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Curd Jürgens
Den Jahren mehr Leben geben
ОглавлениеEine Ohrfeige war wohl der Grundstein für meine Freundschaft mit Weltstar Curd Jürgens, die am 4. März 1961 begann und ein halbes Leben lang dauerte. Kein besonders schöner Auftakt, so eine Watschn. Dazu passend der Schauplatz: das Eve, damals ein Strip-Etablissement, das ursprünglich »Daddy« Blatzheim, der deutsche Stiefvater von Romy Schneider, besaß. Doch nackte Kurven gehörten zu Curds Nachtleben wie das Eis im Whisky. Seine damalige Frau Simone war als Französin einer Ménage-à-trois auch nicht abgeneigt.
Das ging ihr dann allerdings doch zu weit: Nadja Nadlova, die deutsche Strip-Walküre, stramme 1,81 Meter strotzender Weiblichkeit, hatte sich ihren überlangen Zigarettenspitz ins flinsige Höschen geschoben und dann unter Curds Nase durchgezogen – sehr zu Simones Missfallen. Kurze französische Schimpfkanonade gegen Curd und der »normannische Schrank« – als Ohrfeigenmacho verschrien – klatschte seine Pranke auf Simones Wange: Patsch. Ein Klescher für den Klatschkolumnisten.
Zwei Tage später traf ich Curd und Simone auf dem Fußballplatz in Wien-Meidling wieder. Kein Wort über meine Adabei-Kolumne von der Eve-Nacht. Ganz im Stil von Curd: »Egal, was da berichtet wird – Hauptsache, mein Name ist richtig geschrieben.«
Spätestens seit Des Teufels General war Jürgens, den Willi Forst zum Film holte, ein Weltstar. In seinem Debütfilm Königswalzer hatte er zwei kleine Szenen als junger Kaiser Franz Joseph, und die Kritik maulte ganz kurz: »… als Kaiser reichlich hochdeutsch redend.« Als er 1937 mit Zarah Leander Zu neuen Ufern tanzte, verpatzte er zwei Mal die Tanzszene. Curd grinsend: »Da hatte ich die Regieanweisung – erotisch – intensiv missverstanden.«
Mit Willi Forst als Regisseur drehte er Operette an der Seite von Paul Hörbiger und Maria Holst, Frauen sind keine Engel mit Forst und Axel Ambesser. Dazwischen spielte er den Benvolio in Romeo und Julia an der Burg, den Oberst Wallenstein in Ein Bruderzwist in Habsburg und Wallenstein und 1941 zum ersten Mal den Selim Bassa in Mozarts Entführung aus dem Serail (Dirigent: Karl Böhm) an der Wiener Staatsoper.
Dann kam am 14. September 1944 der Gestellungsbefehl der Deutschen Wehrmacht. Wiens Statthalter Baldur von Schirach hob die U.K.-Stellung (unabkömmlich) von Jürgens und anderen Schauspielern auf, Schanzenbau war angesagt. Curd sagte mit anderen Schauspielern – darunter Judith Holzmeister, die 1947 seine zweite Frau wurde, in Richtung Weimar, wo bereits die Amis waren, französisch Adieu: »Ich bin abgehauen, bevor ich noch Soldat war …«
Als die Burg 1947 mit Stella zu einem Gastspiel nach Zürich musste, besorgte ihm Burg-Chef Ernst Haeusserman innerhalb einer Woche die österreichische Staatsbürgerschaft.
Er drehte insgesamt 160 Filme. Und immer lockt das Weib mit Brigitte Bardot, die ihm den Namen »armoire normande« (der »normannische Schrank«) verpasste. »Irgendein Depp, der nicht französisch konnte, hat das fälschlicherweise zum ›Kleiderschrank‹ erhoben, und seither bin ich den ›normannischen Kleiderschrank‹ nicht mehr losgeworden«, grollte Curd deshalb. Er selbst war ja zweisprachig aufgewachsen. Vater Kurt – wohlgemerkt mit »t« – war Hamburger dänischer Herkunft, Curds Mama Marie-Albertine, geborene Noir, aus Évian-les-Bains, erzog ihn französisch, sie hatte noch zur Zarenzeit in St. Petersburg gelebt.
Er stand mit allen großen Stars der Zeit vor der Kamera. Für Duell im Atlantik mit Robert Mitchum – »nach dem Motto: No acting required« –, mit Orson Welles in Fähre nach Hongkong, mit Ingrid Bergman für Die Herberge zur 6. Glückseligkeit. Schöner Gigolo, armer Gigolo drehte er mit David Bowie, Marlene Dietrich (als Baroness von Semering), Maria Schell, Kim Novak, Erika Pluhar; mit Jean Gabin Blüten, Gauner und die Nacht von Nizza; Hollywoods Paradefilm Jakobowsky und der Oberst mit Danny Kaye; mit Robert Taylor die Rettung der Lipizzaner Das Wunder der weißen Pferde; Bitter war der Sieg mit Richard Burton. »Der war immer besoffen, aber sattelfest beim Text«, kommentierte Curd, der selbst während der Arbeit keinen Schluck trank. Dorothy Dandridge war nicht nur in ihrem Film Die schwarze Sklavin seine Liebessklavin. Die PR-Agenten hatten alle Hände voll, das unter Verschluss zu halten. Im prüden Amerika der 1950er-Jahre hätte ein Star wie Jürgens das nicht überstanden.
Sein Rolls-Royce war mit Butler Marc bereits nach Paris unterwegs, als der frischverliebte Curd Jürgens (56), braungebrannt und strahlend – »ich fühle mich zehn Jahre jünger« – abgezählte 70 Wiener Freunde am 18. Juni 1972 ins Wiener Belvedere-Stöckl zum Abschiedsschmaus lud. Händchen haltend demonstrierte er, was in der Wiener Gesellschaft sowieso schon zwei Wochen lang Tagesgespräch war: seine Romanze mit der rassigen Elisabeth Bittencourt (23), der Tochter des brasilianischen Botschafters in Wien. Von Verlobung war aber an diesem Abend keine Rede.
