Читать книгу Die Wette der Diebe - Ronald Fuchs - Страница 7
5 /13 Der Schleiertanz
ОглавлениеSaid hatte dem Tagdieb aufmerksam zugehört und vermutete, wo so viel Geld zu Hause gewesen war, da sei wohl auch noch mehr zu finden. Also beschloss er, den Türken zu besuchen. Langsam reifte in ihm ein kühner Plan. Deshalb lenkte er seine Schritte nicht direkt zum "Tor der untergehenden Sonne", sondern zum Basar. Bei einem Apotheker, der aus getrockneten Tierkörpern Arzneien und Aphrodisiaka herstellte, kaufte er, denn auch ein Dieb stiehlt nicht immer, den präparierten Kopf eines ausgewachsenen Gorillas und außerdem etwas Haschisch, Opium, Kampfer, Tabak und ein Blatt Papier, auf dem ein Koranvers geschrieben stand. Koranverse helfen, so glauben manche Leute noch heute, gegen den bösen Blick und alle möglichen Übel. Said mischte die Drogen sorgfältig unter den Tabak und wickelte alles in das Papier mit dem Koranvers. Da der Muezzin gerade zum Ischa-Gebet, dem fünften und letzten Gebet des Tages, rief, folgte Said der Aufforderung, um für sein Vorhaben in der großen Moschee zu beten. Danach machte er sich auf den Weg zum Hause des Türken. Osmans Villa war zu dieser späten Stunde immer noch von vielen Öllampen hell erleuchtet und lautes Stöhnen drang aus den offenen Fenstern. Said klopfte an das Tor. Ein Diener öffnete und fragte unwirsch, was er wolle. „Verzeiht mir, wenn ich die Ruhe des Hauses störe“, entschuldigte sich Said. „Ich bin der Arzt Ibn Ruschd. Ich habe mich in der Dunkelheit verlaufen und möchte euch bitten, mir den Weg nach Fallujah zu zeigen.“ „Ihr seid ein Arzt?“, fragte der Diener plötzlich ganz freundlich und lief ins Haus zurück, um seinem Herrn die Ankunft des langersehnten Medicus zu melden. Man hatte nämlich schon vor Stunden den kleinen Muck in die Stadt geschickt, um einen Arzt zu holen, aber der war immer noch nicht zurückgekehrt. Hocherfreut führte man Said zum Lager des jammernden Osman im oberen Stockwerk der Villa. Said machte eine besorgte Miene und fragte den Türken, was ihm denn fehle. „Ich habe schreckliche Kopfschmerzen“, klagte der Ärmste. „Wann sind denn Eure Kopfschmerzen zum ersten Mal aufgetreten?“, fragte Said scheinheilig. Er kannte die Geschichte zwar schon von Ali, aber jetzt wollte er gern auch noch Osmans Version hören. Diesem war es sehr peinlich, den Sturz von einem gutmütigen Maultier zugeben zu müssen, und Said amüsierte sich köstlich. Said sagte, er müsse Osman untersuchen, denn dieser könne sich bei dem Sturz noch andere Verletzungen zugezogen haben, die nun die Kopfschmerzen verursachten. Also fing er an, den reichen Kaufmann abzutasten – nach Geld natürlich – fand aber nichts. Dann untersuchte er Osmans Kopf, wobei er ihn nach links und rechts drehte und schüttelte und beklopfte, was Osmans Schmerzen noch verstärkte. Der arme Türke hatte nun unter Saids "fachärztlicher" Untersuchung schon fast so gelitten, wie durch den Sturz selbst und war erleichtert, als der falsche Doktor endlich von ihm abließ und das kleine Päckchen mit der Tabakmischung aus seinem Kaftan zog. Dies musste die erlösende Medizin sein. Das zeigte schon die Verpackung mit dem Koranvers. Said überlegte, wie er wohl herausfinden könne, wo Osman sein Geld aufbewahrte – schließlich konnte er ja nicht das ganze Haus durchsuchen. „Wenn du dieses Mittel in deiner Wasserpfeife rauchst und dabei deinen Nacken auf kühlende Goldstücke bettest, werden deine Kopfschmerzen alsbald verschwinden“, sagte er mit ernster Miene. Diesen Rat befolgte der gequälte Osman sofort und legte sich einen großen, weichen Lederbeutel mit Goldstücken unter seinen Nacken. Dann rauchte er die medizinische Tabakmischung in seiner Wasserpfeife. Währenddessen wurde Said unten im Haus fürstlich von Leila bewirtet. „Was für eine hübsche junge Frau dieser Türke hat“, dachte Said. „Wie schön dieser junge Arzt ist“, dachte Leila. Während Said speiste, führte Leila zur Musik ihrer Dienerinnen im kaleidoskopartigen Licht der großen, silbernen Deckenampel einen aufregenden Bauchtanz vor, bei dem sie nur wenige parfümierte dünne Seidenschleier trug, die sie im Rhythmus der Musik sacht über Saids Antlitz gleiten ließ. Der Nachtdieb thronte auf einem weichen Sammetkissen wie auf einer Wolke und ließ sich von Leilas betörendem Schleiertanz in eine wonnige Traumwelt versetzen, in der ihn seine blühende Fantasie noch mehr sehen ließ, als ihm die liebliche Leila ohnehin schon zeigte. Schließlich setzte sich die erhitzte, doch wohlduftende Tänzerin so leicht bekleidet, wie sie war, zu Saids Füßen auf den kostbaren Teppich und fragte ihn, woher er komme und wohin er gehe. Said sagte, er käme aus Bagdad und wolle nach Fallujah. „Aber das ist noch ein weiter Weg und es ist schon dunkel“, wandte Leila ein. „Ihr solltet diese Nacht hier bleiben, dann könnt Ihr morgen auch gleich meinem armen Gemahl helfen, wenn es noch nötig ist. Ich werde Euch gleich die Kammer neben meinem Zimmer herrichten lassen.“ Mit diesen Worten erhob sie sich – da klopfte es an der Tür.