Читать книгу Die Wette der Diebe - Ronald Fuchs - Страница 6
4 /13 Das Tor
ОглавлениеAli hatte inzwischen in Erfahrung gebracht, durch welches Stadttor der reiche Türke Bagdad verlassen hatte. Zwar hatte er an diesem Tage soviel erbeutet, wie noch nie in seinem ganzen Leben zuvor, dennoch befürchtete er, es könne zu wenig sein, um die Wette zu gewinnen. Deshalb begab er sich zum "Tor der untergehenden Sonne" im Westen der Stadt, in der Hoffnung, der Türke würde noch einmal zurückkehren, um seinen Einkauf zu vollenden. Der schlaue Ali hatte sich nicht getäuscht. Kaum war er am Stadttor angekommen, sah er schon die sich nähernde türkische Truppe. Entzückt entdeckte Ali mit seinen scharfen Augen auch die in der Sonne glänzende, geldbehängte Goldkette vor Osmans dickem Bauch. Bei Sonnenuntergang, in knapp einer Stunde, würde der Muezzin von dem hohen Minarett zum Maghrib-Gebet in der großen Moschee rufen. Deshalb strömten schon jetzt viele Leute, die außerhalb der Stadt wohnten oder arbeiteten, durch das Westtor. Ali beschloss, seinen Diebstahl hier zu begehen, weil er erstens ungern zweimal hintereinander am selben Ort arbeitete, denn im Basar und auf dem Markt war er heute ja schon erfolgreich tätig gewesen. Die Basaris hatten natürlich schon weitererzählt, dass der Türke einmal mit Steinen und ein andermal mit einer Gurke bezahlen wollte und sich dabei halb totgelacht. Jetzt waren die Leute sicherlich aufmerksamer, denn nicht alle glaubten an Gespenster und böse Geister. Der zweite Grund war, dass er sich beeilen musste, da seine Arbeitszeit mit anbrechender Dunkelheit endete und der dritte Grund, dass er schon einen schönen Plan hatte, in dem die stachligen Opuntienfrüchte, die eine alte Bäuerin am Stadttor zum Kauf anbot, eine Rolle spielten. Vor dem Tor entstand jetzt ein Gedränge, weil eine Frauengruppe mit ihren Kindern den Durchgang blockierte. Die Kinder wollten nämlich unbedingt Opuntienfrüchte haben, und während ihre Mütter mit der alten Bäuerin noch um den Preis feilschten, grapschten die ungeduldigen Buben und Mädchen schon frech nach den Früchten. So entstand ein großes Gezeter und Gekicher. Jetzt war auch noch ein Bauer mit seinem breiten Handkarren voller Melonen für den Abendmarkt hinzugekommen und versuchte, sich an der Gruppe vorbei durch das enge Tor zu quetschen. In dieses kleine Chaos stieß nun die türkische Karawane. Auf diesen Augenblick hatte Ali gewartet. Blitzschnell nahm er aus dem Korb der Bäuerin eine dieser stachligen Opuntienfrüchte und warf sie klatschend auf den dicken Hintern des türkischen Maultiers. Erschrocken bäumte sich das sonst so temperamentarme Tier hoch auf und machte dann einen gewaltigen Satz nach vorn, wo es abrupt auf seinen Vorderhufen wie zu einem kurzen Handstand stehen blieb. Dabei schlug es heftig mit seinen Hinterbeinen aus und traf den Karren mit den Melonen. Der kippte um. Der Bauer fluchte, die Frauen kreischten, die Kinder schrieen, die Straßenköter bellten, und alle rannten wie kopflos umher und stolperten über die runden Feldfrüchte. Die türkischen Diener waren ganz verwirrt, denn ihr Herr war plötzlich nicht mehr da. Das war kein Wunder, denn auch ein guter Reiter wäre auf dem bockenden Maultier wohl kaum im Sattel geblieben, geschweige denn Osman. Der dicke Türke war wie eine Kanonenkugel durch die Luft gesaust und hinter einem Gebüsch kopfüber im weichen Sand gelandet. Das ging so schnell, dass es niemand gesehen hatte, außer Ali. Der war sofort bei dem bewusstlosen Osman, nahm ihm die goldene Münzkette ab und verschwand mit seiner Beute ungesehen durch das "Tor der untergehenden Sonne". Unterdessen suchten die Diener immer noch in dem Chaos aus Menschen, Tieren und Melonen nach ihrem Herrn. Da endlich hörten sie hinter dem Gebüsch ein lautes Stöhnen. Osman war aus seiner Ohnmacht erwacht und hatte Kopfschmerzen. Aus einigen Stöcken, die sie in der näheren Umgebung fanden, bauten die Diener eine Art Sänfte und trugen ihren dicken Herrn, denn reiten konnte Osman in seinem Zustand nicht mehr, nach Hause. Vorneweg ritt der kleine Muck auf dem Maultier, das sich wieder beruhigt hatte. Erst weit nach Sonnenuntergang erreichte der Krankentransport das rettende Zuhause. Auch Ali war in seinem Haus angekommen und wurde neugierig von seiner Frau Fatima und Said, dem hübschen Nachtdieb, empfangen. “Na, wie groß ist denn deine Beute?”, fragten beide wie aus einem Mund. Ali legte das gestohlene Geld auf den Tisch – es waren genau tausendundeins Goldmünzen. Mit glänzenden Augen betrachteten die beiden seinen Schatz. Wie alle Frauen liebte auch Fatima jede Art von Schmuck und band sich sofort Leilas kostbare Goldkette um ihren schlanken Hals, während Ali stolz erzählte, wie er an das viele Geld gekommen war. „Jetzt musst du zeigen, was du kannst, mein lieber Said“, forderte daraufhin Fatima den Nachtdieb auf. Nachdem sie sich herzlich voneinander verabschiedet hatten, trat Said hinaus in die Nacht.