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I.

Reise nach Persien, 1972

Ich bin viel in der Welt herumgekommen: Lateinamerika, Nordafrika, arabische Halbinsel, vorderasiatische Staaten und Asien. Wo immer du länger verweilst, begegnest du dem Geschäft mit Angst und Tod, dem Leben nach dem Tod und dem Wunsch, den Tod zu besiegen. Es geht immer um das Überleben. Es geht darum, wie man lebt.

Liebe Brüder und Schwestern, ich sage euch: Der beste Platz für unser Leben ist trotz allem hier auf der Erde. Alle anderen Plätze mit dem Ziel erfüllten Lebens sind Scheinorte. Andere Lebensorte und Lebensformen sind Ausflüchte.

So stand es am Eingangstor einer katholischen Kirche auf der Insel Shangchuan-Dao, nahe Kanton (China) geschrieben. Diese Aussage soll von Sima-Qian, dem Hofschreiber der Han-Dynastie (206 vor neuer Zeitrechnung bis 220 neuer Zeitrechnung) stammen. Die Han-Dynastie war eine Phase wirtschaftlicher und kultureller Blüte in China. Auf der chinesischen Insel Shangchuan-Dao, im südchinesischen Meer, soll der spanische Missionar der katholischen Kirche, Francisco de Gassu y Javier (der heilige Franz Xaver) 1552 gewirkt haben und verstorben sein.


Original-Text

Aufenthalte in Persien: 1972, während der 2560-Jahrfeier zur Würdigung des persischen Kaiserreiches hielt ich mich aus beruflichen Gründen in Persien auf. Von Diktator und Schah Resa Pahlewi war ich zur Staats-Feier nicht eingeladen. Bundespräsident Heinemann hingegen schon.

Heinemann nahm nach deutlichen Protesten der Linken in Deutschland und wegen einer Augenerkrankung die für ihn peinliche Einladung nicht an.

Meine Reiseziele waren die Regionen, in denen Kurden leben, die Provinzen Chorasan, Yazd und Sistan, welche an der Grenze zu Turkmenistan und Afghanistan liegen. Mein Begleiter Schürer, Bildjournalist, hatte sich auf dem Landweg für eine Fotoreportage über das Leben der Kurden im Randgebirge des Abborz spezialisiert.

Das Abborz-Gebirge trennt Wüste und Kaspisches Meer. Es ist ein Hochgebirge im nördlichen Iran, zwischen Kaspischem Meer und Persischem Hochland. Die Gipfel ragen bis 5671 m. ü. M.

Auf der Gasse des Vertragens: Unser erstes Reiseziel war Yazd, eine alte, historisch bedeutsame Stadt in einer Oase, am Rand der großen Salzwüste Dascht-E-Kawir, im iranischen Hochland gelegen. Ein in Yazd beheimateter, ehemaliger Studienkamerad, Adalhard Afirad, erwartete uns dort. Er brachte uns zur `Gasse des Vertragens`. Er führte uns zu einer berühmten, schmalen Gasse in der Altstadt, die daran erinnern soll, dass alle Menschen, unabhängig von Stand und Ansehen, von Weltanschauung, Religion und Rasse, sich vertragen sollen. An einer Hauswand in der `Gasse des Vertragens` stand in persischer Sprache geschrieben: Muslime ihr und Christen, schickt eure Brüder und Schwestern, schickt alle, die gläubig sind, in die enge `Gasse des Vertragens`. Diese, Brüder und Schwestern, führt die Menschen von überall her auf die `Gasse des Erwachens`.

Gasse des Erwachens: In China, Indien, Japan, Persien: Ein schöpferisches, Fantasie geleitetes, erleuchtetes, tolerantes, gemeinschaftliches Leben im Einfluss der Erkenntnis und zur Bereicherung unterschiedlicher Kulturen. Bei aller Verschiedenheit sollen die Menschen lernen, sich zu respektieren und friedlich zusammen zu leben.


Original-Text

Einödhof des Nîzamî: Das sei am Rande erwähnt, da meine hauptsächlichen Reiseziele Süd-Chorasan, das Land der aufgehenden Sonne, an der Grenze zu Afghanistan und dort der Einödhof des Kurden Nîzamî waren.

Er ist Gläubiger der zoroastrischen Religion: Zoroastrismus entspricht einer altpersischen, monotheistische Religion, deren Gläubige wegen ihrer Heiligen Schrift, `Avesta` genannt, von Andersdenkenden deutlich in Lebensweise eingeschränkt und diskriminiert werden.

Fruchtbringender Anaab: Auf einer Reise durch die Trockenwüsten im Hochland begegnet man oft den guten Mächten des Sonnenaufgangs und des Sonnenuntergangs, den bösen des sengenden Lichtes am Tag und der Trockenheit, dem Mangel an Wasser, an Wind und frischer Luft. Nach Tagen der Entbehrungen trafen Schürer und ich schließlich in Nîzamîs großem Anwesen Fruchtbringender Anaab ein.

