Читать книгу PIHOQAHIAK - Roman Spritzendorfer - Страница 6
ОглавлениеKapitel 2
Die Fellhandschuhe steckten in den Taschen des Überrockes. Wenn es schon in der Hütte Minusgrade gegeben hat, wieviel werden es draußen sein? Sicherlich weniger. Die Türe zu öffnen gelang ihm nicht. Vermutlich ist ein größerer Ast in der Nacht vom Baum gerissen worden. Während er noch mit größerer Gewalt die Türe öffnen wollte, konnte er durch einen Spalt den Schnee erkennen, den der Sturm zu einer Wechte geschichtet hatte. Er drückte auf die Türe soviel er konnte, der Spalt wurde größer und er gelangte ins Freie. Unter der Wechte war der Jeep verschwunden. Die Wechte reichte bis zum Dach. Das kleine Fenster war zugeweht.
Der Hubschrauber, der ihn am vorangegangenen Tag über die Ausläufer der Snowcap Mts. mit der höchsten Erhebung von 2713 Metern gebracht hatte, war noch vor dem Blizzard wohlbehalten in Anchorage eingetroffen. Unmittelbar nach seiner Landung verwandelte ein Eisregen die Landebahnen in jenen Zustand, den sich keine Piloten wünschen, jemals zu begegnen. Anschließend legte der Blizzard richtig los. Manche Autofahrer verbrachten die Nacht im Auto. Dort waren sie einigermaßen geschützt.
Im Büro von der CIA hoffte man, Jim würde es hoffentlich bis zur Hütte geschafft haben. Seine Meldung über seine Ankunft war nie eingetroffen.
Jim kehrte in die Hütte zurück, holte ein Thermometer und prüfte die Außentemperatur. Gerade dort, wo er den Jeep abgestellt hatte gab es den meisten Schnee. Das Thermometer zeigte ungefähr Minus 10 Grad. Auf einen längeren Aufenthalt im Freien, konnte er verzichten. Die Schneewechte hatte auch eine positive Seite. Die Kälte setzte der Batterie weniger stark zu. Der Jeep musste entladen werden und die mitgegebenen Ketten sollten montiert werden. Einfacher für zwei Mann, sowie ein Untergrund, der den angehobenen Jeep in der Höhe hielt. Jim holte sich eine Schaufel und entfernte den Schnee. Er brachte den Jeep auf die andere Seite. Rechtzeitig bevor wieder heftiger Schneefall einsetzte.
Zurückgekehrt in die Hütte wartete er einige Zeit, doch der Schneefall hielt an. Er entschied sich Nahrung und Ausrüstung aus dem Jeep in die Hütte zu bringen. Nachdem er auch die medizinische Ausrüstung heil in der Hütte verstaut hatte, suchte er nach einer Möglichkeit auf das Dach zu gelangen. Der Rauchfang musste freigeschaufelt werden.
Im Fußboden der Hütte gab es einen Abgang in die Tiefe. Vermutlich war das der Kellerbereich. Mit der Stablampe in der Hand ging es hinunter. Eine weitere Petroleumlampe spendete ausreichend Licht. Er fand die trockenen Holzscheiter für den Ofen, Kochgeschirr und eine Leiter. Die holte er hinauf und legte das Fenster sowie den Rauchfang frei. Anschließend bereitete er sich ein warmes Essen zu.
Nach dem Mittagessen startete er den Jeep und versuchte über das Display eine Verbindung aufzubauen. Doch das gelang ihm nicht. Zurück in die Hütte, versperrte er die Türe und stieg wieder in den Keller hinunter. Nach genauer Durchsuchung fand er ein uraltes Funkgerät. Mit dem allein war es nicht getan. Ohne einem hohen Mast und einem Generator war das Funkgerät nutzlos. Er suchte weiter. Er dursuchte den Keller und fand, geschirmt unter Abdeckungen, einen Generator. Daneben, Teile eines zerlegten Mastes. Ohne den montierten Ketten war ein Weiterkommen nicht möglich. Die Funkverbindung noch vor dem Abend fertigzustellen schien ihm wichtiger als die beschwerliche Arbeit der Kettenmontage. Den zerlegten Mast aufzurichten gelang ihm noch vor Einbruch der Dunkelheit. Nun sollte der Generator auch funktionieren. Jim schleppte den Generator die steilen Stufen hoch. Der Reservekanister stand daneben. Das Glück war ihm hold. Er sprang an und lieferte Strom. Damit stand einer Verständigung nichts im Wege.
