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Problematische Quellen

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Neben Hitlers Mein Kampf und August Kubizeks Zeitzeugenbericht ist Franz Jetzingers Darstellung der Jugendzeit Hitlers aus dem Jahr 1956 als die wichtigste Quelle zu nennen. Jetzingers Buch ist eigentlich als Werk der Geschichtsschreibung und nicht als Zeitzeugenbericht einzustufen. Er hat Hitler persönlich nicht gekannt und ist mit ihm nie zusammengetroffen, ist aber unverzichtbar, weil er heute nicht mehr verfügbare Zeitzeugen interviewt und wichtige Dokumente zusammengetragen hat, auch wenn seine Arbeit bedingt durch die damaligen Umstände voller Fehler ist.6 Entstanden ist dennoch eine verdienstvolle wissenschaftliche Arbeit. Bedenkt man die Möglichkeiten der Nachkriegszeit, die absolute Quellenarmut zu Hitlers Frühzeit und die extreme Verderbung dieser Quellen durch Vernichtungsaktionen der Nationalsozialisten und durch in jeder Hinsicht sehr unglaubwürdige Zeitzeugen, so kommt Jetzinger das Verdienst zu, erstmals die Kinder-und Jugendjahre Hitlers in den Grundzügen rekonstruiert zu haben. Er musste viel Frustration ertragen, sowohl über sein verpfuschtes Leben, das ihm alle Freunde geraubt hatte, wie auch bei seinen Hitler-Forschungen, wo ihm August Kubizek, der von ihm einige Daten erhalten hatte, mit der Veröffentlichung zuvorgekommen war. Und seine Frustration wäre noch größer geworden, hätte er erleben müssen, wie die spätere Wissenschaft seine Ergebnisse abwertete und ihn, der immerhin in seinem ersten Beruf Professor für Altes Testament an einer Theologischen Lehranstalt gewesen war, als wissenschaftlichen Amateur einstufte und seinen von ihm zu Recht kritisierten Konkurrenten Kubizek hochjubelte.7

Während Jetzinger wie ein Historiker arbeitete und sich nicht auf eigenes Erleben beziehen konnte, kommt August Kubizek die Qualität eines unmittelbaren Zeitzeugen zu. Der Tapeziererlehrling und begeisterte Musikliebhaber hatte Ende 1905 auf dem Stehplatz des Linzer Landestheaters den jungen Hitler kennengelernt und war die nächsten zwei Jahre in Linz und dann noch etwa vier Monate in Wien mit ihm in engem Kontakt, verlor ihn dann aber ganz aus den Augen. Sein Musikstudium in Wien schloss er 1912 ab, konnte nach dem Krieg aber nichts daraus machen und war in Eferding als Gemeindebeamter tätig. Erst 1938 trafen sich die Jugendfreunde wieder kurz in Linz. Hitler begrüßte Kubizek, sprach ihn aber mit »Sie« an und lud ihn für 1939 nach Bayreuth zu den Festspielen ein. 1942 trat Kubizek in die NSDAP ein und wurde, während er weiter als Gemeindesekretär tätig war, beauftragt, seine Erinnerungen festzuhalten. Von den zwei Heften, die 1943 entstanden sind, war der zweite Teil immer bekannt, während der erste Teil über die Linzer Jahre erst jetzt aufgetaucht ist.

Nach der NS-Zeit und den sechzehn Monaten im amerikanischen Umerziehungs- und Entnazifizierungslager »Camp Marcus W. Orr« in Glasenbach versuchte Kubizek diese Vorarbeiten in einem Buch zu verwerten. Aus eigenem Erleben konnte er etwa zweieinhalb Jahre abdecken, wobei er zwar weniger Einblicke gewonnen hatte, als er vorgab, aber doch viel mehr als alle übrigen Zeitzeugen aus Hitlers Kindheit und Jugend. Kubizek war kein guter Schreiber und Stilist, wohl auch kein überzeugter Nationalsozialist, aber in pansophischen Kreisen gut vernetzt.8 Unter Mithilfe zweier geübter Ghostwriter, der beiden hochrangigen Nationalsozialisten Karl Springenschmid und Dr. Franz Mayrhofer, wurde Kubizeks Manuskript zu einem am Lesergeschmack orientierten und um eine Liebesgeschichte ergänzten Buch ausgeweitet.9 Dass deren Einfluss nicht unwesentlich gewesen sein konnte, geht allein schon aus dem Umstand hervor, dass sich die drei Autoren die Tantiemen drittelten oder auf Verlagsvorschlag in einem Schlüssel fünf zu vier zu drei aufteilen sollten, obwohl der 1908 in Linz geborene Mayrhofer für Hitlers Jugendzeit keinerlei eigene Erfahrung einbringen konnte und der 1897 in Innsbruck geborene Karl Springenschmid noch viel weiter weg vom Geschehen gelebt hatte. Die drei entwickelten aber beträchtliche Energien, um Hitlers Jugendgeschichte als Vorschule seines späteren Auftretens als »Führer« erscheinen zu lassen: als Genie, Ideologe, Antisemit, Städteplaner, Baumeister. Für eine Neuauflage überlegten sie noch weitere Höhepunkte: den jungen Hitler als begeisternden Feuerredner und frühen Parteiprogrammatiker und dachten auch ein Filmprojekt und ein Musikdrama über Hitlers verborgene Liebschaft an, wäre Kubizek nicht 1956 gestorben.10

