Читать книгу Seewölfe Paket 20 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 44
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ОглавлениеDesperate Haufen wie die von Fierro und Marcela Buarcos wären an Land bei solchen Verlusten, wie sie sie zuletzt erlitten hatten, normalerweise auseinandergelaufen und hätten auf eine mögliche Beute verzichtet. Aber auf einem Schiff konnte man nicht die Flucht ergreifen – man saß „in einem Boot“.
Im Logis der „San Sebastian“ begehrten zwei Meuterer gegen Fierro auf.
„Ich hab’ die Schnauze voll!“ rief der eine. „Die Sache ist mir zu heiß! Ich will nicht krepieren!“
„Ich auch nicht!“ schrie der andere. „Ich haue jetzt ab, und keiner kann mich daran hindern!“
Fierro sprang unversehens auf und stürzte sich auf sie. Den einen schlug er mit einem Kinnhaken nieder, dem anderen versetzte er einen Stoß. Der Kerl prallte mit dem Rücken gegen die Wand und sank stöhnend daran zu Boden. Fierro war mit einem Satz über ihm, zerrte ihn wieder zu sich hoch und schickte ihn mit zwei Schlägen zu Boden. Beide waren besinnungslos und rührten sich nicht mehr.
Langsam drehte sich Fierro zu den anderen um.
„Hat sonst noch jemand was zu sagen?“ fragte er drohend.
Vitaliano lag mit sich selbst im Widerstreit. Sollte er jetzt rebellieren? Er war schnell mit dem Messer – und er hatte eine Pistole. Seine drei Abenteuer-Kumpane standen auf seiner Seite, und gewiß gelang es ihm, auch die anderen mitzureißen. Aber Fierro war in der momentanen Situation doch ein zu gefährlicher Gegner. Vitaliano wollte sein Leben nicht leichtfertig riskieren. Später, wenn sich Fierro wieder beruhigt hatte, würde sich eine günstigere Gelegenheit bieten, ihm das Ruder zu entreißen.
Auch Marcela Buarcos hatte Probleme mit ihren Kerlen. Aber wieder schaffte sie es mit beißendem Spott, sie bei der Stange zu halten. Als sie zu murren und zu fluchen begannen, baute sie sich breitbeinig vor ihnen auf, lachte kalt und stemmte die Fäuste in die Seiten.
„Was seid ihr bloß für Männer?“ fragte sie höhnisch. „Oder soll ich euch Memmen nennen? Moreno, was ist mit dir? Hast du die Hosen auch schon voll?“
„Natürlich nicht“, erwiderte Moreno. „Aber wir haben Pech gehabt. Wir haben zu viele Männer verloren.“
„Das müssen wir in Kauf nehmen, es bleibt uns nichts anderes übrig“, sagte sie schroff. „Reißt euch zusammen. Wir müssen uns eine neue Taktik ausdenken.“
Kein Mann ließ sich gern eine Memme nennen. Die Kerle beruhigten sich wieder. Marcela teilte Wein aus, und der Groll über die Niederlage wurde halbwegs ertränkt.
Aber wie sie das Achterdeck erobern sollte, wußte Marcela ebensowenig wie Fierro an Bord der „San Sebastian“.
Die Situation blieb unentschieden bis auf die Tatsache, daß die Meuterer Verluste hatten hinnehmen müssen, ohne etwas erreicht zu haben.
Ja, was wollten sie überhaupt erreichen? Daß sie nicht mehr der Schiffsführung zu gehorchen hatten, war immerhin schon etwas, vor allem für die ehemaligen Gefangenen aus dem Kerker von Cadiz. Aber Abenteurer wie Vitaliano dachten da jetzt weiter. Vitaliano vertrat die Ansicht, daß man die „San Sebastian“ erobern und zu Kaperfahrten umrüsten müßte. Seine Worte fanden bei allen Kerlen Gehör, selbst Fierro horchte auf. Vitaliano wußte anschaulich darzulegen, warum sie nicht aufgeben durften und welchen Schatz die Galeone als solche für sie bedeutete. Er war ein besserer Erzähler als Fierro. Alles, was er sagte, klang sehr überzeugend.
