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Klaus Maria Brandauer

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Der Hamlet, der die Windeln wechselt

Es bedurfte wohl eines Papstes, um zu erleben, wie Jedermann und der Teufel sich in die Haare gerieten. »Ich hab jedenfalls schon vorhergesagt: ›Ich küss ihm die Hand, ich bin Katholik‹«, betont heute noch Klaus Maria Brandauer, damals der Jedermann von Salzburg, als 1983 der Salzburger Jedermann auf dem Kapitol von Rom gastierte – inklusive Empfang bei Papst Johannes Paul II. in Castel Gandolfo, dem Sommersitz des Heiligen Vaters. 45 Minuten Papstaudienz, die von besonderer Herzlichkeit, Emotionen und Spontanität geprägt waren.

Selbst der Teufel ging vor dem Heiligen Vater in die Knie, auch wenn er vorher noch ganz anders geklungen hatte. Für Susi Nicoletti war es »mein schönstes Geschenk«, sie feierte an diesem Tag ihren Geburtstag. Johannes Paul II. ließ sich jeden Schauspieler einzeln vorstellen, fragte speziell nach Klaus Maria Brandauer. Buhlschaft Marthe Keller machte ebenso wie Susi Nicoletti einen tiefen Knicks.

Mit den Worten: »Jetzt machen wir eine Fotografie«, scharte Johannes die Jedermann-Mimen von Marianne Nentwich (Werke), bis Karlheinz Hackl (Jedermanns Guter Gesell) vom Domplatz um sich. Zwischendurch kam ein Sekretär des Vatikans und überreichte zwei kleine Etuis, ein rotes mit schwarzem Rosenkranz für den Jedermann, ein weißes mit weißem Rosenkranz für die Buhlschaft.

Was selbst der Heilige Vater nicht ahnen konnte: Die Buhlschaft trug unter ihrem schwarzen Rock keine üblichen Dessous. »Statt Höschen und BH zog ich meinen schwarzen Badeanzug an.« Sie hatte Angst, die Drücker vom Büstenhalter könnten versagen, das Gummiband vom Slip reißen: »Mir liefen die Tränen über die Wangen. Ich habe ihm auch dıe Hand küssen wollen«, verriet mir Marthe Keller nach der Audienz, »aber ich habe meine eigene Hand erwischt vor lauter Aufregung. Dieser Mann hat mich total geschafft, was für ein Mensch.« Das fand auch Burgmime Heinrich Schweiger: »Diesen Papst kannst du«, schüttelte er den Kopf, »am Burgtheater nicht besetzen, so schlicht und ergreifend wie er ist.«

Nur Teufel Helmut Lohner fand die Sprache wieder, auch wenn er mit Klaus Maria ums Niederknien stritt: »Bei dem Geschiebe im Castel Gandolfo wären wir viel schneller durch die Massen gekommen, wenn ich mein Teufels-Kostüm angehabt hätte.«

Für einen G’spritzten habe ich Brandauer eine Filmrolle vermittelt. Es wurde Champagner.

Im Frühjahr 1983 hatte mich Robert Duvall, der grandiose Consigliere der Mafia-Filme Der Pate I und Der Pate II und in Coppolas Apocalypse Now der knochenharte Colonel, inzwischen Oscar-Preisträger, beim Filmfestival in Manila gelöchert: »Können Sie mir sagen, wo ich diesen Brandauer finden kann? Ich bin ganz versessen auf diesen Burschen, seit ich seinen Mephisto-Film gesehen habe. Was für ein Schauspieler. Ich will ihn unbedingt für meinen Papst-Film. Duvall als Papst, Brandauer sein Gegenspieler.«

Karin Brandauer, damals beim 40. Geburtstag von Klaus Maria: »Das tollste Drehbuch, das ich seit Jahren gelesen habe – nach 20 Drehbüchern, die uns nach seinem James Bond-Film Sag niemals nie angeboten wurden.«

Es war aber kein Papst-Film, den Brandauer dann mit Duvall drehte, sondern Das Feuerschiff unter der Regie des polnischen Starregisseurs Jerzy Skolimowski.

Auch Brandauer schaffte nach seinem Mephisto, mit dem er den Oscar einheimste, als 007-Bösewicht in Sag niemals nie, zwei weiteren István-Szabó-Filmen, Oberst Redl und Hanussen, und natürlich mit dem Oscar-nominierten Jenseits von Afrika als Filmpartner von Meryl Streep und Robert Redford, Hollywood-Gagenstatus. Zwar legte er sich danach auch ein Apartment in New York zu, aber weitaus mehr Geld ging für seine ambitionierten Eigenproduktionen wie Georg Elser – einer aus Deutschland über den gescheiterten Hitler-Attentäter, und den Thomas-Mann-Stoff Mario und der Zauberer drauf.

