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Drachentöter

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Der heilige Georg saß auf seinem Schimmel seit fünf Uhr früh und wartete auf den Drachen. In der linken Hand hielt er den Schild und in der rechten die Lanze. Ein Harnisch von blankem Stahl bedeckte seine Brust. Grünglänzend spiegelten sich darin die hochgewölbten Buchen, und seine Beinschienen schillerten rot vom Reflex des verdorrten Laubes, das den Boden bedeckte. Während des langen Wartens war sein junges Gesicht blaß geworden und die Lider sanken ihm schwer über seine großen, rehbraunen Augen. Er wartete lange – ganz ahnungslos, wie schön er war auf seinem Schimmel, mit seinen schimmernden Waffen und seinem blaßen Gesicht unter dem Heiligenschein.

Allein der Drache ließ sich nicht blicken. Da mußte der heilige Georg wieder unverrichteter Dinge abziehen, wie schon so oft. Seit vielen Wochen stand er täglich fromm und tapfer auf dem Anstände dort, wo der Drache zuletzt gesehen worden war; dieses teuflische Wild aber besaß vermutlich eine feine Witterung und roch den Heiligen schon von weitem.

Der heilige Georg hatte nicht die Anmaßung, zu glauben, daß sein blasses Jünglingsgesicht unter dem Heiligenschein dem Drachen Furcht einjagen könnte. Woran lag es also? Waren doch so viele Andere, die durchaus nicht darauf ausgingen, dem Drachen begegnet; er hatte sie aufgefressen oder laufen lassen, je nach seiner Laune. Und der heilige Georg konnte sich nicht verhehlen, daß darunter ganz gewöhnliche Bursche waren, die gar nicht wußten, was für ein Abenteuer sie bestanden, Faulpelze, die es bloß für eine Unannehmlichkeit hielten, wenn sie das Ungeheuer erblickten und ihm ausweichen mußten, oder auch völlige Dummköpfe, die nicht einmal merkten, welche Gefahr ihnen drohte, wenn sie über seinen grauenvollen Rumpf gedankenlos hinüberkletterten wie über einen Felsengrat, der zufällig auf ihrem Wege lag. So oft aber der Drache einen zermalmte oder verschlang, entstand ein großes Wehklagen im Lande, und laut erscholl der Ruf nach dem Helden, dem es gelänge, dies schändliche Untier zu erlegen und unschädlich zu machen für alle Zukunft.

Deshalb hatte der heilige Georg in seinem ritterlichen Herzen beschlossen, den Drachen zum Kampfe herauszufordern, mutig, geradeaus, mit seinem guten Schwert, als ein Mann, der fechten kann und sich nicht fürchtet.

Aber der Drache ließ sich nicht blicken.

Da sah der heilige Georg ein, daß er auf diese Weise nichts ausrichten konnte. Er prüfte und erwog bei sich genau. Vielleicht fehlte es ihm, wenn schon nicht an Willen, so doch an Wissen? Wenn schon nicht an Glauben, so doch vielleicht an Können? Mit dem Willen und Glauben allein kann man nichts erreichen, wenn man nicht auch das Wissen und Können besitzt: so lehrten die Meister schon in den Vorhöfen.

Der heilige Georg steckte seinen schönen goldenen Heiligenschein in die Tasche und machte sich auf, um unerkannt eine Studienreise zu den berühmtesten Lehrern der Weisheit anzutreten.

Zu jenen Zeiten waren das drei Einsiedler im tiefen Wald, die wohl den Drachen lange Jahre aus eigener Erfahrung kennen und mit seinen geheimsten Schlichen und Schlauheiten vertraut sein mußten.

Der erste Einsiedler, den der heilige Georg nach dem Drachen fragte, hatte eine herrliche Stimme von großem Klang. Mit dieser Stimme hub er an, daß es weithin vernehmbar war, und die Tiere des Waldes andächtig lauschend vor der Klause stehen blieben:

»Den Drachen kenn ich wohl, mein Sohn! Niemand ist so kühn, der ihn reizen darf. Wer kann die Kinnbacken seines Antlitzes auftun? Und wer darf es wagen, ihm zwischen die Zähne zu greifen? Seine stolzen Schuppen sind wie feste Schilder; seine Augen sind wie die Augenlider der Morgenröte; aus seinem Munde fahren Fackeln, und feurige Funken schießen heraus. Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken; und wenn er daherbricht, so ist keine Gnade da. Er achtet Eisen wie Stroh, und Erz wie faules Holz –«

Der heilige Georg, der sehr bibelfest war, harrte bescheiden, bis der Einsiedler Atem schöpfte, und sagte dann: »Ich weiß, ehrwürdiger Vater, so heißt es Buch Hiob, Kapitel 41 –«

Aber der Einsiedler hatte es nicht gerne, wenn man seine Rede unterbrach, und fuhr fort: »Kein Pfeil wird ihn verjagen; den Hammer achtet er wie Stoppeln; er spottet der bebenden Lanze. Nach ihm leuchtet der Weg, er macht die Tiefe ganz grau; auf Erden ist ihm niemand zu gleichen; er verachtet alles, was hoch ist, er ist ein König über die Stolzen –«

»Aber wo ist er zu finden?« rief der heilige Georg.

