Читать книгу Seewölfe Paket 8 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 50
6.
ОглавлениеWie Raubvögel stießen die fünf spanischen Galeonen auf ihre Beute zu.
Die „Oranje“ hatte jeden Fetzen Tuch gesetzt, aber ohne Besan konnte sie nicht hoch genug an den Wind gehen, um die tödliche Umklammerung zu sprengen und die Gegner aus der Luvposition zu nehmen. Aus demselben Grund gab es auch keine Chance zum Ausweichen. Die „Oranje“ hätte sich schon platt vor den Wind legen müssen – und der Wind wehte von Westen, so daß die Flucht sehr schnell vor der französischen Küste zu Ende gewesen wäre.
Marius van Helder blieb nur eine Wahl: sich zu stellen und kämpfend unterzugehen.
Er ließ anluven: ein schwerfälliges Manöver, aber es würde ihm später gestatten, blitzschnell nach Süden abzufallen, wo nur zwei Gegner heranrauschten. Die Culverinen und Drehbassen der „Oranje“ waren feuerbereit, die Männer verharrten in grimmiger Spannung. Van Helder stand auf dem Achterkastell, die Hände so hart um die Schmuckbalustrade gelegt, daß die Knöchel hervortraten. Seine Augen hatten die Farbe von grauem Granit, und in seinem versteinerten Gesicht zuckte kein Muskel.
Die „Ysobel“ eröffnete das Gefecht.
Etwas zu früh – die Kugel, die heranjaulte, klatschte wirkungslos ins Wasser. Van Helder wartete. Er hatte nicht viel auszuteilen, aber er wollte seine Haut so teuer wie möglich verkaufen.
„Bugdrehbassen Feuer!“ befahl er Sekunden später.
Die Drehbassen in ihren Gabellafetten wummerten.
Kugeln schlugen in Blinde und Bugspriet der heranrauschenden „Ysobel“. Jetzt war sie fast auf gleicher Höhe mit der „Oranje“ – und blitzartig ließ Marius van Helder abfallen.
Die Breitseite der „Ysobel“ richtete keinen Schaden an. Schwerfällig ging die „Oranje“ wieder an den Wind, aber der Capitan der „Ysobel“ reagierte noch schwerfälliger, weil er die Überraschung nicht so schnell verdauen konnte.
„Steuerbordkanonen Feuer!“ rief Marius van Helder.
Donnernd entluden sich die schweren Geschütze. Zwölf siebzehnpfündige Eisenkugeln zerfetzten die Bordwand der „Ysobel“ in Höhe der Wasserlinie. An Deck herrschte Zustand. Kein Zweifel, daß die Galeone binnen Minuten in die Tiefe fahren würde, aber die „Oranje“ konnte auch das nicht mehr retten.
Die sinkende „Ysobel“ behinderte die beiden in ihrem Kielwasser segelnden Galeonen und gab den Geusen eine Galgenfrist, um die Steuerbordgeschütze wieder zu laden. An Backbord schoben sich die „Princesa Anna“ und die „Maria de Navarra“ heran. Immer noch hämmerten die Bugdrehbassen der „Oranje“, um den Gegnern mit dem gehackten Blei die Takelage zu zerfetzen. Aber die Spanier revanchierten sich, die Blinde der „Oranje“ ging in Fetzen – und jetzt lag die „Maria de Navarra“ genau querab.
„Backbordkanonen Feuer!“
Ein ohrenbetäubender Krach, als sich zwei Breitseiten gleichzeitig entluden.
Der „Maria de Navarra“ wurde das Vorkastell zertrümmert, der Fockmast neigte sich knirschend und krachte mitsamt dem Rigg auf das Schanzkleid. Aber auch die „Oranje“ hatte es erwischt. Sie schüttelte sich, dröhnte und vibrierte in ihren Verbänden – und fast augenblicklich konnte van Helder das unheimliche Gurgeln und Ziehen aus dem Schiffsbauch hören.
„Wassereinbruch mittschiffs!“ schrie eine Stimme.
„Wasser im Vorschiff!“ tönte es gellend von der Back.
„Steuerbordkanonen Feuer!“
Marius van Helders Stimme klirrte wie brechender Stahl.
Es war sinnlos, die Männer noch an die Pumpen zu scheuchen. Die „Oranje“ hatte den Todesstoß erhalten, daran ließ sich nichts mehr ändern. Aber zwischen sie und die rasch absackende „Ysobel“ hatte sich eine der spanischen Galeonen geschoben – und die empfing jetzt noch eine volle Breitseite.