Ursprünglich wollte Curd nur ein Diner für 30 Freunde geben. Daraus wurden 70 – darunter als einziger Journalist Adabei. Mehr hätten im Belvedere-Stöckl einfach nicht platziert werden können. Society-Tiger Erwein Gecmen-Waldek tüftelte noch in letzter Sekunde an der Tischordnung herum, ehe – nach einem Drink im Park und Fotografenrummel – sautierte Steinpilze, Spanferkel mit Serviettenknödeln, Rotkraut und Specklinsen sowie zum Nachtisch Milchrahmstrudel »Vienna« aufgetragen wurden. Baron Gecmen-Waldek, der für die Society das ist, was Wernher von Braun für den Mondflug: »Ein ganz ordinäres Essen für ein Diner, aber das war Absicht.« Kostete immerhin trotzdem seine 57 000 Schilling. Knirschte ein Feinschmecker: »Wenn’s das Ferkel eine halbe Stunde länger im Rohr gelassen hätten, hätt’s dasselbe Geld gekostet.«
Gastgeber Jürgens thronte an einem Ende der Tafel – neben sich die Mutter Elisabeths. Parallel dazu ebenfalls am Kopfende die schöne Brasilianerin, die sich in ihrer Rolle noch recht ungewohnt vorkam. Schließlich war die ganze Romanze erst ihre drei Wochen alt. Zwar hatte Curd Jürgens schon drei Jahre davor Elisabeth Bittencourt bei einem Cocktail, den ihr Vater gab, kennengelernt, doch damals war er mit Simone eingeladen gewesen. »Als ich jetzt nach Wien kam, war ich von Simone bereits getrennt«, erzählte Curd Freunden. »Ich habe Betty dann bei einem Cocktail, den Baron Pantz in Enzesfeld gab, wiedergetroffen und wir haben uns auf Anhieb blendend unterhalten. Sie schickte mir zwei Bücher, die sie über Brasilien geschrieben hat, daraufhin habe ich sie zum Essen eingeladen. Mir war am Telefon ganz komisch zumute, schließlich könnte ich ihr Großvater sein. Dass ich mich in meinem Leben noch einmal so verlieben kann, hätte ich mir nie gedacht.«
Das bekam dann auch Simone Jürgens in Paris zu hören. Curd und Simone telefonierten täglich. Von Scheidung wurde anfangs nicht gesprochen, aber Curd Jürgens hat Simone seine Pariser Wohnung geschenkt. »Sie kann natürlich jederzeit unsere Häuser in Gstaad, Vence oder auf den Bahamas benützen – dann werde ich mich dort nicht zeigen.«
Solche Details belasteten den Filmstar zu der Zeit offenbar nicht. Er gab sich eher wie ein Flitterwöchner. Einmal war man mit dem Privat-Jet des Viennaline-Brillen- und Plastikindustriellen Willy Anger nur zum Abendessen im Maxim’s schnell nach Paris geflogen, am darauffolgenden Tag turtelten Curd und Elisabeth Bittencourt zwei Tage lang in Venedig.
Nicht alle der Jürgens-Freunde und -Gäste genossen das Fest ganz zwanglos, denn es waren auch langjährige Freunde von Simone darunter. Als »Hausfrau« hatte der fürsorgliche Baron Gecmen-Waldek nicht Elisabeth Bittencourt, sondern Prinzessin Marie Christine Bourbon-Parma nominiert. Ihr zu Ehren war die Tafel mit bourbonischen Lilien geschmückt. Allerdings gab’s im Blumengesteck auch Glockenblumen, und einer spöttelte: »Weil’s beim Curd geklingelt hat!«
Die Schmaus-Society war bunt gewürfelt: Neben Botschafter A. Regis Bittencourt und Gattin, den Eltern Bettys, Oscar-Preisträger und Kafka-Verfilmer Maximilian Schell, der lange mit der schönen Heidi Pappas flirtete, die Prinzessinnen Stephanie Windischgraetz und Netty Reuss, die Modeschöpfer Fred Adlmüller und Herbert Schill, die Schlossherren und Barone Hubert Pantz und Richard Drasche, Generalkonsul Dimitri Z. Pappas, Chanteuse Greta Keller, die Maler Leherb – mit Taube Cynthia und Ehefrau Lotte Profohs – und Wolfgang Hutter, Bundesfilmpreisträgerin Dagmar Hirtz, Opernstar James King, Graf Albert Eltz, auch Doktor Doktor, Gritine und Dr. Georg Mautner-Markhof, Industrieller Dr. Herbert Kloiber, Burgdame Susi Nicoletti und Prof. Ernst Haeusserman, »Aggressionen«-Psychiater Prof. Dr. Friedrich Hacker, »Opernführer« Dr. Marcel Prawy usw.
Wie es weitergehen sollte, stand in den Sternen. Doch war sich Curd Jürgens über eines klar: »Betty ist weder eine offizielle Geliebte auf Dauer, noch eine Nebenfrau …«
Die schöne Brasilianerin verduftete im Sog der 007-Dreharbeiten, heiratete in Kanada einen Diplomaten. Natürlich flog ich zum James-Bond-Dreh nach London.
»Du kommst zurecht – exklusiv für dich –, ich bin von Simone seit heute frisch geschieden.«
Zum Abschied schickte Curd Jürgens 100 rote Rosen. »Aber, ich bitte«, wischte er jede Frage beiseite, »so was gehört sich doch. Schließlich haben Simone und ich einander einmal geliebt …« 19 Jahre waren sie verheiratet, in den letzten vier davon wurde um die Scheidung gefeilscht. Sein Zürcher Anwalt Dr. Henryk Kaeslin hatte ihn im Londoner Intercontinental telefonisch informiert.
»Für mich war’s eine fabelhafte Woche. Der James-Bond-Dreh und nun, Gott sei Dank, diese Scheidung.«
Dabei hatte ihn diese Woche, oder, besser gesagt, die Scheidung von Simone Bicheron, 1,7 Millionen Schweizer Franken gekostet. Für ihn aber war der Weg freilich damit frei, Margie Schmitz, seine Liebe seit 18 Monaten, endlich auf den Bahamas zu heiraten.
