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Hitlers Großmutter

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Maria Anna, Adolf Hitlers Großmutter, geboren 1796 in Strones, stammte aus einer Bauernfamilie, deren Hof mit 19 Joch (10 ha) Grundbesitz in dieser kargen Gegend eher der kleinbäuerlichen Unterschicht, aber sicherlich nicht einer bäuerlichen Oberschicht zuzuordnen war. Über die Lebensverhältnisse im Waldviertel und über den Lebensstandard der Schicklgrubers lässt sich kein genaues Urteil fällen. Im späten 18. Jahrhundert hatte die Protoindustrialisierung den unterbäuerlichen und kleinbäuerlichen Familien mit Handspinnerei und Handweberei einen bescheidenen Wohlstand bringen können. Aber die Napoleonischen Kriege und die nachfolgende schwere Klima- und Hungerkrise hatten das weitgehend zunichte gemacht. Witterungsmäßig waren die Jahre 1816/17, als Johann Schicklgruber, Maria Annas Vater, den Hof an die nächste Generation übergab, die kältesten des ohnehin kalten 19. Jahrhunderts: 1816 war das Jahr ohne Sommer, mit schweren Missernten, Hungersnöten und einer galoppierenden Inflation.

Den elterlichen Hof Maria Annas hatte im Jahr 1817 ihr Bruder Josef übernommen, mitten im schlechtesten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Der Vater erhielt ein Ausgedinge in einem kleinen Haus (Strones 22) mit recht detaillierten Naturalansprüchen, deren Geldwerte sich angesichts der 1817 herrschenden Teuerung unverhältnismäßig hoch ausnahmen und die in Naturalien zugeteilt in dieser Hunger-und Inflationszeit Goldes wert waren. Maria Anna zog zu ihrem seit 1821 verwitweten Vater: Das war ein zwar sicheres, aber doch recht freudloses Dasein: ihm den Haushalt führen, kochen, waschen, spinnen, weben, taglöhnern, ohne Möglichkeit, dem zu entkommen oder gar in die große Stadt zu gehen. Vielleicht ein bisschen tanzen, sich verlieben, träumen. Aber die industrielle Fabrikware drückte die Erlöse aus der Heimarbeit immer mehr. Dass sie den Vater jemals verlassen hätte, um nach Wien oder gar Graz in ein Dienstverhältnis zu gehen, und gar zu einer jüdischen Familie, von denen es damals in Österreich nur sehr wenige gab, ist ganz unwahrscheinlich.

Der Wohlstand, den die Historikerin Maria Sigmund aus einigen inflationär überhöhten Einkommens- und Vermögensangaben aus der napoleonischen Zeit und aus einigen bemalten Möbelstücken und Gegenständen aus dem angeblichen Besitz von Maria Anna Schicklgruber – ein bemalter Schrank, ein Butterfass, ein Spinnrocken, Feuerböcke, mehrere Rechen und ein Ochsenjoch – im Horner Höbarth-Museum herauslesen wollte, ist ohnehin ein Betrug, dem die Sammler der NS-Zeit, die im »Ahnengau« des »Führers« eine Gedenkstätte mit Hitler-Reliquien aufbauen wollten, aufgesessen waren. Diese schönen Möbel stammten in Wirklichkeit nicht von Maria Anna und ihrer Familie, sondern waren ihr nur mit einem gefälschten Herkunftszeugnis zugeordnet worden.38 Ob die 74,25 fl, die Maria Anna 1821 von ihrer Mutter geerbt hatte und die bis 1838 bei der örtlichen Waisenkasse auf 165 fl angewachsen waren, ein großes Vermögen oder ein nahezu wertloser Posten waren, hängt davon ab, ob man in Konventionsmünze, der damaligen Silberwährung, oder in Wiener Währung, dem Papiergeld, rechnete, was viel wahrscheinlicher ist. Angegeben ist das in den Quellen leider nicht: In Konventionsmünze wären es heute ca. 3.656 Euro, in Wiener Währung nur ca. 1.462 Euro.39

