Читать книгу Darum bin ich wie ich bin - Romy Meißner - Страница 7

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Mit elf Jahren begann ich mit dem Rauchen. Mein Vater rauchte zu Hause im Wohnzimmer und ich liebte schon immer den Geruch und fand es einfach faszinierend wie der Rauch aufstieg. In der Schule habe ich heimlich auf der Toilette geraucht. Die Lehrer merkten es schnell und verdächtigten die Oberschüler. Danach habe ich hinter der Turnhalle heimlich geraucht. Mit zwölf Jahren kam eine Wendung. Ich kam ins Krankenhaus. Mein linkes Bein wurde so nach innen gedreht, dass es nun richtig ist. Ich habe vorher mit dem Rauchen aufgehört, weil mir jemand sagte, man würde das auf den Röntgenbildern sehen und da ich ja heimlich rauchte wäre das schlecht gewesen. Von dem ersten Tag im Krankenhaus an habe ich nicht mehr jede Nacht ins Bett gemacht und auch mit dem Nuckeln am Daumen aufgehört. Das hätte ich nie in der Öffentlichkeit gemacht und in einem Vierbettzimmer kann man das nicht heimlich machen. Meine Eltern sagten immer, ich nuckele noch am Daumen, wenn ich heirate. Das dachte ich bis dahin auch. Als Ersatz begann ich an meinen Fingern zu knabbern. Erst nagte ich nur die Fingernägel ab, aber das reichte schnell nicht mehr. Wenn die Fingernägel ab waren, waren sie ja ab. Also fing ich an die Haut der Fingerkuppe bis runter zu der ersten Linie abzuknabbern. Heutzutage fühle ich deshalb keine Feinheiten mit den Fingerspitzen mehr. Zum Beispiel Stoffmaterial kann ich mit meinen Fingerspitzen nicht unterscheiden. Während der Zeit im Krankenhaus gewöhnte ich mich auch an Spritzen. Jeden Tag wurde Blut abgenommen oder mir wurde irgendetwas gespritzt. Da macht man kein langes Gewese mehr und seitdem stört mich das überhaupt nicht mehr. Die Zeit im Krankenhaus war schön. Ich war da nicht die Sonderbare. Sondern nur ein krankes Kind. Der Oberschenkelknochen wurde gebrochen, das Bein gedreht und mit Platten und Schrauben fixiert. Ich musste zwei Monate auf dem Rücken liegen. Nicht mal sitzen. Aber dennoch war die Zeit toll. Heutzutage könnte ich das nicht mehr. Schon wegen dem Rauchen nicht. Ich sage heute immer, wenn du im Krankenhaus bist, allein auf Toilette gehen kannst und eine rauchen gehen kannst, dann ist Krankenhaus wie Urlaub. Aber alles davor ist doof. Und im Bett rausschieben lassen um zu rauchen würde ich nie tun. Ich habe solche Patienten auch gesehen. Mit Bett und Tropf im Raucherbereich. Das ist selbst mir zu eigenartig. Aber damals als Kind und noch nicht Nikotinsüchtige fühlte ich mich wohl. Die anderen Patientinnen im Zimmer wechselten immer nach ein paar Wochen. Je nachdem was bei ihnen gemacht wurde. Aber alle waren immer nett und ich hatte viel Spaß. Zum Glück hatte mir gleich am Anfang eine Patientin gezeigt wie man diese Telefone, die ja auch mit dem Fernseher gekoppelt sind, mit einem Teelöffel freischalten kann. Das hat viel Geld gespart, denn diese Aufladekarten die man da eigentlich reinstecken muss sind sehr teuer. Und das auf ein viertel Jahr gerechnet ist echt heftig.

Meine Mutter kam mich jeden Tag besuchen, obwohl das Krankenhaus in der gegensätzlichen Richtung lag, als ihr Heimweg von Arbeit aus, und brachte mir etwas mit. Belegte Brötchen, Süßigkeiten und Obst. Mein Vater kam mit ihr an den Wochenenden. Ich freute mich, wenn Mama da war. Sie brauchte nichts tun oder sagen. Das sie da war reichte mir völlig aus. So sehr ich sie auch hasste, aber im Krankenhaus brauchte ich meine Mutter. Schenja besuchte mich oft. Auch ansonsten kamen mich Familienmitglieder besuchen. Aber damit konnte ich wenig anfangen. Ich redete kaum mit ihnen, eigentlich nur das Anstandsgequatsche. In der Zeit habe ich viel mit meinem Gameboy gespielt, Musik gehört, gepuzzelt und ich hatte auch Unterricht. Das war das einzig Nervige.

