Читать книгу Seewölfe Paket 20 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 45

7.

Оглавление

Marcela begriff, daß sie durch den direkten Angriff das Achterdeck nicht erobern konnte. Aber auch das Bündnis mit Fierro und den Meuterern der „San Sebastian“ konnte sie sich jetzt aus dem Kopf schlagen. Es gab nur noch einen Weg: Sie mußte den Kapitän und das Achterdecksvolk der „Almeria“ aushungern und zum Verdursten bringen. Nur so konnte sie sie bezwingen – wenn überhaupt.

Fierro, der das Scheitern des Kontaktversuches ebenfalls miterlebt hatte und für Orvieto, Moreno und die drei anderen Kerle nichts hatte tun können, gelangte ebenfalls zu dem Schluß, daß es bequemer und einfacher war, das Achterdeck durch Aushungern zur Aufgabe zu zwingen. Also sorgte er dafür – und das tat auch Marcela –, das Vordeck noch besser zu verbarrikadieren.

Aus Fendern, Matratzen und Leckbalken wurde eine Art Brustwehr zur Abschirmung gegen das Achterdeck aufgebaut. Bei dieser Arbeit krachten auf den Achterdecks beider Schiffe allerdings immer wieder die Musketen, und die Kugeln pfiffen den Meuterern um die Ohren.

Ein Mann aus Fierros Haufen fiel – Pedro, der bereits auf einem Auge blindgeschossene Mann. Zwei andere wurden verletzt. Wieder gingen die Meuterer in Deckung.

Gomez Rascón und Juan Alentejo hingegen wußten, daß sie irgendwann eine Entscheidung treffen mußten, dann nämlich, wenn der Durst unerträglich wurde. Noch vor diesem Zeitpunkt mußten sie einen Entschluß fällen, wenn ihre Männer noch bei Kräften und nicht vom Durst zu sehr geschwächt waren, also noch kämpfen konnten.

„Wir geraten allmählich in Zugzwang“, sagte Rascón an Bord der „San Sebastian“ zu Solares, Elcevira und den anderen. „Lange reichen die Vorräte nicht mehr. Bisher war unser Konzept richtig, wir haben den Gegner erheblich dezimiert, ohne eigene Verluste zu haben.“

„Das scheint auch auf der ‚Almeria‘ der Fall zu sein“, sagte Solares. „Captán Alentejo hat sich prächtig gehalten.“

„Ja. Aber von jetzt an wird die Lage noch ernster.“

„Was sollen wir unternehmen?“ fragte Elcevira.

„Das weiß ich selbst nicht“, bekannte Rascón. „Nur eins ist sicher: Wir ergeben uns diesen Hunden nicht. Lieber sterbe ich als erster.“

In den frühen Morgenstunden des 30. April standen die „Pommern“ und die „Caribian Queen“ querab des Kaps de Cruz. Hasard war auf den Beinen und war einer der ersten, der die Schüsse vernahm, die zu den Schiffen herüberwehten. Noch war es dunkel. Kein Ausguck vermochte zu erkennen, was dort drüben, an der Küste, vor sich ging – weder Luke Morgan auf der „Pommern“, der den Posten im Großmars eingenommen hatte, noch der Mann von der „Wappen von Kolberg“-Crew an Bord des Zweideckers.

Dennoch zögerte der Seewolf nicht, den Kurs zu ändern und nach dem Rechten zu sehen.

„Vielleicht braucht dort jemand Hilfe“, sagte er zu seinen Männern.

„Vielleicht treffen wir auch endlich auf die Queen“, sagte Shane.

„Damit rechne ich nicht.“

„Möglicherweise sehen wir sie ja auch nie wieder“, sagte der graubärtige Riese trocken. „Ich will es ihr und uns wünschen.“

Hasard gab seine Befehle, und die „Pommern“ drehte auf Richtung Küste zu. Dan O’Flynn folgte mit der „Caribian Queen“. Knapp zwei Glasen verstrichen, dann konnten sie im schwachen Mondlicht die beiden spanischen Galeonen erkennen.

Hasard betrachtete sie aus schmalen Augen.

