eine Bestie!“
„Findest du? Da bin ich anderer Meinung. Ich lasse dir immerhin eine faire Warnung zukommen. Es geht nicht um dich, meine Dame. Dich betrachten wir bloß als Werkzeug, du musst bei der Arbeit helfen. In der Hauptsache kommt es uns auf dein Brüderchen an. Wenn du nicht willst, dass wir ihn auseinandernehmen, rate ich dir, schön brav zu sein.“
„Was wollen Sie von Thomas?“
Er zuckte die Schultern. „Ein bisschen Entgegenkommen, das ist alles. Er braucht's nicht mal umsonst zu machen.“
„Drücken Sie sich gefälligst klarer aus!“
Frisch grinste. „Du kannst ja mit dem Boss sprechen. Der unterhält sich gern mit hübschen Mädchen. Ich wette, du wirst ihm gefallen. Er hat ‘ne Schwäche für junge blonde Puppen, vor allem dann, wenn sie eine höhere Schule auch von innen gesehen haben und wissen, wie man mit Messer und Gabel umgeht. Mädels aus dem Proletariat liegen ihm nicht. Das ist Proletenfutter, sagt er immer. Ja, du wirst ihm gefallen, ganz bestimmt!“