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Sherwood

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Die Burg von Sherwood war schon alt gewesen, als der Rest der Welt noch jung war. Im Dunst der Vergangenheit, zu Zeiten des legendären Königs Richard Löwenherz war die Burg am Rande des damals angeblich riesigen und undurchdringlichen Sherwood Forrests gelegen und eher ein Heim für lichtscheues Gesindel, für Wegelagerer, Erpresser, Mordbrenner und andere mehr gewesen, denn eine Burg des Königreiches. Im Laufe der Jahrhunderte war sie bis auf die Grundmauern zerfallen, bis einer von König Edwards Vorfahren, der Britainenkönig Alfred, aus einer Laune heraus die Burg vor etwas mehr als dreitausend Jahren wieder hatte aufbauen lassen und dann eine Kaderschmiede in ihr einrichtete. Die Offiziere seines stehenden Heeres waren in Sherwood Castle gedrillt worden, ehe sie zu den Truppen stießen. Sherwood Castle war auch der Geburtsort der Tiermaskenkrieger und die Orden Wolf, Bär, Dachs, Luchs und Reiher hielten immer noch ihre Jahresfeiern in Sherwood Castle ab.

Sherwood Castle war schon seit langer Zeit einer von wenigen Standorten im weitgehend abgeholzten Reich Britain, an welchem noch Bäume wuchsen und es noch so etwas wie den Rest eines Waldes gab. Seit Edwards Amtsantritt aber war aus Sherwood der einzige Platz im gesamten Imperium Anglialbion geworden, den man noch als Waldbestand bezeichnen konnte. Den ständigen Quengeleien Borastas und – fast noch mehr – Chelidas Rechnung tragend, hatte der Großkönig erlassen, dass dieser letzte Wald des Imperiums ein Bannwald werde, in dem weder ein Baum gefällt noch Büsche gerodet werden durften. Der Bevölkerung an seinen Säumen war es gar bei Todesstrafe verboten, den Wald zu betreten.

In Sherwood Castle wuchs die letzte Hoffnung Edwards auf ein, den Kontinent einschließendes Imperium heran.

Er hatte noch während der iberischen Kriege angeordnet, dass etwas mehr als hundert junge Kriegerinnen und Krieger, ausschließlich britannischer Herkunft und aus besten und loyalsten Familien rekrutiert wurden und nun in Sherwood Castle von erfahrenen Offizieren, Veteranen der kontinentalen Feldzüge und Eroberungen eine Ausbildung erhielten. Offiziell wurden in Sherwood Castle also nach wie vor Führungseliten für das imperiale Heer geschult, doch in Wirklichkeit entstand dort das Schwert, das – so hatte es der Großkönig einmal formuliert – der vielköpfigen Hydra der kontinentalen Herrscherhäuser mit einem gewaltigen Schlag alle Köpfe nehmen sollte.

Edward war stolz auf seine Idee und wie sie von den Veteranen umgesetzt wurde. Was sie aus den jungen Britain gemacht hatten und noch machten, entsprach ganz exakt den Vorgaben des Großkönigs. Diese jungen Kriegerinnen und Krieger wurden auf die unumstößliche Treue zu ihrem Großkönig getrimmt und waren ihm auch als alleinigem Oberbefehlshaber direkt unterstellt. Zwischen Edward und den Ausbildern gab es keine Zwischeninstanzen. Sie berichteten nur dem Großkönig und nahmen – wie eine Leibgarde – ausschließlich vom Großkönig Befehle entgegen.

So entstand also eine weitere Kriegerelite im Königreich Britain und erhielt in Sherwood Castle eine vielfältige und ausgesprochen konsequente Ausbildung, die weit mehr umfasste, als die gewöhnliche Ausbildung eines Maskenkriegers.