„Die liegen vor Anker“, sagte er. „Aber da scheint was los zu sein. Wenn mich nicht alles täuscht, schießen die Besatzungen auf Männer, die zwischen den Galeonen in der See schwimmen.“

„Ja, sind denn die von allen guten Geistern verlassen?“ fragte Ferris Tucker, der wie Shane auf dem Achterdeck der „Pommern“ stand.

„Bestimmt nicht“, entgegnete Hasard. Wieder fielen Musketen- und Tromblonschüsse. „Ich schätze, da findet ein Angriff statt.“

„Von Küstenhaien?“ fragte Shane. „Merkwürdig, daß die nicht mal ein paar lumpige Boote haben und darauf angewiesen sind, zu schwimmen.“

„Vielleicht sollte gerade das der Trick sein“, sagte Ferris.

„Ich vermute etwas anderes“, sagte der Seewolf. „Da scheint eine Meuterei ausgebrochen zu sein, und zwar auf beiden Schiffen. Seht mal, es wird von den Achterdecks auf die Vorkastelle gefeuert.“

„Tatsächlich“, sagte Shane verdutzt.

„Es sind Handelsfahrer“, sagte Hasard. „Unter den anständigen Seeleuten befinden sich immer ein paar Galgenstricke und Schlagetots, die das Maul aufreißen müssen. Ich kann mir ungefähr zusammenreimen, wie sich das alles entwickelt hat.“

„Sie scheinen uns noch nicht bemerkt zu haben“, sagte Carberry vom Hauptdeck.

„Sie sind zu beschäftigt“, erwiderte Hasard. „Wir drehen bei, hängen die Segel ins Gei und werfen Anker.“

Weiter nördlich, dicht unter Land, gingen sie wenig später vor Anker. Der Mond war jetzt wieder durch Wolken verdeckt, es herrschte tintenschwarze Finsternis. Weder die „Pommern“ noch die „Caribian Queen“ waren von den Menschen auf den beiden spanischen Galeonen entdeckt worden.

Hasard hielt eine kurze Besprechung mit seinen Männern ab. Daran nahm auch Dan O’Flynn teil, der mittlerweile mit der Jolle der „Caribian Queen“ herübergepullt und an Bord der „Pommern“ geentert war.

„Meuterei oder nicht“, sagte der Seewolf. „Uns soll es egal sein. Vielleicht holen wir uns auf diese Weise auch wieder Beute. Wenn zwei sich streiten, freut sich bekanntlich der Dritte.“

„Was hast du vor?“ fragte Dan.

„Das kannst du dir denken. Wir müssen die Sache auf jeden Fall näher ergründen.“

Dan grinste. „Du willst den Kapitänen – oder wer immer da in Bedrängnis ist – also nicht nur helfen, sondern auch mal einen Blick in die Laderäume werfen?“

„Das ist doch wohl Ehrensache“, brummte Carberry.

„Sehr richtig“, pflichtete der Seewolf ihm bei. „Was für Korsaren wären wir sonst? Ihr könnt euch sicherlich noch gut an Fort St. Augustine erinnern.“

„Das war eine Bombe“, sagte Blacky begeistert. „Trotzdem müssen uns die Dons heute noch dankbar dafür sein, daß wir sie vor Mardengos Bande gerettet haben. Sonst wäre das Fort nur noch ein einziger Trümmerhaufen.“

„Mal sehen, ob wir hier wieder solches Glück haben“, sagte Hasard. „Vielleicht in weitaus bescheidenerem Rahmen, aber das kann man nie wissen. Vielleicht haben die beiden Galeonen was Schönes in den Laderäumen – etwas, was wir auf der Schlangen-Insel oder Coral Island besser brauchen können als die Dons auf Kuba oder sonstwo.“

Ferris Tucker mußte unwillkürlich lachen. „Eben. Als richtiger Korsar läßt man jedenfalls keine Gelegenheit ungenutzt, die Dons zu zwicken und zu zwacken und ein bißchen auszunehmen – alles in Ehren, versteht sich.“

„Das hab’ ich doch eben schon gesagt“, sagte der Profos.

„Aber laß mich doch auch ein bißchen philosophieren“, sagte Ferris.