Der junge Curd Jürgens ließ kaum etwas anbrennen. Als Noch-Ehefrau hatte Simone in einem französischen Interview eine intime Pikanterie aufgetischt, die Curd unendlich peinlich war: Curd habe Nadja Tiller, später »Miss Austria« und Adlmüller-Mannequin, verführt, als sie gerade erst 16 Jahre alt war.
Noch ein Backfisch war Romy Schneider, als sie sich unsterblich in Jürgens verliebte. Das enthüllten Liebesbriefe Romys nach ihrem Tod. Die kurze Liaison begann an der Côte d’Azur, Curd war 42, hatte gerade seine dritte Ehe beendet, Romy nach Sissi – die Schicksalsjahre einer Kaiserin knappe 19 Jahre alt. Sie glaubte noch an die große Liebe, schmachtete in ihren zehn Liebesbriefen, dass er mit dem »Trinken und Rauchen« aufhören solle, zu keinen »anderen Frauen mehr gehen darf«. Zu viel verlangt, die fordernde Liebe endete nach zwei Wochen.
Seine »Jacht auf Radln« nannte Curd das Wohnmobil – 7 Meter lang, 2,45 Meter breit, insgesamt 18,35 Quadratmeter – mit dem er mit Marlene Knaus, später Niki Laudas Frau, weltweit unterwegs war. »Der Generationenunterschied …«, urteilte Jürgens später. »Marlene war für mich eine süße, verrückte, unberechenbare, hinreißende Person, ein fantasievolles Zauberwesen …«
Ja, und dann waren da noch Elisabeth »Betty« Bittencourt, Tochter des brasilianischen Botschafters in Wien, die im Schlossclub Enzesfeld Curd den Bungalow verschönte, und Katja Merlin, für die Curd seine Memoiren »… und kein bißchen weise« begann: »Ich habe sie alle, alle geliebt, so wie die ›Erste‹ – scheu und inbrünstig wie Bach, gläubig und dämonisch wie Mozart, wollüstig und lasziv wie Klimt, zärtlich und ironisch wie Picasso, eifersüchtig und besitzergreifend wie Verdi, träumerisch, romantisch wie Rilke, dramatisch und verzweifelnd wie Beethoven, schreiend weinend wie Michelangelo …«
Auch Françoise Dorléac, die ältere Schwester von Catherine Deneuve. Ich hatte sie noch im Winter 1966, als sie bei minus 34 Grad mit Michael Caine in Helsinki Das Milliarden-Dollar-Gehirn filmte, interviewt. Es wurde ihr letzter Film. Sie verlor am 26. Juni 1967 in Villeneuve-Loubet bei Nizza, auf der Fahrt zu Curd, den sie erst seit wenigen Wochen liebte, mit nur 25 Jahren ihr Leben. Curd war am Boden zerstört, gestand er mir Jahre später.
»Wir genießen es ungeheuer, in der Sonne zu liegen«, rollte Curd mit tiefem Bass nach vier Salzburger Jedermann-Jahren in seinem neuen Traumdomizil bei St. Paul de Vence an der Côte d’Azur. »Regnet es in Salzburg?«
Nach dem Motto »Never a dull moment« hatte Curd das große Hamburger Model Margie Schmitz, Mutter einer Tochter, in seinen Bann gezogen. Drei Monate auf Great Harbour Cay auf den Bahamas, dann nach St. Paul de Vence, seinem elften Haus, vier Wochen danach zu den Dreharbeiten des James-Bond-Thrillers Der Spion, der mich liebte mit Roger Moore und Barbara Bach, später die Ehefrau von Beatles-Drummer Ringo Starr. Gleich anschließend: Jedermann in Salzburg.
Zur Royal Premiere des 007-Thrillers war Margie zwar eingeladen, durfte aber beim Empfang durch die Queen nicht neben Curd stehen, weil sie kein Ehepaar waren. So streng waren dort bei Hof die Bräuche. Worauf Curd kurz entschlossen die Hochzeit mit Margie auf Nassau für den 21. März 1978 organisierte. Margie: »Natürlich hab ich ›Yes, I do‹ gesagt.«
Nur wenige der illustren Gäste ahnten, dass da dreifach gefeiert wurde. Okay – Curd hat seine Margie auf den Bahamas geheiratet. Bekannt. Auch, dass er seine Rosenfarm bei Vence samt seiner Ex-Ehefrau Simone abgelegt hat und nun in St. Paul residierte, war bekannt. Aber Margie war außerdem seit Kurzem Österreicherin.
»Es war wirklich feierlich«, schilderte mir Curd schon nachmittags am Swimmingpool. »Der österreichische Generalkonsul in New York wölbte die Brust heraus, wirkte sehr ernst und würdig und sagte dann: ›Gnädige Frau, küss die Hand, Sie sind Österreicherin.‹«
So darf’s vielleicht nicht wundernehmen, dass eine der ersten High-Society-Partys der Sommersaison 1978 an der Côte d’Azur, zum Auftakt der Filmfestspiele von Cannes, recht österreichische Züge trug.
Im Gegensatz zu Curd liebte Franz Antel das Filmfestival in Cannes. »Ich bin mir zwar vorgekommen wie ein Armutschkerl«, gestand mir Österreichs Filmregisseur Nr. 1, »ein Rolls-Royce neben dem andern. Im Hafen die größten Luxusjachten – eine davon gehörte Sam Spiegel, dem gebürtigen Wiener Hollywood-Produzenten. Ich habe Sam seit 1935 gekannt, als er gerade in den Sieveringer Filmateliers Öl ins Feuer produzierte und eine Dame namens Hedi Kiesler verehrte, die hat später nach einer winzigen Nacktszene als Hedy Lamarr große Hollywood-Karriere gemacht. Die Hedy hat damals in der Alserbachstraße 33 gewohnt. Ich war noch ein ganz kleiner Regieassistent und habe dem Spiegel ein gewisses Fräulein Elfi Zischek vorgestellt, die spätere Maria Holst. Das hat mir der Sam Spiegel bis heute nicht vergessen. Auf der Rosenfarm vom Curd hat er mich sofort erkannt und mich nach 46 Jahren mit meinem Namen begrüßt.«
Antel schickte mir also einen Wagen nach Cannes. »Wir sollen fünf Baguettes, Thunfisch mit Ei, Schinken und Käse, Salade niçoise, Oliven, Paradeiser mitbringen. Er hat mir 100 Francs mitgegeben, aber die kosten fast das Doppelte.«
Typisch: Gute alte Antel-Tradition, bei dem immer die Buffets zu knapp wurden. Also legte ich 100 Francs drauf und wir futterten unsere Sandwiches auf seiner Bungalow-Terrasse, ehe wir zu Curd hinauffuhren.