Die Kugeln zerfetzten nur das Rigg, da die „Oranje“ nach Backbord krängte. Van Helder kniff die Augen zusammen. Die „Maria de Navarra“ war aus dem Kurs gelaufen. Jetzt geriet sie bedrohlich nah an den zerschossenen Viermaster heran, und der Capitan fuchtelte wild mit den Armen, weil er ahnte, was dieser rasende Teufel von einem Geusenkapitän als nächstes tun würde.
Da kam es auch schon.
„Abfallen!“ rief Marius van Helder. „Wir gehen längsseits und entern!“
Geschrei brandete auf.
Ein wildes, triumphierendes Geschrei, das sich mit dem Klirren der Waffen und dem Knirschen der umschlagenden Rahen mischte. Die „Oranje“ fiel ab, wie eine Woge stürzten Männer mit Beilen, Entermessern und Handspaken ans Backbordschanzkleid. Sie wußten, daß sie keine Chance hatten. Aber sie würden entern und kämpfen, dort drüben auf der „Maria de Navarra“ die Hölle loslassen und die Spanier noch einmal das Fürchten lehren.
Marius van Helder war der erste, der auf die Kuhl der feindlichen Galeone setzte.
Wie eine Sturzflut folgten ihm die anderen – verzweifelte Männer, die nichts mehr zu verlieren hatten. Ein mörderischer Kampf entbrannte, ein Kampf, den die Geusen mit dem wilden, bedenkenlosen Mut der Todgeweihten führten, doch es dauerte nur wenige Minuten, bis die restlichen Spanier ihren bedrängten Landsleuten zur Hilfe eilten.
Von zwei Seiten flogen Enterhaken.
Die Kuhl, die die Geusen im ersten Ansturm fast leergefegt hatten, wurde überrannt. Schreie gellten, Männer brachen zusammen.
Marius van Helder schlug verbissen um sich und stürzte sich ins dickste Getümmel. Er wollte nicht lebend in die Hände seiner Gegner fallen, aber er hätte sich schon in seinen eigenen Degen stürzen müssen, da die Spanier ihn unter allen Umständen lebend haben wollten.
Das Ende kam, als er einen riesigen Krummsäbel mit der Parierstange des Degens abfing und gleichzeitig von einer Spake getroffen wurde, die ihm das Handgelenk brach.
Er taumelte.
Urgewalten rissen ihm den Degen aus den Fingern, er fiel vornüber. Ein wilder Aufschrei entrang sich seiner Kehle, als die gebrochene Hand unter seinem eigenen Körper begraben wurde, und für einen Augenblick hüllte der Schmerz ihn ein wie eine feurige Lohe.
Dann fühlte er nur noch einen harten Schlag an der Schläfe, und sein Bewußtsein versank in einem Strudel wohltuender, empfindungsloser Schwärze.
Die „Isabella“ erschien zu spät.
Längst war der Kanonendonner verstummt, bevor sie auch nur eine Mastspitze von den kämpfenden Schiffen sichteten. Als sie den Schauplatz des Gefechts erreichten, trieben nur noch ein paar Trümmer in der grauen Dünung des Atlantik.
Friso Eyck und seine Mannen standen mit versteinerten Gesichtern am Schanzkleid und starrten über das Wasser.
Hasard konnte sich vorstellen, wie ihnen zumute war. Der Crew ging es genauso, selbst die sonst immer munteren Zwillinge spürten die lastende Stille und drängten sich unbehaglich aneinander. Die „Oranje“ war in die Tiefe gefahren, daran gab es keinen Zweifel. Aber der Gefechtslärm hatte den Seewölfen verraten, daß sie sich lange und zäh zur Wehr gesetzt hatte. Zwischen den anderen Trümmern tanzte ein großes hölzernes Kreuz auf den Wellen – Zeichen dafür, daß die spanischen Galeonen zumindest nicht heil aus dem Kampf hervorgegangen waren.
Friso Eyck fuhr sich mit der Hand über die Augen.
Ruckartig wandte er sich ab – und im selben Moment klang Bills helle Stimme aus dem Großmars.
„Deck! Verwundeter Mann querab Steuerbord!“
Mit drei Schritten stand Hasard am Schanzkleid des Achterkastells.