Carberry musterte ihn mit wildem, herausforderndem Gesichtsausdruck. „Was, wie? Kannst du nicht ganz normales Englisch sprechen?“

„Wenn wir weiter so laut sprechen, erfahren die Spanier noch, daß sie nicht mehr allein sind“, sagte der Seewolf. „Wir halten jetzt lieber unsere Luke und kundschaften aus, was an Bord der Schiffe los ist. Ferris, Shane, Blacky und Dan – ihr begleitet mich. Wir gehen erst einmal mit der Jolle der ‚Pommern‘ an die Galeonen heran und versuchen, uns zu informieren. Danach sehen wir weiter.“

Wenige Augenblicke darauf enterten sie in die Jolle der „Pommern“ ab, die an der Bordwand bereitlag. Renke Eggens hatte von Hasard für die Zeit seiner Abwesenheit das Kommando über die „Pommern“. Gespannt verfolgten die auf den beiden Schiffen zurückbleibenden Männer, wie die Jolle ablegte und mit leisem Riemenschlag zu den Spaniern hinüberglitt.

Der Mond zeigte sich für die fünf Männer von seiner freundlichsten Seite – nämlich dann und wann. Die spanischen Galeonen rückten näher. Still war es jetzt an Bord geworden, nur hin und wieder waren undeutliche Gesprächsfetzen zu vernehmen. Hasard versuchte, die Namenszüge am Heck der Schiffe zu erkennen – vergebens. Inzwischen war es wieder stockfinster, dicke schwarze Wolken hatten sich vor den Mond geschoben.

Die Jolle glitt an die Achterpartie der ihr am nächsten ankernden Dreimast-Galeone heran. Hasard beugte sich etwas vor. Jetzt konnte er den Namen entziffern.

„Almeria“, murmelte er. „Ein feiner Kahn, wie es scheint.“

Plötzlich krachte oben, auf dem Achterdeck, ein Schuß. Gleichzeitig ertönte auf der Back ein Schrei, dann war ein dumpfer Laut zu vernehmen. Jemand schien von der Musketenkugel getroffen worden und zusammengebrochen zu sein. Auf dem Achterdeck waren Stimmen zu hören, aber Hasard, Shane, Ferris, Blacky und Dan konnten nicht verstehen, was gesprochen wurde.

Hasard schüttelte den Kopf. Eine merkwürdige Sache, dachte er. Da scheint das Achterdeck gegen das Vordeck zu kämpfen. Und drüben, auf der anderen Galeone, scheint eine ähnliche Situation zu sein. Sonderbar ist das.

Im Achterdeck der „Almeria“ konnten sie jetzt auch Frauenstimmen hören – und die Stimmen von Kindern. Sie klangen weinerlich und verzweifelt. Leise sprachen die Frauen auf die Kinder ein. Sie trösteten sie, das war offensichtlich.

Hasard tauschte ein paar Blicke mit seinen Männern. Sie waren ratlos, keiner wußte, was er von dem bisher Beobachteten und Gehörten halten sollte.

Hasard beschloß, selbst nach dem Rechten zu sehen. Dazu gehörte eine Portion Verwegenheit und Frechheit.

Aber das riskierte er. Er gab seinen vier Männern ein Zeichen, dann legten sie mit der Jolle am Heck der „Almeria“ an. Hasard zog sich am Ruderblatt hoch, erreichte das Hennegat und kletterte auf die untere Heckgalerie. Er gab Dan, Ferris, Shane und Blacky ein Zeichen. Sie sollten weiterhin still sein, jedoch die Waffen für alle Fälle bereithalten.

Hasard bückte sich und warf einen Blick durch die Bleiglasfenster. Da sah er die Bescherung und begriff, was hier los war.

Kleine Öllampen waren entfacht worden, Talglichter brannten an den Lagern der Menschen. Menschen dicht an dicht, hauptsächlich Frauen und Kinder, und sie sahen alles andere als glücklich aus. Die Kinder weinten, eins von ihnen bettelte: „Wasser! Nur ein bißchen! Mama, warum darf ich nicht trinken?“

„Du mußt ein wenig Geduld haben, Chiquito“, erwiderte die Mutter des Jungen mit abgehärmtem Gesicht.

