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Göttin des Meeres

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Die Frau hatte einen harten, einen anstrengenden und abenteuerlichen Weg hinter sich gebracht. Einen Weg, den außer ihr wohl niemand hätte bewältigen können, denn sie hatte sich ausschließlich im Wasser bewegt.

Sie wusste nicht, was den alten Mann dazu bewegt hatte, sie zusätzlich zu den menschlichen Attributen auch noch mit den Eigenschaften einer Amphibie auszustatten. Zwischen ihren Zehen und auch zwischen den Fingern besaß die Frau dünne und dennoch sehr widerstandsfähige Schwimmhäute, sie war in der Lage ihren Stoffwechsel und ihre Körpertemperatur an das Leben im Wasser anzupassen und sie besaß Kiemen, die es ihr ermöglichten unter Wasser zu atmen. Kiemen, die ihr Erzeuger ganz geschickt hinter ihren Ohren und damit unter den dichten, goldblonden Flechten versteckt hatte, die ihren Kopf bedeckten. Jahrelang hatte sie am Hof zu Winchester und permanent unter Menschen gelebt, ohne dass ihre Besonderheiten jemand aufgefallen wären. Zumindest hatte sich nie jemand entsprechend geäußert. Nur ihr Mann hatte gewusst, dass ihr Menschsein nicht dem entsprach, was Naturgeborene auszeichnet. Aber auch ihm war verborgen geblieben, dass sie eine Geklonte aus Ninive war, er hatte sie für eine - für die – letzte Atlantidin gehalten.

Die Frau dachte zurück. Die jüngste Vergangenheit lief noch einmal in lebhaften Bildern vor ihrem inneren Auge ab.

Sie, Machilla, war viele Jahre lang die ungekrönte Königin, die weiße Rose von Winchester, gewesen und König Edward hatte ihr aus der Hand gefressen. Als seine Gemahlin hatte sie es geschafft, dass er alle seine anderen Frauen, mit denen er zumeist aus politischen Gründen verheiratet war, aus dem Weg geräumt hatte. So war sie zur letzten Instanz oberhalb des Königs geworden, denn was immer er entschied, er beriet sich in den gemeinsamen Nächten mit ihr, Machilla, der weißen Rose von Winchester. Jahrelang war alles zu ihrer besten Zufriedenheit verlaufen, doch dann waren unvermutet Schwierigkeiten aufgetaucht, mit denen niemand, auch nicht ihr Erzeuger hatte rechnen können. Dieser neunmal verfluchte Shandra el Guerrero hatte alle ihre sorgfältig vorbereiteten Pläne praktisch aus dem Handgelenk heraus zunichte gemacht….

Machilla saß im Sand der Wanderdünen, von deren Hügel das Küstenbild der großen Insel Jersey bestimmt wurde und sah hinaus in die bleigraue Wasserwüste des Atlantik, durch dessen Wellen sie tagelang geschwommen war, ehe sie die große Insel erreicht und wieder einmal an Land gehen konnte.

Sie war mit minimalem Ballast gereist, denn der Beginn ihrer Reise war eine Flucht gewesen, keine planvolle Abreise einer Königin. Immer noch kochte die Wut, der blanke Hass in ihr hoch, wenn sie daran dachte, wie der König ihr plötzlich seine Tochter Chelida vor die Nase gesetzt und diese zur Kanzlerin gemacht hatte, anstatt das Amt ihr zu geben, der Frau, der er ganz sicher mehr verdankte als sonst jemand auf der Welt.

Die Kleider, die sie bei ihrer Flucht getragen hatte, waren längst zerstört, denn kaum eine von Mensch hergestellte Kleidung ist für eine derartige Reise geeignet, wie sie hinter Machilla lag. Sie hatte sich passende Kleidung aus den Häuten der wenigen Fische gemacht, die sie auf ihrer Reise erlegen konnte und weil es so wenige und vor allem kaum genügend große Fische in den Gewässern Britains gab, war Machilla nur sehr spärlich bekleidet. Eine Art dünnes Brusttuch war um ihren Oberkörper geschlungen und bedeckte ihre vollen Brüste, während sie um die Hüften einen Lendenschurz trug, der kaum groß genug war, um ihren muskulösen Hintern zu bedecken.

Sie war barfuß, denn Schuhe hatte sie schon immer verabscheut. Die Schwimmhäute zwischen ihren Zehen störten stets, wenn sie in einen Schuh schlüpfen musste und im Sand der Insel würde sie auch keine Schuhe brauchen.

Machillas Kleidungsstücke waren aus der Haut eines alten Wels gemacht und schillerten in der blassen Sonne grau und blaugrün und wer Machilla gesehen hätte, wäre wohl unvermeidlich auf die Idee gekommen, ein Fabelwesen, eine Nixe zu beobachten. Doch auf Jersey wurde man nicht gesehen, denn auf Jersey lebten keine Menschen. Schafe und Ziegen, Kaninchen und diverse Vogelarten, ein paar Dachse und Füchse und sie alle wussten wohl nichts von solchen Fabelwesen.