Dort wartete schon ein üppiges Buffet: Zuckermelonen mit Parma-Schinken, Ente à l’Orange, Wildpastete mit Pistazien, englisch gebratene Hochrippe, rosa Lammkotelett, kleine heiße Scampi-Spießchen und asiatische Spitzfindigkeiten aus der Küche von Virginia und Elias Buenaobra, Curds philippinischem Ehepaar, das die Villa das ganze Jahr über betreute. »Buenaobra heißt ›schöne Arbeit‹. Und die beiden werden ihrem Namen gerecht.«
Sie geigten Nur nicht aus Liebe weinen und Kalinka, Kalinka, und man konnte jede Wette halten, dass »Ka Linker« dabei war. Dafür schritt die Begum im orange schillernden Abendkleid durchs musikalische Spalier, eskortiert von Gunter Sachs, dem Playboy-Industriellen, dem Multimillionär, mit seiner edlen Mirja. Samt Tennisstar Jean-Noël Grinda und seiner traumhaft schönen schwedischen Frau Annelie. Großer Auftritt für 007-James Bond Roger Moore und seine italienische Frau Luisa, in einem Traumkleid von Sybil Gibbs mit perlenbestickter Mephisto-Mütze – »Die trag ich nur, um zu verstecken, dass ich keine Frisur habe!« Luxemburgs Ministerpräsident Gaston Thorn mit seiner blitzgescheiten Frau Lillian und Sohn Alain hatten schon vor dem Fest im Fünf-Schlafzimmer-Gästehaus der Vieille Bastide Quartier bezogen. Dazu tummelten sich weiter die Jürgens-Freunde Lilli Palmer und Ehemann Carlos Thompson, Fürst Philip Schaumburg-Lippe mit Fürstin Bita, Curds alter Freund Hubertus Wald, millionenschwer und schon bei der Hochzeit auf den Bahamas dabei, Fürstin Manni Wittgenstein aus Salzburg, Modeschöpfer Herbert Schill, Regisseur Franz Antel mit Gattin Sibylla, die ja als Curds Ex-Sekretärin faktisch am Ausbau des Hauses mitgewerkt hatte, und Frankreichs berühmtester Bildhauer César.
Weiters war der schönste Damenflor aus Salzburg angejettet: Heidi Pappas mit ihrem Schwager, Generalkonsul Dimitri Pappas, grandioser Gastgeber zu Festspielzeiten, Liz Polsterer, die Gattin des Wiener Jet-Millionärs und Ricky Gagern.
Prinz Johannes Thurn und Taxis, Deutschlands reichster Junggeselle – »ein Viertel Portugiese, ein Viertel Spanier, ein Viertel Österreicher, der Rest ist deutsch« – tanzte mit einer roten Nelke im Knopfloch an. »Hier«, so intonierte er nasal, »kann man die ja gerade noch wie ein englischer Lord tragen. Einmal, in Rom, bin ich mit einer roten Nelke auf dem Piazza Navona umherspaziert – ich liebe die Kirchen dort –, auf einmal gerate ich in eine Menge von 5000 Menschen. Jeder trägt, wie ich, eine rote Nelke im Knopfloch. Man hebt mich auf die Schulter und sagt: ›Genosse, woher kommst du? Feuere die Genossen an!‹ Das war Togliatti, der damalige KP-Chef Italiens, und ich habe dort eine Rede gehalten – vor den Kommunisten! Wo ich doch italienisch viel schlechter spreche, als portugiesisch – ich tu mir so hart mit den Relativsätzen …«
Dann packte noch Salzburgs Parade-Juwelier Haasmann im 200 Quadratmeter großen Wohnzimmer, in dem Curds irischer Wolfshund Rasputin regierte, die kleinen Flitterwochen-Gaben für Margie aus. »Weißen Schmuck hasse ich, ich mag keine Brillanten«, offenbarte sich Curd als Karat-Experte. Die Klunker hatte Curd mit Haasmann selbst in Brasilien ausgesucht: Einen Smaragdring – »Kolumbianischer Stein. Ein Wunder an Klarheit und Schönheit!« – neun Karat Smaragd, mit zehn Karat Brillanten gefasst, so an die 1,5 Millionen Schilling, Ohr-Schmücker, noch einmal eine Million Schilling: zehn Karat Smaragd mit neun Karat Brillanten.
Bescheiden – denn an diesem Abend glitzerte am Hals der Begum ein Perlenkollier, das seine fünf Millionen Schilling wert war.
Fünf Tage nach der Housewarming-Party stand ich als Autostopper an der Autobahnabfahrt Cannes-Nizza. Die anderen Autostopper ließen böse die Daumen sinken. Ich hatte kaum sieben Minuten mit ihnen auf ein Auto gelauert, da rollte der Rolls-Royce, ein kaffeebraunes Silver-Cloud-III-Cabriolet mit Züricher Kennzeichen, an den Autobahnrand, und die elegante Dame mit dem weißhaarigen Kleiderschrank an ihrer Seite ließ mich einsteigen. Da mussten ja die anderen Burschen, die schon ewig warteten, frustriert sein!
Dabei hatte nur mein Rendezvous mit Curd und Margie Jürgens, die aus ihrem Haus bei St. Paul de Vence kamen, bei der Autobahnabfahrt Cannes/Nizza präzise geklappt. Wir fuhren offen und mit flotten 180 in Richtung Sainte-Maxime/Saint-Tropez, denn dort in den Bergen, 15 Kilometer landeinwärts, hatte Sven Boltenstern, der Wiener Schmuckdesigner, zum Lunch geladen, bei dem auch Mijou Kovacs dabei war, Curds Josefstadt-Partnerin in dem Freud-Stück »Berggasse 19«, die ihre Ferien an der Côte verbrachte.