Marcela Buarcos fand Unterstützung durch einen Mann namens Orvieto, der sich bislang mehr im Hintergrund gehalten hatte.
„Marcela hat recht“, sagte er. „Ist euch überhaupt klar, was dieser Kahn, die ‚Almeria‘ für uns wert ist? Wie viele Golddublonen man brauchen würde, um ein Schiff wie dieses zu kaufen? Ich glaube, keiner von euch hat darüber nachgedacht.“
„Ich schon“, sagte Moreno, der sofort eifersüchtig auf den Mann wurde, weil Marcela ihm anerkennende Blicke zuwarf. „Ich bin ja auch nicht blöd.“
„Will ich nicht behaupten“, sagte Orvieto forsch. „Aber der Weg zu Gold, Silber, Diamanten und Reichtum führt über die Eroberung des Schiffes. Daran gibt es nichts zu rütteln.“
„Wir machen weiter“, sagte Marcela.
„Ja, wir kämpfen weiter“, brummten die Kerle zusammen. Der viele Wein hatte ihre Stimmung wieder etwas gehoben.
Vitaliano und Orvieto fanden also bei Fierro und bei der Buarcos offene Ohren für das, was sie eingehend ausmalten, obwohl beide – sowohl Fierro als auch die Hure – bis auf diese Zwangsreise noch nie zur See gefahren waren. Bei dem größten Teil der Kerle traf dies ebenfalls zu. Aber eine vage Vorstellung von dem freien und wilden Leben, das Piratenbanden offenbar führten, hatten sie natürlich auch schon.
Die Stürme hatten ihnen zwar gereicht, aber die Verlockung, das Rauhgewerbe auf See zu betreiben – davon hatten sie schon viel gehört –, überwog die Angst vor den ihnen im Grunde fremden Elementen See und Wind. Einiges hatten sie auf der Reise ja auch schon gelernt, von Navigation hatten sie allerdings nicht die geringste Ahnung.
Nur die Abenteurer wie Vitaliano oder Orvieto wußten in etwa, wo man sich befand. Dafür schlugen sie um so kühnere, lautere Töne darüber an, daß in der Karibik Milch und Honig fließe, sprich Gold- und Silberschätze, um die man die eigenen Landsleute nur zu erleichtern brauche.
Fierro und die Buarcos konnten sich beim derzeitigen Stand der Dinge wirklich glücklich schätzen, diese Glücksritter und Hasardeure auf ihrer Seite zu haben. Man schwelgte also in den Vordecks beider Galeonen im künftigen Reichtum und trank sich allmählich, aber systematisch einen gewaltigen Rausch an.
Zwar hatten sowohl Fierros Kerle als auch die Mitglieder der Marcela-Buarcos-Bande mitgekriegt, was sich auf dem jeweils anderen Schiff abgespielt hatte, doch es war die gewieftere Marcela, die jetzt den Faden im Vordeck der „Almeria“ weiterspann und auf eine geniale Idee verfiel.
„Hört mal alle zu“, sagte sie und tauschte wieder einen bedeutungsvollen Blick mit Orvieto. „Wir müssen uns mit den anderen da drüben auf der ‚San Sebastian‘ verbünden. Daran hat wohl noch keiner von euch gedacht, was?“
„Ich habe es mir schon überlegt“, entgegnete Orvieto. „Aber es ist riskant.“
„Was ist denn nicht riskant?“ fragte sie und lachte. „Alles! Das ganze Leben! Wer Erfolg haben will, muß was wagen. Also: Gemeinsam mit den anderen sind wir stärker. Wir könnten zusammen erst mal ein Achterdeck ausheben – das von der ‚San Sebastian‘. Dann haben wir ein Schiff und können damit gegen diesen elenden Kahn kämpfen. Na, was haltet ihr davon?“
„Hört sich nicht schlecht an“, erwiderte Moreno, der unbedingt etwas äußern wollte, um nicht hinter dem gewandteren Orvieto zurückzustehen. „Dann haben wir nämlich genug Waffen, um gegen die ‚Almeria‘ zu kämpfen. Ja, das klingt gut.“
„Aber wie sollen wir mit denen da drüben Verbindung aufnehmen?“ fragte Orvieto. „Es gibt keine Möglichkeiten der Verständigung. Die Beiboote befinden sich im übrigen auf der Kuhl, an die kommen wir nicht heran.“
„Das wäre Selbstmord“, sagte ein anderer Kerl.
