Читать книгу Seewölfe Paket 28 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 46
3.
ОглавлениеHasard hatte sich im positiven Sinn verrechnet. Nach relativ kurzer Fahrt erreichte die „Santa Barbara“ schon am frühen Morgen dieses Apriltages Korna – wo Euphrat und Tigris sich vereinigten. Alle Mann waren an Deck, als das Schiff auf die weißen Häuser des Hafenstädtchens zuglitt.
Dan O’Flynn befaßte sich noch einmal mit den Karten. Ben und Shane und ein paar andere schauten ihm dabei über die Schultern. Hasard brauchte nicht mehr auf das Kartenmaterial zu sehen, er kannte es inzwischen in- und auswendig.
„Da wären wir also“, sagte Old O’Flynn sinnigerweise. „Und was jetzt?“
„Wir haben die Wahl“, erklärte Don Juan de Alcazar. „Entweder segeln wir auf dem Euphrat oder auf dem Tigris weiter.“
Old O’Flynn grinste wie der Teufel persönlich. „Was du nicht sagst.“
„Nach Backbord in den Euphrat“, sagte der Profos. „Es ist doch letztlich egal, welchen Kurs wir wählen, was, wie? Oder ist jemand anderer Meinung? Oder hast du schon einen Plan, Sir?“
„Ich bin für Steuerbord“, sagte der Kutscher.
„Tigris?“ fragte Mac Pellew. „Warum das?“
„Der Euphrat bringt nichts Gutes.“
„Das finde ich auch“, pflichtete der alte O’Flynn dem Kutscher bei. „Wenn ich bloß an den Euphrat denke, juckt es bei mir im Beinstumpf. Das ist ein ganz schlechtes Zeichen.“
Der Kutscher zog die Augenbrauen ein wenig hoch – kaum merklich. Dann erklärte er: „Tatsache ist, daß an den Ufern des Euphrats Babylon liegt.“
„Babylon?“ wiederholte Batuti. „Davon habe ich schon mal irgendwo gehört.“
Don Juan lachte. „Diejenigen von euch, die lesen können, sollten öfter mal einen Blick in die Bibel werfen.“
„Warum haben wir Pater David nicht dabei?“ rief Smoky. „Der könnte uns weiterhelfen! Kutscher, spann uns nicht so auf die Folter!“
„Ja, du Schlaukopf“, sagte auch Carberry grimmig und rückte dabei drohend auf den Kutscher zu. „Laß dir die Würmer nicht einzeln aus der Nase ziehen. Was ist los mit Babylon? Ist das Bagdad?“
„Nein“, erwiderte der Kutscher mit weisem Gesicht. „Aber es ist die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden – jedenfalls nach der Offenbarung des Johannis.“
Die Mienen der Männer waren verzückt. Palaver entstand. Alle riefen durcheinander. Die meisten hatten das Wort „Hurerei“ aufgeschnappt und drängten jetzt darauf, sofort nach Babylon zu segeln.
„Na, so was!“ röhrte auch der Profos. „Sir, ich bin unbedingt dafür, diese Stätte zu besichtigen, wenn ich das mal so ausdrücken darf!“
„Du darfst es“, sagte der Seewolf. „Aber …“
„Vielleicht treffen wir dort auch auf diesen Johannis!“ rief Higgy. „He, das muß ein feiner Kerl sein, wenn er so was geschrieben hat!“
„Der Johannis ist mir egal, mir geht’s um die Ladys!“ verkündete Stenmark.
„Ihr seid ja alle übergeschnappt!“ stieß Old O’Flynn erregt aus. „Mein Bein tut weh! Das ist ein böses Omen! Finger weg von Babylon, heißt das!“
„Du mit deinen Ahnungen!“ brüllte Carberry. „Du kannst einem alles vermiesen! Ich will nach Babylon!“
„Auf zu den Schönen, die werden sich freuen!“ rief Al Conroy.
Am Kai von Korna waren inzwischen einige Menschen zusammengelaufen. Sie sahen sich untereinander verängstigt an. Man fragte sich, was das Geschrei an Bord des fremden Seglers zu bedeuten haben mochte. Stand ein Angriff bevor? Irgend jemand benachrichtigte den Hafen. Wesir, und dieser wiederum erstattete seinem Sultan Meldung, es gäbe Ärger durch wilde Giaurs, die auf den Decks ihres Schiffes wüteten und haßerfüllt zur Stadt glotzten.
