Читать книгу Wer weint schon um Höllenhunde? - Roman Kedor - Страница 8

Der Toyota-Krieg

Оглавление

Frank Neumann war ein Kind der DDR. Er hatte einen Bilderbuchwerdegang hingelegt. Beide Eltern waren Mitglied der SED und absolut vom Sozialismus überzeugt. Der kleine Frank war also von der Krippe an zu dem erzogen worden, was er nun war. Mit Einschulung kam er zu den Jungpionieren, ab der 4. Klasse dann zu den Thälmannpionieren. Seine schulischen Leistungen waren hervorragend, und von Haus aus hatte er eine zweifelsfreie Gesinnung. Sportlich gehörte er ins Spitzenfeld und war auch von seinen Mitschülern anerkannt. Er war Gruppenratsvorsitzender (Klassensprecher) und arbeitete mit dem Gruppenpionierleiter (Vertrauenslehrer) zusammen. Er wurde sogar Freundschaftsratsvorsitzender. Seine Ferien durfte er auf Grund seiner guten Leistungen im Vorzeige-Pionierlager Werbellinsee, von Wilhelm Pieck persönlich am 16. Juli 1952 eröffnet, verbringen. Dort traf man Schüler und Pioniere aus anderen Staaten. Sprachen lagen ihm, er hatte ein musikalisches Gehöhr, aber vor allem ein Adlerauge. In der FDJ (Freie Deutsche Jugend) tat er sich beim Kleinkaliberschießen hervor. Die FDJ wurde 1951 in der BRD verboten. Von seinem Vater Oskar kannte er die Geschichte des Philipp Müller. Dieser wurde bei einer verbotenen Demonstration in Essen von einem Polizisten erschossen. Der damalige Vorsitzende der FDJ in Westdeutschland wurde wegen angeblichem Hochverrat zu fünf Jahren Zuchthaus verurteil. Das Strafverfahren gegen den Beamten wurde aber eingestellt, dieser Todesschütze freigesprochen. Soviel zu unserem Rechtsstaat, von dem Frank absolut nicht viel hielt. Mit 16 Jahren trat er der GST (Gesellschaft für Sport und Technik) bei. Das war eine paramilitärische Vorbereitung für die NVA (Nationale Volks-Armee). Nach mit Auszeichnung bestandenem Abitur ging er nach Kamenz an die OHS der LSK/LV Franz Mehring (Offiziershochschule der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung). Als Hochschulingenieur im Range eines Leutnants verließ er diese nach vier Jahren. Wer solange ausgebildet und gedrillt wurde, den juckt es auch, das angestaute Wissen und Können umzusetzen. Insofern war es nur natürlich, dass Frank N. zu den etwa 3000 NVA-Soldaten im Ausland und im Einsatz zählte. Nach der Sowjetunion und Kuba war die DDR an dritter Position mit Militärberatern, Experten und Ausbildern in sozialistischen Bruderländern vertreten. Die FSLN (Frente Sandinista de Liberacion Nacional) in Nicaragua wurde genauso unterstützt, wie etliche afrikanischen Staaten wie z. B. Nigeria, Angola, Südjemen, Kongo, Äthiopien und natürlich Libyen. Tja, Erich der Wüstenfuchs und sein Afrikakorps. Es ging um Unterstützung, Waffenlieferungen, Ausbildung und solche Sachen. Was man nicht alles so für den Weltfrieden halt tut. Eigentlich ging es um ein sozialistisches Europa. Und seit der Wiederbewaffnung Westdeutschlands befand man sich nun auf dem sogenannten weiten Weg über Asien und Afrika.