Für den Verlag dürfte Karl Springenschmids Erzähltalent wichtig gewesen sein, mit dem er schon vor 1938 als Ghostwriter für Luis Trenker gepunktet hatte und mit dem er nach dem Krieg mit unzähligen völkischen Bauern- und Bergsteigergeschichten sein Geld verdiente.11 Franz Mayrhofer, der Neffe von Adolf Hitlers Leondinger Vormund Josef Mayrhofer, steuerte als studierter Geografie- und Geschichtelehrer wohl seine regionalen und kulturellen Kenntnisse über die Linzer Umgebung bei, die er aus eigener Erfahrung und aus seiner 1940 in Druck gegebenen Dissertationsschrift übernehmen konnte.12

Kubizeks Buchveröffentlichung ist vierfach fehlerverdächtig: Erstens wegen des fast fünfzigjährigen zeitlichen Abstands mit entsprechenden Erinnerungslücken, zweitens wegen der Beauftragung durch die NSDAP und der daraus entstehenden Parteinähe, drittens durch sein Bemühen, sich nach 1945 zu entlasten und gleichzeitig wichtiger zu machen, als er war, und viertens wegen der Beiziehung von Karl Springenschmid und Franz Mayrhofer als Mitautoren, die nicht nur aus der NS-Zeit schwer belastet waren, sondern sich auch nach 1945 nie von ihren ideologischen Positionen lösen konnten und als keineswegs bekehrte hochrangige Nationalsozialisten einen entsprechend hohen Mitteilungs- und Rechtfertigungsbedarf hatten.

Man muss daher von Glück sprechen, dass nunmehr von der Urfassung aus dem Jahr 1943, deren zweiter Teil für die Zeit in Wien in einer 51 Seiten langen, maschinschriftlichen Abschrift im Nachlass Jetzinger schon immer bekannt war, auch der erste Teil über die Linzer Zeit in handschriftlicher Form mit 106 Blatt in zweizeiliger, großer Schrift aus dem Besitz der Enkelin aufgetaucht ist. 13 Aus den ca. 60 Druckseiten, welche die beiden Teile des Urmanuskripts ergeben hätten, machten die drei Autoren ein Buch mit je nach Auflage 339 bis 352 Seiten.14 Die beiden Fassungen von 1943 und 1953 unterscheiden sich nicht nur im Umfang, sondern auch in den Schwerpunktsetzungen. Die ohne fremde Unterstützung angefertigte erste Fassung ist nicht nur viel kürzer, sondern auch viel authentischer. Die Unterschiede zu dem später gedruckten Text sind bezeichnend, weniger wegen der sprachlichen Schwäche der ersten Fassung und der gefälligen Teile, die 1953 völlig neu hinzugefügt wurden, sondern wegen jener Passagen, die 1943 enthalten waren und 1953 gestrichen wurden und die antiklerikalen, antimodernistischen und rassenbiologischen Tendenzen bereits beim jungen Hitler sehr viel deutlicher erkennen lassen.

Jetzinger und Kubizek arbeiteten nach 1945 zur selben Zeit an ihren Publikationen und unterstützten sich anfangs auch gegenseitig, wurden aber zu erbitterten Konkurrenten, als Kubizek sein Buch drei Jahre früher als Jetzinger herausbrachte und ihm Jetzinger nicht nur einen Plagiatsvorwurf machte, sondern ihm auch zahlreiche Fehler nachweisen konnte, ein Vorwurf, den man umgekehrt aber auch Jetzinger nicht wirklich ersparen kann. Seit Brigitte Hamanns Wien-Buch wird Kubizeks Text viel positiver beurteilt: Sein Buch stelle eine reichhaltige und für die frühe Hitler-Zeit einzigartige Quelle dar, war ihr Resümee.15 Jetzinger hingegen behauptete, dass 90 Prozent von Kubizeks Buch erfunden seien – über den Prozentsatz mag man streiten, die Tatsache, dass nicht viel davon von Kubizek tatsächlich erlebt oder erfahren wurde, ist unbestreitbar. Es ist selbstverständlich, dass Kubizeks Buchpublikation sehr viel kritischer beurteilt werden muss, als das bisher geschehen ist. Diese Skepsis mag Brendan Simms in seiner neuesten Hitler-Biografie bewogen haben, Kubizek als Quelle ganz auszuscheiden. Er übersieht dabei aber, dass die Literatur, die er zum jungen Hitler benutzte, erst recht wieder auf Kubizeks Darstellung beruht. Umso wichtiger ist Kubizeks 1943 entstandene Urfassung, die niemals den Weg an die Öffentlichkeit und auch in kein Parteiarchiv gefunden hat, zumal Kubizek es 1943 auch wagte, einzelnen Aussagen Hitlers aus Mein Kampf zu widersprechen.16