Muftis und Kadis, Händler und Fischer, Marktschreier und vermummte Frauen versammelten sich im Hafen von Korna. Mit gemischten Gefühlen verfolgte man, was sich weiterhin an Bord dieses rätselhaften, lauten Dreimasters abspielte.
Jung Hasard war mittlerweile neben seinen Vater getreten und sagte: „Dad, du erinnerst dich doch an meinen Traum?“
„Ja, du hast mir davon erzählt.“
„Wir sollten uns daran halten.“
„Das finde ich auch“, sagte der Seewolf.
„Danach führt unsere Route immer nordwärts“, sagte Hasard junior.
Sein Vater hob beide Hände und rief: „Ruhe!“
Die Mannen verstummten und blickten ihren Kapitän an.
„Sir?“ fragte Carberry.
„Unser Kurs führt nach Norden“, verkündete Hasard. „Das bedeutet auf den Tigris, denn der Euphrat biegt hier nach Westen ab.“
„Zweifellos ist das richtig“, erwiderte Ferris Tucker. „Aber der Kutscher hat uns mit Babylon einen Floh ins Ohr gesetzt.“
„Wann hast du zuletzt in der Bibel gelesen?“ fragte der Seewolf mit ungewöhnlicher Schärfe.
„Das ist schon lange her“, erwiderte der rothaarige Riese treuherzig, aber ihm war mit einemmal höchst mulmig zumute.
„Das merke ich. Sonst wüßtest du, daß Babylon nicht mehr existiert. Die Stadt und den Turm soll es vor Jahrtausenden gegeben haben, aber natürlich kann es sich auch um eine Legende handeln.“
„Was denn?“ protestierte der Profos. „Eine Legende? In der Bibel? Ich denke, es stimmt alles, was da drinsteht! Wenn Pater David hier wäre, würde ich …“
Hasard unterbrach ihn. „Er ist aber nicht da, Ed. Es gibt Gleichnisse in der Bibel, die nicht wortgetreu zu stimmen brauchen. Es geht dabei darum, anschaulich Situationen darzustellen, aus denen philosophische Schlüsse gezogen werden. Klar?“
Carberry kratzte sich am Kinn. „Klar, Sir.“
„Hat sonst noch jemand Fragen?“ wollte der Seewolf wissen.
„Keiner, Sir“, erwiderte Old Shane stellvertretend für alle. Es empfahl sich nicht, den Seewolf noch länger wegen des Babylonpalavers zu reizen. Er setzte sich durch – wie immer. Und das war gut so.
Die „Santa Barbara“ segelte an Korna vorbei und schob sich gegen die Strömung des Tigris nach Norden. In Korna atmete man auf – fast konnte man es an Bord der Galeone vernehmen.
Später standen die Mannen am Schanzkleid und blickten auf die seltsamen Boote, die ihnen entgegentrieben. Carberry, der sich wegen der Babylongeschichte und der weisen Reden des Kutschers wieder mal kräftig geärgert hatte, mußte irgendwie Dampf ablassen.
Deshalb amüsierte er sich über die flußabwärts treibenden Rundboote und Schlauchflöße.
„Hol’s der Teufel“, sagte er. „Was sind denn das für Tröge?“
„Das sind die hierzulande üblichen Wasserfahrzeuge“, erwiderte der Kutscher.
„Was du nicht sagst!“
„Sie heißen Guffas und Keleks.“
„Was für ein schlaues Kerlchen du bist!“ röhrte der Profos. „Und abends ziehen die Alis die Kähne aus dem Wasser und stellen sie sich als Nachttöpfe vors Lager?“
Die Männer lachten. Carberry ließ mal wieder seine schönsten, derbsten Witze vom Stapel.
Sir John flatterte auf und ab und krächzte wie ein Besessener. Arwenack, der Schimpanse, klatschte in die Hände und entblößte die Zähne zu einer Art Grinsen. Plymmie, die Wolfshündin, legte den Kopf schief und sah ihre Leute verdutzt an. Was war denn jetzt wieder in die gefahren?
