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4.

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Das merkwürdige Trio schlug im verblassenden Licht des Tages am Ufer des Tigris seinen Lagerplatz auf. Die Rüstung von Branco Fernan klapperte und rasselte, als er absaß. Das Visier fiel zu. Er öffnete es wieder und schritt mit stelzenden, steif wirkenden Bewegungen auf und ab.

„Keine Schlangen“, sagte er.

„Keine Wölfe“, vermeldete Ton de Wit, der sich im Gebüsch umgesehen hatte.

„Hier gibt es doch gar keine Wölfe, du Narr“, sagte Ludmilla.

„Man kann’s nie wissen“, erwiderte der Riese. „Und du sollst mich nicht so nennen, sonst versohle ich dir den Hintern.“

„Ja, schon gut“, flüsterte das Mädchen.

Der Riese hatte sie schon einmal verhauen, als sie zu aufsässig geworden war. Davon hatte sie jetzt noch genug.

„Hier laßt uns rasten“, sagte Branco Fernan. „Hier laßt uns Burgen bauen und seßhaft werden.“

Ludmillas Augen weiteten sich. „Ist das dein Ernst?“

„Wir wollen die Ungläubigen in aller Welt bekehren.“

„Und ich will nach Hause.“

„Der Tag ist nicht mehr fern, mein Kind, an dem du deine Windmühlen wiedersehen wirst, das habe ich dir versprochen.“ Branco Fernan sah sie streng an. „Habe ich dich jemals angelogen?“

„Nein.“

Ton de Wit grinste. Er hatte ein paar Datteln aufgelesen und hielt sie dem Mädchen vor die Nase. „Willst du mal kosten?“

„Hau bloß mit deinen Datteln ab!“

„Lieber ein Stück Pökelfleisch?“ fragte der Riese.

„Ja.“

Während sie gemeinsam ihr karges Abendessen vorbereiteten, dachte Ludmilla nach. Schon oft hatte sie sich die Frage gestellt, ob dieser Branco Fernan, der eigentlich Willem Smitt hieß, richtig im Kopf war. Was er eigentlich in diesem Land am Euphrat und Tigris wollte, war ihr immer noch nicht klar.

Sie hatte ihn in Holland kennengelernt. Ludmilla war vor zwei Jahren von zu Hause ausgerissen. Das Auskneifen war ihr sozusagen mit in die Wiege gelegt worden. Es war ihre fixe Idee. Immer wieder mußte sie einfach abhauen, ganz gleich, wo sie gerade war.

Ton de Witt hatte einmal gesagt, sie habe das Wesen einer streunenden Katze.

Nun, Ludmilla war in einem Bordell von Den Haag gelandet. Es wäre ihr schlecht ergangen – die Kerle in dem Freudenhaus benahmen sich wie die Tiere. Aber plötzlich erschien dieser Ritter Branco Fernan und forderte die Huren auf, ihr fluchwürdiges Leben aufzugeben. Anderenfalls würde Gott sie furchtbar strafen.

Natürlich hatten die ausgekochten Huren gelacht und dem Kerlchen ihre Dienste angeboten. Aber Ludmilla hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt und war mit dem Männchen ausgekniffen. Die Bordellmutter hatte sie zwar keifend verfolgt, aber plötzlich war Ton de Wit zur Stelle gewesen.

Eine Maulschelle des Riesen hatte genügt, und die Madam war heulend in ihr gastliches Haus geflüchtet. Ludmilla war bei Branco und Ton geblieben.

Sie hatte erfahren, daß die beiden aus der tiefsten Provinz stammten. Der Riese war schon immer Branco Fernans Diener gewesen. Er war ihm treu ergeben. Irgendwann hatten sie den Plan gefaßt, durch die Lande zu ziehen, um Heiden zu bekehren. Gott habe ihm diesen Auftrag erteilt, behauptete der Ritter.

So hatte man zu dritt Holland verlassen und war mit dem Pferd quer durch Europa gezogen. Ludmilla kannte sich in der Erdkunde nicht aus. Was das für Länder waren, durch die sie gereist waren, wußte sie immer noch nicht recht. Deutschland, Ungarn, Griechenland und die Türkei – noch nie hatte sie früher von solchen Plätzen und Namen gehört.

Aber sie vertraute diesem Eisenmann, so seltsam er sein mochte. Er brachte einem eher das Lachen als das Fürchten bei, und doch spürte sie tief in ihrem Inneren, daß er ein aufrichtiger und guter Mann war, der nur das Beste wollte.

Verrückt war er wohl nicht. Ton de Wit war auch kein Blödian, obwohl er meistens dummes Zeug redete, sobald er den Mund auftat. Aber irgendwie fühlte sich das Mädchen wohl bei ihnen. Nie wäre es den beiden Männern eingefallen, sie unsittlich anzufassen, Sie benahmen sich wie die Mönche.