»Das steht nicht geschrieben«, versetzte der Einsiedler, ermattet von seiner großen Deklamation.

»Und habt Ihr ihn nicht gesehen, auf Euren Wegen, ist er nicht vorübergekommen vor Eurer Klause?«

»Gesehen? Nein, gesehen habe ich ihn nie! Gott hat mir immer seinen gnädigen Schutz angedeihen lassen. Und vor meiner Tür ist ein Pentagramma angebracht; da kann all das Teufelszeug nicht heran.«

Der heilige Georg empfahl sich.

Freundlich beschnupperten ihn die Tiere des Waldes; denn sie erkannten den Heiligen in ihm, obwohl er keinen Heiligenschein trug. Er kraute ihnen liebreich die Ohren, bevor er seinen Schimmel bestieg. Dann ritt er fürbaß, bis er vor die Klause des zweiten Einsiedlers kam.

Der zweite Einsiedler machte ein sehr bedenkliches Gesicht, als er von den Plänen des heiligen Georgs erfuhr.

»Den Drachen kenn ich wohl, mein Sohn«, sagte er. »Nur rate ich dir, geh ihm aus dem Wege, geh ihm aus dem Weg! Und wenn du ihn bis jetzt nicht angetroffen hast, so danke Gott dafür inbrünstiglich, und vermiß dich nicht dessen, was Gott in seiner unerforschlichen Gnade dir vorenthält. Als ich jung war und mein Sinn auch nach eitel Ehren und Waffentaten stand, habe ich mich selbst mit dem Gedanken getragen, den Kampf gegen den Drachen aufzunehmen; aber Gott hat meinen Sinn erleuchtet, und ich habe abgelassen von den Werken der Ruhmsucht. Gott liebet diejenigen, so da demütig sind und nicht trachten nach ihrem Stolz.«

»Ehrwürdiger Vater«, versetzte der heilige Georg, »ich glaube Euch versichern zu dürfen, daß es nicht eitle Ruhmsucht ist, die mich treibt, mein Werk zu vollbringen, sondern das Mitgefühl mit der Not aller derer, die der gräuliche Drache bedroht.«

Aber auch der zweite Einsiedler hatte es nicht gerne, wenn man seine Rede unterbrach und fuhr fort:

»Lieber Sohn, hüte dich vor den Fallstricken des Bösen! Er packt uns bei unserer Eitelkeit und verblendet uns durch schöne Worte. Hinweg mit den ritterlichen Beinschienen und dem spiegelblanken Harnisch! Hülle deinen Leib in ein hären Gewand und kasteie dich! Dann wirst du die Arglist des Erzfeindes erkennen lernen. Innewerden mit Zerknirschung wirst du, daß sich hinter deinen Absichten und Plänen die alte Schlange verbirgt. Denn vernimm: Alles, was opus operatum ist, führt nicht zum wahren Heile. Darum tu ab von dir alle Pläne und Absichten, und laß Gott walten! Er allein ist der Herr! Er tötet die Drachen zu ihrer Zeit und erhält sie am Leben, so lange es ihm gefällt. Glaubst du, er braucht deines Armes, um seinen Willen zu vollstrecken?«

Damit ließ der Einsiedler den heiligen Georg stehen und ging eilig von dannen; denn es war gerade die Stunde, da er das Glöcklein seiner Kapelle zu läuten pflegte.

Der heilige Georg war über diese Worte sehr betrübt. Er fühlte, wie sein tapferes Heldenherz schwer hinter dem spiegelblanken Harnisch hing und die Freudigkeit seiner Seele davonschlich, als hätte jemand mit Knütteln nach ihr geschlagen.

Dennoch ließ er nicht ab von seinem Vorsatz. Lange ritt er querwaldein, bis er den dritten Einsiedler fand.

Der dritte Einsiedler war schon uralt. Seine Stimme klang wie aus einer andern Welt, und seine Augen schienen mehr nach innen als nach außen zu blicken. Auch sein Gehör war nicht mehr ganz auf die Töne dieser Welt gestimmt; der heilige Georg hatte seine liebe Mühe, sich verständlich zu machen und mußte alles dreimal wiederholen.

»Den Drachen kenn ich wohl, mein Sohn«, begann der uralte Einsiedler, nachdem er lange medidiert hatte. »Aber wisse: hier obwaltet ein großes Mißverständnis. Du lebst in dem Wahne, daß du den Drachen in der äußeren Welt aufsuchen und töten müßtest. Es gibt aber gar keinen Drachen in der äußeren Welt – denn es gibt auch keine äußere Welt. Der Drache ist ein inneres Erlebnis; er wohnt in dir selbst. In deinem Innern mußt du ihn aufspüren, mußt du ihn jagen, mußt du ihn töten –«

»Verzeiht, ehrwürdiger Vater«, versetzte der heilige Georg, »ich meine den wirklichen Drachen, der schon so viele Unglückliche aufgefressen hat.«