Sein Blick suchte die graue, bewegte Wasserfläche ab, dann entdeckte auch er den blondhaarigen Mann, der jetzt mit einer matten Bewegung zu ihnen herüberwinkte. Er hatte sich auf ein zerfetztes Querschott gezogen. Blut lief von der Schulter her an seinem Arm herunter, ein Schnitt klaffte an seiner Stirn. Aber die Verletzungen konnten nicht allzu schwer sein, denn er brachte es noch fertig, sich auf dem schwankenden Schott hochzustemmen und den gesunden Arm zu schwenken.
„Es ist Henk!“ schrie einer der Geusen. „Henk Bakker!“
„Klar bei Jolle!“ befahl Hasard knapp. „Backbrassen, die Fahrt aus dem Schiff!“
Das Boot wurde ausgeschwenkt und abgefiert. Hasard wollte nicht riskieren, den Mann über die Jakobsleiter aufzunehmen: Er war verletzt, und in der Dünung konnte es nur zu leicht passieren, daß er sich den Kopf an der Bordwand einschlug. Friso Eyck enterte selbst ab, zusammen mit Stenmark und dem rothaarigen Ferris Tucker, und Minuten später hatten sie den Verletzten geborgen.
Der hünenhafte Schiffszimmermann grinste matt, als er den Mann an Deck hievte. Der Holländer war zusammengebrochen und hatte das Bewußtsein verloren: die unausweichliche Reaktion auf alles, was hinter ihm lag. Aber er kam rasch wieder zu sich, stemmte sich taumelnd hoch und starrte aus flakkernden Augen die Männer an, die ihn umstanden.
An dem flachshaarigen Steuermann der „Anneke Bouts“ blieb sein Blick hängen.
„Friso?“ murmelte er. „Friso Eyck?“
„Ja, Henk. Wir sind unter Freunden, Engländern. Dies ist das Schiff Philip Hasard Killigrews, des Seewolfs.“
„Aber – eure ‚Anneke‘ – Meerens …“
„Kapitän Meerens ist tot. Wir liefen im Sturm auf ein Riff, und die Engländer halfen uns. Was ist geschehen, Henk? Was ist mit van Helder?“
Einen Moment schien der Blick des Verwundeten durch alles hindurchzugehen. Seine Lippen zuckten, die Kiefermuskeln traten wie Stränge hervor.
„Fünf spanische Galeonen“, stieß er hervor. „Und wir hatten im Sturm den Besanmast verloren. Einen der Dons konnten wir auf Tiefe schicken, und die anderen wissen jetzt auch, wer die Meergeusen sind.“ Er biß die Zähne zusammen und sog scharf die Luft ein. „Es waren zu viele. Die ‚Oranje‘ sank. Einen der Spanier haben wir noch geentert. Ich schwöre dir, Friso, da sind die Fetzen geflogen. Marius hat allein sechs oder sieben von den Kerlen niedergeschlagen, bevor er gefangengenommen wurde.“
„Er ist gefangen? Er lebt?“ Scharf und atemlos stieß der blonde Steuermann die Frage hervor, und in seine Augen trat jäh ein Hoffnungsschimmer.
„Ja, er lebt, das weiß ich genau. Er und sechs oder sieben andere. Ich war ein Stück ins Steuerbordhauptwant geklettert, um da einen Don herunterzuholen, der Marius von oben in den Nacken springen wollte, aber Marius nutzte es nichts mehr. Die letzten von uns gingen mit fliegenden Fahnen unter. Ich war als einziger noch bei Bewußtsein, und sie hatten mich nicht bemerkt. Da bin ich außenbords gesprungen …“
Er verstummte abrupt.
Ein langes Schweigen folgte seinen Worten. Friso Eyck hatte die Hände geballt, und in seinen blauen Augen brannte ein wildes Feuer.
„Wir holen ihn heraus“, flüsterte er. „Wir werden Marius van Helder befreien. Jan Joerdans ist noch da. Wir haben noch die ‚Hoek van Holland‘ …“
„Und wie willst du sie erreichen? Schwimmend?“
„Auf dem abgerissenen Schott, wenn es sein muß! Ich schwöre dir …“
„Ich schlage vor, daß Sie die Planken der ‚Isabella‘ vorziehen“, sagte Hasard trocken. „Die ist nämlich schneller als das Schott. Und viel Zeit wird Ihnen nicht bleiben.“
Friso Eyck wandte sich um. Seine hellen Augen brannten.