Als Maria Anna 1836 im Alter von 40 Jahren schwanger wurde und 1837 die Entbindung heranrückte, übersiedelte sie kurzzeitig zu ihrer jüngeren Schwester, die den etwas wohlhabenderen Bauern Johann Trummelschlager geheiratet hatte. Dort, in Strones Nr. 13, erblickte Alois Schicklgruber am 7. Juli 1837 das Licht der Welt. Schwester und Schwager fungierten als Taufpaten. Die Rubrik für den Kindesvater blieb im Taufbuch leer.40 Nach der Entbindung lebte Maria Anna mit dem Kind wieder bei ihrem eigenen Vater im Ausnehmerhaus. 1842 heiratete sie den 50-jährigen, verwitweten (und nicht »ledigen«, wie er vor dem Pfarrer für die Trauungsmatriken fälschlicherweise angegeben hatte) Müllergesellen Johann Georg Hiedler, der bis dahin auf verschiedenen Mühlen des Waldviertels gearbeitet hatte.41 Normalerweise wäre in so einer Situation das uneheliche Kind der Braut, wenn es vom Bräutigam gestammt hätte, legitimiert und für ehelich erklärt worden. Warum es in diesem Falle unterblieb, gab und gibt immer noch Anlass zu Spekulationen. Dass Johann Georg der Vater war, ist jedenfalls wahrscheinlicher als die Vaterschaft seines damals bereits verheirateten, jüngeren Bruders Johann Nepomuk, der den jungen Alois später als Ziehkind aufnahm. Der Ort Spital, wo dieser den elterlichen Hof führte, lag zwar mit etwa 20 km Entfernung näher bei Strones als das 30 km entfernte Dorf Thürnthal, wo Georg vor 1840 gearbeitet hatte. Aber für den gerade erst jung verheirateten Johann Nepomuk wäre es, was von allen Historikern, die sich für ihn als Alois Vater entschieden haben, übersehen wird, angesichts von drei eigenen Kleinkindern ein nur schwer erklärbarer ehelicher Seitensprung und Ehebruch gewesen, für den verwitweten Johann Georg hingegen nur eine damals weitverbreitete voreheliche Beziehung.

In vielen Gegenden Ober- und Niederösterreichs herrschte damals das Jüngstenerbrecht. Der jüngste Sohn erbte den Hof, die anderen Söhne und Töchter mussten sich anderswo ein Auskommen suchen und wurden bestenfalls mit einem kleinen Heiratsgut abgefertigt. Johann Georg Hiedler teilte dieses Schicksal der Ausgesteuerten. Er hatte das unstete Wanderleben, sein Bruder Johann Nepomuk den schönen Hof. Die unterschiedliche Schreibung der Familiennamen der beiden Brüder, Hiedler und Hüttler, sagt nichts aus, sorgte aber später im Fall Hitler für Verwirrung. Das damalige Heiratsalter war extrem hoch. Ein Leben als Dienstmagd und uneheliche Mutter war das Schicksal vieler Töchter, das Leben als Taglöhner oder Handwerksburschen das der weichenden Söhne. So ein Leben war nicht nur eine enorme psychische Belastung, sondern auch eine finanzielle Benachteiligung.42 Für eine Familiengründung war eigentlich kein oder erst sehr spät ein Platz.