Sinnigerweise heißt der Ort Callas. »Als ich zum ersten Mal hier in der Gegend rumkutschierte«, erzählte Curd, »da hockte auf dem Ortsschild eine Katze und schaute genauso arrogant wie die Primadonna Callas aus.«
Bei einer so musikalischen Gegend – der Nachbarort heißt nämlich Clavier – darf es nicht wundernehmen, dass sich dort eine schöne Pianistin um Sven Boltenstern kümmerte: Elizabeth Sombart, die er in Paris kennenlernte – ihr Vater saß in Straßburg im Europarat. Im Salon stand ein Riesenflügel und Sven hatte sein Cello aus Wien mitgebracht – so spielten beide zusammen.
Bei Salade niçoise und Schweinskoteletts in einer herrlichen Kapernsauce – Elizabeth ist eine exzellente Köchin – ging’s ziemlich polyglott zu. Denn sowohl Mijou als auch Curd lernten Französisch als Muttersprache. Sven lebte Jahre in Paris, Deutsch und Englisch wechselte – und zwischendurch kam das Ungarische auf, denn Mijous Vater ist Ungar. »Also die ungarischen Männer«, bekräftigte Curd, »schätze ich. Zuckmayer – ich lese am 11. August im Salzburger Landestheater aus seinen Werken und spiele Szenen aus Des Teufels General – schrieb über seine Emigration: ›Wenn nur ein Ungar bei Beginn eines Films in Hollywood dabei war, dann waren es zum Schluss zehn. Wenn ein Film mit zehn Deutschen begann, dann gab’s zuletzt nur noch einen.‹ Über die Ungarinnen möchte ich lieber schweigen – nur eines steht fest: ›Never a dull moment‹ – niemals ein fader Augenblick.«
Curd musste es ja wissen, nach seinen wilden Ehejahren, Eifersuchtsszenen und Watschenaffären mit der Ungarin Eva Bartok.
Dass das Leben auch ohne Ungarinnen und Ohrfeigen Überraschungen parat haben kann, erlebten wir auf der Rückfahrt. Als Margie wegen einer Autoroute-Kassa das Tempo drosselte, begann der Rolls plötzlich laut zu klopfen. Wir rollten durch die Kontrolle direkt auf den Parkplatz. Zu spät. Aus der Kühlerhaube quoll der Dampf – kein Wasser und kein Glycerin mehr. Wahrscheinlich ein kleines schlampiges Abschiedsgeschenk des deutschen Chauffeurs, den Curd einmal kurz für zwei Monate ausprobiert hatte, dann aber doch wieder ziehen ließ: »Der hat mir versichert, der Wagen sei im Service total durchgecheckt worden, und der Kühler sei nachgefüllt«, knurrte er. »Wenn das ein Kolbenreiber war, dann wird’s ein teurer Spaß. Dabei liebe ich dieses Auto – 21 Jahre fahre ich damit ohne Probleme, es ist einfach ein Stück von meinem Leben.«
Mit einem Rolls eine solche Panne zu haben, ist ärger als jeder Unfall. Wenn ein Rolls-Royce dampft, dann ist das Volksbelustigung für normale Autofahrer – gerade, dass wir nicht fotografiert wurden. Das harmloseste Angebot kam von einem Ex-Wiener: »Kann ich Ihnen helfen, Herr Jürgens? Ich kenne Sie von früher und sollte in Cap d’Antibes einmal gegen Sie Schach spielen …«
Dafür bestätigte sich, was alle Welt behauptet, als der Abschlepper der Ecurie Automobile St. Maxime vorfuhr: »Ein Rolls wird nie abgeschleppt«, sagten die, »also braucht er auch keinen Abschlepphaken.«
Zu viert, eingepfercht im Führerstand des Citroën-Abschlepplasters, den Rolls huckepack geladen, kehrten wir nach Cannes zurück – immerhin mit Stil. Der Chauffeur hatte Curd sofort erkannt und wusste, wie man mit Filmstars umgeht. Er war früher einmal der Chauffeur von Michelle Morgan, als sie mit Mel Ferrer in Cannes filmte.
Nicht nur mit seinen Filmrollen holte sich Jürgens seine Millionen. Er scheute auch nicht davor zurück, sich selbst in der Werbung zu vermarkten. »David Niven gab mir den Tipp«, versicherte mir Curd. »Die machen mit deinem Gesicht und deinem Namen Werbung für sich, aber auch noch für dich, und zahlen mächtig dafür. Take it, cash it in …«
Curds erste große Werbung war für goldenes Essbesteck und trug ihm prompt üble Häme ein. Man warf ihm die Geschmacklosigkeit eines Neureichen vor. Zehn Jahre später war Curds Ruf als internationaler Filmstar und werbewirksamer Prominenter so aufpoliert, dass die persische Fluglinie Iran Air noch zu Schah-Zeiten in so angesehenen Magazinen wie Time und Life Curd-Jürgens-Fotos inserierte. Mit dem Text: »Wir bringen Sie hin, wohin Sie wollen, pünktlich, entspannt und erfrischt, als ob sie Curt Jurgens wären. Tatsächlich versuchen wir ja, jedermann gleich zu behandeln. Mittelloser Student oder internationaler Schauspieler, sie sind alle gleich für uns. Als Herr Jurgens mit uns flog, behandelten wir ihn ganz einfach wie einen Reisenden, der sich so komfortabel wie nur möglich fühlen soll …« Einziger Schönheitsfehler für Curd: Iran Air verhunzte ihn als »Curt Jurgens«.
Mit Iran Air ist Jürgens nie geflogen. Kaffee aber hat er immer getrunken. Als größter Großverdiener gab er sich auch nie mit Kleinigkeiten ab. So kassierte er innerhalb von zwei Jahren zwei Millionen D-Mark für etwas, was auch Normalsterbliche meist tun – Kaffee trinken. Als Kaffee-Werbetrinker flimmerte Curd leger mit Rollkragenpullover 15 Sekunden lang über deutsche Bildschirme und eröffnete vornehmlich den Hausfrauen: »Meine Damen (und Herren), ich habe noch nie in meinem Leben Werbung gemacht. Für … Kaffee mach ich’s …« Die Lüge zahlte sich aus – cash in!