„Das glaube ich nicht“, entgegnete der Kutscher und zog sich mit Mac in die Kombüse zurück. Sie bereiteten das Frühstück vor. Ehe der Profos zu neuen Kanonaden ausholte, war es klüger, ihm ein bißchen das Maul zu stopfen – mit Eiern und Speck.
Die Männer an Deck beobachteten, wie die Guffas und Keleks an der „Santa Barbara“ vorbeitrieben.
„Erstaunlich, was die alles laden“, sagte Shane in echter Anerkennung.
„Ja, und sie sind mit einfachsten Mitteln gebaut“, meinte Ferris Tucker. „Erfinderisch sind die Araber, das muß man ihnen lassen.“
„Was gehört schon dazu, einen Trog oder einen Nachttopf zu bauen?“ brummte der Profos.
„Was gehört dazu, ein Rad zu erfinden?“ fragte Higgy.
„Was willst du, du irischer Rotfuchs?“
„Ich meine, hast du mal darüber nachgedacht, wie schwierig es war, das Rad oder das Segel zu erfinden, als es das noch nicht gab?“ fragte Higgy.
Carberry spuckte über das Backbordschanzkleid ins Wasser und schaute einem großen Guffa nach.
„Von euren Kodderschnauzen habe ich erst mal genug“, sagte er verächtlich.
Dann verschwand er im Vorschiff, um „die Kojen zu kontrollieren“ und im Frachtraum, um die „Ladung zu überprüfen“. Wirklich, die Crew konnte einem manchmal erheblich auf den Geist gehen.
Die „Santa Barbara“ segelte weiter nordwärts. Die Entfernung nach Bagdad vermochte der Seewolf zu errechnen. Wie lange es aber noch dauerte, bis sie dort eintrafen, wußte keiner.
Mannigfach konnten die Tücken des Stromes sein. Untiefen, Klippen und Stromschnellen waren nicht berechenbar. Noch lag alles im Ungewissen. Die nächsten Tage würden ihnen offenbaren, welcher Art die Gefahren dieser Reise waren.
An Piraten dachte keiner der Männer der „Santa Barbara“ – noch nicht. Bald sollte sich dies jedoch ändern.
Ebel Schachnam hätte am liebsten um sich geschlagen, so wütend war er. Die Nacht über hatten die Kerle unablässig nach den vier Fremden gesucht – ohne Erfolg. Ein Pferd war gestrauchelt, hatte sich den rechten Vorderlauf gebrochen und mußte getötet werden.
Zwei Kerle hatten sich glatt verirrt. Jetzt, am Morgen, fanden auch sie sich wieder ein.
Aber der bärtige Anführer verspürte große Lust, sie auf der Stelle zu erdolchen. Nur bremste er sich, weil die Stimmung der Männer auch nicht besser war als seine. Was war bloß los? Alles ging schief. Lastete doch ein Fluch der Finsternis über ihnen?
„Nichts“, sagte Güner, der Kurde. Er hatte mit vier Mann einen Erkundungsritt durch den Dattelwald unternommen und war gerade ins Lager zurückgekehrt. „Der Erdboden hat diese Bastarde verschluckt.“
„Das gibt es nicht“, sagte Ebel Schachnam.
„Wir können sie nicht herbeizaubern.“
„Das weiß ich selbst“, brüllte der Bärtige.
„Was sollen wir tun?“ fragte der Kurde so ruhig wie möglich, obwohl auch er äußerst gereizt war.
„Weitersuchen!“
„Den ganzen Tag?“
„Und auch die Nacht, wenn es nötig ist!“ schrie Ebel Schachnam. „Ich will sie haben! Ich werde sie zerfetzen, vernichten!“
Güner ließ sich neben dem erloschenen Lagerfeuer auf den Boden nieder. „Warum lassen wir sie nicht laufen? Wir haben wichtigere Dinge zu tun. Wir haben keinen Proviant und müssen dringend welchen beschaffen.“
Der bärtige Häuptling brauste sofort auf: „Du wagst es, meine Befehle zu kritisieren? Was fällt dir ein?“
Die Augen des Kurden verengten sich. „Nicht alles, was du anordnest, ist richtig, Ebel. Glaubst du etwa, du bist unfehlbar wie Allah?“
„Du Rebell!“ schrie Ebel. „Halt dein Maul! Ich verbiete dir, so zu reden!“
„Was willst du von dem Mädchen?“ erwiderte Güner unbeirrt. Seine Stimme troff jetzt vor Hohn. „Sie verprügeln, ihr die Haare abschneiden? Sie ist verrückt, hast du das nicht bemerkt? Sie ist nicht ganz richtig im Kopf.“
„Lüge! Sie hat meine Ehre befleckt!“
„Nachdem du es nicht geschafft hast, sie zu entehren“, entgegnete der Kurde.