„Es gibt eine Möglichkeit“, sagte Marcela. „Wir können rüberschwimmen.“
„Hölle und Teufel“, sagte Moreno. „Dabei riskieren wir aber, abzusaufen.“
„Kannst du etwa nicht schwimmen?“ fragte sie ihn verächtlich.
„Nicht so gut.“
„Ich kann schwimmen“, erklärte Orvieto – unvorsichtigerweise, wie er rasch begreifen sollte. Aber es war zu spät, er konnte nicht mehr zurück. Im übrigen hatte der Wein auch ihn angeheizt, er fühlte sich zu immensen Heldentaten berufen. „Hand hoch, wer noch schwimmen kann!“ rief er.
Nur fünf der Kerle, so stellte sich heraus, hatten das Schwimmen tatsächlich gelernt. Auch Marcela konnte es nicht, aber sie hatte genug Mut, das Unternehmen wieder selbst in die Hand zu nehmen.
„Ich schwimme allein rüber, wenn ihr zu feige dazu seid“, sagte sie. „Begeistert scheint ihr von meinem Plan wohl nicht zu sein. Egal, ich kann mir selbst helfen.“ Sie erhob sich und traf Anstalten, das Vordeck zu verlassen und auf die Galionsplattform zu gehen.
„Hinterher“, sagte Moreno. „Ihr wollte sie doch wohl nicht wirklich allein schwimmen lassen; wie?“
„Natürlich nicht“, sagte Orvieto und sprang mit ihm zusammen auf.
„Aber was ist mit den Haien?“ fragte einer der Kerle.
„Die Haie schlafen nachts“, entgegnete Orvieto und lachte – tollkühn und äußerst verwegen, wie er meinte.
Marcela hatte ihre Schritte beschleunigt und befand sich bereits in dem schmalen Gang, der zum vorderen Schott des Vorkastells führte. Sie hörte, was die Männer sprachen, grinste und beschloß, ihren Plan entsprechend darauf abzustimmen.
Natürlich hatte sie nicht vor, selbst zur „San Sebastian“ zu schwimmen. Das war nur ein Vorwand. Auch sie hatte Angst vor den Haien – und sie war nicht in der Lage, sich länger als ein paar Atemzüge über Wasser zu halten, geschweige denn, sich fortzubewegen.
Aber das brauchten Moreno, Orvieto und die anderen Kerle nicht zu wissen. Wichtig war, daß sie einen Anreiz dazu hatten, das Unternehmen zu wagen. Marcela wußte genau, welcher Art der Köder sein mußte, den sie bereitwillig schlucken würden. Man mußte ihnen etwas bieten. Und das tat sie.
Sie dachte nicht daran, selbst zuviel aufs Spiel zu setzen. Dazu war ihr ihr eigenes Leben zu wertvoll. Sie hatte von Anfang an gewußt: Wenn sie die Kerle geschickt für ihre Zwecke auszunutzen verstand, konnte sie alles erreichen.
Denn es war ihr Prinzip, von anderen für sich die heißen Kartoffeln aus dem Feuer holen zu lassen. Für solche Dienste konnte sie Liebe versprechen, und dieses Lockmittel spielte sie auch voll aus. Mit ihren Reizen geizte sie nicht. Nicht nur Moreno, auch Orvieto war schon ganz wild auf sie. Der Wein regte sie ungemein an.