Auf die Reaktion brauchte er nicht zu warten. Prompt erschien in einer Münchner Faschingsbeilage ein Inserat: »Curd Jürgens jetzt im Film – Der bekannte Werbeträger, Brillenträger, Hosenträger, Gepäckträger, Besteckkastenträger und Unterhosenträger Curd Jürgens wird jetzt aufgrund seiner Karriere als Werbe-Mannequin auch vom Film umworben. Es ist vorgesehen, ihm eine kleine Rolle in einem Werbefilm der deutschen Markenartikel-Industrie zu geben. Der Film steht unter dem Motto: Selbst der allergrößte Dreck geht mit Jürgens spielend weg …«
»Meine Kleene«, fragte Curd, denn er liebte es, privat zu berlinern, »warst du schon mal in Japan? Nee? Na denn spiel ich doch wieder den Bassa Selim in der Entführung aus dem Serail, den hab ich vor 35 Jahren an der Wiener Staatsoper gespielt.«
Nicht zu übersehen – im Getümmel der kleinen Japaner – die hünenhafte Figur des normannischen Kleiderschranks Curd Jürgens. Nun zählte ja auch seine auffallend attraktive Frau Margie keineswegs zu den Kleinen, und so war’s kein Wunder, dass es den Japanern die Köpfe verriss, wo immer Curd und Margie auftauchten. Aber noch unglaublicher war die Popularität, die Curd, der Selim Bassa des Wiener Operngastspiels, genoss: »Wenn einer in einem James-Bond-Film gespielt hat, dann kennt ihn ganz Japan«, strahlte ein Jürgens-Fan.
Ich traf Curd und Margie im Oktober 1980 in der alten Kaiserstadt Kyoto, wo Margie vom Inuimon-Kaiserpalast über den Goldenen Pavillon und die diversen Tempel – Nijō, Ryōan-ji, Kiyomizu-dera und Saniyu Sangendo – die ganze Sightseeing-Skala abklapperte: »Ich wollte ihr das alte Japan zeigen, wie ich es in Erinnerung habe. Schließlich bin ich zum vierten Mal hier«, sagte Curd.
Auf dem Rückweg vom berühmten Zen-Steingarten des Ryōan-ji-Tempels, wo sich eine halbe Mädchenschulklasse darum drängte, mit Margie fotografiert zu werden, kamen wir an einem kleinen Teehaus vorbei. Dort gerieten die Serviererinnen vollends aus dem Häuschen: »Curd Jurgens-san …«, ließ sich aus ihrem erregten Geschnatter heraushören. Schließlich fragte eine unseren Fahrer: »Curd Jürgens-san?«, worauf der Mann japanischen Humor zeigte: »Hej – ja«, sagte er, »das ist Paul Newman …«
Ganz stilvoll japanisch stiegen Curd und Margie, deren luxuriöse Penthouse-Suite im Okura-Hotel in Tokio täglich 200 000 Yen kostete, im Tawaraya-Ryokan, dem berühmten japanischen Hotel von Kyoto, ab. Seit über 300 Jahren ist es in Familienbesitz – und hier logierte Weltprominenz: Alfred Hitchcock, William Faulkner, Jean-Paul Sartre, Arthur Koestler, Leonard Bernstein, Kanadas Premier Pierre Trudeau, Arthur Miller mit seiner Wiener Frau Inge Morath und auch Alain Delon haben dort schon auf dem tatamibelegten Fußboden zwischen Reispapierwänden geschlafen.
Abends ließ Curd für Margie »die Puppen tanzen« – er arrangierte eine Geisha-Party. Allerdings: Mit der schöngeistigen Konversation haperte es – die Kimono-Mädchen mit den hochgesteckten Frisuren und schneeweiß gepuderten Gesichtern sprachen kein Wort englisch. Geschweige denn deutsch.
Das stärkste Abenteuer aber war das Frühstück am Morgen nach der Geisha-Party: »Ich bin aus dem Lachen nicht mehr rausgekommen«, schnaubte Curd. »Margie wollte nämlich unbedingt das japanische Frühstück probieren. ›Dabei esse ich doch nie Fisch‹, lachte sie. Prompt gab’s rohen Fisch mit dem obligat gekochten Reis, kleine eingelegte Pilze mit geriebenem Rettich, aufgebrühten Chinakohl, scharfe Gurkerl, geölte Melanzani, getrockneten Seetang, grüne Zwiebel, gelbe Rüben, eine Suppe mit Tofu-Bohnenkuchen und eine mit geschnittenem Bambus. Dieses Frühstück werde ich mein Leben lang nicht vergessen.«
Als ich im Jahr 2011 auf meiner »Ocean Princess«-Kreuzfahrt – Schanghai, Beijing, Wladiwostok, Hiroshima, Osaka – vier Tage vor dem verheerenden 9,0-Erdbeben in Kyoto Station machte, buchte ich mit meiner Frau Bonni ebenfalls das noble Tawaraya Ryokan. Die Gästebücher von anno dazumal haben die Ryokan-Erben wohl entsorgt. Das Autogramm von Curd Jürgens war nicht mehr aufzutreiben, somit auch nicht meine bescheidene Signatur darunter.