Die Burg hat Brandauer trotz seiner internationalen Filmkarriere nie aufgegeben. Seit 2008 ist er Ehrenmitglied des Burgtheaters. Zwischen Oberst Redl und Jenseits von Afrika war er Hamlet.

Zur Premiere im Jahr 1986 war ich noch extra aus New York angeflogen, schon im schwarzen Anzug, vom Airport direkt zum Ring. »Pass auf«, warnte ich meinen Fotografen Peter Lehner, »ich hab den Jetlag. Wenn ich einschlafen sollte, gib mir einen Stesser.«

Brandauers Hamlet war so faszinierend, dass ich keine Probleme hatte. Erst bei Klausjürgen Wussow als Horatio fielen mir die Augen zu. Prompt bekam ich einen Rempler, kippte zur anderen Seite und Peter Lehner, der dort saß, wurde wach.

Ein Jahr später … Mit Kleingeld hätte das keiner geschafft. Es bedurfte schon eines Klaus Maria Brandauer, dem ORF die bislang massivste Konzentration an Weltprominenz zu bescheren. Selbst ein Johnny Carson, damals Amerikas Talkmaster Nr. 1, hätte sich da alle zehn Finger abgeschleckt: »James Bond« Sean Connery als lockerer Plauderer, als feministischen Schuss aus Rom die umstrittene Nachtportier-Regisseurin Liliana Cavani, freundlich wie sein Film Robert Wise, dem Salzburg The Sound of Music verdankt, die Hollywood-Wienerin Luise Rainer (zwei Mal mit Oscars bedacht), Oscar-Preisträger Robert Duvall (Comeback der Liebe) und schließlich, um die Sache politisch abzurunden, Jewgeni Jewtuschenko, der dichtende Perestroika-Russe.

Nicht ohne Pikanterie, dass hinterher in der Salzburger ORF-Kantine, die den Charme eines U-Bahnabteils ausstrahlte, des Kremls Erzfeind 007 mit dem sibirischen Verseschmied zusammenhockte und beim Wein und über Film palaverte. Damals heckten sie Das Russlandhaus mit Brandauer und Connery in den Hauptrollen, Drehbuch: Jewtuschenko, aus. Sollte es Massenszenen geben, versprach Jewtuschenko: »Da holen wir uns Soldaten und Pferde von der Armee.« Ganz koscher war der Geheimagent Ihrer Majestät der Queen dem literarischen Bannerträger des Kreml dann doch nicht. Denn morgens, kurz vor vier, knurrte er über den James-Bond-Star: »He fucks his roles …«

Besser hätte wohl gepasst: »He fucks his holes.« Denn Connery, ganz strahlende Lässigkeit, witzig, gescheit, charmant, hat diesen gesunden Schuss Selbstironie, der so sympathisch macht. »Ich war rund um die Welt«, verriet mir Sean, »für die Promotion von Never Say Never Again. Jetzt bin ich wieder arbeitslos.«

Als Klaus Maria dazwischenbohrte: »Was machst du eigentlich mit dem ganzen Geld, das du verdienst?«, grinste Connery trocken: »Zwei Mal Pleite …«

Micheline und Sean Connery sowie Jewtuschenko speisten Anfang August 1989 bei Fürstin Manni Sayn-Wittgenstein-Sayn, die in ihr Haus zu Käsesuppe, faschierten Laberln mit Spinat und Marillenfleck eingeladen hatte. Sie machte im Dirndl übrigens solche Figur, dass Jewtuschenko sein Auge wiederholt über ihr prächtiges Dekolletee schweifen ließ. »Er hat so was wie ›impressive lucky glasa‹ gemurmelt … irgendwas über ihren Busen wohl …«

Er sei nicht ganz arbeitslos, strahlte Sean ganz nebenbei: »Wenn ich daheim in Marbella bin, dann spiele ich vier, fünf Tage in der Woche Golf. Ich habe Handikap 7!« Was, wie alle Golfwelt weiß, so gut wie 007 ist. Er nutzte auch die Salzburg-Visite, und damit blieb Zell am See ein kleiner Golfkrieg nicht erspart. Die Zeller am See hatten es sich 300 000 Schilling kosten lassen, Sean mit seinem Handicap 7 zur Eröffnung des 18-Loch-Golfplatzes einzufliegen. Aber der große Reklamerummel ging glatt in die Lederhosen. Das Handicap der Zeller: Von ihrem 18-Loch-Platz waren erst 9 Holes in Betrieb. Connery flog mit seiner Michelle umgehend ab. Die Freundschaft mit Brandauer hat das keineswegs beeinträchtigt.

