Читать книгу Adabei - Roman Schliesser - Страница 6

Sir Adabei

Оглавление

von Michael Horowitz

Als ob die österreichische Bundesregierung zu Beginn der 1950er-Jahre keine wichtigeren Probleme zu lösen hätte, will man ein Gesetz zum Schutze der Jugend vor Schmutz und Schund einführen. Der zuständige Minister erhält einen Brief:

Im Buchstaben U, Herr Minister HUrdes, erblicken wir Schriftsteller das Symbol für SchmUtz und SchUnd, beinhalten doch alle Wörter mit Unsittlicher BedeUtUng diesen schon in seiner Form anstößigen Vokal. Das U führt vom geistigen Unrat über die WollUst direkt zUm LUstmord. Wir fordern Sie, Herr Minister HUrdes, auf, sofort energische Maßnahmen gegen das Überhandnehmen dieses Buchstabens in die Wege zu leiten.

Hans Weigel

Der Schriftsteller Weigel, vom Ministerbüro befragt, kontert sofort: Das kann nur das G’frast Qualtinger gewesen sein. Wenige Tage später montiert Helmut Qualtinger, unterstützt von Freunden wie dem Schauspieler Kurt Sowinetz und dem damaligen Journalisten Johannes Mario Simmel, »anstößige Us« von Geschäftsbeschriftungen der Wiener Innenstadt. Zurück blieben Firmenschilder wie »Modeha s Bra n« oder »Bl menha s a f der Frey ng«. Die abmontierten »Us« deponieren dann Qualtinger & Kumpanen beim erstaunten Portier des Unterrichtsministeriums. Einer der legendären »practical jokes« von »Quasi«, dem Enfant terrible der Wiener Nachkriegs-Kulturszene.

Es ist die Zeit des Aufbruchs in Wien, die künstlerische Avantgarde fühlt sich – zwischen Wiederaufbau und Wirtschaftswun der – unverstanden. Es ist die Zeit, in der es unter dem weitmaschigen Begriff »Schmutz und Schund« Proteste und Prozesse, Schreib- und Aufführungsverbote gibt. Und es ist die Zeit der legendären Künstlerlokale wie Gerhard Bronners Marietta Bar – mit dem Werbespruch »Ein Nachtlokal, in das man mit seiner eigenen Frau gehen kann« –, des Art Club und des Strohkoffer. Stammgäste sind Poeten wie H. C. Artmann, Klaviervirtuosen wie Friedrich Gulda, Maler wie Fritz Stowasser, der sich erst Jahre später Friedensreich Hundertwasser nennt. Im Strohkoffer, dem legendären Kellerlokal in einer Seitengasse der Kärntner Straße, veranstaltet er seine erste Ausstellung. Auf den großflächigen Werken mit den stimmungsvollen Titeln wie »Europäer, der sich seinen Schnurrbart hält« oder »Wenn ich eine Negerfrau hätte, würde ich sie malen« bleibt er sitzen. Die eine oder andere Postkarte kann Stowasser verkaufen. Um drei Schilling – »dafür habe ich mir dann eine Burenwurst gekauft«.

Und unter all den lebenshungrigen Künstlern ist auch ein junger Journalist. Vom ersten Tag an ist er Stammgast im Strohkoffer: Roman Schliesser. 1931 wird er in Wien als Sohn eines kommunistischen Hilfsarbeiters geboren. Und wächst in einer der Hochburgen des Roten Wien – in Floridsdorf – auf. Im Gemeindebau. Nach Kriegsende verschlägt es die Familie Schliesser nach Ost-Berlin, wo der junge Roman mit dem Thema Die Mehrwert-Theorie von Karl Marx sein Abitur ablegt. Nach einem journalistischen Lehrjahr als Sportreporter der Berliner Zeitung entschließt er sich 1952 nach Wien zurückzukehren. Er packt seine sieben Sachen – es sind wirklich nur sieben: eine Hose, ein Sakko, eine Erika-Reiseschreibmaschine und vier Hemden.

In dieser Zeit landet Roman Schliesser im klirrend kalten Wien, damals gab es noch »Zapfen« bis minus 25 Grad. Oscar Pollak, der legendäre Chefredakteur der Arbeiter Zeitung, sieht am Eingang zum Vorwärts-Verlag einen vor Kälte zitternden jungen Mann stehen. Und erkennt den freien Mitarbeiter seiner Redaktion: »Schliesser, Sie Armer, wieso haben Sie keinen Mantel an? Jetzt gehen Sie sofort zur Kassa, lassen Sie sich 200 Schilling auszahlen und kaufen Sie sich einen Mantel …«

Der junge Reporter Schliesser berichtet von Banküberfällen, Verkehrsunfällen und anderen Highlights des Lokalressorts. Sehr bald begreift er, »was a G’schicht ist«. Was nur für einen knappen Einspalter gut genug ist – oder ein Mord mit vielen grausigen Details, der zum Seiten-Aufmacher wird und womöglich sogar auf der Seite 1 landet. In der Lokalredaktion, der besten Grundschule jedes Journalisten, ist Roman, der rasende Reporter der Arbeiter Zeitung, sehr bald sehr erfolgreich.