„Im Namen des Ahura Mazda, im Namen Gottes, seid gegrüßt!“ So empfing uns Nîzamî, samt dem Clan, der Ehegattin, den Kindern, Großeltern, Urgroßeltern, Schwägern und Schwägerinnen usw. „An Gott zu glauben, schadet niemandem!“, gab ich zur Antwort. „Wie wahr!“, bestätigte Nîzamî.

An Gott zu glauben schadet niemandem? Später einmal, im Zusammenhang mit Religionen, die nicht seine waren, soll Nîzamî zu Schürer gesagt haben: „An Gott zu glauben, schadet niemandem! Gott zu instrumentalisieren, um Macht über Menschen ausüben zu können, um Menschen an die Kandare nehmen zu können, um Menschen unmündig zu halten und sie in jedweder Art und Weise auszubeuten, ist das Allerschlimmste, was Menschen passieren kann.“ „Wie wahr!“ So würde ich ihm geantwortet haben.

Instrumentalisieren: Zurechtbiegen missbrauchen, Gott für unlautere Zwecke benutzen.

Wie mir Nîzamî unter einem Anaab die Gottfindung erklärte. Nîzamî: „Ich möchte behaupten, alles, was der Mensch sich vorstellen kann, gibt es, oder wird es irgendwann einmal geben. Dabei spielt ohne Zweifel die Zeitfrage eine Rolle. Dafür steht mein Fundus an Wissen und Erfahrung von der Welt. Dafür stehen meine Funktionen und die Verantwortung als biologischer, sozialer und rechtlicher Vater - und dafür steht mein Amt als Anführer meines Clans. Dafür stehen mein Volk und die Stammesgesellschaft.

Oberhäupter: Jede Familie hat ein Oberhaupt, das die Geschicke der ihm Anvertrauten leitet und die Verantwortung trägt: Es bedarf einer Struktur, eines Aufbaues und Gefüges für das Zusammenleben. Um eine Struktur zu erstellen, braucht man irgendetwas, um überhaupt irgendetwas erstellen zu können.

Schau hier: Ich nehme drei unbeschriebene Blätter und lege diese aufeinander. Das nenne ich inhaltsleere Struktur.

Die 3 gilt in dieser Region als gute Zahl. Aller guten Dinge sind 3.

3 Menschen sind die kleinste Gruppe, in der bei Abstimmungen eine absolute Mehrheit entstehen kann. Lebenszyklus 3: Kindheit, Erwachsenenalter, Alter. In vielen Religionen ist die 3 eine heilige Zahl.

Jetzt nehme ich drei weitere Blätter. Diesen gebe ich einen Namen, `Ahura Mazda`. Immer noch habe ich eine inhaltsleere Struktur, weil die Worte `Ahura Mazda` ohne Funktion gesetzt sind und durch andere ersetzt werden können. Um einer Struktur einen Inhalt zu vermitteln, gebe ich `Ahura Mazda` eine Funktion.

Vergleichbare Überlegungen und Kritik in der westlichen Welt: Ein Gott, eine Göttin, eine Gottheit ist innerhalb verschiedener Mythologien, Religionen und Glaubensüberzeugungen – sowie in der Metaphysik – nur dann ein übernatürliches Wesen oder eine höhere Macht, wenn ich in ihm/ihr Aufgaben und Funktionen erkennen kann.

Deshalb soll auf weiteren 3 Blättern, die ich hier anhäufe, geschrieben stehen: Gott liebt diejenigen, die gute Menschen sind.

Vergleichbare Überlegungen und Kritik in der westlichen Welt? Literatur: Michael Schmidt-Salomon (geb. 1967), Philosoph, Schriftsteller, offizieller Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung: Er glaubt, den freien Willen und das religiös Verankerte in Gut und Böse entlarvt zu haben (Michael Schmidt-Salomon: Jenseits von Gut und Böse? Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind).

Mein Fundus an Wissen und Erfahrung sagt mir jetzt: Die Welt ist voller Gefahren. Es geht um Frieden und friedliches Zusammenleben. Und es geht darum, das Leben in der Balance zu halten. Deshalb soll auf drei weiteren Blättern, die ich hier anhäufe, geschrieben stehen: Gott bestraft diejenigen Menschen, die böse sind! Viele Menschen leben nur selten oder gar nicht im Zustand materieller Fülle und mitmenschlicher Geborgenheit; schon eher im Zustand fortdauernder Entbehrungen. Wir hier leben in der Nähe anderer Völker, die ähnliches erleben. Es kommt zu Streitereien wegen Hungers und Durstes, wegen Hilfeleistung und Verweigerung von Hilfe, wegen unterschiedlicher Meinungen, wegen eines zu schützenden Gutes, wegen Neid, Missgunst, Angst, Erregung und Zorn, wegen Diebstahl, wegen Raubes, Mordes.

Deshalb greifen Menschen nach Gott. Deshalb greifen Menschen nach dem Himmel als Hort des Friedens. Deshalb lassen sich Menschen von der Hand eines Gottes führen. Deshalb ist Gott für viele Menschen zum Greifen nahe?

