Читать книгу Kein Platz für Konkurrenz: Kommissarin Bramberger ermittelt - Roland Heller - Страница 9
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Bramberger wartete auf Reinhard. Ihr kleiner roter BMW stand im Schatten. Sie hatte die Fenster heruntergekurbelt und den Polizeifunk eingestellt. Es kam nichts durch, was sie interessierte. Sie ließ die Fußgänger an sich vorbeischlendern und beobachtete sie, achtete auf das, was sie besonders zu interessieren schien. In der Nähe musste eine Schule oder eine Ausbildungsstätte für junge Damen sein, denn die flanierten massenhaft vorbei und trugen sehr zur Freude der zahlreichen Jungs bei, die offenbar genau wussten, wann sich ihren Augen ein reizender Anblick bot.
Endlich kam Reinhard und stieg ein. „Wartest du schon lange?“
„Zehn Minuten“, sagte Bramberger.
„Grüße von Ludendorfer. Er rät dir, eine ruhigere Gangart einzuschlagen. Im selben Atemzug fast hat er mir von einem Fall von Menschenraub erzählt. Eine alte Lady will gesehen haben, wie ihr Arzt entführt wurde. Ludendorfer meint allerdings, dass die Dame, eine gewisse Frau Lassnig, an fixen Ideen leidet und das Revier in sporadischen Abständen mit Anzeigen versorgt.“
Bramberger blickte Reinhard an. „Und?“
„Sehen wir uns die alte Dame mal an“, schlug er vor.
„Hast du die Details?“
„Ja.“
„Dann sollten wir auf den Besuch bei der alten Dame verzichten. Sehen wir uns lieber nach dem Opfer um. Wer ist es?“
„Dr. Thomas Wendtner, ein Facharzt für innere Krankheiten. Seine Privat-Praxis ist mitten im Zentrum.“
„Hm“, machte die Kommissarin und stellte den Polizeifunk ab. Sie startete das Fahrzeug. „Beste Gegend. Nicht gerade billig. Sieht ganz so aus, als ob es sich bei Thomas Wendtner nicht gerade um eine Neuauflage des barmherzigen Samariters handelt.“
Sie fuhren los. „Bestimmt nicht“, lachte Reinhard. „Ich vermute, dass er einer von den geschniegelten Modeärzten ist, die so aussehen, als versuchten sie, George Clooney Konkurrenz zu machen. Sie verrechnen für jeden Krankenbesuch hundert Euro und kurieren hauptsächlich hysterische Tanten. Der Anblick solcher Ärzte wirkt auf die Patientinnen im Allgemeinen belebender als die beste Arznei.“
„Das ist ein reizender Verriss“, bemerkte Bramberger, »aber Hauptsache, es wirkt. Wir werden sehen, ob das auf Thomas Wendtner zutrifft.“
„Sehen wir ihn uns an.“
„Falls er von seinen Entführern inzwischen entlassen worden ist“, vermutete Bramberger. „Kann ja sein, dass tatsächlich was `dran ist.“
„Es war übrigens nur ein Entführer“, sagte Reinhard.
„Hast du die Beschreibung?“
„Damit ist nicht viel anzufangen. Er war groß und trug ein gelbes Sakko.“
„Wann ist es passiert?“
„Zwölf Uhr zehn“, sagte Reinhard.
Das Haus, in dem der Arzt seine Praxis hatte, war ein hoher, ultramoderner Bau, dessen Fassade bis zur vierten Etage mit Marmorplatten verkleidet war. Bramberger parkte ihren BMW in der Tiefgarage, in der der Arzt einige Stellplätze reserviert hatte, anschließend fuhren sie mit dem Lift in die dritte Etage. Ein junges, adrett aussehendes Mädchen ließ sie ein.
„Heute ist keine Sprechstunde“, informierte sie die beiden. „Wenn Sie einen Termin wünschen, müssen Sie mit Frau Haller sprechen. Frau Haller macht jetzt allerdings Mittagspause. Können Sie in einer halben Stunde nochmals vorbeikommen?“
„Und dann kommt Dr. Wendtner?“
„Üblicherweise ja. Früher oder später. Kommt darauf an, wie sich die Hausbesuche ziehen.“
„Und Sie können uns nicht weiterhelfen?“
„Ich fürchte: Nein. Ich bin hier erst einmal zum Schnuppern, bevor ich im Herbst hoffentlich als Lehrling anfangen kann.“
„Wir warten“, entschied Reinhard.
„Bitte“, sagte das Mädchen und führte sie in das Wartezimmer, in dem sie hinter einem mächtigen Schreibtisch thronte. Frau Haller teilte sich diesen mächtigen Schreibtisch offensichtlich mit ihr, denn es stand noch ein zweiter Drehsessel dort.
Die beiden Kriminalbeamten schauten sich um. Die Ausstattung der Praxisräume entsprach genau den Vorstellungen, die Reinhard von einem Modearzt entwickelt hatte. Die betonte Eleganz der Inneneinrichtung zeugte von Geschmack und materieller Freiheit.
Frau Haller, die Sekretärin, stellte ihre Umgebung jedoch weit in den Schatten. Sie kam nach zehn Minuten.