Ein Bett ließ sich Curd Jürgens vor der Wiener Reigen-Premiere im Nobelhotel Sacher reservieren, das er genau einen Monat vorher grollend und mit dem Götz-Zitat auf den Lippen verlassen hatte. »Ich denke nicht daran, nicht mehr im Sacher zu wohnen«, versicherte mir Curd bei einem gemeinsamen Mittagessen. Als Sacher-Dauergast hatte Curd unter den modischen Restriktionen des neuen Sacher-Chefs Peter Gürtler gelitten. Man hatte ihm den Zutritt zum Marmor-Speisesaal verwehrt – weil er keine Krawatte trug, sondern absolut modisch einen hochgeschlossen seidenen Rollkragen-Pulli mit seinem großen griechischen Mykonos-Kreuz. Dann wurde ihm als Hausgast auch noch der Einlass in die Blaue Bar verweigert. Zwar trug er Krawatte, aber eine bestickte tunesische Weste – ohne Ärmel …
»Ich war jahrelang Gast im Sacher. Nicht mehr hinzugehen, wäre Kapitulation. Schließlich ist ein Hotel für seine Gäste da, und nicht umgekehrt. Wer ist Herr Gürtler, der Hotelerbe?«
Was Curd am meisten ärgerte: »Dass die sich so richtig verzopft geben. Was soll denn das ganze Getue um Krawatte und Ärmel. Die spinnen wohl. Schließlich darf man doch nicht übersehen, dass das Haus nicht so stinkfein war, wie es heute gerne tut. Das war doch einmal das Bordell der Erzherzöge, wo man auf einem Sprung nach der Oper im Separee die kleinen Ballettratten vernaschen konnte. Da hat keiner nach Krawatte gefragt, wenn unter die Röcke gegriffen wurde.«
Selbst die legendäre Frau Sacher, so meint er, müsse doch eigentlich im Grab rotieren, wenn sie wüsste, wie spießig man sich heute in ihren Mauern gibt. »Die Frau Sacher wäre wohl die Erste gewesen, die man mit der heutigen Moral des Hotels, aus dem Sacher geschmissen hätte«, war der Star überzeugt. »Man stelle sich das vor: Sie hat doch schon Zigarren geraucht, als eine wirkliche Dame noch nicht daran denken durfte, eine Zigarette zu rauchen. Alles Blödsinn, sich auf den Ruf des Hauses zu berufen, wenn die Begründerin des Hauses als lebensbewusste Dame wusste, was in ihren Separees passierte, Zigarren schmauchte und keineswegs prüde war. Ich lasse mir das Sacher jedenfalls nicht vermiesen. Schließlich habe ich dort fast 20 Jahre lang in alle Leute meine Trinkgelder investiert.«
Curds Feste waren legendär – nicht zuletzt Jedermanns letzte Tafelrunde anno 1973. Von solchen gesellschaftlichen Highlights kann Salzburg heute nur noch träumen. Im Kavalierstrakt vom Schloss Kleßheim agierte der Gastgeber, schwarze Hose, schwarzes Seidenhemd mit schwarzem Halstuch, dazu ein silbernes Kreuz, ganz nach seinem Motto: »Das Leben ist gefährlich, aber es übt kolossal …«
Die illustre Tafelrunde reichte von Joan Kennedy, der Ehefrau des US-Senators Edward »Ted« Kennedy, bis zu Maestro Herbert von Karajan und seiner Eliette. Dazu Jedermanns »Teufel« Martin Benrath, »Glaube« Agnes Fink, die Burgdamen Susi Nicoletti, Inge Konradi, Aglaja Schmid, von der Josefstadt Susanne von Almassy, Vilma Degischer, Prinz Tassilo von Fürstenberg, »Salzbaron« Ady Vogel, damals Schlossherr zu Fuschl, mit Winnie Markus, »Schätzchen« Uschi Glas, Johanna Matz und Prinz Alfi Auersperg, dessen damalige Prinzessin Hannelore – danach Ehefrau von »Haselnuss«-Barden Heino –, die für Joan Kennedy auf Schloss Blühnbach ein Dinner gegeben hatte, O. E. Hasse, extra aus Berlin angeflogen, und Landesverteidiger Karl »Lü« Lütgendorf …
Nach einer letzten »Bloody Mary« flog Curd nach sechs Jedermann-Vorstellungen ohne Regen nach Köln. Fernsehfilm – Regie Michael Pfleghar. »Der Film heißt Double und ich spiele das Double für James Bond. Wann immer es brenzlig wird, schreit der Regisseur ›Das Double muss her!‹ Dann beziehe ich die Prügel, Kristallluster – aus Zucker natürlich – zerbersten auf meinem Schädel. Wenn ich dann weichgeprügelt bin, beugt sich eine Schöne über mich. Aber der Regisseur schreit ›Halt! Weg mit dem Double – James Bond muss küssen‹ – endlich eine komische Rolle für mich …«
»… und kein bißchen weise«, titelte er seine Autobiografie. In seinem Spitalbett im 12. Stock der Wiener Rudolfstiftung, mit Blick über die Dächer Wiens, klang sein Knurren brüchiger als sonst, leicht resignierend: »Das Schlimmste daran ist, dass es so verdammt langweilig ist. Faaad!«
Der alte stolze Löwe haute nicht mehr mit aller Wucht auf den Tisch. Aber Curd Jürgens, Patient von Primar Prof. Dr. Anton Neumayr, Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung der Wiener Rudolfstiftung, hatte sich seinen Sarkasmus bewahrt.
Er trug ein weißes Hemd, aus dem er die Beine ragen ließ, ohne sie zuzudecken. An der Aorta, ein kleiner Mullbausch. Dünne Plastikschläuche, die zum »Tropf« führten: »Ach, hochprozentige Glukose-Infusionen. Mein wirkliches Problem ist, dass ich leider keinen Appetit habe«, seufzte Jürgens. »Ich muss mich jetzt wieder zwingen, selbst Appetit zu entwickeln. Mein Blutdruck ist, für einen, der schon wochenlang im Bett liegt, eigentlich normal – 120 bis 130 zu 8…«
»Das sind die Sünden eines ganzen Lebens, die Belastungen, vom Rauchen angefangen, die in der Erkrankung der Gefäße resultieren«, beurteilte Prof. Dr. Anton Neumayr seinen Patienten Curd Jürgens. »Das hat sich nicht nur auf die Herzkranzgefäße ausgewirkt. Wir haben die drei Arterien, die Professor de Bakey operiert hat, natürlich sofort überprüft, und die Operation darf auch heute noch als Erfolg gewertet werden. Sie arbeiten regelmäßig, wie überhaupt als Erfolg gewertet werden darf, dass die Rhythmusstörungen behoben sind. Herr Jürgens schläft auch wieder normal – aber man kann nicht zehn oder 20 Jahre Belastung einfach zurückdrehen …«
Man hatte Curd Jürgens in den Wochen davor drei Herzinfarkte angedichtet. »Seine Nieren haben sie zur Wäsche gegeben und ein Bein hat man ihm angeblich auch amputiert«, räsonierte Curds Ehefrau Margie, die in den letzten Wochen Tag und Nacht mit ihm das Krankenzimmer teilte.