Kurz berichtete er die Wettersituation, den Aufbau der Antenne und den Betrieb des Funkgerätes. Dann holte er den Generator wieder in die Wärme der Hütte. Auf die Spuren im Schnee, die nach der Mastaufstellung deutlich zu sehen waren, hatte er nie geachtet. Als er den Generator in die Hütte schleppte, fielen sie ihm auf. Sie deuteten auf einen Eisbären hin. Verschwitzt und übermüdet maß er ihnen keine Bedeutung zu. Vermutlich sind es Spuren eines anderen Tieres. Mit diesen Überlegungen kehrte er in die Hütte zurück und verriegelte die Türe.
Der Schein der Petroleumlampe, die entfachten Scheiter im Ofen und vor ihm der Espresso lenkten seine Überlegungen, wie er die Ketten montieren sollte, ab. Der Jeep musste auf festem Untergrund stehen. Das Risiko unter dem Jeep zu liegen zu kommen und nicht mehr hervorkriechen zu können war groß. Mit einem Wintereinbruch hatte man nicht gerechnet. Die Ketten aus widerstandsfähigen Kunststoffmaterial waren im Jeep serienmäßig in dem untersten Teil des Kofferraumes hinterlegt worden. Sie zu montieren war nie vorgesehen worden. Vielleicht gibt es draußen einen Untergrund aus hartem Gestein, waren seine Gedanken während der Zubereitung des Essens.
Nach dem Abendessen stieg er wieder in den Keller. Er dursuchte ihn genauer und fand in einer Kommode zahlreiche Bücher. Darunter eine Bibel. Alle Bücher waren voll von Staub. In der Bibel war ein Brief eingeklemmt.
Der Brief war an einen Jim gerichtet. Das bin sicherlich nicht ich, musste er denken als er das Siegel erbrach. Die wenigen Zeilen belehrten ihn eines Besseren. Der unbekannte Schreiber hatte diesen Brief vor zehn Jahren verfasst. Der Brief war an ihn gerichtet. Jim wunderte sich, weshalb niemand vor ihm die Bücher beachtet hatte. Sicherlich war einmal im Jahr jemand zur Kontrolle der Hütte vorbeigekommen.
Lieber Jim!
Sicher bin ich mir nicht, ob Du jemals zu dieser Behausung vordringen wirst. Auch nicht, ob Du dir die Bücher ansehen wirst. Wenn deine Mutter mich niemals erwähnt hat, erlaube mir, mich vorzustellen. Aufgewachsen bin ich in West Virginia und kannte deine Mutter vom Sehen. Damals wohnte ich in der Nachbargemeinde. Von deinem Hund Blacky hat sie mir oft erzählt. Nach dem Tode deines Vaters wollte sie niemals wieder heiraten. Schon gar nicht jemanden der ewig auf den Schiffen der Navy diente. Nach Ende des Vietnamkrieges habe ich in der Gemeinschaft eine andere Funktion erhalten. Mein rechter Arm wurde durch eine Prothese ersetzt und schießen lernte ich mit der linken Hand. Damit war ich nicht mehr derjenige, der unversehrt in den Krieg gezogen war. Der Kontakt zu deiner Mutter ist nie abgerissen. Ich erfuhr über deine Tierliebe und den Wunsch Tierarzt zu werden. Zu deiner Ausbildung steuerte ich bei. Ich verbot deiner Mutter davon zu sprechen. Vorsorge traf ich auch beim Notar. Du solltest deinen Traum erfüllen können, aber zielgerecht darauf lossteuern, das war meine Idee gewesen. Der Bericht über deinen Lernerfolg hat mir viel Freude bereitet.