Im Ausnehmerhaus des Vaters bzw. Schwiegervaters fand das jung verheiratete Ehepaar Hiedler zwar weiter Unterkunft, was ihm auch eine grundherrschaftliche Eheerlaubnis ermöglichte. Aber als Existenzgrundlage reichte das nicht aus. Man brauchte einen Erwerb. Als der alte Großvater Johann Schicklgruber 1844 wegen der immer härter werdenden Wirtschaftskrise das Ausnehmerhaus aufgeben musste, zog die kleine Familie mit dem Großvater nach Kleinmotten, wo sie bei einem Verwandten zur Miete wohnten und wo auch Alois Hitler die ersten Volksschuljahre absolvierte.43

Die 1840er Jahre waren überall schwierige Jahre. Im Waldviertel spürte man vor allem die Ernteausfälle durch die Kartoffelfäule und die Arbeitslosigkeit in der Textilwirtschaft. In dieser von Heimarbeit geprägten Landschaft stieg das Elend sprunghaft an. Armut und Kinderarbeit waren überall die Norm, in den Fabriken, in der Hausindustrie und in der Landwirtschaft. So ist es gut möglich, dass die Familie, die vorher ein bescheidenes Auskommen gefunden hatte, völlig abrutschte, wenn es auch nur bildlich zu verstehen sein dürfte, dass Maria Anna und das Kind tatsächlich »in einem Sautrog« schlafen mussten.44

Als 1847, in diesem schlechtesten aller Jahre kurz vor der Revolution, die Mutter an »Auszehrung infolge Brustwassersucht« und kurz darauf auch der Großvater starben, waren Johann Georg und der junge Alois mit einem Mal ganz auf sich allein gestellt. Ob Johann Georg zu dem Zeitpunkt überhaupt noch im gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, weiß man nicht.45 Auf jeden Fall musste der Witwer sich spätestens jetzt um einen Erwerb und für das Kind um eine Unterkunft und Versorgung umsehen. Es war naheliegend, es auf den Bauernhof des jüngeren Bruders Johann Nepomuk zu geben, der dort genügend Platz hatte und eine zusätzliche Arbeitskraft gut brauchen konnte, auch wenn diese nur ein zehnjähriges Kind war.46

Mit der Unterbringung bei einem Verwandten waren die Überlebenschancen und Startbedingungen für den jungen Alois wahrscheinlich besser als für viele andere uneheliche Kinder, die zu ganz fremden Leuten verschickt und in Kost gegeben wurden.47 Ob Johann Nepomuk den heranwachsenden Alois Schicklgruber als Neffen oder gar leiblichen Sohn betrachtete oder nur als bloßes Ziehkind, das er von der Ehefrau seines Bruders übernommen hatte, ist nicht bekannt. Während der Woche wurde hart gearbeitet, an den Sonntagen ging man zur Kirche und in die Sonntagsschule. Dass das eine sonnige Kindheit gewesen sei, wie manche Hitler-Biografen meinen, verkennt die Härte der damaligen bäuerlichen Welt.48

Die neue Ziehmutter, Johann Nepomuks Ehefrau Eva Maria, geb. Decker, war um vierzehn Jahre älter als ihr Gatte. Ihre drei Töchter Johanna, Walburga und Josefa, mit denen Alois Schicklgruber nun in einem gemeinsamen Haushalt lebte, waren etwas älter als er. Die älteste, Johanna, heiratete 1848 den Besitzer des benachbarten Bauernhauses Spital Nummer 37 namens Johann Pölzl, den Vater von Alois Schicklgrubers späterer dritter Ehefrau und Adolf Hitlers Mutter Klara Pölzl. Walburga heiratete 1853 den Bauernsohn Josef Romeder aus dem Nachbardorf Ober-Windhag, der dazu ausersehen war, Johann Nepomuk Hüttlers Bauernhaus in Spital Nummer 36 zu übernehmen. Johann Nepomuk wurde dafür ein Ausgedinge mit Haus, Grundstücken und Naturalleistungen zugestanden, das ihm ein gesichertes Auskommen im Alter ermöglichen sollte. Die dritte Schwester, Josefa, heiratete Leopold Sailer in Spital Nummer 24, starb aber bald nach ihrer Heirat bereits im Jahr 1858.

