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Grotesk-Pantomime

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Da entstand eine jener Pausen, die in einer Gesellschaft zuweilen ohne Anlaß das lebhafteste Gespräch unterbrechen.

»Ein Engel geht durchʼs Zimmer!« sagte jemand lachend.

Nein, kein Engel!

Ich wußte wohl, wer eingetreten war, noch ehe ich ihn sah.

Und schon stellte er sich mir gegenüber mit seinem weißen, kahlen Dämonengesicht und lächelte mich an. Er lächelte immer; dieses eisige, schneidende, hohnvolle Lächeln war wie eingefroren in seine Miene.

Züngelnd äugte seine Schlange aus seinem Ärmel hervor. Wie ihre klugen Augen funkelten! Er wand sie von seinem Arme los und ließ sie auf den Boden gleiten. Sie kam auf mich zu.

Die Andern setzten ihr Gespräch heiter fort. Denn sie wußten nicht, wer da war. Seine Schlange aber kroch an mir herauf und ringelte sich um mein Herz, kalt, kalt!

Dann nestelte er seinen schwarzen Talar über der Brust auf. Dort trug er seinen Spiegel wie ein breites Hohepriesterschild. Der Spiegel war verschlossen; auf dem Deckel leuchtete die diamantenbesetzte Inschrift mit fürstlichem Glänze.

Und ich las es wieder, das Wort, das dort prangte, das große, das verlockende, das tötliche Wort:

Wahrheit.

Ah der Gaukler! Wer weiß, wie dieses Juwel in seine unreinen Hände gekommen ist! Wo er diesen Talisman gestohlen hat, dessen magische Kraft er mit boshafter Lust mißbraucht! Tausendmal verflucht die törichten Künste, mit denen ich ihn zuerst heraufbeschworen habe! Tausendmal verflucht die Stunde, in der er mir zuerst erschienen ist!

Er lächelte eisig. Und lächelnd öffnete er das Schloß und schlug den Deckel zurück. Die zauberische Fläche glänzte mich an; ich konnte meine Augen nicht mehr abwenden.

Von dem goldenen Rahmen eingefaßt lag das Bild des Zimmers darin wie eine winzige Bühne. Die Anwesenden erschienen, weit in die Ferne gerückt, als zierliche Püppchen, die mit wichtigen Geberden Theater spielten. Und ich selbst war mit dabei; ich agierte wie die Andern und lief hin und her mit Gezappel und Gezeter. Aber dieses kleine Ich auf der Bühne stand in einem geheimnisvollen Zusammenhang mit dem großen Ich. das da als Zuschauer bei Tische saß. Alle seine Sprünge und alle seine Possen, seine tragischen und seine lustigen Capriolen, sein Gelächter und seine Tränen, ich erlebte sie mit. Ich empfand alle Verantwortlichkeit für das Wesen, das sich dort herumtrieb. Wie eine Mutter, deren Tochter eben ausgepfiffen wird, saß ich im Parterre; und so oft mein kleines Ich den Mund öffnete, bekam ich vor Lampenfieber Herzklopfen.

Nun begannen die auf der Bühne jenen Tanz, genannt Ballabile der Erkenntnis. Er bestand darin, daß sie sich gegenseitig einen großen, harten, grünlichen Apfel zuwarfen, mit dem sie Ball spielten.

Ach, ich kannte dieses barbarische Spiel gar wohl und auch den unreifen Apfel, der da hin- und herflog und Beulen schlug, wohin er traf. Die andern, die wichen gewandt nach rechts und nach links; sie bogen sich vor, sie bogen sich zurück und fingen den Apfel und warfen ihn weiter mit Schalkheit und Geschick.

Nur mein kleines Ich begriff das Spiel nicht. Tölpelhaft stand es da und ließ den Apfel auf seine Brust, auf seinen Scheitel niederprallen. So oft es getroffen wurde, zog es sich schmerzhaft in sich zusammen, als war es eine Schnecke, die gern in ihr Haus kröche, wenn sie nur eins hätte. Indessen nahmen ihm die andern den Apfel vor der Nase weg und tanzten in leichtem Wirbel davon.