Die Ausbildung an den Waffen war natürlich enthalten, doch sie stellte nur das Fundament des gesamten Drills dar. Höfisches Benehmen, diplomatische Schulung und Sprachen gehörten genauso zum Programm, wie die Kunst des waffenlosen Tötens und – als Sahnehäubchen oben drauf – der Umgang mit den unterschiedlichsten Giften und deren Herstellung. Und natürlich waren die Schüler alle mehr oder weniger begabte Adepten der Telepathie. Nur mit Hilfe der Telepathie war es möglich, die Maßnahmen an den einzelnen Höfen so zu koordinieren, dass alle Staatsoberhäupter, alle Könige, Fürsten und sonstigen Anführer auf dem Kontinent in genau demselben Augenblick getötet wurden.

Edward hatte nie vorgehabt, seinen Enthauptungsschlag offen und in Form einer militärischen Operation durchzuführen. Sein Plan sah vor, die Entmachtung der Gegner mit den Mitteln des Terrors und des heimtückischen Anschlags durchzuführen und genau dazu wurden die Kriegerinnen und Krieger in Sherwood Castle ausgebildet. Aber mehr noch, denn jedes einzelne Mitglied dieser Truppe war in der Lage, sofort nach dem gelungenen Anschlag in die Rolle des jeweiligen Regenten, des königlichen Statthalters zu schlüpfen und die Führung über das Land, die Region, die Ansiedlung zu übernehmen, in dem seine Waffen gerade eben zugeschlagen hatten. Edward ließ eine Hundertschaft hoch begabter und bestens geschulter königlicher Assassinen heran ziehen.

An der Spitze seiner Suite ritt der Großkönig nun also zu einer unangekündigten Inspektion nach Sherwood Castle. Obwohl sich Britain und sein Wetter von seiner schlimmsten Seite zeigten, wurde Edward immer lockerer, immer aufgeräumter und zu guter Letzt sogar fröhlich, je mehr sie sich Sherwood Castle näherten.

Der Großkönig wurde von seinen wichtigsten Höflingen begleitet, wobei die Wichtigkeit seiner Begleiter nichts mit dem Amt zu tun hatte, das diese Höflinge bekleideten. Sie waren vielmehr in allererster Linie als Speichellecker und Zuträger Edwards von Bedeutung, sie waren diejenigen, die scheinbar treu und fest zum Großkönig und seinen kontinentalen Eroberungsplänen standen. Dabei war es nicht von Bedeutung, dass die Mehrzahl der königlichen Anhänger noch von Edwards ehemaligen Gemahlin Machilla ausgesucht und protegiert worden waren. Sie stärkten ihm und seinen Plänen den Rücken und deshalb standen sie in seiner Gunst. Wie weit ihre Loyalität tatsächlich reichte, wollte der Großkönig gar nicht wissen.

„Menschen und vor allem Höflinge sind wie die Steine eines Spieles. Man benutzt sie, man setzt sie zu seinem Vorteil ein und opfert sie schon auch mal aus strategischen Gründen einem Angriff des Feindes. Hast du jemals von einem Spielstein Loyalität verlangt?“

So hatte es der Großkönig einmal seiner Tochter und Kanzlerin Chelida gegenüber formuliert, als sie darüber sprachen, nach welchen Kriterien er seinen Hofstaat ausgesucht hatte. Solange seine Anhänger die ihnen übertragenen Pflichten zur Förderung Edwards Ideen getreulich wahrnahmen, spielte es keine Rolle, ob sie darüber hinaus auch noch ihre eigenen Vorteile zogen und zu Gunsten eigener Interessen intrigierten. Nur wenn des Großkönigs Interessen hinter die jeweils privaten Aktivitäten gestellt wurden, wurde Edward ungehalten, ein Höfling, der sich so verhielt, bekam sehr rasch mit, wie treu Edward sich selbst und seinen Maximen sein konnte. Der Austausch ging dann schnell, reibungslos und endgültig vonstatten und die Besitztümer der ausgetauschten Höflings vielen der Krone zu. Bislang hatte nämlich noch kein Höfling seinen Austausch überlebt und die Familie eines solchen Delinquenten hatte ebenfalls nicht mehr viel Freude am Leben im Imperium.