Und ich fing hier an zu schreiben. Ich nahm einen Zettel und einen Bleistift und schrieb. Heute würde ich es als „einfach so ein romantisches Zeug“ beschreiben. Damals tauchte ich da ein. Naja auch nicht ganz richtig. Ich weiß nicht wann, aber ich hatte mir schon sehr früh einen Fantasiefreund zugelegt. Das muss schon so mit sieben oder acht Jahren gewesen sein. Er hieß Mark. Er war immer so um die zwanzig Jahre alt. Er sah immer gleich aus und war immer gleich alt. Egal wieviel älter ich wurde. Nur er wurde für mich immer realer. Ich konnte ihn so am Tag sehen. Ich konnte ihn anfassen und riechen. Die Stimme war immer gleich. Mit ihm führte ich auch meine „Selbstgespräche“. Ich muss dazu sagen, dass ich nur laut mit ihm sprach, wenn ich allein war. Im Krankenhaus habe ich keine Selbstgespräche geführt, weil da ja immer jemand im Zimmer war. Da redeten wir nur in meinem Kopf miteinander. Wir haben viel gelacht und geweint. Er war einfach da. Ein Freund mit dem ich über alles gesprochen habe, was mich beschäftigte oder was mir passiert war. Mark hörte mir zu, tröstete mich und gab mir Ratschläge. Ich habe diese Ratschläge nie gesteuert. Ich weiß nicht, wie das so funktioniert mit dem Gehirn, aber alles was er mir sagte, kam von ihm. Ich denke heutzutage schon, dass man das irgendwie im Unterbewusstsein steuert. Er hat mich sehr viele Jahre begleitet. Ich glaube ich war selbst um die zwanzig Jahre alt, als er sich verabschiedete und ging. Wir standen in meinem Kopf an einem Strand. Es war nachts und sternenklarer Himmel. Er verabschiedete sich, drehte sich um und ging einfach. Das war sehr schlimm für mich und ich weinte. Egal was ich tat, er kam nicht zurück und ich konnte auch nicht hinterherlaufen. Und seitdem kann ich ihn nicht mehr sehen. Nun sind meine Erinnerungen an ihn wirklich wie Erinnerungen an einen Freund, den ich mal hatte. Die aber langsam verblassen. Nur das mit den Selbstgesprächen ist noch geblieben. Mit wem ich da rede, weiß ich nicht. Ich rede einfach ständig vor mir her, wenn ich allein in einem Zimmer bin. Außer ich bin draußen unterwegs und muss unbedingt etwas laut sagen, weil es mir nicht reicht es zu denken. Dann reibe ich mir die Nase und verdecke auf diese Weise mit der Hand meinen Mund, sodass niemand sehen kann, dass ich mit mir selbst spreche. Damals als ich zwölf Jahre alt war, hatte ich mir eigentlich gewünscht zeichnen zu können, um ihn darstellen zu können. Aber das konnte ich nicht. Deshalb fing ich an eine Geschichte zu schreiben in der er die Hauptfigur ist. Um ihn zu beschreiben. Seine Art, sein Wesen. Ich habe in den Jahren mehrere solcher Geschichten begonnen und immer war er die Hauptfigur aber ich habe nie eine beendet. Nach einer Weile fand ich immer alles doof. Aber im Krankenhaus musste ich ja irgendwie die Zeit herumkriegen. Eine Kurzgeschichte habe ich aber fertig bekommen und damit ihr mal seht, was ich so als Kind geschrieben habe, könnt ihr sie jetzt lesen.


Christoph

Wie traurig es ist einen Menschen zu verlieren, den man sehr geliebt hat, durfte ich mit 16 Jahren merken. Viele meiner Freundinnen fragen mich, warum ich am Freitag den 13. immer schwarze Kleidung trage. Ich habe bis jetzt noch niemandem von Christoph erzählt, weil ich ihn vergessen wollte, aber ich merkte, dass ich ihn nicht vergessen kann. Deshalb habe ich diese kurze Geschichte aufgeschrieben.