Es ist einiges merkwürdig an Alois Schicklgrubers unehelicher Herkunft. Denn der größere Teil der unehelichen Kinder in vorindustriellen und agrarischen Zeiten stammte von Eltern, die keine Chance auf eine Hausstandsgründung finden konnten: von ländlichen Dienstboten in hausrechtlicher Abhängigkeit und von Gesellen und Lohnarbeitern im städtischen Gewerbe, die Lebenspartnerschaften eingingen, ohne die Möglichkeit zu haben, diese legalisieren zu lassen. Der kleinere Teil der unehelichen Kinder stammte aus Beziehungen zwischen vermögenden und mächtigen Dienstgebern und abhängigen Mägden oder zwischen reichen, nach Erfahrung suchenden Söhnen und armen Mädchen. Maria Anna, Adolf Hitlers Großmutter, stand nach allem, was wir wissen, nicht in hausrechtlicher Abhängigkeit, sondern lebte bei ihrem Vater und führte ihm den Haushalt. Sie hätte in diesem Häuschen, zwar auf sehr beschränktem Raum, auch schon 1837 die Gelegenheit für eine Ehebewilligung und Hausstandsgründung gehabt. Das tat sie auch mehrere Jahre nach der Entbindung, als sie den vermutlichen Vater ihres Kindes heiratete, ohne allerdings das Kind legitimieren zu lassen. Das nährte Spekulationen.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte die Unehelichenquote in Österreich den historischen Höchstwert. Das war Ausdruck einer tiefen Krise. Für die Mütter bedeutete ein uneheliches Kind eine massive soziale und wirtschaftliche Schlechterstellung, für die Kinder eine große Erschwernis für den Start ins Leben mit subjektiv empfundenen Kränkungen und objektiv verringerten Zukunftschancen. Ein schönes Leben war das sicher nicht. Kinderarbeit, schlechte Ernährung, Prügelstrafen und das Stigma des »ledigen Bankerts« prägten solch ein Leben. Nur wenigen gelang der Ausbruch aus dieser fremdbestimmten Spirale der Ausbeutung.


Feierliche Enthüllung einer Gedenktafel in Strones: Nach dem »Anschluss« erinnerten sich die Nationalsozialisten auch an das Geburtshaus von Alois Hitler im Waldviertel.


Die erste Ehe Alois Hitlers endete 1880 mit einer Trennung von »Tisch und Bett«. 1949 bestätigte der Pfarrer von Theresienfeld die Taufe von Anna Glassl am 27. März 1823.

Vielleicht hatte es Alois Schicklgruber/Hitler mit seinen Bezugspersonen gar nicht so schlecht erwischt: Mit fünf Jahren hatte er einen Stiefvater, der vielleicht auch sein wirklicher Vater war, auch wenn dieser ihn formell nie anerkannt hatte. Nach dem frühen Tod der Mutter folgte die Verpflanzung zu Zieheltern in ein anderes Haus und eine fremde Umgebung, auch wenn es Verwandte waren. Geborgenheit war das nur schwerlich. Wie alle Ziehkinder wurde wohl auch Alois vor allem als Einkommensquelle und Arbeitskraft gesehen und möglichst früh in verschiedene Arbeitsprozesse integriert. Eine Entlohnung oder auch nur ein geringes Taschengeld waren nicht üblich: Sei froh, dass du das Essen hast!49 Ob Alois zu seiner leiblichen Mutter oder zu seinem Stiefvater engere oder gar konfliktfreie Beziehungen entwickelt hatte oder bei längerem Zusammenwohnen entwickeln hätte können, wissen wir nicht. Auch über die Konfliktzonen im Haus der Zieheltern wissen wir nichts. Auf jeden Fall gelang es Alois später, zu seiner Ziehfamilie Bindungen fürs Leben aufzubauen, als er eine Enkelin seines Ziehvaters oder vielleicht sogar wirklichen Vaters bzw. eine Großnichte seines Stiefvaters oder doch auch natürlichen Vaters heiratete.

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