Ursprünglich sollte Brandauer bei der Jagd auf Roter Oktober, dem atomgetriebenen Sowjet-U-Boot, die Rolle des Kapitäns übernehmen. »Man würde dich nach Jenseits von Afrika zum ewigen Russen abstempeln. So wie andere deutsche Schauspieler ständig SS-Offiziere spielen.« Daraufhin überließ Brandauer die großartige Paraderolle Sean Connery, der damit den Umstieg von 007-James-Bond schaffte. Jagd auf Roter Oktober spielte Millionen ein.

Nachgerade paradox, dass Brandauer dann Streets of Gold drehte: »Ich spiele einen abgetakelten russischen Boxtrainer, der einen Iren für die Weltmeisterschaft gegen einen Russen scharf macht.«

Vor Streets of Gold hatte er hart trainiert, Schnurspringen und Liegestütze. »In den drei Wochen Boxtraining für die Rolle habe ich fünf Kilo abgenommen«, amüsierte sich Brandauer. »Schließlich hatte ich den Trainer, der sonst ›Rambo‹ Sylvester Stallone und Robert De Niro für seine Rolle in Wie ein wilder Stier fitgemacht hat.«

Für Georg Elser – Einer aus Deutschland gingen an die 100 Millionen Schilling drauf. Der Film über den Hitler-Attentäter, einen Uhrmacher, dessen Anschlag 1939 nur scheiterte, weil Hitler sieben Minuten eher von einer Münchner Bürgerbräu-Rede wegfuhr, war Brandauers erste Regiearbeit. »Elser – ein Mann ohne politische Information, kein Intellektueller. Der Hitler für böse hielt, einen Krieg verhindern wollte. Alle Welt kennt den Attentäter Oberst Graf Stauffenberg – keiner den Uhrmacher Elser. Es gab 42 Attentate auf Hitler – Elsers war das 28.«

Das arge Wort »Klischee-Tante« blieb im Äther hängen, als Regisseur und Hauptdarsteller Brandauer, noch vor der Wiener Premiere seines Films, von der Ö3-Wecker-Plauderin Nora Frey am 21. Oktober 1989 für Freizeichen interviewt wurde. Brandauer war auf eigene Kosten mit einer Privatmaschine von München nach Wien geflogen, um den Interview-Termin zu halten.

Aber Nora hatte bereits die falsche Musik ausgewählt, nämlich die aus Brandauers Film Jenseits von Afrika, und dann noch die dreiste Frage auf den Mikro-Lippen: »Wie küsst Meryl Streep?«

Brandauer nach der Elser-Premiere: »So ein Schwachsinn ist mir doch noch selten untergekommen. Ich habe es satt, mich mit Tanten konfrontiert zu sehen, die nicht wissen, worum es überhaupt geht, die mich als Showelement ausnützen wollen. Sie spielte die Jenseits von Afrika-Musik, obwohl ein dreifacher Oscar-Preisträger, nämlich Georges Delerue, die Musik für meinen Film komponiert hat. Die Frage nach den Küssen mit Meryl Streep gab mir den Rest, da wurde ich sauer. Und dann hatte die Dame den Film nicht einmal gesehen.«

Zwar rauchte er wieder, obwohl er es sich mehrmals abgewöhnen wollte, doch keineswegs die Glimmstengel »Men« der Austria Tabak. Die verursachten Klaus Maria als Oberst Redl schon vor der Premiere bei der Viennale 1985 Hustenreiz und Augenbrennen. Brandauer hatte nämlich nichts mit den »Men«-Plakaten, die für seinen Film warben, zu tun.