Marcela öffnete das Schott und schlüpfte durch den Spalt auf die Galionsplattform. Im Handumdrehen hatte sie sich ihres Kleides entledigt und tat so, als wollte sie ins Wasser springen.
Orvieto und Moreno erreichten das Schott, und die drei anderen Kerle, die ebenfalls schwimmen konnten, folgten ihnen dichtauf. Orvieto und Moreno prallten am Schott mit den Schultern zusammen und fluchten. Fast hatte es den Anschein, als wolle sich Moreno auf Orvieto stürzen, doch der duckte sich und schob sich vor ihm ins Freie.
Der Anblick der nackten Frau ließ sein Herz schneller schlagen. Klar waren ihre Konturen im knappen Mondlicht zu erkennen – und als sie sich zu ihm umdrehte, wackelten ihre üppigen Brüste. Ihr ganzes Gebaren war eine einzige Herausforderung.
„Spring nicht“, sagte Orvieto heiser. „Du darfst es nicht tun. Ich erledige das.“
„Wir!“ zischte Moreno hinter seinem Rücken. „Aber ich will dafür die Belohnung, die du mir versprochen hast.“
„Du kriegst sie“, sagte Marcela mit breitem Lächeln. Sie tat einen Schritt auf sie zu und bewegte dabei aufreizend ihre Hüften.
„Ich schwimme allein“, sagte Orvieto und griff nach ihr. „Ich nehme die Sache in die Hand und berate drüben mit den anderen über ein gemeinsames Vorgehen. Gut?“
„Sehr gut“, erwiderte sie und ließ sich von ihm berühren. „Ich weiß jetzt, daß du ein ganzer Kerl bist, Orvieto.“
Die drei anderen, die nun auch eingetroffen waren, atmeten insgeheim auf. Lieber verzichteten sie auf Marcelas Liebesdienste, als sich von den Haien zerreißen zu lassen. Aber sie freuten sich zu früh.
„Wir schwimmen mit!“ stieß Moreno hervor. Er keuchte vor Erregung. „Wir müssen uns gegenseitig abschirmen. Anders geht es nicht. Das mußt du einsehen, Orvieto.“ Am liebsten hätte er sich auf den Rivalen gestürzt, aber wieder bezwang er sich.
„Moreno hat recht“, sagte Marcela. „Es ist besser, wenn ihr alle fünf zusammen an Bord der ‚San Sebastian‘ geht.“ Sie dachte immer noch an die Haie. Wenn die grauen Mörder angriffen, war ein einzelner Mann ihnen ausgeliefert. Fünf jedoch hatten Chancen, sich einigermaßen wirksam zu verteidigen und bis zu dem Schiff zu gelangen. Anders ausgedrückt: Es war besser, einer der Kerle erreichte das Ziel als gar keiner. Marcela rechnete kalt, aber sie behielt natürlich für sich, was sie dachte.
„Also los“, sagte Orvieto und begann, sich zu entkleiden. „Vorwärts! Es ist genug geredet worden.“
Moreno und die drei anderen folgten seinem Beispiel. Keiner wollte hinter dem anderen zurückstehen. Marcela zog sich wieder an und betrachtete die Gestalten, wie sie, nur mit Messern bewaffnet, an Tauen hinunter ins Wasser glitten. Orvieto war eindeutig der am besten gebaute Mann, groß, schlank und sehnig. Hoffentlich schafft er’s, dachte sie.
Es war nach Mitternacht – also bereits der 30. April 1594.
Die „San Sebastian“ lag etwas nach achteraus versetzt an Steuerbord der „Almeria“, schätzungsweise eine halbe Kabellänge bis hundert Yards von ihr entfernt. Eine Entfernung also, die auch für ungeübte Schwimmer leicht zu überbrücken war, zumal der Sturm weiter abgeflaut hatte und nur noch eine leichte Kabbelsee herrschte.
Orvieto, Moreno und die drei anderen Kerle arbeiteten sich auf die „San Sebastian“ zu. Der Mond war hinter Wolken verschwunden. Das begünstigte ihr Unternehmen. Die Finsternis war ihr bester Verbündeter.
