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Ein Brief an den Verleger als Vorwort

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Sehr geehrter Herr!

Als wir zuerst miteinander von diesen Fabeleien redeten, fragten Sie mich, was für eine literarische Gattung das nun eigentlich wäre. Ich blieb Ihnen die Antwort schuldig. Es ist immer mißlich, Fragen an den Autor zu stellen; die Antworten, die er zu geben hat, sind – eben seine Werke. Häufig sehr unzulängliche, sehr ungenießbare, sehr dunkle Antworten, ich räume es ein. Vielleicht täte er besser, statt den Umweg über die dichterische Darstellung einzuschlagen, die Sache einfach auf dem verstandesmäßigen Wege zu erledigen. Der Verstand ist ja doch im Begriff, der Herr der Welt zu werden. Hat man nicht schon die Frage aufgeworfen, ob die Dichtkunst nicht bloß ein Spiel für große Kinder sei, dessen sich die Menschheit, wenn sie einmal zum vollen Gebrauch ihrer Vernunft gelangt, entwöhnen werde –?

Mit diesem vollen Gebrauch scheint es einstweilen noch gute Wege zu haben. Ich meinesteils bin zum Beispiel mein ganzes Leben lang nicht über das Mißvergnügen hinausgekommen, mit dem ich in der Religionsstunde erfuhr, daß der liebe Gott es jetzt nicht mehr halte wie zur Zeit der biblischen Geschichte. Ach, um wie- viel schöner hatten es damals die Leute! Da gingen Engel und Teufel herum, Heilige und Propheten, und bei besonders wichtigen Anlässen erschien der Herr in höchsteigener Person. Das Herz schlug einem höher bei dem bloßen Gedanken! Warum durfte man nicht in solchen Zeiten leben, warum nicht in dieser berauschenden Erwartung, daß morgen, heute, jeden Augenblick ein Wunder geschehen konnte? Wie? Von all diesen fabelhaften Herrlichkeiten war für uns Spätgeborene nichts übriggeblieben als ein Katechet, der schlechte Noten verabreichte, wenn man nicht aufpaßte, weil man just davon träumte, ob es denn kein Mittel gäbe, den lieben Gott in seiner Abneigung gegen den persönlichen Verkehr mit dem Menschengeschlecht wieder umzustimmen –?

Und kaum ist man der Religionsstunde entwachsen, so übernimmt der Verstand im Leben die Rolle des Katecheten. Da heißt es gewaltig aufpassen, daß die Phantasie keine Seitensprünge mache. Wir müssen uns an das halten, was er predigt, und wehe, wenn wir ihm nicht aufs Wort glauben!

Das scheint auch den lieben Gott zu verdrießen; denn es ist leider Tatsache, daß er sich in die menschlichen Angelegenheiten nicht mehr einmischt. Haben wir uns schon klargemacht, was das bedeutet? Das Leben ist doch so sterbenslangweilig ohne ihn, so unerträglich zivilisiert und aufgeklärt! Wenn künftig keine göttliche Hand in diese trostlos eintönige Kette von Ursache und Wirkung eingreifen und sie von Zeit zu Zeit aufheben soll, dann möchte man sich lieber gleich dem Teufel verschreiben, um nur endlich etwas anderes zu erleben.

Und so versucht man immer wieder, in jene Welt zu flüchten, wo die alten Machthaber noch aus- und eingehen und »etwas zu bedeuten« haben, wie das An der Welt der Dichtung üblich ist. – – Aber richtig: Sie wollten von mir wissen, was für eine Bewandtnis es mit der Gattung der Fabeleien habe!

Also ohne Umschweife: Fabelei kommt von Fabulieren. Und fabulieren heißt, Wirkliches und Erfundenes vermengen. Freilich wäre dann so ziemlich alles, was der menschliche Intellekt hervorbringt, inbegriffen das Bild der ganzen Welt, nur eine Fabelei. In der Tat – was waren die Systeme aller Philosophen bisher als Fabeleien? Als spielerische Erfindungen, mit denen sie sich Antwort gaben auf die Fragen, die der Intellekt an die Welt richtet? Daß die Fabeleien der Philosophen ernst gemeint sind, daß sie, fachmännisch ausgedrückt, Anspruch auf objektive Giltigkeit erheben, gereicht ihnen nicht zum Vorzug; wer eine Reihe solcher gravitätisch ernster und meistens auch sehr umfangreicher Fabeleien kennt, weiß schließlich nicht, was er mit der objektiven

Giltigkeit so vieler ungelöster Widersprüche anfangen soll.

Lassen wir nun einmal den Ernst aus dem Spiel, indem wir ihm gestatten, sich hinter dem Spiel zu verbergen, so werden wir den Fabeleien, wie ich sie verstehe, am ehesten gerecht. Sie sind meine ganz persönliche Art, mich mit jenen Problemen abzufinden, die uns in ihrer Gegensätzlichkeit so peinlich nahe gehen. Das Menschliche und das Göttliche, Ich und Welt – wie lange schon zerbricht sich der Intellekt den Kopf darüber!

Er ist zu bedauern, dieser Kopfzerbrecher, der es sich nicht nehmen läßt, mit immer neuen Versuchen wider die uneinnehmbare Festung Sturm zu laufen. Ein leiser Anstrich von Lächerlichkeit heftet sich daran wie an alles Unzulängliche. Daher tritt ab und zu das Gefühl dieser Lächerlichkeit auf den Schauplatz der Darstellung. Auch das gehört zum Wesen der Fabelei. Daß ich es einige Male vergessen habe, müssen Sie mir zu Gute halten – wer vergäße nicht zuweilen, daß er lachen muß, um das Leben zu ertragen?


Wien, im Februar 1921

Ihre ergebene Rosa Mayreder

Fabeleien

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