Читать книгу Es war, als würde ich fallen - Rosemarie Dingeldey - Страница 10

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Ich dachte, der normale Alltag könnte nach meiner ersten Entlassung bald wieder beginnen. Wie sehr hatte ich mich da getäuscht! Ich war unbeholfen, unsicher, konnte nicht alleine sein, weil ich nichts mit mir anfangen konnte. Wenn ich singen wollte, kamen falsche Töne heraus, und ich war in allem ziemlich ungeschickt. Ich konnte nicht weinen und wenn ich lachte, klang es unnatürlich. Ich hatte das Gefühl, mein Lachen war wie ein Krampf, den ich nicht kontrollieren konnte. Auch über meinen Speichel hatte ich keine Kontrolle und beim Essen musste ich ganz vorsichtig sein, damit ich mich nicht verschluckte. Meine Speiseröhre schien durch die Medikamente verengt zu sein. Besonders schlimm waren meine Konzentrationsschwierigkeiten, weil ich deshalb nicht lesen konnte. Wie sollte ich da wieder in die Schule gehen? Am liebsten kroch ich zu meiner Mutter ins Bett wie ein kleines Kind. Meine Sprache war oft undeutlich und man konnte mich schlecht verstehen. Ich wollte gern wieder in die Schule gehen. Ich sehnte mich nach meinen Klassenkameradinnen, die mir ein Päckchen mit Weihnachtsgebäck in die Klinik geschickt hatten.

Aufgrund der Konzentrationsstörungen blieb ich zu Hause, half manchmal meiner Mutter im Haushalt oder war im Uhrengeschäft meiner Eltern. Mein Vater ist Uhrmacher und betrieb ein Uhren- und Schmuckgeschäft, in dem es manchmal Geldsorgen gab. Diese Nöte meiner Eltern betrafen auch mich und ihre Probleme waren auch meine. Heimlich steckte ich ihnen Geld zu, wenn Rechnungen zu bezahlen waren. Meine Schwester, die zwei Jahre älter ist als ich, war bereits ausgezogen. Nach dem vielen Streiten in der Kinderzeit waren wir Freundinnen geworden. Sie ist ruhiger als ich, ich galt immer als die Unkomplizierte, Aufgeweckte. Schon als kleines Mädchen war ich schlagfertig und ging gern in die Schule, weil da immer etwas los war. Mit den anderen Mädchen reden und Spaß haben, das gefiel mir.

In der Schule hatte ich vor allem mit Mathematik Schwierigkeiten. Ich saß im Unterricht oft da, schaute in die Luft und verstand nichts. Ich konnte das, was mir zufiel, zum Beispiel im Deutschunterricht mich in andere Menschen hineindenken. Mir etwas zu erarbeiten, das war schwer. Handarbeiten machte ich gern, aber ich war oft nicht so geschickt, was mich nie davon abhielt, zu stricken, zu sticken oder zu häkeln. Als ich in das Gymnasium in unserer Stadt kam, hörte eine schöne Zeit meiner Schulzeit auf. Die ersten vier Jahre in der kleinen Waldschule, so hieß unsere Grundschule, waren schön gewesen, ein netter, verständnisvoller Lehrer, alles war überschaubar. Ich hütete ab und zu die Kinder meines Lehrers und verkleidete mich im Dezember als Nikolaus – mit großem Erfolg. Im nächsten Jahr kam ich auf »Bestellung« meines Lehrers. War das der Grund für einigermaßen gute Noten, gut genug fürs Gymnasium?

Ich fühlte mich verloren in dieser riesigen Schule. Meine Mutter dachte, ich sei zu faul für Latein und so kam ich in den mathematischen Zweig. Die Lehrer machten uns bald klar, dass wir zu viele Schüler wären, sie wollten »ausdünnen«.

Es war, als würde ich fallen

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