Sie war groß und schlank. Ihr kupferrotes Haar kontrastierte vorteilhaft mit dem makellosen Weiß des Berufskittels. Die kühle Schönheit des Gesichtes wurde von den großen, grünlich schimmernden Augen beherrscht. Frau Haller empfing sie mit leicht arrogant wirkender Herablassung. An dieser Haltung änderte sich auch nichts, als sie den Grund unseres Besuches erfuhr.
„Ein Beamter von ihnen hat bereits in dieser Angelegenheit Erkundigungen eingezogen“, sagte sie und musterte die beiden eingehend. „Ich bin sicher, dass es sich bei der Anzeige um ein Versehen handelt.“
„War jemand persönlich hier?“, wunderte sich Reinhard.
Ein Kopfschütteln gab ihm die Antwort.
„Weshalb sollte es ein Versehen sein? Was macht Sie so sicher?“, fragte Reinhard freundlich.
Frau Haller gestattete sich ein flüchtiges Lächeln. „Dr. Wendtner ist Arzt“, sagte sie. „Er trägt aus Prinzip niemals größere Bargeldbeträge bei sich und hat keine Feinde. Ich sehe keinen Grund, weshalb man ihn überfallen und entführen sollte. Wahrscheinlich war es ein Scherz.“
„Ein Scherz?“, echote Reinhard.
„Nun ja — das gibt es doch!“, meinte sie. „Ein Freund tritt von hinten an ihn heran, stößt ihm den Finger in den Rücken und sagt: ,Drehen Sie sich nicht um, mein Lieber! Gehen Sie zu Ihrem Wagen und steigen Sie ein, ohne Krach zu machen. Hiermit werden Sie dazu verdonnert, mich zum Mittagessen einzuladen!“
„Die alte Dame will eine Pistole gesehen haben“, sagte Reinhard.
Frau Haller holte eine kleine Plastikbox aus ihrer Handtasche und steckte sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund, dann atmete sie einmal tief ein und stieß die Luft mit einem wohligen Geräusch wieder aus, ehe sie sagte: „Ich kenne Frau Lassnig. Sie trägt eine Brille. Eine ziemlich starke Brille. Ich halte es für ausgeschlossen, dass sie über eine größere Entfernung hinweg genau auszumachen vermag, was der Unbekannte in der Hand hatte.“
„Der Doktor fährt einen Bentley?“, fragte Reinhard.
„Ja“, sagte Frau Haller. Sie wusste sogar die Nummer und verriet sie ihnen. Reinhard notierte sich die Nummer.
„Wo wohnt Dr. Wendtner?“, wollte Reinhard wissen.
„Eine Etage höher“, informierte Frau Haller die beiden Polizisten. „Das Apartment ist durch eine Treppe mit der Praxis verbunden.“
„Haben Sie eine Liste der Leute, die der Arzt besuchen wollte?“, fragte Reinhard.
„Ja. Ich weiß aber nicht, ob ich die ihnen so einfach geben kann.“
„Es genügt, wenn Sie uns sagen, wen er nach Frau Lassnig aufsuchen wollte.“
„Moment, bitte.“ Sie ging hinaus und kam eine halbe Minute später mit einem Zettel zurück. „Da sind nur noch zwei Leute, die er besuchen wollte“, sagte sie. „Name und Adressen sind hier vermerkt.“
Reinhard warf einen Blick darauf, dann merkte er an: „Der Doktor betreut vornehmlich weibliche Patienten, wie es aussieht?“, Fragend blickte Reinhard mit einer Stimme, die um einige Nuancen zu süß ausfiel, auf Frau Haller.
Frau Haller schenkte Reinhard einen strafenden Blick. „Er bevorzugt niemanden“, sagte sie, „aber es trifft zu, dass viele Damen zu seinen Patienten zählen. Immerhin gibt es wenige Männer, die unter typischen Frauenkrankheiten leiden“, schloss sie mit einem ärgerlichen Ton in ihrer ansonsten lieblich klingenden Stimme.
„Rufen Sie die beiden bitte an und erkundigen Sie sich, ob der Arzt schon bei ihnen war“, mischte sich Bramberger ein, bevor Frau Haller und Reinhard die Situation noch mehr verkorksten.
Frau Haller griff nach dem Telefon. Sie hörten, wie sie telefonierte. Drei Minuten später sah sie die Kommissarin wieder an. Bramberger bemerkte, dass sich in ihren grünen, langbewimperten Augen eine leichte Verwirrung abzeichnete. „Bis jetzt ist er bei keiner der beiden eingetroffen.“
„Vielleicht speist er erst mal“, vermutete Reinhard.
„Er isst nie vor drei Uhr“, erklärte Frau Haller. „Außerdem gehört es zu seinen Eigenarten, erst die Patientenbesuche zu erledigen.“
Reinhard und Bramberger sahen sich an. Frau Haller knetete plötzlich die gepflegten schlanken Hände. „Ich fange jetzt auch an, mir Sorgen zu machen“, gab sie zu.
„Rufen sie ihn doch persönlich an. Als Arzt sollte er ja ständig erreich sein.“
„Das ist es ja eben. Ich habe es über sein Handy versucht, aber das läutet nur bis zur Mailbox ...“