Warum habe ich Blacky erwähnt? Du hast ihn in einer Holzkiste begraben. Die Gedanken sollen dich an eine Kiste denken lassen, die hier vergraben ist. 43“ lang, 40“ breit, 12“ hoch. Sie liegt 100“ tief. Multipliziere alle Zahlen mit zehn. Aber den Platz musst Du selber finden. Wenn das Siegel nie geöffnet worden war, dann gibt es die Kiste. Wer soll sich in dieser Einöde auch für eine Bibel interessieren. Du kannst sicher sein, daß die Kiste noch im Keller ruht. Ich kehre nun im Herbst nach Anchorage zurück. Einen weiteren Blizzard möchte ich hier nicht erleben. In der Kiste findest Du weitere Hinweise für einen Stollen, in dem ein relativ einfacher Abbau zu einem Vermögen beiträgt.
In dieser Hütte habe ich viele Jahre meiner Pension verbracht.
Du hast noch drei Jahre bis zu deiner Dissertation. Das werde ich vermutlich nicht erleben. Das Land, wo sich der versteckte Stollen befindet, ist auf deinem Namen grundbürgerlich eingetragen.
In Liebe John
Jim las den Brief mehrere Male. Seine Gedanken schweiften zurück zu seinen Eltern und der Farm. John hatte seine Mutter sicherlich sehr gern gehabt und über ihre bescheidenen Einkünfte gewusst. Auch über die Aufgabe der Farm.
Die alte Eiche wird vielleicht noch stehen, wenn sie nicht einer Verkehrsanbindung weichen musste. Der Gedenkstein an Blacky könnte vielleicht noch existieren. Das wäre im nächsten Urlaub eine Reise wert. Wo aber hat John die Kiste vergraben? Der Keller steht auf der einen Seite nahe zu einem Felsen. Auf der anderen Seite gibt es große Baumstämme und darüber lockeres Erdreich. Jim entschied sich, sein Glück bei der Seite des Felsens zu versuchen.
Zwei Stunden waren vergangen und Jim war schweißgebadet.
Im Keller lag das ausgehobene Erdreich, in dem sich große Steine befanden. Nach einer weiteren Stunde vernahm er den Klang von Metall. Nun hielt ihn nichts mehr zurück. Unter einer Metallplatte gab es die Kiste. Diese zu öffnen war im Vergleich zum Graben weniger anstrengend. Darinnen fand er einen Plan, eingewickelt in wasserfestes Papier und darunter Werkzeuge, die Goldsucher verwendeten. In einem kleinen Sack zwei Nuggets beachtlicher Größe.
Den Rest des Tages verbrachte er damit das Loch wieder zu füllen.
Die Kiste mit den Werkzeugen wurde weniger tief vergraben. Der Brief, der Plan und der Sack mit der Blechdose und den Nuggets kam zu seiner Ausrüstung. Dazu legte er einen Vermerk:
Sollte er aus unbekannten Gründen nicht mehr zurückkehren können oder aus anderen Umständen nicht mehr am Leben sein, möge man der Bevölkerung oder denjenigen, die noch am Leben waren, mit den beiden Nuggets ihr Leben erleichtern.
13 September 1985
Jim Hanson
Jim säuberte den Keller und ging schlafen. Das Anlegen der Ketten war für den kommenden Tag geplant.
Am kommenden Morgen gab es für Jim einige Überraschungen. Noch während des Frühstücks hörte er ein Kratzen an der Türe. Dem maß er keine Bedeutung bei. Als er sich nach Säuberung des Geschirrs für die Kettenmontage vorbereitete, wiederholte sich das Kratzen. Also kein Wind, der einen abgefallenen Ast an der Tür bewegte. Nach Öffnung eines Spaltes erblickte er die Tatze eines Eisbären. Der Eisbär war nach weiterer Öffnung der Türe zurückgewichen. Etwa zehn Meter weiter stand er auf seinen Hinterbeinen und schlug aufrechtstehend die beiden vorderen Pranken zusammen. Jim war sich nicht sicher, aber vielleicht hatte er Hunger. Es war ein junges Tier. Hatte er seine Mutter verloren? Wie war er bis hierher gekommen?
Der Platz der Hütte war sehr weit weg vom Meer. Jim holte eine Schüssel, erwärmte den Schnee und schüttete aus seinem Vorrat Trockenmilch hinein. Als das Wasser warm geworden war prüfte er es mit seinem Finger und öffnete vorsichtig die Türe. Nun saß der Bär auf seinen rückwärtigen Tatzen und schaute erwartungsvoll auf ihn. Jim wagte sich hinaus, die Schüssel in seiner linken Hand und den entsicherten Colt in der Rechten.