»Die Leut glauben, dass ich da eine Unsumme Geld kassiert habe. Schmarrn!«, schwörte der Filmstar, der wegen der Wiener Galapremiere extra die Dreharbeiten für Jenseits von Afrika mit Meryl Streep und Robert Redford unterbrach. »Ich habe dem Plakat zugestimmt, weil der Constantin-Filmverleih mithilfe der Austria Tabak die Werbung für unseren Film intensivieren konnte. Das ist aber auch schon alles …«

Für das Plakat wurde ein Standfoto aus Oberst Redl ausgesucht, das Brandauer mit Zigarette zeigt – aber ehe er Oberst wurde. Das Plakat hatte einen Schönheitsfehler, der alte Militärs auf die Palme brachte: »Was heißt da Oberst Redl«, reklamierten alte Offiziere, »der tragt doch die Uniform von einem Major …«

Zwischen zwei Hamlet-Vorstellungen jettete Klaus Maria an zwei spielfreien Tagen nach Hollywood und kassierte dort für Jenseits von Afrika den Golden Globe, ein sicheres Signal für einen Oscar-Anwärter. Als Brandauer drei Jahre vorher für Mephisto den Oscar in Händen hielt, galt die Trophäe ausschließlich dem Film, weil ausländische Werke nur im Ganzen bewertet werden. Aber damals lernte er Meryl Streep kennen, die ihn sofort vereinnahmte: »Wir müssen miteinander drehen!« Das fand auch Starregisseur Sydney Pollack (Tootsie), der dann mit den beiden Stars und Robert Redford Jenseits vom Afrika fertigte.

Natürlich waren die Erwartungen für den Oscar hochgeschraubt. Jenseits von Afrika schlug nicht nur Kassenrekorde, sondern glänzte auch mit den meisten Oscar-Nominierungen. Dazu war ich natürlich in Hollywood zur Stelle. Im noblen Beverly Wilshire Hotel – viel später die Spielwiese für Julia Roberts und Richard Gere bei Pretty Woman – stießen wir mit Schampus auf den Abend an.

Karin Brandauer hatte in der Hektik des Abflugs einen dunkelblauen Anzug erwischt, also musste sich Klaus noch schnell einen Smoking samt Fliege und Bauchbinde zulegen. Während er den Smoking probierte, witzelte er noch: »Wenn ich’s ned wer’, spring i auf und sag ganz leise, aber eiskalt: Schiebung.«

Er bekam den Oscar nicht, verkniff sich auch die »Schiebung«. Hollywoods triefende Nostalgie schlug zu. Jenseits von Afrika war der eindeutige Sieger der Nacht, wurde bester Film und mit weiteren sechs Oscars – darunter der Regie-Preis für Sidney Pollack – ausgezeichnet. Nur die Darsteller blieben auf der Strecke. Der Oscar für den besten Darsteller einer Nebenrolle ging an den Hollywood-Veteranen Don Ameche (79), der für Cocoon noch einmal seinen Charme sprühen ließ. Meryl Streep blieb gegen Grand Old Lady Geraldine Page (A Trip to Bountiful – Reise ins Glück) auf der Strecke. Bob Hope, die alte Spottdrossel der Tinseltown, nur unwesentlich älter als Don Ameche, vor den TV-Kameras: »Don hat’s mit Breakdance zum Oscar geschafft, ich hab’s mit der Schauspielerei probiert – no chance. Zuerst ist es dem alten George Burns mit über 90 gelungen. Jetzt Don und Buddy Rogers, der war schon zu Stummfilmzeiten mit Mary Pickford verheiratet. Ich hoffe, der Trend hält an!«

Hollywood-Veteran Buddy Rogers drückte seinen Ehren-Oscar an die Brust und schnaubte: »Man sagt, alte Schauspieler sterben nicht, sie kriegen nur keine Rollen mehr …«

Hollywood hat Klaus Maria Brandauer trotzdem nicht vergessen, so drehte er mit Starregisseur Francis Ford Coppola in Argentinien Tetro. Heute hat Brandauer auch in Berlin eine Wohnung, wo er nach dem Tod seiner ersten Frau Karin immer wieder mit seiner zweiten Frau, Natalie Krenn, einer Theaterwissenschaftlerin, logiert. Man hat Brandauer oft nachgesagt, er sei schwierig – bei den Proben für die Dreigroschenoper warf er ein ganzes TV-Team hinaus. Er mag halt keine dummen Fragen.

»Arg verschüttet«, so beurteilte Brandauer sein Mittelschul-Französisch, als ihm ein Angebot, das er nicht abschlagen konnte, aus Paris ins Haus flatterte. Das französische Fernsehen wollte ihn für die Titelrolle einer neunteiligen TV-Serie nach Romain Rollands Roman Jean Christophe.