Als ich 12 Jahre alt war, ging ich mit meiner Freundin spazieren. Wir sahen einen Jungen auf der Bank sitzen. So verdreht wie meine Freundin war, fragte sie ihn, ob er mit uns Eis essen gehen möchte. Er sagte ja und stellte sich vor. Christoph, so heißt der Junge, war schon 14 Jahre alt. 1 Stunde lang unterhielten wir uns, als Christophs Mutter mit großen Augen ankam und ihn anschrie: „Du weißt doch, dass ich dir verboten habe, mit anderen zu sprechen!“ Die Mutter zerrte Christoph hinter sich her. In der darauf folgenden Woche fand ich Christophs Adresse heraus. Als ich bei ihm klingelte, öffnete er die Tür und lächelte mich an. Christoph sah irgendwie Erschöpft aus. Ich wollte ihn fragen, ob er vielleicht Zeit hätte. In dem Moment kam seine Mutter an die Tür, stieß Christoph sanft zur Seite und sagte: „Er hat nie Zeit und du brauchst auch nicht mehr herzukommen. Christoph braucht keine Freunde.“ Sie schmiss die Tür vor meiner Nase zu. Als ich langsam die Treppen runterging, gingen mir die Worte der Mutter noch mal durch den Kopf. Von wegen er braucht keine Freunde. Ich dachte mir das ist genau das was Christoph fehlte. Eine Woche später ging ich trotzdem hin. Christoph war allein zu Hause und ließ mich hinein. In der Wohnung waren blaue Tapeten an den Wänden. Aufgeräumt war auch und es roch nach Spaghetti. Die Decke war mit Luftschlangen beklebt. Als ich in sein Zimmer ging, sah ich einen großen Teller Spaghetti. Er kam ins Zimmer und fragte: „Hast du Hunger? Meine Mutter hat gesagt, dass ich den großen Topf leer machen soll.“ Ich nickte und beobachtete ihn wie er den Teller mit Spaghetti füllte. Wir setzten uns auf sein Bett und aßen. Beim Essen fragte ich ihn: „Warum war deine Mutter so gemein zu dir?“ Darauf sagte er: „Meine Mutter sorgt sich um mich!“ In diesem Moment klingelte sein Wecker. Christoph stand auf und fragte mich, ob ich mit ihm zum Arzt gehen möchte. „Warum musst du zum Arzt?“ fragte ich. „Ich bekomme jede Woche eine Spritze. Meine Mutter sagt, dass ich sie zum Leben brauche.“ Ich ging mit ihm mit. Der Warteraum war sehr voll und laut. Als Christoph aufgerufen wurde, ging er ins Zimmer. Ich wartete im Warteraum. Als ich alle Zeitschriften durch hatte kam Christoph wieder aus dem Arztzimmer. Ich fragte, warum er die Spritze bekam. Christoph sagte: „Ich habe eine schlimme Krankheit. Ich habe viele Bakterien im Körper, die meine Lebenserwartung gering halten können. Wenn ich Glück habe, werde ich gerade mal 25 Jahre alt.“ Ab da an habe ich verstanden, warum seine Mutter so besorgt war. Aber warum er nicht mit anderen sprechen durfte? Christoph und ich wurden dicke Freunde. Nach zwei Wochen hat mich dann Christophs Mutter akzeptiert. Seitdem unternehmen wir viel miteinander. Nach einem Jahr fingen wir an, bei uns gegenseitig zu übernachten. Wir teilten und sagten uns alles. Wir haben uns geschworen, uns niemals im Stich zu lassen. Als ich 14 und er 16 Jahre alt waren, sind wir immer Hand in Hand gegangen. Immer wenn ich in seiner Nähe war, konnte ich die ganze Welt umarmen. Es gibt einen „Berg der Hoffnung“, zu dem wir immer gegangen sind. Auf dem Berg steht eine große uralte Eiche. Zu meinem 15. Geburtstag gingen wir auf den Berg und haben ein Picknick gemacht. Christoph holte sein Taschenmesser raus und schnitzte unsere Namen in den Baum. Danach kuschelten wir miteinander. Der Berg war auf einem großen Feld. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Es war wirklich schön. Als wir nebeneinander lagen und uns die Sterne ansahen sagte er: „Wenn ich wirklich sterbe, möchte ich hier, unter dem Baum, begraben werden!“ „Das hat doch noch Zeit. Zerbrich dir jetzt nicht den Kopf. Du hast doch gesagt, dass du mindestens 25 Jahre alt werden kannst. Du bist doch erst 16 Jahre alt!“ sagte ich. In seinem 17. Lebensjahr war er sehr krank. Christoph wusste, dass er nicht mehr sehr lange durchhalten würde. Das Reden viel ihm sehr schwer. Wegen der Schule und den Hausaufgaben hatte ich wenig Zeit, mich um ihn zu kümmern. Wenn ich Zeit hatte, wachte ich an seinem Bett. Er schlief sehr viel, war kaum ansprechbar. Ich durfte einige Male bei ihm übernachten. Christophs Mutter war nicht sehr abergläubisch. Sie hatte aber trotzdem große Angst, weil Freitag der 13. immer näher rückte. Sie betete Tag und Nacht, aber ihr Glaube erfüllte sich nicht. Das letzte Mal, dass ich Christoph sah, war der 12.11.2000 um 20.45 Uhr. Er lächelte mich an und sagte: „Bis Morgen!“ Freitag, um 01.25 Uhr morgens, starb Christoph. An dem Tag, als er starb, musste ich leider zur Schule. Ich habe es nie verkraften können, dass ich nicht immer Zeit für ihn hatte. Seine Mutter musste man in ein Krankenhaus bringen und unter Aufsicht betreuen. Sie hat es nie verkraftet. Deshalb hat sie sich vor 2 Monaten umgebracht. Seit Christophs Tod trage ich jeden Freitag den 13. schwarz. Ich habe leider kein Foto von Christoph, aber in meinen Träumen und Erinnerungen ist er immer noch da. Ich hoffe, dass ich ihn niemals vergessen werde.