Nahe der Hütte stellte er die Schüssel in den Schnee und ging vorsichtig nach rückwärts schreitend wieder zur Türe. Der Eisbär näherte sich der Schüssel und begann die warme Milch zu schlecken. Den Colt zu nehmen, das war Unsinn gewesen. Der Eisbär hatte nicht die Absicht gehabt ihn zu verletzen. Jim konnte es nicht begreifen. Als die Schüssel leergeleckt war, richtete sich der Eisbär wieder auf und winkte ihm mit seiner rechten Tatze. Dann lief er weg. Wenn ich das jemanden erzähle, werde ich sicherlich die Lachenden nicht auf meiner Seite haben. Die Kommentare konnte er schon hören. Fern der Zivilisation, Schneechaos und Alkohol führen oft zu unerklärlichen Hirngespinsten.
Der Jeep musste hochgehoben werden. Er startete den Jeep und rollte ihn dorthin wo unter den rückwärtigen Räderpaaren der Untergrund aus felsigem Gestein bestand. Die aus synthetischem Material gefertigten Ketten über die hintereinanderliegen Räderpaare aufzuziehen gelang mit Mühe.
Was Jim nicht wusste, da er auf die Umgebung der Hütte nicht achtete, war der Eisbär. Dieser schaute ihm zu, wie er sich abmühte und ins Schwitzen geriet. Ein Rudel Wölfe hatte sich genähert. Doch der Eisbär war ihnen im Weg. Den Eisbär anzugreifen wagten sie nicht. Für die jungen Wölfe war der Eisbär zu groß.
Als nun die eine Seite mit der Kette ausgestattet war, gönnte sich Jim keine Pause. Wieder hatte es zu schneien begonnen. Der Jeep wurde nun auf der anderen Seite hochgehoben und die Montage fortgesetzt. Als auch das vollendet war, ließ er den Jeep wieder auf den Boden, verstaute die Hilfsmittel im Kofferraum und wollte zur Hütte zurück. Auf dem halben Weg konnte Jim den Eisbären sehen, wie er wieder auf seinen Hinterbeinen stand und die vorderen Pranken zusammenschlug. Und hinter dem Eisbären hatten sich die Wölfe mit erheblichem Abstand im Schnee gemütlich gemacht. Jim schritt ohne Furcht Richtung Türe und grüßte den Eisbären mit Hi. Er holte wieder die Schüssel, füllte sie mit Schnee und als das Wasser warm genug war, kam neuerlich eine Packung Trockenmilch in die Schüssel. Zur Vorsicht war die Tür verschlossen worden. Nach einer Öffnung mit einem Spalt konnte er nicht weit entfernt den Eisbären sitzen sehen. Jim ging dem Eisbären weiter entgegen und stellte die Schüssel in den Schnee. Dann ging er wieder rückwärts zur Hütte und betrachtete den Eisbären beim Schlecken. Jim konnte es nicht glauben. Die Wölfe, die sich angeschlichen hatten, waren nicht nähergekommen.
Dem Eisbären verdankte er sein Leben. Wenn er wiederkommt habe ich außer der wenigen Trockenmilch kein Fleisch.
Nach dem Mittagessen gab er über Funk seine Begegnung mit dem Eisbären durch.
»Vieles habe ich in der Ausrüstung gefunden, Robbenfleisch auch im getrockneten Zustand wäre nun passender als dieses Hightech-Display, das nicht funktioniert. Den Wintereinbruch konnte man nicht vorhersehen.
Wölfe habe ich nun auch als unmittelbare Nachbarn. Morgen werde ich versuchen dorthin zu fahren, woran mich der Blizzard bisher gehindert hatte.«
Am Abend suchte er noch alles zusammen, wovon er glaubte, daß es ihm nützlich sein konnte. Bei Morgengrauen wollte er aufbrechen. Das Einschlafen fiel ihm schwer. Während seiner Ausbildung hatte er es vielfach mit größeren Tieren zu tun gehabt. Raubtiere aus der Arktis hatte es nie gegeben.