Die Konkurrenz wird auf ihn aufmerksam. Und wirbt sich während der nächsten Jahre Schliesser gegenseitig ab. Er landet in der Weltpresse und später in der Lokalredaktion des Bild-Telegraf, für den der Begriff Boulevardzeitung ein Hilfsausdruck ist. Reißerische Asphaltpresse passt eher. Unter dem Chefredakteur Gerd Bacher, dem späteren ORF-General, können sich die Journalisten am heiß umkämpften Wiener Zeitungsmarkt austoben. Auch Roman Schliesser.

Aus dem Wien dieser Zeit begibt sich ein junger Mann auf eine Pressereise nach Skandinavien. An den beliebten Presse-Einladungen, bei denen Journalisten in schöne Länder fahren, um dann schöne, werbewirksame Texte darüber zu verfassen, nehmen auch die Reporter des Bild-Telegraf gerne teil. Es war die Zeit, als es für Zeitungsleute noch keine rigiden Compliance-Bestimmungen gab. Boss Bacher belohnt den fleißigen, aufstrebenden Schliesser mit einer Pressereise nach Dänemark. Kollegen und Freunde bitten ihn, aus dem freizügigen Kopenhagen Porno-Publikationen mitzubringen. Der scheue junge Roman wird in Kopenhagen fündig, kramt seine erotische Bestell-Liste heraus. Als ihn die Verkäuferin nach seinen Wünschen fragt, meint er leicht stotternd – statt die Porno-Heftln für die Freunde zu verlangen – »one Herald Tribune, please …«

1957 erhält der Shootingstar des Lokaljournalismus – er wurde gerade von Gerd Bacher, der schon immer pathetische Begriffe liebte, zum »Weltweiten Chefreporter« ernannt – ein sechsmonatiges Arbeitsstipendium in die USA. Sofort überfällt ihn die Liebe zum amerikanischen »way of life«, die ein Leben lang anhält. Auch der völlig andere Journalismus als zu Hause in Wien wird zur Grundlage seines weiteren Berufslebens. »Check/ re-check/double-check«, das viel zitierte Credo der Zeitungslegende Hugo Portisch, wird auch für Roman Schliesser immer wichtiger. Bald erscheint in der New Yorker Elmira Stargazette eine tägliche Schliesser-Kolumne, die immer wieder für Gesprächsstoff sorgt.

Nach Wien zurückgekehrt, wird Schliesser Leiter der Lokalredaktion des Bild-Telegraf. Er ist stolz, 18 Mitarbeiter führen zu dürfen. 1958, nach Ende des »Wiener Zeitungskriegs«, wird er als Lokalchef zur neu gegründeten Tageszeitung Express geholt. Drei Jahre später ist es so weit: Zum ersten Mal erscheint die Adabei-Kolumne. Angelehnt an den Wiener Feuilletonisten Vinzenz Chiavacci und die in Wiener Dialekt geschriebenen Geschichterln des Herrn von Adabei. Statt von Verkehrsunfällen, Banküberfällen und Lustmorden berichtet Roman Schliesser jetzt täglich aus den Zentren des nächtlichen Jet-Set-Trubels. Klatsch und Tratsch. High Society und Vorstadt-Promis. Intimitäten von Weltstars – aber auch Geständnisse von eitlen Selbstdarstellern: Täglich 60 Zeilen lang auf Seite 4.

1966 wechselt das schon eingespielte Duo Adabei & Schliesser vom Express zur Kronen Zeitung. Fast 40 Jahre lang erscheint – weltweit einzigartig – die tägliche Kolumne. »Sieben Tag’ in der Woche – das ist Zwangsarbeit«, meinte Schliesser einmal, als er selbst interviewt wurde, »verschärft durch weiches Lager, permanent drohende Fettleibigkeit und morgendlichen Kater. Das ist Katzenbuckelei und Neid, Honig und Schleimscheißerei. Man sollte meinen, ein ganz normaler Mensch rennt niemals sehenden Auges in dieses, sein eigenes Unglück …«