„Wasser!“ riefen nun auch ein paar andere Kinder.

Durst – die schlimmste aller Geißeln. Mein Gott, dachte Hasard, dann drückte er vorsichtig eins der Fenster auf. Er enterte kurz entschlossen, für ihn gab es jetzt kein Zurück mehr.

Die Frauen und die Kinder fuhren zu ihm herum und blickten ihn entsetzt an. Er schloß das Fenster, lächelte und deutete eine Verbeugung an, dann sagte er in seinem perfekten Spanisch: „Buenas diaz, einen schönen guten Tag wünsche ich. Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, Señoras, ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Ihre Probleme können gelöst werden.“

Pablito, der sich auch gerade in dem großen Raum aufhielt, sah ihn neugierig an und fragte: „Wer bist du denn?“

„Ein Freund, mein Junge.“

„Spanier?“

„Nein. Aber das ist nicht so wichtig.“

„Mein Vater ist schwer verletzt worden“, sagte Pablito. „Aber jetzt geht es ihm wieder besser. Das Fieber hat nachgelassen, und er ist gerade zu sich gekommen. Willst du ihn sehen?“ Der Junge wartete die Antwort nicht ab, er zog Hasard an der Hand einfach hinter sich her.

Die Frauen, die Kinder und die wenigen Männer, die sich in diesem Raum aufhielten, sahen ihnen völlig entgeistert nach. Viele hatten die Augen weit aufgerissen und den Mund geöffnet. Keiner wußte, was er sagen sollte.

Pablito zerrte Hasard in die Kammer, in der Ramón Vega Venteja auf seinem Krankenlager lag. Sabina hockte auf der Kante der Kojenumrandung und hielt seine Hand. Pablito und Hasard verharrten bei ihnen, und die beiden Männer musterten sich.

Ramón verfügte nach Überzeugung des Feldschers über eine Bärennatur. Früher als erwartet hatte er den „kritischen Punkt“ überstanden und befand sich jetzt auf dem Weg zur vollen Genesung.

„Eine Schußverletzung?“ fragte der Seewolf.

„Ja, Señor. Aber ich habe Glück gehabt“, erwiderte Ramón mit noch relativ schwacher Stimme. „Weder das Herz noch die Lunge wurden verletzt. Und auch die Knochen sind heil geblieben. Aber wer sind Sie? Ich – habe Sie an Bord der ‚Almeria‘ noch nicht gesehen?“

„Vielleicht ist er von der ‚San Sebastian‘“, sagte Sabina. Aufmerksam betrachtete auch sie den Seewolf.

„Ist das die andere Galeone?“ fragte Hasard.

Pablito nickte. „Ja, und auch dort hat es eine Meuterei gegeben, wie hier.“

„So etwas habe ich mir schon gedacht“, sagte Hasard. „Ich bin zufällig vorbeigesegelt und habe die Schüsse vernommen. Da dachte ich mir, es sei richtig, nach dem Rechten zu sehen.“

Ramóns Blick war fest auf sein Gesicht gerichtet. „Señor, Sie sind kein Spanier – und bestimmt auch kein Handelsfahrer. Wer sind Sie?“

„Ein guter Freund.“

„Ein Pirat?“ fragte Ramón leise.

„Piraten bieten Hilfsbedürftigen im allgemeinen nicht ihre Unterstützung an, sondern plündern sie kaltblütig aus“, entgegnete der Seewolf. „Was Sie am dringendsten brauchen, scheint Trinkwasser zu sein, und natürlich Proviant. Kann ich mit Ihrem Kapitän darüber reden?“

„Das nehme ich an“, erwiderte Ramón.