Das einzige was an Machilla zivilisiert aussah, war das große Schwert, das sie auf den Rücken geschnallt trug. Zum Schutz vor der Nässe war auch das Schwert vollständig in einen Hülle aus der Haut eines alten Karpfens eingenäht worden.

Nun saß sie im Sand der Dünen und ließ ihre Reise noch einmal vor ihren inneren Augen ablaufen.

Sie war bei Nacht in den See von Winchester getaucht und dann den kleinen Fluss hinab geschwommen, der den Abfluss des Sees bildete. Den Gesetzen der Natur folgend, mündete dieser Fluss in einen größeren und dieser wiederum in einen größeren und nach mehreren Tagen hatte sie den Strom erreicht, der sie zum Meer bringen würde, die Themse. Ursprünglich war Machilla davon ausgegangen, dass sie das Meer in fünf oder höchstens sechs Tagen erreichen würde, doch aus den Tagen waren Wochen und Monate geworden, denn Machilla war zweimal so krank geworden, dass sie beinahe gestorben wäre.

Die Gewässer Britains waren Kloaken!

Stinkende, verseuchte und verdreckte Gerinne die Bäche und Flüsse, noch schlimmer die Tümpel und Seen, auf die sie traf. Schon am dritten Tag nach ihrer Flucht aus Winchester war sie nur noch unter grässlichen Schmerzen in der Lage, sich zu bewegen. Zwei Tage später hatten die Krämpfe eingesetzt und sie durchgeschüttelt und sie hatte so hohes Fieber bekommen, dass sie kaum mehr die Hand vor ihren Augen erkennen konnte, weil dort feurige Räder und grelle Blitze einen schaurigen Reigen tanzten. Machilla war aus dem Fluss gekrochen und hatte sich im Unterholz des Uferwaldes versteckt um fünf Tage lang mit ihrer Krankheit zu kämpfen. Zu essen hatte sie nichts und zu trinken nur das bisschen Regenwasser, das sie von den Blättern der Büsche leckte oder das stinkende Giftwasser des Flusses. Schwer zu sagen, weshalb sie überlebt hatte, doch am Ende des fünften Tages waren ihre Blicke plötzlich wieder klarer geworden und das Fieber ging zurück. Am Morgen des sechsten Tages kroch sie aus dem Gebüsch und ließ sich wieder ins Wasser des Flusses gleiten, um ihre unterbrochene Reise fortzusetzen.

Ein gewaltiger Fehler, wie sich schon wenige Tage später heraus stellte. Ihre gesamte Konstitution war durch die Infektionen und Vergiftungen so miserabel geworden, dass die Krankheit sie erneut einholte. Ihr Körper war seiner sämtlichen Abwehrkräfte beraubt und die Alarmsignale wurden immer stärker und heftiger. Ihre Muskeln verkrampften sich, sämtliche Bänder und Sehnen brannten bei jeder Bewegung wie Feuer und von den Gelenken tobten Wellen rasenden Schmerzes durch ihren ganzen Körper.

Dieser Rückfall war bei weitem schlimmer als die erste Erkrankung und Machilla wäre vermutlich gestorben, wenn nicht eine glückliche Fügung des Schicksals ihren schlaffen Körper in einen Seitenarm des Flusses gespült hätte, in ein Totwasser, an dessen Ende eine Holzhütte stand in der eine Fischerin ihr klägliches Dasein fristete. Eine alte Frau, verhärmt und halb verhungert aber dennoch bei weitem gesünder als Machilla. Die Alte zog die bewusstlose Frau aus dem Wasser, schleppte den schlaffen Körper in ihre Hütte und unternahm gegen alle Vernunft den Versuch, den letzten Rest Lebens in Machillas Körper festzuhalten und diesen vom Fluss vergifteten Körper wieder nach und nach zu kräftigen und Machilla auf diese Weise in kleinen Schritten ins Leben zurück zu holen.

Sieben volle Monate und darüber hinaus noch achtzehn Tage hatte Machilla mit dem Tod gerungen und am Ende hatten sie und die Alte tatsächlich gesiegt. Machilla wurde wieder vollständig gesund und – ein unerwarteter Zusatzerfolg – absolut immun gegen die Gifte der Gewässer.

Ihre Kleider waren zerfetzt und verfault und es gab nirgendwo im weiten Umkreis die Möglichkeit, sich Ersatzkleidung zu beschaffen. Ihre Gastgeberin schlug vor, sie sollte sich doch aus der Haut eines großen Fisches Kleidung herstellen. Die Alte betrachtete dieses Material als geeigneter als alle anderen Alternativen, da Machilla ja ohnehin vorhatte, ihre Reise im und unter Wasser fortzusetzen. So stieg sie wieder in den Fluss und machte sich auf die Suche nach großen Fischen und siehe da, die alte Frau wusste, wovon sie redete. Auf dem Grund des Flusses, der hier bereits gut zehn Schritte tief war, lebten ein paar große Bartenwelse und eine Reihe fetter, alter Karpfen. Sie erlegte einen der mehr als mannslangen Welse und einen der fetten Karpfen mit einem, aus einem Messer und einem Stock gebastelten Speer. Mit Hilfe der Alten gerbte sie die beiden Fischhäute und aus dem dadurch entstandenen, dünnen Leder fertigte sie ihr Brusttuch und den Lendenschurz, sowie die Schutzhülle für das Schwert.