Von Beginn an sind seine pointierten Betrachtungen geachtet – aber auch gefürchtet. Und manche sind jahrelang böse auf ihn – wie Curd Jürgens. Weil Schliesser bereits am fünften Tag der Adabei-Kolumne für Schlagzeilen im deutschsprachigen Raum sorgte. Er berichtete exklusiv über die »Watschen Affäre«: »Curd Jürgens ohrfeigte seine Frau Simone im Strip-Lokal«. Viele Jahre danach änderte Jürgens seine Meinung über Schliesser und bedankte sich in seinem Memoirenbuch für (spätere) Diskretion mit der Widmung: »Für Roman, den fairen Kommentator vieler Ereignisse, mit Dank für alles, was er wusste und nicht geschrieben hat.« Wann immer Schliesser von jemandem, vor dem er Respekt hatte, gebeten wurde, etwas nicht zu schreiben, hat er diesen Wunsch akzeptiert. Dadurch wurde der Gesellschaftsreporter für viele seiner prominenten Kundschaft zu Sir Adabei.

Nicht für alle. Denn bei manchen war Roman Schliesser weniger einfühlsam und dezent. Manchmal auch ungerecht. Wann immer jemand der Menschen, denen Adabei treu über Jahre zu wahrer Prominenz verholfen hat, der Konkurrenz eine Geschichte gesteckt hatte, gab es nur mehr biblischen Hass. Und die Härte, durch Ignoranz zu strafen. Keiner litt mehr darunter als der mit 21 Jahren jüngste Schneidermeister Österreichs. Der sympathische burgenländische Prominentenschneider Peppino, bei dem sich Autohändler und Scheidungsanwälte, Fußballgötter wie Beckenbauer, Krankl und Prohaska, aber auch Weltstars wie Luciano Pavarotti oder Arnold Schwarzenegger ihre Fracks für den Opernball schneidern ließen. Während der Proben in der Wiener Vorstadt gab es Stotzinger Knoblauchwurst und das eine oder andere Achterl Blaufränkisch.

Gerne erinnere ich mich an meine Jugend als fotografischer Adabei-Begleiter. Wie Dieter Hildebrandt als Fotograf in Kir Royal mit Franz Xaver Kroetz Nacht für Nacht von Party zu Party gezogen ist, habe ich Roman Schliesser begleitet. Ich erinnere mich an rauschende Feste, lockere Weltstars, schöne Frauen – aber auch viel VIP-Schwachsinn und jede Menge eitler Selbstdarsteller. Aber vor allem erinnere ich mich an meinen Freund Roman, von dem ich viele journalistische Grundregeln lernen durfte. Auch, wie man mit Menschen umgeht. Er selbst nannte sich gerne »Menschenreporter«.

Ende der 1960er-Jahre, ich bin gerade selig dem Gymnasium entkommen, brüllt jemand in mein Telefon: »Junger Mensch, ich gehe nach New York. Kommen Sie mit – wir fliegen morgen früh!« Auf mein Gestammel »Das geht nicht, ich habe übermorgen einen Fototermin in Tulln mit dem Landeshauptmann von Niederösterreich« antwortet der Herr Redakteur mit einer nicht enden wollenden Schimpftirade »… aus Ihnen wird nie was!«

Drei Tage später überrasche ich ihn im Hotel Wellington auf der Seventh Avenue. In der folgenden Woche produzieren wir in New York gemeinsam für die Kronen Zeitung sechs »Doppler« – die damalige Königsklasse: Doppelseitige Reportagen, die »der Alte«, Hans Dichand, erfunden hatte.

In diesem Buch habe ich viele Adabei-Erinnerungen zusammengestellt. Wie Schliessers Bericht vom Frank-Sinatra-Konzert in der Wiener Stadthalle, als der Entertainer seine Gage in Höhe von einer Million Schilling, die man zuvor mit einer Funkstreife aus einer geschlossenen Bankfiliale holen musste, »steuerschonend« in einem Handkoffer verschwinden ließ und Richtung Flughafen abrauschte. Oder die geheime Hietzinger Liebelei des Weltstars Yul Brynner. Oder den fast perfekt eingefädelten Coup des Starpianisten Friedrich Gulda, den eigenen Tod bekannt zu geben. Bei dem sich allerdings ein kleiner Fehler einschlich: Nach den Schlagzeilen in allen Gazetten rief ihn seine Schwester an, der tote Fritzi hob ab …

Erinnerungen an Roman Schliesser. An Sir Adabei. Den König der Klatschreporter. Über den bereits Dissertationen geschrieben wurden, der längst als wichtige Stimme des Boulevards in die Geschichte des Journalismus eingegangen ist. Seine vielleicht wichtigste Eigenschaft – Schliesser war unbestechlich. »Die subtilste Form der Bestechung ist Sympathie«, sein Credo.