Nur manchmal packte Ludmilla eben das Heimweh. Sie seufzte. Wollte sie wirklich nach Hause zurück? Doch, gewiß. Schon allein wegen der feinen Sachen, die es dort zu essen gab.

„Was ist, was ficht dich an?“ fragte Branco Fernan.

„Ach, nichts“, erwiderte sie und stand auf. „Ich gehe Wasser holen.“ Sie griff sich den leeren Schlauch, der an Jolantes Sattel hing.

Der Riese war mit zwei Schritten neben ihr. „Ich begleite dich.“

„Laß mich in Ruhe.“

„Das tue ich sicher, aber ich begleite dich.“

„Ich habe keine Angst“, sagte sie trotzig.

„Nein, aber du könntest wieder weglaufen. Dann landest du in einem Sumpfloch, und wir haben wieder unsere Mühe, bis wir dich finden.“

Ludmillas Augen sprühten Zorn und Feuer. „Ich reiße nicht aus, das verspreche ich dir.“

Branco Fernan nickte. Prompt klappte das Visier zu. „Du hast schon sooft so viel versprochen, mein Kind“, klang es hohl aus dem Inneren des Helmes. „Ich frage dich, wie sollen wir dem noch Glauben schenken?“

„Rutscht mir doch den Buckel runter, ihr Narren“, sagte sie schroff. Dann ging sie zum Ufer des Flusses.

Ton de Wit marschierte mit vergnügtem Gesicht hinter ihr her.

Ludmilla trat ans Ufer des Tigris, bückte sich und ließ Wasser in den Schlauch laufen. In den ersten Tagen hatte sie Angst gehabt, das Wasser könne vergiftet sein. Dann aber hatte sie sich von Branco Fernan überzeugen lassen, daß man es genießen konnte.

Überhaupt schien der Mann immer alles zu wissen. Er steckte voller Überraschungen. Er war klug und schrullig, intelligent und total verdreht.

Das Mädchen hob etwas den Kopf und spähte über den Fluß. Da – was war das? Schwamm da nicht etwas?

„Sieh mal, Ton“, sagte sie leise. „Da treibt was.“

„Ach, du willst mich bloß ablenken.“

„Unsinn, es treibt auf uns zu.“

Er kniff die Augen zusammen. „Es ist zu dunkel, ich kann nichts erkennen.“

„Nein? Schau richtig hin. Das ist eine Gestalt, ein Körper!“

„Ja, du hast Katzenaugen“, sagte der Riese.

„Ein Mensch“, sagte Ludmilla entsetzt. „Da schwimmt ein Mensch!“

„Bewegt er sich?“

„Nein.“

„Dann schwimmt er nicht“, korrigierte sie der Riese. „Er treibt.“

„Du machst mich zappelig“, sagte Ludmilla wütend. „Kann man nicht mal ernst mit dir reden? Ist der Mensch tot, meinst du das?“

„Ich sehe nur einen Schatten, ich kann es nicht wissen“, erwiderte der Riese.

„Wir müssen ihm helfen“, sagte das Mädchen. „Das ist unsere Christenpflicht.“

„Wenn er tot ist, kann ihm keiner mehr helfen“, murmelte Ton de Wit.

„Du bist gemein“, sagte sie verärgert. „Gott würde das nicht gern hören.“

Der Riese kratzte sich am Kopf. Er war jetzt richtig verlegen. Wie nun, wenn der Mann im Fluß doch noch am Leben war? Entschlossen stieg Ton de Wit ins Wasser. Der Mann – er konnte ihn jetzt richtig erkennen, denn es trennten sie nur noch höchstens zehn Meter.

Dann schob Ton de Wit seine Arme unter den Reglosen, hob ihn hoch und trug ihn an Land. Der Mann gab kaum hörbare Laute von sich. Seine Augen waren geschlossen, aber sein Herz schlug.

„Er lebt noch“, sagte Ton de Wit.

Ludmilla trat näher.

„Er lag auf dem Rücken im Wasser“, sagte sie. „Das war sein Glück. Sonst wäre er ersoffen.“ Plötzlich weiteten sich ihre Augen. „Den kenne ich! Das ist einer von den Piraten!“

„Ich werfe ihn wieder ins Wasser“, sagte der Riese aufgebracht.

„Nein, das darfst du nicht!“

„Er ist einer von denen, die dir Gewalt antun wollten!“

„Ja, aber in der Bibel steht, daß man auch seinen Feinden helfen soll. Jesus Christus hat das gesagt.“

„Du hast die Bibel ja noch nie gelesen“, sagte der Riese.