An der Spitze seines Hofstaates folgte der Kämmerer Rodeport dem Großkönig. Er war nach wie vor Edwards engster Vertrauter und Bettgefährte, er hatte die Finanzen des Großkönigs zu verwalten und hielt damit neben der Kanzlerin die entscheidende Schlüsselposition im Imperium besetzt. Rodeports Ehegattin, Mutter seiner vier anerkannten Kinder und Tochter des walisischen Königs war Miracala und sie war die Herrin über das Hofzeremoniell. Auch sie teilte - oftmals zusammen mit Rodeport - das Bett des Königs. Der alte Bengt Oleson stammte ursprünglich aus dem Reiche Dansk, allerdings konnte selbst er sich nicht mehr daran erinnern, wann er dieses Reich im Norden des Kontinents verlassen hatte. Bengt war der oberste Prälat und damit Herr über die – klein gewordene - Riege der Telepathen, die Edward noch zur Verfügung stand. Gunthari of Port war ein eleganter Reiter und Maskenkrieger aus dem Clan des Dachses und der Waffenmeister Edwards. Als bevorzugter Fechtpartner des Großkönigs wusste er mehr als jeder andere am Hof über die mentalen und körperlichen Stärken und Schwächen des Großkönigs Bescheid.

Diese vier Menschen stellten den engsten Zirkel um den Großkönig dar. Nur wer ihre Protektion besaß, konnte bis in den zweiten Kreis aufsteigen, zu dem ein Dutzend – sieben Männer und fünf Frauen - gehörten, die im Grunde keine echte Funktion in der Verwaltung besaßen sondern sich als persönliche Berater des Imperators betrachten durften. Allerdings, wenn einer dieser Berater sich die Mühe gemacht hätte nachzurechnen, wie oft seine Ratschläge befolgt worden waren, wäre das Ergebnis meist niederschmetternd gewesen. Edward war ein Despot und befolgte letztendlich nur die Eingebungen eines einzigen Gehirns, nämlich seines eigenen. Er hielt sich das Dutzend Berater streng genommen nur aus dem Grund, weil er sich sonst einsam gefühlt hätte und weil er glaubte, der Großkönig eines Imperiums verbreite ohne einen solchen Beraterstab nicht genügend Glanz.

Erschwerend kam noch hinzu, dass die Angehörigen dieser beiden Zirkel einen recht hohen Preis für ihre herausragende Stellung bezahlen mussten. Wo Edward hin ging, mussten auch sie hingehen und dieser Umstand behagte längst nicht allen Angehörigen der Zirkel. Aber wer gute Miene zum Spiel machte, brauchte sich nach einiger Zeit um seinen wirtschaftlichen Status keine Sorgen mehr zu machen.

Es regnete in Strömen und die achtzehn Angehörigen der Suite folgten dem gutgelaunten Großkönig mit weit weniger Freude am Leben. Der Regen war eisig und die Tiere der königlichen Karawane – neunzehn Reitpferde, zehn Reservepferde und zehn Packtiere - stampften mit hängenden Köpfen durch den Schlamm der Straßen und Wege, die von Winchester aus nach Nordwesten führten, an den Rand des alten Forstes von Sherwood. Schneller als Schritt zu reiten wäre auf den schlammigen und schlüpfrigen Wegen ausgesprochen gefährlich gewesen für die Gesundheit von Mensch und Tier, da war es besser, das miserable Wetter in langsamem Tempo zu ertragen. Mensch und Tier hatten sich in die Situation gefügt, doch die Laune aller glich exakt dem Wetter.

Nur der Großkönig hatte glänzend gute Laune. Er lachte manchmal scheinbar grundlos vor sich hin, er summte kleine Melodien oder versuchte seinen Begleitern witzige Unterhaltungen abzuringen. Doch er blieb der Einzige mit guter Laune und Lust auf Unterhaltung.

Edwards gute Laune hatte einen ganz konkreten Grund.