Zu aller Menschen Nutzen werde ich verkünden: Als Gutdenkender habe ich das Recht und die Macht, zu glauben, dass es einen Gott gibt, der die Guten liebt und die Bösen bestraft. Habe ich auch die Macht, bei den Mitmenschen durchsetzen zu können, was ich glaube? Man wird mich auffordern: `Beweise, dass es Gott gibt!`

Vergleichbare Überlegungen und Kritik in der westlichen Welt: Der Gutdenkende, so sagt man, sei in die Prinzipien von Licht und Finsternis, Gut und Böse, eingebunden. Die Überlegungen Zarathustras haben in allen Kulturen Spuren hinterlassen, auch in der christlichen Kultur. Die Überlieferung aus der Zarathustra-Religion geht davon aus, dass, verborgen hinter dem sichtbaren Kosmos, zwei Prinzipien einen Kampf um die Welt und insbesondere um die Menschen austragen. Die Sphären von Licht und Finsternis stellen den Ur-Gegensatz allen Geschehens dar. Licht und Finsternis durchziehen die gesamte Weltentwicklung.

So heißt es in einem iranischen Lied: Die beiden Geister im Urbeginn, die sich im Einweihungsschlaf als Zwillinge offenbaren, sind in Gedanken, Wort und Tat der Bessere (Gute) und der Schlechtere (Böse). Zwischen diesen beiden haben die Wahrsehenden richtig entschieden, die Trugsehenden nicht. Und als diese zwei Geister aufeinandertrafen, erschufen sie im Urbeginn Leben und Tod.

Vergleichbare Überlegungen in der westlichen Welt: Gottesbeweise. Gott zu beweisen geht nur, wenn ich an ihn glaube. Mit Hilfe der Vernunft kann Gott nicht bewiesen werden. Hier ist die Geburtsstunde der Philosophie. So scheint mir. Also ist Philosophie ein wesentlicher Bestandteil der Strukturen des menschlichen Zusammenlebens und des Gottesglaubens. Ich, der Mensch, habe eine Struktur geschaffen. Ich werde in Folge verkünden, dass es einen Gott gibt, der die Guten liebt und die Bösen bestraft. Man wird mich anhören, weil jeder Mensch eine Ansammlung von Hintergrundwissen und einen Erfahrungsstock (Fundus) mit sich trägt. Man wird mich verstehen. Ich werde gut denken, gut reden und gut handeln müssen, um zu überzeugen, denn ich werde von den Mitmenschen mit den Augen des Verstandes wahrgenommen.

Jetzt wirst du mich fragen: Gibt es zu Gott keine Alternativen und zu unserer Welt keine Parallel-Welten? Gibt es keine Handlungsalternativen?

In der westlichen Philosophie versteht man unter Parallel-Welten z. B. Parallel-Universum, hypothetische Welten, die außerhalb unserer Vorstellungskraft existieren.

Ich antworte: Wer denkt, der sucht und findet Alternativen. Innerhalb und außerhalb einer Struktur entwickeln und finden sich Alternativen. Eine unserer Strukturformeln: Wir sind denkende Menschen. Wir alle streben nach Weisheit. Die Bildung stabiler sozialer Bindungen ist einer der wichtigsten Bestandteile menschlicher Beziehungen, des friedlichen Zusammenlebens und des Strebens nach Weisheit. Sie beginnt direkt nach der Geburt.

Ich stelle mir immer wieder die Frage: Wer kann sicher sein, dass es einen Gott gibt? Der Wunsch nach Wahrheitsliebe, nach Gerechtigkeit? Sind diese Wünsche nicht auch eine Strukturformel? Es gilt, im Licht des Fleißes, in guter Gesinnung und Wahrheitsliebe Tapferkeit zu fordern.

Verkündigung: Um uns zu schützen, haben wir unsere Gewehre und Hunde. In einer Struktur entwickelt sich zum zusätzlichen Schutz des Menschen ein `Volumen`.

Ein Volumen ist eine physikalische Größe, ist Rauminhalt: In der Physik bezeichnet man mit Volumen die Ausdehnung (Platzbedarf) eines Stoffes. Volumen schafft Dimensionen und Größensysteme.

Woher sollen andere Menschen wissen, was wir wissen und woran wir uns zu halten haben? Verkündigung ist ´Mit Absicht kund tun´ eines jedermann betreffenden Sachverhaltes. Verkündigung findet vor allem in Religionen Anwendung und ist dort gleichbedeutend mit Predigt, dem Predigen vom Wort Gottes. Also muss ich anderen Menschen verkündigen, was unsere Struktur ausmacht, denn überall gibt es nach eigener Erfahrung Gute und Böse, das Gute und das Böse. Ich beanspruche für mich allerdings nicht, wegen GUT und BÖSE mit Gott, dem Schöpfer persönlich in Kontakt treten zu wollen. Meinen Glauben kann man in die Reihe vorisraelitischer Väter-Religionen, in die der Abraham-Religionen, in die Reihe des jüdischen Monotheismus einordnen; nicht in das Christentum und nicht in den Islam. Zarathustra, mein Religionsgründer, hat stets nur von seinen eigenen Gedanken und Überlegungen gesprochen. Er scheint nur auf diesem Weg zu einer Gottfindung gestoßen zu sein.

Bei meinen Reisen spielte Philomena am Piano

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