Das Zimmer, hell, freundlich, mit großen Scheiben. Lilien-, Rotdorn- und Freesien-Sträuße, ein Blumenparadies. Es sah bisher nur wenige Besucher – die »echten, dicken Freunde«: Prof. Dr. Friedrich Hacker, der »Terror«-Spezialist und Psychiater, der eigentlich in Los Angeles lebte, war Stammgast. Curd Jürgens: »Der Hacker kommt manchmal zwei Mal am Tag – rührend.« Modezar Prof. Fred Adlmüller telefonierte zwei Mal täglich, wenn er nicht persönlich aufkreuzte. Als ich Curd – als einziger Journalist, den er empfing – besuchte und brav in einen lindengrünen Kittel schlüpfte, saß Josefstadt-Direktor Hofrat Prof. Ernst Haeusserman an seinem Bett. Er hatte Curd an die Burg geholt, mit ihm Jedermann in Salzburg inszeniert und war einer der echten Freunde. Selbst hier jedoch siezten die beiden einander – das nennt man echte Herren.
»Um sechs ist Wecken, denn da bekomme ich die erste Infusion«, schilderte Curd Jürgens. »Aber dann döse ich nochmal bis halb acht, bis das Frühstück kommt – oder auch nicht. Die ernähren mich ja sowieso über den Tropf. Morgens fühle ich mich ja immer sehr frisch und stark, aber nachmittags schlappst du dann wieder ab. Das Ganze geht eben viel langsamer und zäher, als wir alle gedacht haben. Eine Frage der Zeit. Da brauchst du furchtbare Geduld und Spucke …«
Margie Jürgens war für Curd der direkte Draht zum Leben. Sie gab ihm den Optimismus, den er brauchte, zwang ihn zum Essen, fütterte ihn: »Kleine Häppchen. Ein paar Waldbeeren, Feigen liebt er. Am besten wär’s, er würde zehn Mal am Tag etwas zu sich nehmen.«
Curd warf dazwischen: »Rührend war ja der Udo Proksch vom Demel. Der hat Bouillon geschickt und Schinkenfleckerl.« Immerhin hat Curd die Bouillon genossen.
Margie las ihm die Nachrichten-Magazine, den Spiegel, Newsweek vor. Schräg zum Bett stand ein Fernseher: »Mein Gott«, feixte Curd Jürgens, »ist dieses Fernsehprogramm fad! Das kann ich ja jetzt wohl beurteilen?«
»Siehst du die Zeit im Bild, die Politik?«
»Das nennst du Politik?«
Das klang ja fast wie der alte Jürgens. Dann schlich sich wieder ein elegischer Zug ein: »Voriges Jahr um die Zeit, da fuhren wir mit dem Rolls-Royce mit dampfendem Kühler…«
Das Herz des großen Mannes hörte am 18. Juni 1982 um 1 Uhr zu schlagen auf. Weltstar Curd Jürgens starb im Alter von 66 Jahren auf Zimmer 1202 der Wiener Rudolfstiftung. Seine Frau Margie war, wie stets in seinen letzten sechs Wochen, an seinem Bett: »Er hat so schön ausgeschaut, wie er dalag«, schluchzte Margie, »aber er war eben tot.« Die offizielle Todesursache: chronisches Herzversagen.
Curd Gustav Andreas Gottlieb Franz Jürgens wurde in einem Ehrengrab der Stadt Wien – 32C Nr. 54 – auf dem Wiener Zentralfriedhof bestattet. Eine Ehrenformation der österreichischen Luftwaffe flog über sein Grab. Ein letzter Salut für »des Teufels General«.
Für Freunde floss der Champagner wie zu Curds Zeiten. Das hatte Margie Jürgens auch nach dessen Tod beibehalten. Aber die Freunde wurden rarer, vorbei das intensive, aufregende Luxusleben mit Curd Jürgens, dem Vollblutmenschen und Jetsetter – als dieser Begriff noch Exklusivität besaß. Margie Jürgens igelte sich mehr und mehr in Zürich ein, wo sie nach qualvollen Monaten im Jahr 2003 ihrem Krebsleiden erlag. Im Alter von nur 62.
An ihrem Sterbebett ihre Tochter Miriam (in London mit ihrem schottischen Ehemann Alan Duncan in der Werbung tätig). Mutter Margie hatte für Miriam vier Jahre davor eine glanzvolle Hochzeit auf dem Jürgens-Prachtsitz oberhalb von St. Paul de Vence mit prominenten Freunden ausgerichtet.
Doch Margie ahnte wohl schon, dass es ihr letztes großes Fest sein könnte. St. Paul de Vence wechselte danach den Besitzer ebenso wie der schlichte Bungalow auf Great Harbour Cay auf den Bahamas und das Chalet in Gstaad. St. Paul de Vence kam in amerikanische Hand – John Kluge, US-Tycoon deutscher Geburt, der mit acht Jahren nach dem Tod seines Vaters mit seiner Mutter von Chemnitz nach Detroit (Michigan) emigriert war, hatte den Traumsitz in Augenschein genommen und auf der Stelle davon Besitz ergriffen. Ohne Wimpernzucken oder Feilschen zahlte er den Preis, den Margie forderte. Kluge schenkte das Anwesen seiner Tochter – eine kleine Morgengabe, wenn man auf drei Milliarden Dollar Vermögen sitzt.
»Es kommen zwar immer wieder Freunde im Sommer«, schilderte mir Margie Jürgens bei ihrem letzten Wien-Aufenthalt, als sie im Theatermuseum am Lobkowitzplatz die »Curd Jürgens«-Ausstellung eröffnete, in der Blauen Bar im Sacher, »aber oft bin ich wochenlang allein mit dem philippinischen Ehepaar, das St. Paul das ganze Jahr über betreut.«
Eines war Margie nach dem Tod von Curd klar geworden: »Einen Mann wie Curd gibt es kein zweites Mal. Und letzten Endes ist er der Maßstab geblieben, an dem ich alle anderen Herren messe.«
Ihr Glück mit ihm dauerte nur vier Jahre.
Margies letzter Wunsch: »Ich möchte verbrannt werden. Und streut meine Asche in ein Gewässer.«
Es war der Zürichsee.