„Du vielleicht?“

„Ich weiß mehr darüber als du“, sagte Ton de Wit grollend. „Auge um Auge, Zahn um Zahn, so ist es im Alten Testament niedergeschrieben.“

„Wir fragen Branco Fernan um Rat“, sagte das Mädchen. „Los!“ Sie lud sich den Wasserschlauch auf die Schulter und schritt voran, zurück zum Rastplatz. Ton de Wit hatte keine andere Wahl, er mußte den Piraten zum Lager tragen.

„Was ist denn?“ fragte Branco Fernan. Er sah von seiner Lektüre, der Bibel auf. „Ich habe mich schon gefragt, wo ihr bleibt.“

„Schau mal, wen wir hier haben“, sagte Ludmilla.

Ton de Wit ließ den Flußräuber ziemlich unsanft auf den Boden sinken.

„Er ist einer von denen, die mich gepackt und vom Boot zur Hütte geschleppt haben“, erklärte das Mädchen, als sei das etwas, auf das man stolz sein könne.

„Am liebsten würde ich ihm sämtliche Knochen im Leib brechen“, sagte Ton de Wit. Sein Blick verkündete, daß er es wirklich ernst meinte.

Branco Fernan untersuchte den Mann. Sein Visier klappte dabei dreimal zu. Ludmilla hatte schließlich die Idee, hinter ihn zu treten und das Visier mit beiden Händen festzuhalten.

„Verletzt“, sagte Branco Fernan. „Von mehreren Messerstichen getroffen. Er hat viel Blut verloren.“

„Haben die Kerle sich vielleicht gestritten?“ fragte Ton de Wit.

„Das ist gut möglich“, entgegnete der Ritter. „Ich werde ihn sogleich verbinden. Wenn wir Glück haben, kommt er durch. Die Nacht wird die Entscheidung über sein Leben bringen.“

„Wieso ist das ein Glück, wenn er durchkommt?“ fragte Ton de Wit böse.

Branco Fernan blickte ihn zurechtweisend an. „Vor dem Herrn sind alle Menschen gleich, und selbst der schlimmste Sünder läßt sich bekehren, hast du das vergessen?“

„Nein.“

„Dann hör endlich auf zu meckern“, sagte Ludmilla. Sie hatte bereits angefangen, Wasser für die Säuberung der Wunden vorzubereiten.

Als Güner, der Kurde, am Morgen seine Augen aufschlug, wähnte er sich im Jenseits. Ein liebliches Mädchengesicht war über ihm, sanft und lächelnd. Sicherlich handelte es sich um einen Engel.

„Wie geht es dir?“ fragte sie, aber er verstand ihre Sprache nicht. Dann fiel ihm ein, daß er sie kannte.

„Bist du auch tot?“ fragte er verdutzt.

„Was sagt er?“ wollte Ludmilla wissen.

Branco Fernan und Ton de Wit rückten näher und beugten sich über das Lager ihres Patienten.

„Er spricht Arabisch“, sagte der Ritter. „Er fragt dich, ob du auch tot seist.“

„Quicklebendig“, erwiderte sie kichernd.

„Wer bist du, mein Sohn?“ fragte Branco Fernan. Sein Arabisch war unvollkommen und ein bißchen holprig, aber er wußte sich zu verständigen.

„Güner, der Kurde“, erwiderte der Pirat. „Werdet ihr mich jetzt töten?“

Branco Fernan lächelte aus dem Dunkel seines Helmes auf den Kurden hinunter. Güner fand, daß sein verschrumpeltes Gesicht dem einer Schildkröte glich.

„Überlege doch mal“, sagte der selbsternannte Ritter des Herrn. „Das würde doch keinen Sinn ergeben. Erst retten wir dich, dann töten wir dich? Nein. Du lebst. Es ist ein Wunder geschehen. Danke deinem Schöpfer.“

„Allah sei Dank“, murmelte der Flußräuber.

„Falsch“, sagte Branco Fernan tadelnd. „Gott sei Dank.“

„Wer ist das, Gott?“

„Der einzige Gott, der wirklich existiert.“

„Also Allah. Na gut, Gott sei Dank, meinetwegen“, sagte Güner. „Wo habt ihr mich gefunden?“

„Im Fluß. Du mußt Ludmilla danken.“ Branco Fernan wies auf das Mädchen.

Nie in seinem Leben hatte sich Güner derart geschämt. „Verdammt, es tut mir leid.“

Natürlich übersetzte Branco Fernan alles, was er sagte, ins Holländische. Und umgekehrt übertrug er die eigenen Worte und das, was Ludmilla und Ton de Wit äußerten, so gut es ging, ins Arabische.