Innerhalb weniger Wochen büffelte Klaus Maria daraufhin mit einer Französischlehrerin seine Rollentexte so perfekt, dass er seiner Frau Karin verkünden konnte: »Die sind hier alle so verblüfft über mein Französisch, dass ich nicht einmal synchronisiert werde. Wir drehen gerade in Genf, in Paris streiken die Studioarbeiter. Hier sterbe ich gerade – arm und verlassen an einer Herzschwäche.«

»Ein bisschen Bauchweh hatte Klaus schon vorher«, gestand mir Karin Brandauer. »Er befürchtete, dass er nur mit Sätzen aus dem Drehbuch antworten könnte, wenn ihn jemand privat auf Französisch anspricht. Aber dann war er mit seinem Regisseur und Kollegen privat essen und palaverte munter drauf los.«

Karin, als TV-Regisseurin international etabliert, war nicht von der französischen Partie, weil sie für einen eigenen Film nach Kairo musste. »Die Karin«, betont Brandauer, »hat ihre eigene Karriere gemacht. Ohne meine Hilfe. Nur ich hätte ohne sie, ohne Rückhalt in meiner Familie, nie die Disziplin für meine Ambitionen aufgebracht.«

Die Franzosen holten ihn auch für ihre Superproduktion Die französische Revolution als Danton vor die Kamera. »Ein Monsterprojekt«, so Brandauer, nachdem er viereinhalb Monate in Paris, Versailles, Bordeaux und Strasbourg gefilmt hatte. »Das ganze Projekt – zwei Filme, Les années lumière und Les années terribles, die Zeit bis zur Verhaftung Ludwig XVI. und dann die Jahre bis zur Exekution von Danton und Robespierre – verschlingt 52 Millionen Dollar. Aber die Franzosen ließen sich bei ihrer Geschichte nicht lumpen. Sogar die Armee stellte für Massenszenen Tausende Soldaten als Statisten.«

Produzent Alexandre Mnouchkine hatte ursprünglich den französischen Star Robert Hossein, den Ex-Ehemann von Marina Vlady, als Danton im Sinn. Aber dann sah er am Salzburger Domplatz Brandauer als Jedermann, und da wusste er, wer sein Danton sein wird. Mitten in einer internationalen Starbesetzung: Jane Seymour als Marie-Antoinette, Claudia Cardinale als Madame de Polignac, Peter Ustinov als Mirabeau und der polnische Schauspieler Andrzej Seweryn als Robespierre.

Der größte Clou von Cannes im Mai 1981 kam nie zustande. »Zu spät, zu spät«, seufzte Brandauer, der als Mephisto von den Plakattafeln der Croisette Unheimlichkeit verstrahlte. »Diese Maske dauerte schon im Studio täglich zwei Stunden. Und ich hatte weder die Schminke mit noch die Gummihaut für die Glatze noch meine Maskenbildnerin.«

Sonst wäre Brandauer glatt in der Originalmaske des Mephisto den roten Teppich des Palais des Festivals hinaufmarschiert. Wetten, dass diese Fotos um die ganze Welt gegangen wären. Einen Smoking hatte er ja mit, aber dann platzte der Hosenboden. Den stopfte seine Karin erst noch schnell, ehe sie ihm Schuhe für den Galabend kaufen ging. »Wir sind ja mit einer viersitzigen, einmotorigen Cessna in drei Stunden direkt von Graz nach Cannes geflogen. Am Abend hab ich noch in Forchtenstein Grillparzers Der Traum, ein Leben geprobt. Da hab ich einen Ringkampf in 18 Metern Höhe mit dem Michl Janisch g’habt. Nicht einstudiert – nur ein Schnapsl. Und dann wird g’rauft. Aber Cannes wollte ich nicht auslassen.«

Mephisto war zwar mit István Szabó als Regisseur als ungarischer Beitrag nominiert, wurde aber – Kompliment an den Hauptdarsteller – in deutscher Sprache gezeigt.

Mit offener Hemdbrust und 20 Minuten Verspätung stürmte Brandauer bei seiner zweiten Cannes-Visite im Palais des Festivals in die Oberst Redl-Pressekonferenz, die schon voll im Gange war. Brandauer kam geradewegs aus Afrika und war – via Rom – elf Stunden unterwegs gewesen.

