Читать книгу Es war, als würde ich fallen - Rosemarie Dingeldey - Страница 9

Оглавление

Es ist schwer, meine Krankheit zu beschreiben. Was erlebt man, wenn man eine Psychose hat? Schließlich ist es auch schwer Schmerzen zu beschreiben, die ein anderer nicht kennt. Wahrscheinlich ist eine Psychose bei jedem Kranken anders, weil jeder Mensch anders denkt und anders empfindet. In späteren Jahren kam bei mir eine psychotische Episode nie aus heiterem Himmel. Auch wenn ich die Anzeichen zunächst nicht erkannt habe, wurde mir später klar, was nicht richtig gelaufen war. Einem Zusammenbruch, einem »Ausflippen«, gingen immer Wochen oder auch Monate großer Betriebsamkeit und Gefühlsschwankungen voraus. Gefühlsschwankungen und Aktivität sind aber nicht immer krankhaft, deshalb sind die Anfänge einer Manie, die in eine Psychose münden kann, so schwer zu erkennen. Man fühlt sich zunächst auch wirklich gut, aktiver und kreativer als sonst, und man wundert sich, was man alles bewältigen kann. Gefährlich wurde es bei mir immer, wenn Schlaflosigkeit dazu kam. Da musste ich mit Beruhigungsmitteln reagieren. Als junges Mädchen kannte ich mich nicht so gut und wusste nicht, wie ich das alles einordnen konnte. Deshalb war ich oft in den Kliniken. Wenn ein bestimmter Punkt überschritten war und ich nicht mehr zur Ruhe kam, gingen meine Gedanken durcheinander. Ich überbewertete das, was in meiner Umgebung geschah, verstand manches falsch, fühlte mich in die Enge getrieben und beobachtet. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch ein normales Leben führen, aber wenn ich jetzt keine Medikamente nahm, steigerte sich das Ganze bis zu einer Psychose. Ich war total unruhig, sagte Dinge, die meine Mitmenschen nicht einordnen konnten, und dann gab es kein Zurück mehr: Ich musste in eine Klinik.

Ich schrie, schlug um mich, wehrte mich gegen Krankenschwestern und -pfleger und bekam Spritzen, um ruhig gestellt zu werden. Ich hatte Todesängste, Angst hypnotisiert zu werden. Wenn eine Psychose relativ plötzlich kam, stellte ich mir manchmal vor, dass bestimme Farbenfolgen etwas zu bedeuten hatten. Ich kann nicht sagen, was die Farben bedeuten sollten, ich bildete mir nur ein, sie hätten mir etwas zu sagen. Namen spielten auch eine Rolle. Ein bestimmter Vorname sollte mir etwas sagen. Was das war, weiß ich nicht, es war verworren und ich verstand es damals auch nicht, viel weniger heute. Ich dachte auch, ich müsse bestimmte Worte aussprechen, vielleicht Verse aus der Bibel. Würde ich dann zu einer Erlösung beitragen, würde Jesus dann wiederkommen auf die Erde? Warum konnte ich nicht normal denken?

Die Verwirrung trat in den Psychosen anfallsartig auf, ich war immer nur kurzfristig verwirrt, kam dann wieder zu mir und konnte danach klar denken. Es war wie ein Erwachen, und ich stellte fest, dass ich mir vieles nur eingebildet hatte.

Bei mir waren die psychotischen Gedanken immer verbunden mit meinem Glaubensleben. Ich habe erlebt, dass auch andere Menschen in der Psychiatrie laut Kirchenlieder sangen oder sich für Jesus hielten. Wie weit sie mit dem Glauben zu tun hatten, weiß ich nicht. Ich denke aber, der Glaube und all das Mystische, das mit dem Glauben zu hat, geht sehr tief in unser Denken, berührt uns im Innersten und kommt dann auch in dem krankhaften, verwirrten Denken zum Ausdruck. Es mag für andere gläubige Menschen unverständlich sein, dass ich in solchen Phasen meines Lebens die Bibel eher zur Seite gelegt habe, weil mich bestimmte Gedanken beunruhigt hätten.

Es war, als würde ich fallen

Подняться наверх