Die Kerle waren näher herangetreten und umringten die beiden Streithähne. Spannung lag in der Luft. Ebel Schachnam war hochrot im Gesicht, seine Schläfenadern schwollen an. Plötzlich warf er sich ohne jegliche Vorwarnung auf seinen Unterführer und hieb mit beiden Fäusten auf ihn ein.
Güner rollte sich gedankenschnell zur Seite. Ebels Fäuste hämmerten auf den staubigen Boden.
Der Kurde sprang auf und rief: „Glaubst du, wir irren für jeden Blödsinn wie die Trottel durch die Gegend? Nur für dich? Du bist ein Narr! Schaff uns erst mal was zu essen ran, dann reden wir weiter!“
Der Bärtige rappelte sich auf und zückte sein Messer. „Du Bastard, das wirst du mir büßen!“
Güner zog ebenfalls seinen Dolch. „So? Versuch’s doch mal!“
Ebel Schachnam unternahm einen Ausfall und hieb mit dem Messer zu. Wieder wich der Kurde geschickt aus. Die Kerle stießen Rufe und Flüche aus. Die meisten hielten zu Güner, aber sie wagten nicht, offen aufzubegehren.
Schachnam war ihnen zu gefährlich. Sie alle hatten die Nase voll. Doch es waren die Brutalität und die Mordlust ihres Anführers, die sie fürchteten.
Güner wischte mit der Klinge seines Dolches durch die Luft. Ebel mußte zurückzucken, sonst hätte die Klinge seine Wange getroffen.
„Die Männer sind erschöpft!“ schrie der Kurde. „Sie brauchen etwas zu essen!“
„Freßt doch die Datteln!“ brüllte Ebel, der Bärtige.
„Die will keiner mehr!“
„Besser als gar nichts, du Hurensohn!“
„Was dir nicht schmeckt, schmeckt uns auch nicht!“ stieß der Kurde zornig aus.
„Und der Wein?“ schrie Ebel Schachnam. „Du hast ihn absichtlich verschüttet!“
„Lüge!“ brüllte der Kurde.
„Welcher Wein denn?“ fragte der Grinser.
Aber er erhielt keine Antwort. Alle starrten nur auf die Kämpfer. Für einen von beiden mußte das Messerduell tödlich enden. Daran gab es keinen Zweifel.
„Ich bringe dich um, du Hund!“ heulte Ebel Schachnam.
„Das schaffst du nicht!“ höhnte der Kurde.
„Verrecke!“
„Fahr zur Hölle!“
Jählings warf sich Ebel auf seinen Unterführer. Dieses Mal konnte Güner nicht schnell genug reagieren. Das Messer traf ihn. Er stöhnte auf, stieß aber selbst zu. Ebel tänzelte zur Seite. Beide Männer bluteten, aber Güner wankte stark.
„Stirb!“ brüllte der Bärtige. Er unternahm wieder einen Angriff. Noch einmal stach er auf den Kurden ein – und Güner sank blutüberströmt zu Boden. Er hob noch die rechte Hand. Der Dolch entglitt seinen Fingern. Sein Blick war auf Ebel Schachnam gerichtet. Er brach vollends zusammen und regte sich nicht mehr.
„Erledigt“, sagte Ebel Schachnam. Verächtlich spuckte er vor dem Kurden aus. „So ergeht es allen, die gegen mich anstinken wollen.“ Herausfordernd sah er seine Kerle an. „Hat noch jemand Lust, mit mir zu kämpfen?“
Keiner trat vor. Die Kerle schwiegen und hielten ihre Blicke gesenkt. Ebel grinste.
„Schmeißt den Schwachkopf in den Fluß“, sagte er. „Die Wasserratten sollen ihn fressen.“