Aber auch der uralte Einsiedler hatte es nicht gerne, wenn man seine Rede unterbrach, und fuhr fort:

»Ich werde dir sagen, wer dieser Drache ist. Dieser Drache, das ist dein Ich mit seinem Eigenwillen und seiner Selbstsucht. Oder, allgemeiner gefaßt: das principium individuationis, das ist der rasende, gefräßige, siebentöterische Drache, der Urheber jener Lüge, welche du die wirkliche Welt nennst. Zertritt ihm den Kopf, mein Sohn! Das heißt, verneine ihn, vernichte ihn in dir! Wenn du ihn in dir vernichtest, so vernichtest du mit ihm die sogenannte wirkliche Welt – also gesetzt auch, es befände sich unter der Summe von Täuschungen, aus denen die sogenannte wirkliche Welt besteht, eine Täuschung in der Gestalt eines Drachen, so wirst du diese Täuschung am besten besiegen, wenn du sie in dir, zugleich mit allen übrigen Täuschungen, besiegst.«

Der heilige Georg setzte sich verwirrt auf einen bemoosten Stein.

Indessen verbreitete sich der uralte Einsiedler noch ausführlicher über seine Methode des Kampfes gegen Drachen. Er schloß:

»Sieh mich an, ich bin der wahre Drachentöter! Ich habe die Welt überwunden und ihre Lüste! In mir ist ihr Wesen zur vollen Selbsterkenntnis gelangt und hat sich selbst aufgehoben durch freie Verneinung. Bald wird auch die letzte armselige Spur der Welt, dieser hinfällige Leib, ausgetilgt sein. Die Welt, sie wird erlöst mit mir in das göttliche Nichts dahinschwinden!«

Er machte eine große, weltumfassende Handbewegung, als wollte er den heiligen Georg wie einen Fleck aus seiner Sphäre wegwischen.

Bange erhob sich der heilige Georg und stammelte:

»Aber ich? Was bin denn ich? Bin ich auch nur eine Täuschung, die ins Nichts dahinschwinden wird, sobald Ihr das Zeitliche segnet, ehrwürdiger Vater?«

Auf diese Frage gab der uralte Einsiedler keine Antwort; denn er war bei dem Worte Nichts in Verzückung gefallen.

Der heilige Georg ritt weiter. Sein junges Gesicht war noch viel blässer geworden. Er dachte in seinem Sinn, daß es doch wohl leichter sei, mit Drachen zu kämpfen, als sich mit Einsiedlern zu unterreden.

Am Saume des Waldes hielt er an. Da lag die Welt so leuchtend und licht; auf dem sonnigen Himmel hingen muntere Wölkchen, vor denen die Lerchen tirilierten; in silbernem Grün standen die Saatfelder, und wenn der Wind über sie hinlief, spielten sie mit ihm in weichen, zärtlichen Wellen. Unten im Thal stieg aus den Schornsteinen wohlgemut und aufrecht ein blauer Rauch wie ein Lobgesang behaglicher Heimstätten über die Strohdächer. Ein warmer Geruch von sonnebeschienenem Wiesenheu schwebte in der Luft, die sich schmeichelnd dem heiligen Georg an die Wangen legte. Zutrauliche Schmetterlinge setzten sich auf seine Hände, geschäftige Bienen ruhten sich auf seinen Locken aus, neugierige Vögel hüpften aus den Zweigen hervor, um ihn mit glänzenden Augen in der Nähe zu betrachten.

Und den Weg herauf, der sich zwischen den Ähren schlängelte, kam ein fahrender Spielmann gegangen. Der sprach zu ihm:

»Was stehst du hier so betrübt, du lieber Gesell? Die Welt lacht dich an – willst du ihr nicht mit einem freundlichen Gesicht erwidern?«

»Ach«, versetzte der heilige Georg, »dies Lächeln der Welt schneidet mir ins Herz! Liegt sie nicht da wie ein Kindlein in der Wiege, das die Arme ausstreckt nach der Mutter, unschuldig und sonder Arg? Aber ehʼ man sichʼs versieht, kann der Drache über sie hereinbrechen und all ihre süße Seligkeit in bitteres Herzleid wandeln! Deshalb bin ich ausgezogen, den Drachen zu töten; aber der Drache verbirgt sich vor mir, und ich sehe wohl, es wird mir nicht beschieden sein, die Welt von ihm zu befreien.«

Der Spielmann betrachtete den heiligen Georg mit herzlichem Wohlgefallen. »Wohlan denn« sagte er, »nimmst du mich mit, so will ich dich die Wege führen, wo der Drache lauert. Du bist ein gar unschuldiges junges Blut; ich aber bin viel in der Welt herumgekommen, in ihren Höhen und in ihren Tiefen. Und wenn wir dem Drachen begegnen, dann fasse du dein Schwert, und ich will meine Laute schlagen. Ein tapferes Schwert, ein tapferes Lied, sollten die nicht des Drachen Herr werden?«

So zogen sie selbander hinaus in die weite Welt, den Drachen, den Drachen zu töten.

Fabeleien

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