»Es ist wirklich eine Knochenschinderei«, ächzte Klaus, als wir noch vor der großen Redl-Gala im bummvollen In-Restaurant auf der Croisette ein paar Tagliatelle bestellten. »Wir hatten außerhalb von Nairobi gestern noch Nachtaufnahmen für Jenseits von Afrika. Die Dreharbeiten dauern jetzt ja schon fünf Monate. Wir filmten eine Riesenparade mit Hunderten Statisten mit Fahnen und Fackeln, die immer wieder die gleiche Strecke abmarschierten. Regisseur Sydney Pollack wusste natürlich, dass ich nach Cannes zum Festival wollte. Robert Redford und Meryl Streep waren fabelhaft, Punkt sieben auf dem Set, damit ich ja zeitgerecht abgedreht sein würde. Ich trug schon normale Straßenschuhe, weil wir nur noch Großaufnahmen schossen. Es dauerte trotzdem bis 2 Uhr früh, 2.30 Uhr ging die Alitalia nach Rom, wo Karin schon wartete. Das alles, damit ich mich bei der Gala verbeugen konnte. Oberst Redl lief schließlich in Konkurrenz.«

Beim Stichwort Burgtheater haderte Brandauer mit der in der Ära Peymann fast obligaten Unterschätzung der Schauspieler. »Je näher ich dem Burgtheater komme, desto weniger weiß ich, wie ich heiße.« Als Burgchef hatte sich Claus Peymann ja nicht gerade beliebt gemacht. Vor allem mied er die Kantine: »Da wienert es mir zu sehr!« Im Bochumer Burgjargon raunzte er: »Hier glaubt jeder, sich meiner Person als Parkbank bedienen zu können, die er bepinkeln kann. Man müsste das Burgtheater abreißen lassen.«

Inzwischen probte man dort Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Besetzung: Klaus Maria Brandauer, seine Salzburger Buhlschaft Elisabeth Trissenaar, Andrea Clausen und Markus Boysen, der Sohn von Rolf Boysen, unter der Regie von Trissenaar-Ehemann Hans Neuenfels. Noch arbeiteten sie mit dem Buch in der Hand, aber es kriselte: »Text lernen, das ist die entwürdigendste Arbeit in unserem Beruf«, schüttelte sich Brandauer, »weil man leider nicht so schnell wie ein Gymnasiast über Nacht für die Prüfung um 9 Uhr lernt, und es mittags schon wieder vergessen hat.«

Nicht unproblematisch, diese Angst vor Virginia Woolf auf der Burgbühne: »Der Albee hat das wie ein Boulevardstück geschrieben. Auch wenn es eine ganz aufregende Geschichte zwischen zwei Ehepaaren ist. Das ist großes Drama wie bei Ibsen oder Strindberg, dabei geht’s zu wie an den Kammerspielen.«

Das Rundherum nach der Premiere war mindestens ebenso bühnenreif wie die glanzvolle erste Vorstellung. Da flogen zwar keine Fetzen mehr wie auf der Bühne, aber die stummen Giftpfeile. Dieser »Virginia« ging ja einiger Knatsch voraus. Krach in den Kulissen, Gerüchte von Menstruationshöschen oder derlei Geplapper, verlegte Premiere. Zu guter Letzt – Theater wie man’s an der Burg sehen wollte.

Zur Party im Plaza brachte Brandauer neben seiner Karin auch noch Starregisseur István Szabó mit. Aber die Virginia-Protagonisten waren nicht mit ihrem Regisseur Hans Neuenfels unter einen Hut zu bringen. Geschweige denn auf ein gemeinsames Foto. Man sah’s schon auf der Bühne. Als Elisabeth Trissenaar beim Schlussapplaus Brandauers Hand nahm, da zuckte der zusammen, als hätte man Luzifer mit Weihwasser berieselt.

Kein einziges Foto mit Regisseur Neuenfels. »Mit dem bestimmt nicht«, plankte Boysen ab. Nicht zuletzt ging’s um das alte lausige Burg-Problem seit der Peymann-Ära. Welche Sprache spricht man an der Burg? Das Deutsch von Brandauer, Heltau, Pluhar, Werner, Jesserer, Lindner und Aslan? Oder das von Regisseur Neuenfels propagierte germanische Stakkato. Preisfrage: Wie betont man in Wien: Papa? Mathematik?

Da, zum Glück, merkt man, was in Wien noch zählt. Dank Brandauer. Da half auch nicht, dass mir Neuenfels-Gattin Trissenaar versicherte: »Ich bin ja auch in Wien geboren. Ich könnte genauso Wienerisch reden.« Aber dann sagt sie halt doch: »Ich bin gewesen.«

Und das einzige Österreichische im ganzen Text, das vorkommt, ist der Satz »Meine Badewanne aus Österreich.« Und der ist original von Autor Edward Albee.