Und gerade in Afrika bekam man gerade Sand ins Getriebe. Genau gesagt im Norden des Tschad. Und der größte Feind war eigentlich der eigene Verbündete. Der unberechenbare Gaddafi. Erst war alles so gut angelaufen. Doch dann kehrten die Kämpfer der GUNT unter Oueddeye den Libyern den Rücken, und liefen massenweise zur Gegenseite über. Schuld war die Borniertheit des guten Muammars. Der wollte die Arabisierung, seine Leute nahmen sich Frauen aus dem Tschad. Andersrum gab es das aber nicht. Zum Kämpfen waren die Afrikaner gut genug, aber ansonsten zog er die Fanatiker seiner islamischen Legion vor. Nach großen Gebietsgewinnen, so der Einnahme der wichtigen Oase Faya-Largeau, ging es hin und her. In letzter Zeit nur noch her. Es gab Tage, da war der Wüstensand mit Blut getränkt. Die vereinigten Kräfte des Tschad wurden immer stärker. Waren besser ausgebildet, motivierter und hatten

mit diesen verdammten Toyota-Jeeps wüstentaugliche Fahrzeuge. Waren damit ungeheuer beweglich geworden. Außerdem waren die mit diesen gottverfluchten Milan Raketen ausgerüstet. Auch hatten die einen fähigen Kommandeur, Hassan Djamous. Der hatte bereits in einer Art Blitzkrieg durch schnelle Zangenbewegungen und Angriff von allen Seiten die libysche Kommunikationsbasis in Fada und den Stützpunkt Bir Kora zurückerobert. Hissen Habre ließ seine Streitmacht sogar in Libyen den Luftwaffenstützpunkt

Maaten al-Sarra zerstören. Gaddafi hatte wohl zu wild um sich geschlagen, er hatte im Tibesti gegen die ihm abtrünnige GUNT Napalm und chemische Kampfstoffe eingesetzt. Diese kamen wohl aus einer angeblichen Düngemittelfabrik bei Rabita, Made in BRD. Aber auch Italien war nicht ganz unschuldig, die hatten ihm Kampfflugzeuge der Firma Savoia Marchetti geliefert, welche sich sehr gut zum Abwurf von Aerosol-“Produkten“ eigneten.

Dazu kam, dass Frankreich sich weigerte, mit seinen Jaguars den Tschadern Luftunterstützung zu gewähren. Es ist nun mal so auf dieser Welt, erst kommt das Öl, und dann kommt die Moral. Und solange der Westen von Libyen Öl bekam, wurde zwar zurückgeschlagen, aber auch nicht so, dass es wirklich ans Eingemachte ging. Man war schließlich auch Geschäftspartner und nicht nur Kriegsgegner. Erzähl das mal einem Soldaten an der Front.

Trotzdem stießen die tschadischen Truppen vor. Die libyschen Garnisonen wurden zu verwundbaren Inseln in der sandigen Wüste. Einer der am stärksten befestigten war der Flugplatz von Ouadi Doum. Dort waren etwa 8000 Soldaten von Gaddafis islamischer Legion stationiert. Alle paar Meter war ein Panzerfahrzeug im Sand verschanzt. Rundherum waren Minenstreifen angelegt.

Der ganze Stützpunkt war von DDR-Pionieren geplant und größtenteils gebaut worden. An Material war fast das ganze Arsenal der Roten Armee vertreten. T62, BRDM, BMP, BTR60 PB, Stalinorgel auf Tatra T 148 LKW usw. Einiges an Fluggerät wie die Tupolew TU22-M und der gepanzerte Helicopter Mil-MI24.

Frank befand sich mit einigen anderen Beratern genau dort im März 1987. Hitze, Eintönigkeit und der Mangel an wichtigen Versorgungsgütern sorgten für schlechte Stimmung. So konnten die Latrinen nicht desinfiziert werden. Den Arabern war das eh egal. Die legten ihre “personell stinking mines“ auf einem Feld vor dem eigentlichen Minenfeld. Wer da rein musste, befand sich im wahrsten Sinne des Wortes in der Scheiße. Richtige Soldaten nehmen zumindest den Klappspaten mit, und verbuddeln ihre Notdurft. Aber hier lag eine “Landmine“ neben der anderen.

Kleinere Feindbewegungen waren gemeldet worden. Aber hinter den Sandsäcken und den vielen Panzern und Panzerfahrzeugen fühlte man sich sicher. Und man(n) war schließlich die Arabische Legion. Rein und raus ging nur über einige wenige kontrollierte Zufahrten. Stellenweise war sogar der weiche Wüstensand für die Toyota-Pick-ups nicht zu schaffen.