Vor wenigen Tagen war ein Bote aus Sherwood Castle am Hof zu Winchester aufgetaucht. Der Großkönig war von seinem Obrist Rigotal Shifford, einem Vetter des in Granada ums Leben gekommenen Thomas, in Kenntnis gesetzt worden, dass die Ausbildung der königlichen Assassinen in längstens sechs Monaten abgeschlossen sein würde. Dann konnte man die jungen Leute endlich hinaus schicken, damit sie ihren Auftrag ausführten. Rigotal Shifford bat den König doch gelegentlich zu einer Zwischenexaminierung nach Sherwood Castle zu kommen.

Edward freute sich, denn sein geheimer Plan konnte also in wenigen Monaten gestartet werden. Er beschloss, Rigotal deswegen besonders zu loben und ihm auch eine entsprechende Belohnung zuwachsen zu lassen.

Der Obrist Rigotal war mehr als doppelt so alt, wie es Thomas Shifford gewesen war und er war der Mentor dieses brutalen Eroberers und hemmungslosen Schlächters gewesen, der zuletzt in Almeria eine Schreckensherrschaft und in Granada grauenhaftesten Terror zelebriert hatte. Rigotal war es gewesen, der die Härte und Kompromisslosigkeit im Charakter des jungen Thomas erkannt und in langwieriger Kleinarbeit gefördert und zu Recht geschliffen hatte. Niemand im Imperium kam Rigotal gleich, wenn es darum ging, sich Terror, Repressalien und Todesarten auszudenken. Ebenso gab es im gesamten Imperium auch niemand, der mehr über die Gepflogenheiten an den wichtigsten Höfen des Kontinents wusste. Er war an allen Höfen gewesen, er hatte mit den Polska und den Bulgar verhandelt, er hatte sich in Potsdam und Wien aufgehalten und in der Burg zu Pest hatte er ebenso seine Spuren hinterlassen, wie in Zagreb, In Beograd und Laibach. Der König von Franca war sein Duzfreund und Saufkumpan gewesen und solange in Lisboa noch König Alfons geherrscht hatte, hatte Rigotal als einer von den am besten informierten Menschen im lusitanischen Königreich gegolten.

Der ganze Zug tropfte vor Nässe, als sie am späten Nachmittag das Tor zur Burg von Sherwood erreicht hatten und aus Edwards guter Laune wäre um Haaresbreite einer seiner gefürchteten Zornausbrüche geworden, als der Offizier der Wache nicht sofort auf das königliche Wappen reagierte und sie einließ. Erst als Edward so nahe an das Guckloch im Tor ritt, dass der Offizier seine Gesichtszüge erkennen konnte, wurde eilends das Tor entriegelt und geöffnet. Als die königliche Suite dann endlich durch die etwa sechs Schritte dicke Mauer hindurch geritten war, empfing sie im Hof der Burg auch schon der Obrist Rigotal Shifford, den der Wachoffizier in aller Eile hatte verständigen lassen. Rigotal schaffte es mit der ihm eigenen Verbindlichkeit, den Wachoffizier vorerst aus der Schusslinie des Großkönigs zu bringen und als die ganze Reisegesellschaft dann abgesessen war und sich auf dem Weg in den Burgsaal befand, war der Unglückliche beinahe schon wieder vergessen.

Obwohl Sherwood Castle eine sehr alte Burg war und von außen betrachtet alles andere als luxuriös aussah, herrschte im Inneren ein Luxus, den selbst der Palast zu Winchester nicht bieten konnte. Die Burg war auf einem flachen Hügel gebaut worden und an der Spitze dieses Hügels, ziemlich genau in der Mitte der Burg, ragte eine Röhre aus dem Hügel, aus der ununterbrochen ein Gas strömte, das nicht nur nach faulen Eiern stank, sondern auch ausgezeichnet brannte. Der findige Baumeister der Burg hatte dieses Gas über ein bleiernes Röhrensystem in alle Zimmer der Burg geleitet und befeuerten damit die dort eingebauten Kamine. Seit mehr als dreitausend Jahren brannten die Gasflammen in diesen Kaminen und so war es in der gesamten Burg mollig warm und trocken.