Ende


Wenn ich heutzutage sehe, was ich da als Kind so zusammengeschrieben habe, muss ich schmunzeln. Alle anderen Geschichten kamen wie gesagt nie zum Ende. Vielleicht habe ich ja irgendwann doch noch einmal Lust eine weiter zu schreiben. Aber momentan eher nicht. Sie ruhen schon so viele Jahre und müssten erst einmal generalüberholt werden. Übrigens in diesem Zeitraum wog ich bereits fünfundachtzig Kilogramm.

Nach einer kurzen Zeit zu Hause musste ich wieder ins Krankenhaus, um die Platten und Schrauben zu entfernen. Diesmal musste ich nicht ganz so lange liegen und durfte schon nach ein paar Wochen wieder nach Hause. Die Platten und Schrauben durfte ich behalten. Die habe ich immer noch. In den Jahren meiner Kindheit hatte ich immer ein Gefühl von Heimweh. Auch wenn ich zu Hause war, wollte ich nach Hause. In so ein zu Hause wie aus dem Fernsehen. Alle sind nett zueinander, hören sich zu und passen auf sich auf. Interessieren sich für einander. Aber ich war immer allein. Allein in meinem Kopf. Ich träumte gern. In meinem Kopf war ich frei. Frei von meinem Körper, den ich inzwischen wie eine Zwangsjacke empfand, der mich einsperrte und festhielt. Ich hatte rund um die Uhr Schmerzen. Mein Bein und mein Rücken taten immer weh und äußerlich die blauen Flecken. Ich konnte alles in meinem Kopf machen, was ich im echten Leben nicht konnte. Und es fühlte sich warm und geborgen an. Durch die lange Zeit im Krankenhaus habe ich die ganze sechste Klasse ausgelassen. Durfte aber trotzdem weiter in die siebente Klasse und somit weg aus der Grundschule und rein in die Oberschule. In solchen bürokratischen Dingen ist mein Vater echt gut.