Solares, der Erste Offizier der „San Sebastian“, kontrollierte zu diesem Zeitpunkt die Posten auf dem Achterdeck. Es waren vier Mann, zwei Seeleute und zwei Freiwillige aus der Gruppe der Siedler, darunter auch der Schmied.
„Alles in Ordnung?“ fragte Solares gedämpft.
„Zur Zeit ist alles ruhig, Señor“, erwiderte der Schmied. „Im Vordeck rührt sich nichts. Die Kerle scheinen eingeschlafen zu sein. Wäre das nicht eine günstige Gelegenheit, sie zu überrumpeln?“
Solares blickte zum Vordeck. „Die Frage ist, ob sie wirklich schlafen, oder ob es nur ein Trick ist, um uns hereinzulegen. Versetzen Sie sich in deren Lage. Wenn sie das Achterdeck nicht mit Gewalt stürmen können, müssen sie es mit einer Hinterlist versuchen.“
„Ja. Daran habe ich nicht gedacht.“
„Wir bleiben also in Lauerstellung?“ fragte einer der Seeleute.
„Ja“, entgegnete Solares. „Der Kapitän ändert seine Order nicht. Und ich muß ihm recht geben: Das Leben der Besatzung und unserer Passagiere ist wichtiger als alles andere.“ Er ließ seinen Blick wandern – vom Vordeck auf die Wasserfläche und hinüber zur „Almeria“. Auch dort schien Ruhe eingetreten zu sein. Oder war die Stille nur ein Vorzeichen für neue bevorstehende Kämpfe?
Der Mond brach durch, weißliches Licht setzte den Wellen Silberkronen auf. Solares’ Augen verengten sich, plötzlich stand er stocksteif am Schanzkleid und spähte wie gebannt auf das Wasser.
„Señor“, sagte der Schmied, der es als erster bemerkte, leise. „Was ist los?“
„Da sind Schwimmer, die sich uns nähern“, raunte Solares ihm zu. „Fünf Mann. Ich kann ihre Köpfe deutlich erkennen.“
Der Schmied trat zu ihm. „Ja, jetzt sehe ich sie auch.“
„Sie halten auf unser Vorschiff zu.“
„Sie wollen zu den Meuterern“, murmelte der Schmied. „Sie kommen natürlich von der ‚Almeria‘ und wollen sich mit Fierro verbünden.“
Solares griff nach einer der Musketen, die geladen am Schanzkleid bereitstanden. Er hob sie an, legte auf die Schwimmer an und rief: „Wahrschau! Wer da?“
Orvieto stieß einen Fluch aus.
„Hölle, sie haben uns entdeckt!“ rief er. „Los, tauchen! Es ist nicht mehr weit, wir müssen es schaffen!“
Drei seiner Begleiter tauchten mit ihm zusammen unter. Nur der fünfte Mann hatte Schwierigkeiten: Moreno. Er schluckte Wasser, hustete und spuckte plötzlich. Er war kein sehr guter Schwimmer, und das Tauchmanöver stellte für ihn ein echtes Problem dar. Er ging unter, schoß wieder hoch und schlug um sich.
„Komm her!“ schrie Solares ihm zu. „Ergib dich!“
„Fahrt zur Hölle!“ brüllte Moreno, dann versuchte er, doch das Vorschiff der „San Sebastian“ zu erreichen.
Solares feuerte. Der Mündungsblitz der Muskete stach im Krachen grell durch die Nacht. Moreno stieß einen Schmerzenslaut aus. Er dachte noch: Zum Henker, er hat mich wirklich erwischt! Dann ging er unter – dieses Mal für immer. Er spürte nicht mehr, wie er tiefer sank, und er bemerkte auch nichts mehr von den düsteren Schatten, die sich ihm und den vier anderen Kerlen unter Wasser näherten.