Während seiner zehn Jahre als Salzburgs Jedermann etablierte er auch noch die Poesie im Ausseerland. Zugpferd zum Auftakt war Moskaus Glasnost-Poet Jewgeni Jewtuschenko, dessen neuer Gedichtband Mutter und die Neutronenbombe gerade auf Deutsch erschienen war. Klaus Maria inszenierte mit ihm seine persönliche Art von Perestroika: »Wer Jewtuschenko gehört hat, wenn er eigene Gedichte liest, der versteht plötzlich russische Poesie. Er ist ein Gigant der Sprache, da kann ich mit den deutschen Übersetzungen kaum mithalten.«

Der baumlange Russe mit dem wirren Haarschopf entpuppte sich modisch grell wie ein Papagei, während Brandauer in seinen alten Krachledernen der Altausseer Haute Couture entsprach.

Zur Lesung war Jewgeni noch im bronzefarbigen Hemd gekommen, doch dann stieg er auf ein grelles, pinkfarbenes Sakko, rot-gelb-schwarze Socken und eine surreale blaue Krawatte mit zartrosa weiblichen Aktposen um: »Ich war gerade in Thailand, da ist die Mode so bunt«, erklärte er der obligaten Ausseer Freundesrunde mit Jedermann-Mutter Elisabeth Orth, der Dichterin Barbara Frischmuth, Jedermann-Regisseur Gernot Friedel, Fritz Muliar (Dicker Vetter, in Salzburg auch noch als Totengräber im Einsatz), Zukunftsforscher Prof. Robert Jungk, Dr. Hannes Androsch mit Gattin Brigitte und Ballett-Pensionist Ernst »Heuli« Heuberger hinterher im Gasthaus Loser, wo zur Feier des Tages eine Rekord-Forelle aus dem See – 7,40 Kilo schwer – nebst Hallstätter Reinanken mit Krensauce, gebratenen Schweinsripperln mit Eierschwammerln und Serviettenknödeln aufgetischt wurde.

Als sich Burg-Pensionist Prof. Fritz Muliar von Jewtuschenko ein Autogramm in dessen Gedichtband holte, schrieb der Moskauer Abgeordnete zum Obersten Sowjet mit leichter Feder auf Englisch: »Wenn ich einmal tot bin, dann möchte ich mir wünschen, dass Sie mein Totengräber werden.«

Worauf »Totengräber« Muliar prompt versprach: »Wird gemacht …«

Seine ersten Altausseer Kulturtage hatte Brandauer aus eigener Tasche finanziert. Sie wurden ein voller Erfolg. Neben Jewtuschenko hatten Walter Schmidingers Valentin-Abend, Helmut Lohners Nestroy-Lesung, Fritz Muliar mit Von Schwarz-Gelb bis Rot-Weiß-Rot, Elisabeth Trissenaar als Fräulein Else und Brandauers Gedenkabend zum 80. Geburtstag von Friedrich Torberg dafür gesorgt. »Wir haben sogar einen Reingewinn gemacht, über 350 000 Schilling.«

»Nach der Torberg-Lesung, so um 5 Uhr früh, bin ich in den See g’hupft. Der hat grad 19 Grad Wassertemperatur«, beutelte es Klausi, »aber nur auf den ersten zehn Zentimetern, zehn Zentimeter tiefer 15 Grad und der Rest unter elf Grad. Da heißt’s flach schwimmen.«

Nicht nur Das Rußland-Haus brachte Klaus Maria Brandauer nach Moskau. »Dieses Friedensforum war eine tolle Sache«, bestätigte mir Karin Brandauer. »Wir waren ja schon früher in Moskau, als Klaus mit Jewgeni Jewtuschenko filmte, aber diesmal spürte man richtig, dass mit Michail Gorbatschow eine neue Ära angebrochen ist. Die Leute stehen vor den Kinos Schlange, man zeigt Filme, die’s vor drei Monaten noch nicht gegeben hätte.«

Bis fünf Uhr früh feierten Brandauer und seine Gattin Karin in der Datscha von Dichterfürst Jewtuschenko und anschließend im Hotel Kosmos mit Dramatiker Friedrich Dürrenmatt, ehe sie den Heimflug nach Wien antraten.

Beeindruckend vor allem der Auftrieb der internationalen Stars, die Gorbatschow nach Moskau eingeladen hatte. »Wir waren auf Partys mit Gregory Peck, Norman Mailer, Marcello Mastroianni, den Cinecittà-Regiebrüdern Taviani, Hanna Schygulla, Maximilian Schell mit seiner russischen Frau Natalia Andreichenko und seiner Schwester Maria Schell, dann sahen wir noch den kanadischen Ex-Premier Trudeau, Hannes Androsch und Ex-Außenminister Peter Jankowitsch.«

Tags darauf flog Brandauer bereits nach Berlin, wo er als Präsident der Berlinale-Jury erwartet wurde.