„Wo ist er?“

„In seiner Kapitänskammer. Sein Name ist Juan Alentejo. Er ist ebenfalls verwundet.“

Hasard lächelte. „Aber wahrscheinlich ist er genauso zäh wie Sie, mein Freund. Gehören Sie zu den Offizieren?“

„Nein. Ich bin Schmiedemeister.“

„Sie sind also ein Mann der Crew?“

„Auch das nicht. Ich bin einer der Siedler, die sich auf Kuba niederlassen werden. Ich werde in den Kupferminen arbeiten, verstehen Sie?“

„Glaub schon“, erwiderte der Seewolf. „Handelt es sich bei der ‚San Sebastian‘ und der ‚Almeria‘ um Auswandererschiffe?“

„Das ist richtig.“

„Und sie haben sonst keine Ladung an Bord?“

„Die Frachträume waren vollgestopft mit Menschen“, erwiderte Ramón schwach. „Jetzt hat sich alles verlagert. Vorn hocken die Meuterer, achtern haben wir uns verschanzt. So ist die Lage auf beiden Schiffen.“ Sein Gesicht hatte die Farbe alten Talges, er war stark geschwächt. Sabina wischte ihm mit einem weißen Tuch den Schweiß von der Stirn, Pablito hatte sich zu ihr auf den Kojenrand gesetzt und drückte seine Hand.

„Schlafen Sie, Amigo“, sagte Hasard. „Ich unterhalte mich jetzt mit dem Capitán Alentejo. Es gibt eine Lösung – für alles. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Zukunft.“

„Danke.“

Hasard strich beiden Kindern mit der Hand über den Kopf. „Alles Gute. Vielleicht sehen wir uns mal wieder.“

„Ja, hoffentlich“, sagte Pablito. „Du bist in Ordnung, Señor.“

Hasard verließ den Raum und schritt nach achtern. Hinter ihm standen Männer und Frauen im Schiffsgang und blickten ihm mit den gleichen verdutzten und ratlosen Mienen wie vorher nach. Warum unternahmen sie nichts? War denn überhaupt sicher, daß er ihnen helfen wollte? Konnte er nicht ein Verbündeter der Meuterer sein – oder irgendein Schnapphahn?

Es war die Art, wie Hasard sich bewegte – seine Selbstsicherheit. Sie entwaffnete, sie ließ keine Zweifel zu. Ein Mann, der sich so benahm, konnte kein Feind sein.

Hasard schritt ungehindert auf dem Mittelgang des Achterkastells bis zur Tür der Kapitänskammer, verharrte und klopfte an. Niemand war hinter ihm. Der Erste Offizier befand sich gerade auf dem Achterdeck, ebenso der Steuermann und die anderen Offiziere. Und die Jolle der „Pommern“, die am Heck der „Almeria“ dümpelte, hatte immer noch keiner bemerkt.

Höflich klopfte Hasard noch einmal.

„Bitte sehr“, ertönte es von innen.

Er öffnete die Tür.

Juan Alentejo glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er im Schein der Öllampe den fremden Mann in seine Kammer treten sah.

„Wer sind Sie?“ fragte er. „Was haben Sie hier zu suchen?“

„Das bin ich schon ein paarmal gefragt worden“, entgegnete der Seewolf und drückte die Tür hinter sich ins Schloß. „Aber Sie brauchen nicht zu schießen. Sie können die Pistole ruhig weglegen, Señor Alentejo.“

„Woher kennen Sie meinen Namen?“

„Ich habe eben mit Ihren Passagieren gesprochen.“

„Nochmals – wer sind Sie?“

„Señor“, sagte Hasard ernst. „Mein Name tut nichts zur Sache. Ich will Ihnen nur meine Hilfe anbieten. Ich bin zufällig vorbeigesegelt und habe die Schüsse gehört. Ich hielt es für meine Pflicht, zu Ihnen an Bord zu entern und mir ein Bild von der Lage zu verschaffen. Ich habe die Frauen und Kinder gesehen, die Durst und Hunger leiden.“

„Unsere Vorräte sind fast am Ende.“

„Das meiste befindet sich vorn – und dort sind die Meuterer, nicht wahr?“

„Ja.“

„Ich habe zwei Schiffe“, erklärte der Seewolf, „ich zwei gute Crews und genug Waffen. Ich traue mir zu, diese Bande zu erledigen. Danach können Sie auf Kuba soviel Frischwasser und Proviant fassen, wie Sie wollen.“

Alentejo atmete jetzt doch auf. Die Pistole hatte er sinken lassen. Irgendwie flößte ihm der schwarzhaarige Riese unglaublichen Respekt ein, aber auch großes Vertrauen. „Aber – wie stellen Sie sich eine solche Rettungsaktion vor, Señor?“