„Das – wollen Sie wirklich für uns tun?“ fragte er leise.
„Ja“, sagte Hasard nur. „Wir schulden den Geusen etwas.“
Dabei wanderte sein Blick nach Süden, wo er weit hinter der Kimm die spanische Küste wußte.
In ein paar Stunden konnten sie die Insel erreichen, wo Jan Joerdans mit der „Hoek van Holland“ wartete. Aber der Seewolf ahnte bereits, daß die Sache damit noch nicht vorbei sein würde.
Feuer flackerten auf der unübersichtlichen, wild zerklüfteten Hochfläche in den Kantabrischen Bergen.
Zikaden schrillten, Wind strich durch das niedrige Gestrüpp und die Kronen der Korkeichen. In einer Mulde zwischen den Felsen drängte sich ein Dutzend Zelte, und in einiger Entfernung waren die raschelnden Schritte von Wachtposten zu hören, die sich ablösten.
Hier in seinem versteckten, unzugänglichen Felsennest fühlte sich El Vasco völlig sicher.
Der baskische Rebellenführer kauerte am Feuer, hob ab und zu den Weinschlauch und ließ einen dünnen Strahl der roten, funkelnden Flüssigkeit in seine Kehle rinnen. Neben ihm hockte ein graubärtiger alter Mann auf den Fersen, dessen Gesicht wie aus dunkler Baumrinde geschnitzt wirkte. Ein junger Bursche zupfte gedankenverloren an den Saiten einer baskischen Soinua, doch das war eher Ausdruck nervöser Spannung und bestimmt nicht der Fröhlichkeit.
„Ein guter Plan“, sagte der Alte in seinem Eskuara-Dialekt. „Aber ein Plan voller Verrat. Machst du nicht deine Feinde stark, El Vasco?“
Das Saiteninstrument gab einen schrillen Ton von sich. Der Junge hob ruckartig den Kopf.
„Was scheren uns die Geusen? Kümmern sie sich um uns? Haben sie nicht immer nur genommen? Vorräte und Ausrüstung und unser Schweigen?“
Der Alte schüttelte den Kopf. „Sie kämpfen gegen die Spanier wie wir! Sie trauen uns. Es ist Verrat.“
„Nicht, wenn wir den Handel nur zum Schein abschließen“, sagte El Vasco langsam. „Ich lasse meinen Bruder nicht in den Händen Uvaldes, dieses blutigen Henkers. Entscheidet euch! Wir haben nicht viel Zeit, denn was immer passiert, wird bald geschehen. Es heißt, daß mehr als ein Dutzend Kriegsgaleonen die Anführer der Meergeusen jagen. Sie werden in der Zapato-Bucht Schutz suchen, wenn ihnen der Weg aus dem Golf verlegt wird. Und dann werden sie über kurz oder lang in der ‚Linterna Roja‘ auftauchen. Wir haben nur diese eine Chance.“
„Auf was warten wir dann?“ fragte der Junge mit der Soinua heftig.
„Ich stimme dafür“, meldete sich einer der Männer.
„Ich auch!“
„Ich ebenfalls!“
„Und ich …“
Erregung färbte die Stimmen. Hände wurden geballt, Augen entbrannten im Feuer jäher Entschlossenheit. Es war der Name gewesen, der ihre Zweifel besiegt hatte – der Name Benito Uvaldes, des Hafenkommandanten von Bilbao. Im Geiste sahen sie die mächtige graue Feste vor sich, die die Flußmündung bewachte und das Bild des Außenhafens Portugalete beherrschte. Kaum einer war unter ihnen, der in diesen Kerkern nicht einen Bruder, Vater, Sohn oder Freund wußte. Und der lange Kampf, dieser zermürbende, aussichtslose Kleinkrieg, hatte sie hart werden lassen. Hart gegen sich selbst, aber auch hart und gnadenlos gegen andere.
El Vascos tiefliegende dunkle Augen glühten.
Langsam stand er auf und blickte über das zerklüftete Plateau. Seine kleine, sehnige Gestalt erinnerte an federnden Stahl, und selbst die dunkle, verwitterte Haut schien sich straffer über den Wangenknochen zu spannen.
„Holà“, sagte er mit einer leisen, vibrierenden Stimme. „Wir brechen auf, sofort! Manuelo, die Pferde!“