Ohne Party ging es nie ab. Brandauer war der erste Jedermann, der seine Tischgesellschaft zur Eröffnung der Salzburger Festspiele in die Residenz – schaumgebremst durch den Glykol-Weinskandal – mitbrachte. Im großen Stil hielt er Hof, umhalste Susi Nicoletti, umarmte seine alten Kumpane, Jedermann-Regisseur Gernot Friedel, Teufel Helmut Lohner, Carmen-Sänger Heinz Zednik …

Da blieb – von der Audienz beim Papst bis zum kleinen Busen von Marthe Keller (»Das weiß doch jeder Piccolo in Salzburg, dass die nix im Körbchen hat«) – rein gar nichts verschont. Natürlich auch nicht der »Ruster Kardinal«. Und während Teufel Lohner prostete: »Trinkt burgenländische Weine, der nächste Winter kommt bestimmt!«, propagierte Heinz Zednik den neuen burgenländischen Champagner: »Veuve Glykol!»

Zwischendurch griff Brandauer zum Bierglas, stülpte sein Kinn hinein und grinste mit Schaum-Spitzbart: »Kennt einer noch den ollen Ulbricht?«

Da stöhnte Gernot Friedel auf: »So müsste man einmal den Jedermann inszenieren dürfen.«

»Schon unterwegs, das Bier für König Lear«, winkte in der Kantine des Burgtheaters, wo ich seit der Ära Peymann nicht mehr war, der Mann an der Budl, Heinzi Geissbüchler mit dem T-Shirt »Meine Bühne ist die Kantine«, ab. Einen Stock höher, in seiner Garderobe, hatte Klaus Maria Brandauer, der grandiose König Lear, nach viereinhalb Stunden harter Bühnenpräsenz gerade den ersten Schluck genommen, als wir ihn umarmten.

»Was ist, gratuliere ich dir zuerst zum Ferdinand und dann zum Lear – oder umgekehrt?«, fragte ich. Die Antwort kommt eindeutig und prompt: »Zum Ferdinand!«

Mai 2014: Der jüngste Brandauer, Ferdinand, ist gerade drei Wochen alt und beherrscht das Denken des stolzen Vaters: »Ich will auch gleich heim zu ihm und Natalie«, betont er, »damit wir ihn gemeinsam baden.« Seit sieben Jahren ist er mit Natalie verheiratet. »Sie kommt zwar nicht aus Bad Aussee wie ich«, lacht Brandauer, »aber aus Pürgg, das ist am äußersten Rand vom Ausseerland, und die Pürgger halten sich für was Besonderes, weil’s eine Kapelle aus dem 8. Jahrhundert haben, mit berühmten Fresken. Natalie hat Theaterwissenschaften studiert und mir einen Brief geschrieben. Sie würde gerne die Theorie in der Praxis umsetzen. Ich hab damals gerade in Aussee ein paar Szenen gedreht und seh am Rand der Absperrung zwei fesche Mädln steh’n. In einer Drehpause bin ich hin, und da sagt die eine auch schon: ›Ich hab Ihnen einen Brief geschrieben, Herr Brandauer …‹ So hat sie bei uns begonnen. Dann am Theater bei Hamlet als zweite Regie-Assistenz mitgearbeitet. Daraus wurde Liebe am Arbeitsplatz.«

Ferdinand war gerade zwei Wochen alt, als Christian Brandauer, 51, aus der Ehe mit Karin, mit seinen beiden Kindern Tochter Leni und Sohn Adrian, den Familienzuwachs in Augenschein nahm. »Ich hab dem Christian das Baby in die Hand gedrückt und gesagt: ›Das ist dein Bruder!‹ Und zu Leni und Adrian: ›Und das ist euer Onkel!‹«

»Natalie, die Ferdinand natürlich stillt, und ich haben einen täglichen Wettstreit. Bei wem er früher einschläft. Als Christian ein Baby war, hab ich ihn mit einem kleinen Pfeiferl eingeschläfert. Wahrscheinlich ist er deshalb Musiker und Komponist geworden. Den Ferdinand schläfer ich in meinen Armen ein«, sagt Papa Brandauer und formt die Arme wie ein Körbchen und wiegt sie hin und her.

»Und wechselst du auch die Windeln vom Ferdinand?«

»Aber ganz bestimmt. Das geht ruckzuck, und schon ist er ein sauberer Bub!«

Adabei

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