Mit dem Schulwechsel war Schenja weg und ich wieder ganz allein. Ich begann mit dreizehn Jahren wieder zu rauchen. Papa merkte es schnell und meckerte nicht, sondern brachte mir immer Zigaretten mit. Aus seiner Sicht sei es so besser, als wenn ich sie mir irgendwo besorgte. Ihm ging es aber weniger um meine Gesundheit als vielmehr darum, dass ich nicht dabei erwischt wurde wie ich bei Vietnamesen illegale Zigaretten kaufte und dann eventuell von der Polizei nach Hause gebracht wurde. Mama wusste davon nichts. Ich ging dann immer spazieren, um eine zu rauchen. Als ich vierzehn Jahre alt war, fuhren meine Eltern mit mir in den Urlaub. Eine Woche lang in irgendein Dorf an der Ostsee. Bis Mittwoch hielt ich gut durch, aber dann wollte ich langsam mal eine rauchen. Ich hatte ein Feuerzeug, aber keine Zigaretten. Papa gab mir ein fünf Mark Stück für den Zigarettenautomaten in der Lobby vom Hotel. Ich holte mir eine Schachtel, aber als ich das Gebäude verließ, stellte ich fest, dass mein Feuerzeug im Auto war. Nun hatte ich Zigaretten aber kein Feuerzeug. Ich hatte noch etwas Geld in meiner Hosentasche, lief durch das Dorf und suchte ein Geschäft, in dem ich ein Feuerzeug kaufen konnte. Alle Geschäfte hatten zu. Jemanden einfach nach Feuer fragen ging auch nicht, weil da niemand war. Das Dorf war leer. Es muss auch schon abends gewesen sein, denn als ich zurück war, gingen wir in ein Restaurant zum Abendessen. Und da griff ich mir eine Schachtel mit Streichhölzern. Auf dem Weg zurück in das Hotel lief ich hinter meinen Eltern und zündete mir einfach eine Zigarette an. Dieser Moment war purer Nervenkitzel. Ich überlegte, ob ich es machen soll oder nicht. Immer hin und her. Ich zählte innerlich bis drei und tat es. Mama drehte sich um und fragte empört was das soll. Papa sagte bloß zu ihr: „Lass sie doch.“ Und seitdem ist das Thema erledigt und ich durfte offiziell vor meinen Eltern rauchen. Auch zu Hause. Das fand ich gut. Zu der Zeit durfte man erst offiziell mit sechszehn Jahren rauchen. Also war es in der Schule verboten. Mich beruhigte zu wissen, dass ich auf das heimliche Rauchen auf dem Schulhof und den damit verbundenen Ärger vermeiden konnte, weil ich zu Hause eh in Ruhe rauchen konnte. Ab da an brachte meine Mutter mir immer die Zigaretten mit. Die Oberschule war ein Spießroutenlauf für mich. Es gab aus mehreren Klassen Gruppen aus Schülern die mich fertig machten. Das Spiel aus der Grundschule setzte sich fort. Nur jetzt waren es mehrere Gruppen die mich schlugen, traten, bespuckten, bewarfen, beleidigten und beschimpften. Ich hatte ein Mädchen, das nett zu mir zu sein schien, aber auch sie ohrfeigte mich und benutzte meinen Namen und Adresse zum „Schwarzfahren“. Als die Bußgeldbescheide eintrudelten, bekam ich natürlich Ärger. Es war schwer meine Eltern davon zu überzeugen, dass ich nicht ohne Fahrkarte gefahren bin. Ich besitze eh einen Behindertenausweis mit der Fahrkarte vom Versorgungsamt. Die habe ich immer bei mir. Aber meine Mutter glaubte mir prinzipiell nicht. Ich weiß nicht warum. Wenn ich nach Hause kam, unterstellte sie mir auch immer, dass ich Alkohol getrunken oder irgendwelche anderen Drogen genommen hätte. Ich stritt es immer ab aber sie glaubte mir nie. Ich glaube in ihren Augen war ich immer eine drogensüchtige Alkoholikerin. Obwohl ich außer Nikotin und später noch Koffein nichts weiter nahm. Ich denke sie wollte so ihre Alkoholsucht irgendwie an mir abladen. Das nicht sie die Alkoholikerin sei, sondern ich. Wie auch immer.

Meine Mutter ging mit mir zur Polizei und machte eine Anzeige gegen Unbekannt. Kurze Zeit später sagte uns die Polizei, dass es das nette Mädchen aus meiner Klasse war. Eines Tages bei einem Klassenausflug sah eine Schülerin meinen Behindertenausweis und fragte, warum ich den habe. Ich sagte ihr, dass es wegen meinem Bein sei. Sie guckte mich irritiert an und sagte: „Nur, weil du nicht richtig laufen kannst bist du doch nicht behindert. Behinderte sind doch solche…“ dann imitierte sie einen geistig Behinderten. Ich fand interessant, dass für sie und wahrscheinlich vielen anderen auch das Wort Behinderung nur geistig Behinderte umfasste. Für mich ist jeder Brillenträger behindert. Weil er ohne seine Sehhilfe behindert ist zu sehen. Ich beschloss das als Thema für die Projektwoche vorzuschlagen. Ich tat das und die Idee wurde angenommen. Aber fand nicht statt, weil die Lehrerin die das Thema durchführen wollte kurz vor der Projektwoche krank wurde. Ich weiß nicht ob die Schule überhaupt mal das Thema behandelt hat. Ich fände es wichtig. Auch heutzutage. Damit diese irritierenden Blicke aufhören. Heutzutage, wo jetzt die ganzen Kriegsflüchtlinge in unser Land kommen, sprechen alle von Toleranz gegenüber Ausländern. Aber was ist mit Toleranz gegenüber Behinderten?



Darum bin ich wie ich bin

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