Die königliche Suite war froh, sich in dieser behaglichen Wärme vom strömenden Regen erholen zu können und es gab niemand im Gefolge des Königs, der nicht einverstanden gewesen wäre, an Rigotals Stelle zu treten und die Leitung von Sherwood Castle zu übernehmen. Doch daran war nicht zu denken, denn der gesamte Shifford– Clan - und damit auch Rigotal - genoss das unerschütterliche Vertrauen des Königs. Erst wenn die königlichen Assassinen zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf den Kontinent unterwegs waren, konnte neu über die Verwendung von Sherwood Castle nachgedacht werden. Doch bis dahin konnte noch so viel geschehen….

Rigotal war nicht nur ein weit gereister Diplomat gewesen, er war auch klug genug, sich immer genügend Vorräte zu halten, um auf einen solchen Überraschungsbesuch seines Dienstherrn reagieren zu können. Unverzüglich wurden der Reisegesellschaft Zimmer zugeteilt, in denen sie sich während ihres Aufenthalts auf der Burg einrichten konnten. In jedem dieser Zimmer gab es ein Bad mit einer großen Badewanne aus Bronze und heißes Wasser war dank der Gasflammen auf Sherwood Castle immer und im Überfluss vorhanden. So war die gesamte Suite wieder in bester Stimmung, als sie sich zum Ende des Tages im großen Saal zu einem fürstlichen Dinner trafen. Im Saal gab es fünf große Kamine und mindestens hundert, ebenfalls mit Gas befeuerte Lampen und dadurch war es so warm, dass es durchaus sinnvoll war, sich hier nur leicht bekleidet aufzuhalten. Rigotal hatte sich aus ein beachtlich großes Weinlager in den Gewölben der Burg angelegt, als die Versorgung mit Waren und Gütern vom Kontinent her noch leistungsfähig und Lieferungen im Überfluss zur Verfügung standen.

Wärme, gutes Essen und ausreichend Wein aus den besten südlichen Lagen des Kontinents, leicht bekleidete Frauen und Männer, das alles zusammen führte dazu, dass im Saal der Burg trotz Anwesenheit des Großkönigs keine wirklich ernsthafte Stimmung aufkommen wollte. So artete der Beginn der königlichen Inspektion letztendlich zu einer Orgie im großen Saal der Burg aus, an der sich bis auf zwei Menschen schon bald alle Anwesenden – auch die Dienerschaft – beteiligten. Lediglich der Großkönig selbst und der Obrist Rigotal hielten sich vornehm zurück und verschwanden dann aus dem Saal, als sicher war, dass kaum jemand von den Anderen ihr Verschwinden bemerken würde.

Rigotal hatte den Großkönig in sein eigenes Schreibzimmer geführt, dort saßen sie nun einander in bequemen Scherenstühlen gegenüber und Edward wollte wissen:

„Nun mein Freund, ihr habt mich gebeten, ich solle mir Mäßigung bei den Genüssen im Saal auferlegen, da wir etwas wichtiges zu besprechen hätten. Ich habe euch den Gefallen getan, nun will ich aber auch den Grund für meinen Verzicht wissen. Berichtet.“

Rigotal trug sein rotbraunes Haar lang und offen, sein energisches Kinn und der schmallippige Mund wurden von einem gepflegten und sorgfältig getrimmten Spitzbart sowohl kaschiert als auch betont, seine lange, leicht gebogene Nase stellte für jeden Gegenüber ein Blickfang dar, der von den eiskalten, graublauen Augen Rigobarts ein wenig ablenkte. Er war ein großer und stattlicher Mann, ein Krieger, was aus jeder seiner Bewegungen sprach und doch auch ein Denker, ein Planer, ein Stratege. Vor allem aber ein hervorragender Ränkeschmied. Seine Kleidung war von bester Qualität und feinster Machart, selbst des Königs Kleidung war nicht besser. Nun saß er seinem König gegenüber, strich sich mit der Kuppe seines rechten Zeigefingers immer wieder über den Nasenrücken, ehe er nach einigem Überlegen antwortete:

