Читать книгу Der Witwer überquert den Berg - Ronald Kloska - Страница 9
Bridge of Orchy
ОглавлениеZuerst fließt der Fluss durch die Highlands.
Danach geschieht lange Zeit nichts.
1751 baut jemand eine Brücke über den River Orchy, später einen Pub für alles Lebenswichtige und ein Hotel für die Hoffnung. Außerdem einen Bahnhof zum Abreisen. Ein Gleis Richtung Norden und eines, um in Schottlands Süden zu kommen. Zwischen den Gleisen liegt der Bahnsteig und darauf steht die von uns gebuchte Unterkunft.
The West Highland Way Sleeper.
Hört sich gut an. Nach einer langen Trekkingtour sind unsere Füße platt aber die Herberge ist verlassen und verschlossen. Gerümpel und Müll hinter den Fenstern lassen eine leichte Panik aufkommen. Diskussionen und Telefonate werden geführt.
Wie ein Geist aus dem Hochmoornebel entsteigt er dann doch irgendwann seinem Wohnwagen und schlendert über den Bahnsteig, der Herbergsvater.
Die einen halten ihn für leicht angetrunken, die anderen für sternhagelvoll. Wahrscheinlich hat er aber nur sein Level, welches er nun mal täglich spät nachmittags hat.
Stolz zeigt er uns die Schlafsäle, jedenfalls nennt er sie so. Unsere Bemerkung, es sei doch alles möglicherweise geringfügig unsauber entlockt ihm ein erstaunliches Repertoire an Schimpfwörtern.
Den Mief muss man mögen, die Unordnung tolerieren. Die wackeligen Drei-Etagen-Betten in den engen Räumen könnten tatsächlich noch eine Nacht durchhalten, bevor sie auseinanderfallen. Die fleckige Bettwäsche auf den durchhängenden Matratzen vermittelt einen Hauch Gemütlichkeit. Ihre kleinen einheimischen Bewohner feiern in der dunkelsten Ecke ein Erntedankfest: "Halleluja, fünfzehn frische deutsche Pilger für eine ganze Nacht. Hoffentlich duschen sie nicht vorher. Was sind wir doch für glückliche Flöhe."
Die Duschkabinen liegen gleich nebenan. Warmes Wasser hat eh niemand erwartet und die verstopften Abflüsse, die einen überfluteten Schlafraum zur Folge haben, sind so selbstverständlich wie die fehlenden Schränke und Sitzgelegenheiten.
Zum Dinner spazieren wir ins leider ausgebuchte Hotel und wechseln anschließend in den Pub, wo sich unsere Spur verliert. Ziemlich viel Volk hier.
Im Television läuft ein Fußballspiel der Europameisterschaft. Stephan und ich sitzen an der Bar und trinken Guinness sowie einen rauchigen Single Malt.
"A little bit smoky, that whisky," meint der Barkeeper.
"Schmeckt wie ein Stück Holzkohle," bemerkt Stephan.
"Oh ja, jetzt schön grillen," sage ich und bestelle nochmal zwei.
"Wer hat eigentlich gespielt?" fragen wir uns, nachdem das Fußballspiel vorbei und der Pub fast leer ist.
Wir schleichen zurück zum Pilger-Resort und halten den im Bahnhof parkenden Luxuszug zunächst für eine Folge des letzten der vielen Whiskys.
The Royal Scotsman der Great Scottish & Western Railway Company übernachtet auf seiner Rundreise tatsächlich genau hier und wir drücken uns an den Zugfenstern die Nasen platt.
Innen serviert ein Kellner im weißen Hemd nach einem fünf Gänge Menü gerade einige Gläser Holzkohle. Für Bügelfalten und Krawatten war in unseren Rucksäcken kein Platz mehr und deshalb bleibt uns der Zutritt ins Ambiente der Reichen und Schönen verwehrt.
Zumindest Letzteres nehmen wir für uns jedoch auch in Anspruch und es wird Zeit für unseren Schönheitsschlaf.
Wie ein Matrose entere ich hinauf in das dritte Bett von unten. Früh morgens wache ich auf und sehe gegenüber ein Paar Füße aus der Bettdecke ragen. Ganz sicher bin ich nicht aber das können nicht meine sein. Schnell ein Foto zur Überprüfung am nächsten Tag, sofern der noch kommen sollte.
Wie erwartet, ist das Frühstück reichhaltig und fürstlich. Die Entscheidung zwischen Lufthansa-Cornflakes-Tütchen ohne Milch und dreieckigen Toastscheiben ohne Butter fällt nicht leicht. Vermutlich hat unser Gastgeber die verschimmelten Toastecken vorher abgeschnitten. Er wirkt erstaunlich frisch und gepflegt heute Morgen. Wahrscheinlich denkt er tatsächlich, es hätte uns gut gefallen im West Highland Way Sleeper, einer Unterkunft zum Erinnern, zum zukünftig immer wieder neu erzählen.
Viel besser als der schönste Sonnenuntergang.
So lässt er es sich nicht nehmen, zum Abschied ein Gruppenfoto zu machen.
Der Herbergsvater verschwindet in seinem Wohnwagen, The Royal Scotsman fährt ab Richtung Süden, wir wollen weiter nach Norden.