Heute braucht man solche Dinosaurier der Gesellschaftsberichterstattung nicht mehr. Die Barhocker von früher sind vor den Bildschirmen gelandet. Statt zu champagnisieren trinkt man Prosecco. Parvenus haben längst die letzten Paradiesvögel ersetzt. Promis inszenieren und verkaufen sich selbst. Stars laden ständig Selfies bei Instagram hoch. Privatsphäre pur. Ohne Scham und Genierer. Rund um die Uhr. Heute hat Justin Bieber 73 Millionen, und das Fack-ju-Göhte-Jugendidol Elyas M’Barak mehr als drei Millionen, Conchita Wurst eine Million – und sogar Andreas Gabalier eine halbe Million »Freunde« auf Facebook. Und als Leo DiCaprio endlich den Oscar erhielt, knackte er einen Rekord: Als sein Name fiel, gab es 440 000 Tweets. Pro Minute.

In diesem Buch lebt die Adabei-Legende weiter. Mit Schmäh von gestern. In der großen Zeit der Weltstars – von Sean Connery bis Liz Taylor, von Sophia Loren und Zsa Zsa Gabor bis Richard Burton – der sturzbetrunken fast aus der Opernball-Loge flog. Damals, als sich Gunter Sachs in den Kopf setzte, die Sexgöttin mit dem Schmollmund, der wallenden blonden Mähne und dem atemberaubenden Hüftschwung erobern zu müssen. Nachdem der Industriellensohn aus Schweinfurt aus einem Helikopter Tausende blutrote Rosen und einen Heiratsantrag auf Büttenpapier regnen ließ, war es bald so weit: Die Bardot heiratete Sachs. Die Ehe hielt nur drei Jahre. Der Mythos Côte d’Azur hatte gerade eine neue Glanzzeit erlebt. Eine ideale Kulisse für pralles Leben, für das Hochgefühl bestimmter Stunden. Man gab sich dem Soufflé des Müßiggangs hin, Curd Jürgens schlürfte hemmungslos Selosse-Substance-Champagner.

Und oft war Roman Schliesser, der Sohn eines Hilfsarbeiters aus Floridsdorf, dabei. An der Côte und in Kitz, in New York und Hollywood, in der Wiener Eden- und Splendid-Bar. Wenn er pünktlich um neun Uhr früh in der Redaktion begann, diszipliniert die besten Promi-Pointen der letzten Nacht in seine Schreibmaschine hineinzuhämmern, hatte er noch Fausto Molas I Did It My Way … im Ohr.

Seine letzte journalistische Arbeit ist eine mehrmonatige Serie, die 2011 im freizeit-Magazin des Kurier erscheint. Ein letztes Mal resümiert Schliesser über sein schillerndes Leben im Zenit der High Society. Über seine Erlebnisse am Jahrmarkt der Eitelkeiten. Und auch über so manchen Schicki-Micki-Schwachsinn. Schließlich hatte Roman Schliesser am Ende seines Lebens, 80-jährig, Ruhe gefunden. Hatte endlich ein Zuhause. Und eine Frau. Auf einer Kreuzfahrt im März 2011 von Schanghai über Wladiwostok nach Osaka legt Roman wieder einmal die Arbeitskleidung seines Lebens, den Smoking, an. Um beim Auslaufen des Schiffes aus dem bunt erleuchteten Hafen von Schanghai Bonni – die Liebe seines Lebens nach einer Freundschaft, die 1973 begann – zu fragen: »Willst du meine Frau werden …?«

Jahrzehntelang gab es immer wieder Geständnisse und Intimitäten, die Prominente nur »dem Roman« erzählten. Seine prominenten Freunde haben ihn nahe wie sonst niemanden an sich herangelassen. Man schätzte ihn als ironischen Betrachter der sogenannten High Society – aber vor allem als fairen Partner. Am Jahrmarkt der Eitelkeiten. Die Knef, Falco, Senta Berger, Schwarzenegger und Herr von Karajan, der zuckerlsüße Peter Alexander und das ewige Enfant terrible der Kulturszene – Helmut Qualtinger. Mit den meisten wie mit Erika Pluhar, Marisa Mell und Maria Perschy war Schliesser ein Leben lang befreundet.

Oder Klaus Maria Brandauer, der nach dem Tod von Sir Adabei am 7. Oktober 2015 meinte: »Roman hat immer mit viel Herz geschrieben – obwohl manche, über die er schrieb, diese Herzenstiefe gar nicht hatten …«

Adabei

Подняться наверх