„Überlassen Sie das ruhig mir. Wichtig ist, daß Sie Ihre Männer informieren, damit sie nicht auf uns schießen, wenn wir mit unseren Beibooten aufkreuzen.“

„Selbstverständlich. Und ich werde auch Gomez Rascón von der ‚San Sebastian‘ ein entsprechendes Zeichen geben.“

„Ausgezeichnet. Wir schlagen zu, bevor es ganz hell wird, im Morgengrauen also.“

„Wenn Sie das für uns tun – Santa Maria, ich weiß nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll“, sagte Alentejo mit echten Anzeichen von Verlegenheit.

„Wir verlangen keinen Dank“, sagte Hasard. „Es gibt ungeschriebene Gesetze der Menschlichkeit, die Sie genausogut kennen wie ich. Unterlassene Hilfeleistung ist ein erbärmliches Verbrechen. Reden wir nicht mehr darüber, Señor Alentejo. Für wichtig halte ich hingegen, daß Sie Ihren Leuten die Order geben, die Meuterer durch Schüsse ein bißchen abzulenken, wenn wir aufkreuzen.“

„Das läßt sich einrichten“, sagte der Spanier. „Aber Sie haben mir immer noch nicht Ihren Namen verraten, Señor.“

Hasard winkte ab. „Das ist wirklich unwichtig. Wer sich in Not befindet, braucht nicht unbedingt den Namen dessen zu erfahren, der ihm helfen will.“

Alentejo setzte sich in seiner Koje auf. Sein Schulterverband behinderte ihn nicht, aber er hatte noch große Schmerzen. Trotzdem verzog er keine Miene. Er musterte seinen merkwürdigen Besucher aufmerksam.

„Geben Sie sich keine Mühe“, sagte Hasard lächelnd. „Wir kennen uns nicht. Und das ist vielleicht auch gut so.“

„Sind Sie – Engländer?“

„Glauben Sie das?“

„Ich meine nur, einen ganz feinen englischen Akzent bei Ihnen herauszuhören“, entgegnete Alentejo lächelnd. „Aber es lohnt sich wirklich nicht, zu viele Fragen zu stellen.“ Er erhob sich und trat auf Hasard zu, dann reichte er ihm die Hand. „Was wichtiger ist: Sie scheinen mir ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle zu sein, Señor. Ich danke Ihnen.“

„Bedanken Sie sich nicht zu früh.“ Hasard ergriff die ihm dargebotene Hand und drückte sie fest. „Sagen Sie mir lieber genau, was vorgefallen ist, damit ich meine Taktik darauf einstellen kann.“

Das tat Juan Alentejo, und der Seewolf lauschte aufmerksam seinen Worten.

Kurze Zeit darauf verließ er die Kapitänskammer, kehrte in den Passagierraum zurück und verließ das Schiff auf dem Weg, den er auch vorher gewählt hatte. Im Fenster wandte er sich noch einmal um.

„Wir hauen euch raus“, sagte er zu den Männern, Frauen und Kindern. „Verlaßt euch drauf.“

„Viva!“ rief Pablito. „Hoffentlich sehen wir uns bald wieder!“

Hasard enterte in die Jolle der „Pommern“ ab, wo Shane, Ferris, Blacky und Dan ihn ebenfalls mit ziemlich verblüfften Mienen erwarteten.

„Was ist denn los gewesen?“ fragte Dan. „Das hat ja verdammt lange gedauert.“

„Ich erzähle es euch gleich“, entgegnete der Seewolf. „Los, legt erst mal ab. Wir müssen zurück zu den Schiffen pullen und einen genauen Plan entwerfen.“

Das Boot entfernte sich nordwärts. Juan Alentejo blickte ihm von den Fenstern der Heckgalerie aus nach und fuhr sich nachdenklich mit der Hand übers Kinn. Was sind das bloß für Männer? fragte er sich im stillen. Dann aber sagte er sich auch wieder, daß es nur richtig war, nicht zuviel zu wissen.

Seewölfe Paket 20

Подняться наверх