Ergrimmt über die Mitleidenschaft, in die ich gezogen war, rief ich meinem kleinen Ich zu: »Du Tölpel, warum spielst du da mit? Merkst du denn nicht, daß du kein Tänzer bist? Herunter mit dir! Ich kann deine dilettantischen Possen nicht länger ertragen.«

Aber mein kleines Ich war ganz toll und närrisch; je öfter es getroffen wurde, desto erpichter schien es auf den Tanz zu sein. Es stolperte und stotterte von einem zum andern in rätselhafter Verwirrung. Es machte unverständliche Gebärden, halb pathetisch und halb possenhaft; es knixte mit untertänigem Zähne- fletschen immer hinter demjenigen her, der gerade den Apfel in Händen hielt. Ich konnte mir seine Absichten nicht erklären; nur in seinem atemlosen Gesicht las ich, wie es innerlich voll Angst, voll Zorn, voll Verzweiflung war. Neben dem gleichmütigen Ballerinen- lächeln der andern nahm sich diese Miene ganz verächtlich aus.

Da geschah es, daß mein kleines Ich den Apfel einmal fing. Mit gierigen Blicken betrachtete es ihn von allen Seiten. Himmel – es sah ganz so aus, als ob ihm der Mund danach wässerte! Es wollte alles Ernstes in diesen sauren Apfel beißen!

Auch die auf der Bühne errieten den thörichten Vorsatz, mit dem mein kleines Ich umging. Sie suchten ihm den Apfel zu entlocken; und da es ihn gutwillig nicht herausgab, machten sie kurzen Prozeß. Sie waren ihrer sieben gegen einen; was half da sein Sträuben und Strampeln!

Kaum war der Apfel aus seinen Händen, so verfiel es wieder in seine täppische Untertänigkeit; es schien gewillt, das Spiel gleich von vorne zu beginnen.

Das also warʼs! Nach disem Apfel, nach diesem ungenießbaren, sauren Apfel ging sein Streben! Welchen geheimnisvollen Wert besaß dieser Apfel in seinen Augen? Dachte es vielleicht, weil einmal um eines Apfels willen ein Paradies verloren gegangen war, so könnte durch diesen Apfel ein Paradies zurückgewonnen werden? Hielt es diesen Apfel für das magische Arkanum, das man zu sich nehmen mußte, um Glück und Macht zu erlangen? »Weißt du denn nicht,« rief ich, »daß dieser Apfel nur zu einem überlegenen Spiel bestimmt ist? Weißt du denn nicht, daß man sich nur ein Magendrücken auf Lebenszeit zuzieht, wenn man sichʼs einfallen läßt, Ernst zu machen und den Apfel zu essen?«

Indes hatten die Sieben das Spiel gewechselt. Sie nahmen mein kleines Ich und stellten es an einem Ende der Bühne auf, legten ihm den Apfel auf den Kopf und geboten ihm, stillezuhalten. Und aus den Koulissen langten sie sieben Armbrüste hervor, und legten sieben Pfeile darauf und zielten – wahrhaftig, sie zielten nach seinem Herzen, statt nach dem Apfel!

Starr und steif stand mein kleines Ich, starr und steif hielt es seinen einfältigen Kopf hoch und blinzelte nicht. »Es ist ja nur ein Spiel!« sagte es mit einer Stimme, die von verhaltener Angst bebte. »Nicht wahr, es ist nur ein Spiel?«

»Nein, nein!« schrie ich verzweifelt. »Sie zielen nach deinem Herzen, diesmal ist es kein Spaß! Das Spiel hast du für Ernst genommen, den Ernst nimmst du als Spiel! Kannst du denn nicht unterscheiden?«

Sie zielten lange – und ich fühlte mein eigenes Herz schon durchbohrt von der siebenfachen Schärfe des Eisens, das von den Schäften nach meinem kleinen Ich blitzte.

Dann schössen sie ab. Der Apfel kollerte auf den Boden, unversehrt; mein kleines Ich sank in die Knie. War es zu Tode getroffen?

Es zog die sieben Pfeile aus seinem Herzen und trocknete hastig das Blut, das aus der Wunde floß. »Ich weiß, es ist nur ein Spiel!« sagte es entschuldigend. »Aber mein Herz versteht den Unterschied zwischen Spiel und Ernst noch nicht. Deshalb ist es so ungeschickt, zu bluten, wenn es getroffen wird..

»Warum antworten Sie nicht?« sagte eine laute Stimme, während eine warme Hand sich auf meinen Arm legte. »Mindestens seit zehn Minuten starren Sie auf die Tür, als wäre dort weiß Gott was zu sehen!«

O meine Freunde! Ihr seht ihn nicht, den magischen Spiegel, in dem ihr mit mir auf der Bühne tanzt! Ihr seht die Schlange nicht, die sich um mein Herz windet, kalt, kalt!

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