An Bord der „San Sebastian“ wurde es lebendig. Die Achterdecksposten stürzten an das Schanzkleid und richteten ihre Musketen auf die Schwimmer. Von unten trappelten Schritte herauf, und weitere Männer erschienen, um nach dem Rechten zu sehen.
Von Bord der „Almeria“ schallte eine Stimme herüber: „Capitán Rascón – was ist passiert?“
„Hier steht Solares, der Erste Offizier!“ rief Solares zurück. „Wir werden von Schwimmern angegriffen!“
„Das müssen Meuterer sein!“ schrie der Posten der „Almeria“.
„Verdammt“, sagte Orvieto im Wasser. „Jetzt entdecken die Hunde uns auch noch. Wir stecken in der Klemme.“ Er war wieder aufgetaucht, um Luft zu schöpfen, und neben ihm erschienen die Köpfe seiner Kumpane.
Nur noch wenige Yards trennten sie von der Bordwand der „San Sebastian“. Doch jetzt knallten und krachten auf dem Achterdeck die Musketen und Tromblons. Die Kugeln und das gehackte Blei pfiffen heran. Zwei von Orvietos Spießgesellen schrien auf, sie waren getroffen.
„Zurück!“ schrie Orvieto.
Er tauchte weg und versuchte, wieder Distanz zur „San Sebastian“ zu gewinnen. Denn es war sinnlos – im Hagel der Geschosse gelang es ihnen nicht, noch näher an die Bordwand zu schwimmen.
Orvieto registrierte nicht, wie auch der letzte seiner Begleiter auf Tiefe ging. Er schwamm um sein Leben und versuchte, einen Bogen zu schlagen, um unbehelligt zum Vorschiff der „Almeria“ zurückzugelangen. Auch von deren Achterdeck aus wurde inzwischen nämlich geschossen – auf das Wasser und auf das Vorderkastell, von wo aus Marcela Buarcos und einige Beherzte erneut Brandtöpfe schleuderten und Brandpfeile abschossen.
Doch sehr schnell mußten sie die Köpfe einziehen, denn sie riskierten zuviel. Neben Marcela brach ein Mann getroffen zusammen. Sie selbst konnte sich gerade noch hinter dem Steuerbordschott der Back in Deckung werfen. Dann krachten wieder die Musketenschüsse, und die Kugeln gruben sich in das Holz der Querwand.
Das Mondlicht reichte aus, Juan Alentejos Männer konnten genug erkennen. Auch Orvieto wurde aufs Korn genommen, als er noch einmal zum Luftholen auftauchte. Er war jetzt der „Almeria“ näher als der „San Sebastian“ – und die Kugeln von Solares und dessen Helfern erreichten ihn schon nicht mehr.
Doch vor ihm blitzte es auf, und etwas Siedendheißes streifte seinen Kopf. Er fluchte, ging unter, schluckte Wasser und versuchte verzweifelt, an die Oberfläche zu schwimmen. Doch ihm schwanden bereits die Sinne.
Er erfuhr nicht mehr, welches Schicksal seinen letzten Kumpan im Wasser getroffen hatte. Auch sein Ende war vorherbestimmt, und es ereilte ihn aus der Tiefe. Schwarz war der Schatten, der von unten heranschoß und nach seinen Beinen schnappte, ein düsterer Schemen im dunklen Wasser. Die Haie hielten blutige Mahlzeit.
Orvieto verlor das Bewußtsein. Dann starb er – an den Folgen seiner Kopfverletzung. Er spürte schon nicht mehr, wie der Tiburon, der graue Mörderhai, ihn zerriß.
Einer von Marcelas Verbündeten hatte das Geschehen von der Galionsplattform aus beobachtet. Jetzt berichtete er ihr, was er gesehen hatte.
Sie war erschüttert und vermochte es kaum zu verbergen. Wieder hatte sie fünf Männer verloren – sechs mit dem, der neben ihr von einer Kugel getroffen worden war. Die Zahl der Meuterer hatte sich stark verringert. Wie sollte sie mit diesem kläglichen Häufchen noch das Achterdeck stürmen?