Und doch brach die Hölle auf. Eine Nachschubkolonne war in einen Hinterhalt geraten. Die Entsatzkolonne geriet ebenfalls in Gefechte, die Lage war absolut unübersichtlich. Funk war abgebrochen, Hubschrauber konnten wegen starkem Wind mit hohem Sand-Staubgehalt nicht starten. Schüsse, Explosionen und Motorengeräusche war der einzige Kontakt. Dann kam die Hilfstruppe zurück gebraust, alles eine einzige Staubfahne. Die eigenen Truppen wurden von FANT verfolgt, feuerten aufeinander ohne viel zu treffen. Ist auch normal, treffen kann nur, wer festen, sicheren Stand hat. Die ersten Fahrzeuge erreichten den Stützpunkt, die Männer dreckig, staubig, sandgepudert mit den Schutzbrillen und den Chech`s (Staubtüchern) erwiesen sich aber als der Feind, die sofort die Sicherheitsleute ausschalteten. Die angeblichen Verfolger mit ihren Toyota-Jeeps sausten direkt in rasender Fahrt weiter auf sensible Ziele zu. Von entfernten Sanddünen wurden Panzerabwehrlenkwaffen Typ Milan abgefeuert.

MILAN, eigentlich MILAC (Missile legere anti Char) ist eine Deutsch-Französische Gemeinschaftsproduktion. Auf einem Dreibein sitzt die Abschussvorrichtung für die ferngelenkten Raketen. Der Schütze zielt mit einem Okular auf ein Objekt und löst aus. Solange er sein Ziel im Auge behält, folgt die Missile dem Fahrzeug selbst in Bewegung über einen dünnen Draht gesteuert. 1900 Meter Reichweite in 12 Sekunden, mit einer Hohlladung von 1,4 Kg Hexolit zerstören sie jede Panzerung. Panzer, Stellungen und Gebäude flogen in die Luft. Durch die Breche in der Verteidigungslinie drangen immer mehr tschadische Soldaten ein. Aber nicht nur da. Die ritten auf Dromedaren im Schweinsgalopp durch die Minenfelder und griffen von allen Seiten an. Diese hatten sie in einer Nacht- und Nebelaktion auf Lastwagen herangekarrt. Es entstand das, was man allgemein als Zustand bezeichnet, nämlich Chaos. Eine geordnete Verteidigung war unmöglich zu organisieren. Das Überraschungsmoment war auf Seiten des Gegners. Eigene Truppenteile flohen bereits, wurden teilweise von den eigenen Minen zerfetzt.

Für die Berater gab es Order, in so einem Fall zu verschwinden. Dafür waren in erster Linie die Hubschrauber mal gedacht, zwar nicht offiziell, aber so ist das nun mal. Funkcodes mussten zerstört werden, und dann ab durch die Mitte. Für die Strecke zum Startplatz hatte er eine 125er Geländemaschine. Aus den Augenwinkeln sah er einen Pick-up anbrausen. Eine MG-Salve schlug neben ihm ein, eine Kugel traf das Motorrad. Er flog in hohem Bogen durch die Luft, überschlug sich. Reflexartig sprang er auf, griff nach seiner Dienstpistole und sah in die Mündung einer FAMAS. Fusil d`assault Manufacture St. Etienne, Sturmgewehr aus der Fabrik in St. Etienne, Kaliber 5,56, 30 Schuss im Magazin, treffgenau auf bis zu 400 Meter. Mündungsgeschwindigkeit 900 Meter/Sekunde.

Diese Kugeln zerfetzen den Körper regelrecht. Absolut tödlich. Frank sah in stahlblauen Augen in einem wettergegerbten, sonnenverbrannten Gesicht, das mit Tarnfarbe, Staub und Schweiß verschmiert war. „Scheiße, das war`s dann wohl!“ Hier und jetzt endete seine Bilderbuchkarriere in der DDR. So zum Schluss nach etlichen Einsätzen hatte er eh nicht mehr so recht an die tollen Ideale der FDJ geglaubt. Die großen Ideale der Freiheit, des Humanismus, einer kämpferischen Demokratie, des Völkerfriedens und der Völkerfreundschaft, hören sich jedenfalls wie geistiger Dünnschiss eines hirnamputierten, realitätsfernen Dummschwätzers an, wenn man im Schützengraben liegt.

Wer weint schon um Höllenhunde?

Подняться наверх