„Ist nicht so schlimm“, erwiderte Ludmilla lächelnd. „Mir geht es ja gut.“

„Es war alles Ebel Schachnams Idee“, erklärte Güner. Irgendwie war es richtig, die ganze Schuld auf den Hundesohn von einem Bärtigen zu schieben. Es stimmte ja auch, er hatte den Plan gehabt, das Mädchen zu vergewaltigen. „Er hetzte uns los, Beute zu holen. Dabei stießen wir durch Zufall auf dich.“ Er sah dem Mädchen in die Augen. „Die Kerle hielten dich für eine Hexe.“

Ton de Wit mußte unwillkürlich lachen, als Branco Fernan das Wort „Hexe“ übersetzte. Ludmilla fixierte ihn. Hätten Blicke töten können, wäre der Riese jetzt mausetot umgekippt, ohne noch einen Laut von sich zu geben.

Branco Fernan, der Riese und das Mädchen hörten sich an, wie der Kurde die ganze Geschichte noch einmal aus seiner Sicht erzählte – bis zu dem Punkt, an dem die Flußräuber vergeblich nach dem Trio gefahndet hatten.

„Wir haben eben in der falschen Richtung gesucht“, schloß er seinen Bericht ab. „Ebel Schachnam glaubte nicht, daß ihr hier unten am Ufer sein könntet. Dennoch wird er weitersuchen. Ich kenne ihn. Der gibt nicht auf. Der hält durch bis zum Umfallen, und er bringt jeden um, der ihn zu bremsen versucht. Sein Haß ist grenzenlos.“

„Er ist überzeugt, daß du tot bist“, sagte Branco Fernan nachdenklich. „Sonst hätte er dich nicht in den Fluß werfen lassen.“

„Ich werde ihn als Gespenst heimsuchen“, sagte der Kurde mit verzerrtem Gesicht.

Der Ritter bewegte sich, die Rüstung klapperte. „Das bleibt dir überlassen. Aber erst brauchst du Ruhe. Du mußt dich von uns pflegen lassen. Deine Wunden könnten wieder aufbrechen.“

„Dieser Hund muß sterben!“ preßte Güner hervor, doch die jäh wieder einsetzenden Schmerzen brachten ihn zum Verstummen.

„Wie leicht hätte die Klinge des Gegners dein Herz treffen können“, sagte Branco Fernan. „Oder sie hätte deine Eingeweide zerfetzt. Hast du daran gedacht?“

„Ja.“

„Sei froh, daß du lebst.“

„Das tue ich“, erwiderte Güner. „Und ich kann eure Großherzigkeit immer noch nicht fassen.“

„Nicht alle Menschen sind schlecht und gemein“, sagte Ludmilla. „Kapierst du das?“

„Es fällt mir schwer“, entgegnete der Kurde wahrheitsgemäß. „Aber ich bin jetzt froh, daß ich nicht mehr bei der Bande bin. Von Ebel Schachnam wollte ich schon lange weg.“

Aber ein Schnapphahn war und blieb er. Auch das Verlangen, das wieder in ihm aufstieg, als er das Mädchen betrachtete, ließ sich kaum bezwingen.

„Wir werden speisen“, sagte Branco Fernan. „Das wenige, was wir haben, teilen wir gern mit dir. Wenn der Proviant alle ist, sind wir auf die Datteln angewiesen, die an diesen Palmen wachsen.“

„Pfui, Teufel“, sagte Ludmilla.

Güner mußte grinsen, obwohl ihm nicht danach zumute war. „Magst du Datteln auch so gern?“

„Mir steigt gleich der Magen hoch.“

„Das geht den meisten so“, entgegnete der Pirat. „Sie hängen uns allen zum Halse raus, weil wir in der letzten Zeit kaum noch etwas anderes gegessen haben. Ebel, dieser Schurke, wird noch seine liebe Not haben, die Kerle im Zaum zu halten, wenn er ihnen nichts zu beißen besorgt. Dann kuschen sie nicht länger. Hungrige Wölfe fallen ihren eigenen Leitwolf an, heißt es in meiner Heimat.“

Ludmilla schauderte zusammen, als sie es vernahm.

„Gibt es hier Wölfe?“ fragte sie mit zitternder Stimme.

„Nein“, antwortete der Kurde. „Aber weiter oben im Norden, in meinem Land, im wilden Kurdistan.“

„Da will ich nicht hin“, sagte sie.

„Beruhige dich, dorthin führt uns unser Weg auch nicht“, sagte Branco Fernan. „Laßt uns nun essen und trinken.“

Es war hell geworden. Sie entfachten ein flaches Feuer, das in der Ferne nicht zu sehen war, wärmten etwas Fleisch auf und bereiteten einen Trank aus Wasser und Honig. Noch war es kühl. Aber der Tag würde wieder warm werden. Keine Wolke trieb am Himmel über Mesopotamien.

Seewölfe Paket 28

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