„Majestät, Ihr wisst – und Ihr habt es sogar genehmigt – dass ich im gesamten Imperium über ausgezeichnete Kontakte verfüge und überall Zuträger und Informanten sitzen habe. Auch verfüge ich über ein nahezu abhörsicheres Informationssystem, denn ich nutze meine Tauben anstatt der sonst üblichen Telepathie und niemand weiß, dass meine Tauben nicht der Unterhaltung dienen, sondern der Nachrichtenübermittlung. So verfüge ich über einen ununterbrochenen Fluss von Informationen aus dem gesamten Imperium.“

„Ja, all das ist mir bekannt und du musst es nicht bei jeder unserer Begegnungen neu erläutern. Ich weiß, dass ich in dir einen guten Mann habe und ich weiß jeden deiner Dienste auch zu schätzen. Aber jetzt komm zur Sache.“

„Nun gut, doch was ich Euch heute berichten darf, ist von solcher Bedeutung, dass ich nicht umhin kann, Euch Majestät, vorab einen Gefallen abzuhandeln.“

„Einen Gefallen vorab? Du glaubst, du kannst meiner Großzügigkeit nicht vertrauen?“

„Eurer Großzügigkeit schon. Doch diese Eure Großzügigkeit erfüllt nicht immer den Grad meiner Erwartungen. Selbstverständlich gebe ich zu, dass meine Erwartungen auch manchmal sehr hoch angesiedelt sind. In diesem ganz speziellen Fall will ich von Euch, mein König und Imperator, vorab ein Versprechen, damit sich meine Erwartung und Eure Großzügigkeit besser im Einklang befinden.“

„Und was wäre es, was du dir wünschst?“

„Wenn unsere Pläne erfolgreich verlaufen – woran ich nicht zweifle – möchte ich, dass Ihr ohne darüber nachzudenken, mich zum Vizekönig von Al Andalus ernennt. Nicht einer Eurer Speichellecker und unfähigen Höflinge, keines Eurer zahlreichen Kinder und Enkelkinder und auch keiner aus Eurer sonstigen Verwandtschaft oder Eurem Freundeskreis soll diesen Posten erhalten, nur ich.“

Edward sah den Obristen sinnend ein paar Atemzüge lang an, dann murmelte er mehr zu sich selbst als auch an Rigotal gerichtet:

„So ist das also? Unser lieber Rigotal Shifford ist doch nicht so ganz der selbstlose, loyale Diener des Großkönigs, für den ich ihn immer gehalten habe ….“

„Majestät, ich bitte Euch! Selbstverständlich bin ich Euch durch und durch treu und absolut loyal. Doch Selbstlosigkeit kann ich mir auf Dauer nicht leisten. Auch ich habe Familie und Verpflichtungen und auch ich muss für mehr als für mich allein sorgen. Außerdem glaube ich, dass Al Andalus einen strengen Herrn braucht und niemand eignet sich dafür besser als ich!“

„Rigotal, du wärst kein strenger Herr, du wärst ein mörderischer Sklaventreiber, der das Land ziemlich bald in ein unwiderrufliches Chaos regieren würde. Dennoch werde ich darüber nachdenken, wie ich deinen Wunsch erfüllen kann, wenn es soweit ist. Allerdings nur, wenn sich deine Informationen auch als wirklich wertvoll heraus stellen. Was also hast du mir zu berichten?“

Rigotal musterte das Gesicht seines Großkönigs voller – zwar gut verborgenen aber eindeutig vorhandenen – Misstrauen, dann fragte er nach:

„Ich habe Euer Wort?“

„Du hast mein Wort, ja. Jetzt aber spann mich nicht weiter auf die Folter. Was weißt du, das von derart großer Bedeutung wäre?“

Noch einmal zögerte Rigotal, dann aber ging ein Ruck durch ihn und er antwortete:

„Was wisst ihr über den Aufenthalt Eurer früheren Königin, über Machilla?“

„Nichts. Weißt du etwas über sie?“

Wieder zögerte Rigotal, wieder musste er sich wohl erst innerlich überzeugen, doch dann begann er flüssig zu reden, zu erzählen.

Shandra el Guerrero

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