Bleibt als dritte umfangreichere Quelle für Hitlers Kindheit und Jugend seine eigene Autobiografie. Mein Kampf ist aber eben keine Lebensgeschichte, sondern eine Kampfgeschichte. Dass er sie weitgehend selbst geschrieben hat, ohne Beiziehung von Ghostwritern, dürfte inzwischen feststehen.17 Allerdings orientierte er sich an Vorbildern. Hitler konstruierte sein Leben nach dem Muster klassischer Autobiografien und Bildungsromane. Und er kreierte einen neuen Typ der politischen Autobiografie, der es nicht um Rechenschaft oder Erklärung geht, sondern um Programmatik und Propaganda, geschrieben nicht im Herbst des Lebens, sondern mit 35 Jahren am Ausgangspunkt der politischen Laufbahn. Noch problematischer als Mein Kampf sind Hitlers gelegentliche Ausflüge in seine Jugendgeschichte, die er bei den Tischgesprächen oder auch gegenüber einzelnen Weggefährten und Mitarbeiterinnen tätigte. Nicht nur ist die Wiedergabe durch die Gewährsleute umstritten und nicht nachprüfbar, sondern auch Hitlers eigene Glaubwürdigkeit in diesen Aufzeichnungen entsprechend zu hinterfragen.

Eine weitere zeitnahe Quelle, die Jugend-Erinnerungen eines zeitgenössischen Linzer Realschülers von Hugo Rabitsch (München 1938), werden hingegen meist als »ohne jeden Informationswert« beiseitegeschoben, »da der Autor weder den jungen Hitler kannte, noch irgendwelche Beiträge zu seiner Biographie« bringe.18 Das ist zwar richtig, aber grob ungerecht. Denn Rabitsch, der sieben Jahre jünger als Hitler war, besuchte dieselbe Linzer Realschule und kannte die Professoren und das Milieu. Obwohl Rabitsch mit Hitler-Lob nicht sparte, wurde es von diesem sehr kritisch aufgenommen und kam in Deutschland nie auf den Markt, weil manche Passagen Hitlers eigenen Darstellungen und Aussagen in Mein Kampf widersprachen.19 Schwierig einzuschätzen sind auch die Erinnerungen des jüdischen Arztes von Hitlers Mutter, Eduard Bloch, der Adolf 1938 im Angesicht der für ihn sehr bedrohlichen Situation sehr positiv charakterisierte, diese Darstellung aber 1941 in den USA, als für ihn die Gefahr explizit vorbei war, trotzdem noch einmal dezidiert bekräftigte. Allerdings war Bloch im Alter schon stark von zunehmender Vergesslichkeit gezeichnet.

Widersprüchlich und oft völlig unbrauchbar sind die Aussagen vieler anderer Zeitzeugen, ob sie nun aus der Zeit vor 1945 oder nachher stammen. Auf irgendeine Weise sind sie immer gefärbt und beeinflusst. Seither haben sich viele Autoren mit Hitlers Jugendzeit beschäftigt, zuerst einmal entsprechend kursorisch alle jene, die an einer Gesamtbiografie arbeiteten, vor allem aber jene, die sich speziell der Kindheits- und Jugendgeschichte zugewendet haben, darunter auch zahlreiche Entwicklungspsychologen, Pädagogen und Theologen, die viele Mosaiksteinchen finden und interessante Einsichten hinzufügen konnten, aber allzu oft auch vieles ungeprüft übernommen haben und sich vor allem mangels regionaler Kenntnisse mit den räumlichen, politischen und sozialen Gegebenheiten in Oberösterreich sehr schwer getan haben. Nicht zuletzt hat der eklatante Quellenmangel zu fiktiven Konstruktionen und skurrilen Geschichtsklitterungen geführt, auf die man gar nicht eingehen muss, wie zum Beispiel Norman Mailers Roman zum jungen Hitler Das Schloss im Wald oder Ilse Krumpöcks Geschichtsroman Hitlers Großmutter, weil dazu ohnehin aus berufenem Mund das Nötige gesagt wurde.20


Der dunkle Punkt in Adolf Hitlers Herkunft wurde verschwiegen: Die Ausstellung »Sippenforschung in Schule und Haus« 1937 im Berliner Stadthaus konnte auf die »20 Ahnentafel des Führers« nicht verzichten.

Hitlers Vater

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