Zehn Monate war sie letztendlich Gast der alten Frau am Fluss, dann fühlte sie sich wieder stark genug um ihre Reise fortzusetzen. Ihr Ziel war das Meer, erst wenn sie das Salz des Atlantiks schmeckte, so sagte Machilla, würde sie sich über weitere Ziele Gedanken machen.

Die Alte erzählte ihr von einem ihrer Brüder, der an der Küste lebte und dort ebenfalls seinen Lebensunterhalt als Fischer zu fristen versuchte und empfahl Machilla, sich mit diesem Bruder zu treffen. Er wusste bestimmt über unbewohnte Inseln im großen, grünen Atlantik Bescheid.

Machillas Abschied von der Alten fiel kurz und knapp aus, ohne große Worte und ohne Geschenke oder gar Bezahlung, denn sie besaß ja nichts, womit sie sich für die Hilfe hätte erkenntlich zeigen können.

Machilla hatte durch ihre Krankheit so viel unwiederbringliche Zeit verloren, dass sie ihre Reise ohne jede Hast fortsetzen konnte. Dennoch war sie erheblich schneller unterwegs, als zum Beispiel ein reitender Bote, der den Landweg nahm.

Zehn Tage später hatte sie die Mündung der Themse erreicht und das Salzwasser des Atlantik, das wesentlich sauberer als die Binnengewässer der Insel war, umspülte ihren Körper wohltuend. Der Reichtum an Fischen und anderem Meeresgetier war groß genug, um Machilla jeden Tag eine erfolgreiche Jagd zu ermöglichen und jetzt erst begann ihr Körper wieder echte Substanz aufzubauen. Sie folgte der Küste drei Tage lang bis an die Spitze der Landzunge, die den südwestlichsten Punkt der Insel Anglialbion bildete. Sie umrundete dieses Kap und schwamm einen ganzen und einen halben Tag lang nach Nordosten, bis sie den von der Alten beschriebenen Nadelfelsen erreichte, an dessen Fuß der Bruder ihrer Krankenpflegerin lebte.

Machilla stieg aus dem Meer und fand auf Grund der guten Beschreibung die ihr die alter Frau am Fluss gegeben hatte, recht rasch die kleine Bucht, an deren Ufer das aus Treibholz gebaute Haus stand in dem der Bruder der Alten lebte. Der Mann war zu Hause und erstaunlicherweise auf Machillas Besuch vorbereitet. Machilla war nie aufgefallen, dass die Alte telepathische Kräfte besessen hatte. Doch nur auf diese Art konnte eine Nachricht schneller in das Haus an der Küste gelangt sein, als Machilla.

Der Mann lebte nicht weniger einsam und zurück gezogen, als seine Schwester und auch er war schon sehr alt, obwohl er mit weniger Jahre belastet war, als seine Schwester. Er empfing die fremdartige Frau nicht mit offenen Armen, doch er war auch nicht übermäßig abweisend. Machilla erfuhr von ihm, was sie wissen wollte.

Auf der anderen Seite der Meerenge, die man auch den „Kanal“ nannte, vor der Küste des Landes Franca gab es zwei größere und eine ganze Reihe kleinerer Inseln, die von Menschen völlig unbewohnt waren. Die größte dieser Inseln hieß Jersey und auf Grund der Beschreibung des alten Mannes kam Machilla zu dem Entschluss, dass diese Insel genau das richtige Zwischenziel bildete, um sich zu erholen und auf die Rache vorzubereiten.

Schon am nächsten Morgen tauchte sie wieder in die Wellen des Atlantiks ein und schwamm ohne zu zögern ins offene Meer hinaus. Sie hatte sich alle Informationen genau eingeprägt, die sie von dem alten Mann erhalten hatte. Sie wusste, welchen Sternbildern sie bei Nacht und welcher Himmelsrichtung sie bei Tag folgen musste. Niemand kannte außer ihr selbst das Ziel, dem sie zustrebte, denn als sie die Hütte des Fischers verließ, blieb nur ein Leichnam zurück.

Sie zog ihre Bahnen in den Wellen des Atlantiks, als hätte sie niemals etwas anderes getan. In gleichmäßigem Tempo schwamm sie dahin, nur ab und zu unterbrach sie ihre Reise für kurze Zeit, fing sich einen Fisch oder ein paar Krabben, um sich dann, wenn sie sich an ihrer Beute gesättigt hatte, für eine Weile einfach nur an der Wasseroberfläche treiben zu lassen. Sie spürte, wie ihr Körper sich in diesen Pausen entspannte und von den Anstrengungen des Schwimmens erholte.

Machilla staunte über sich selbst und verstand nicht wirklich, wie es ihr gelang, sich so schnell und so vollständig dem Leben im Salzwasser des Ozeans anzupassen. Sie lernte die anderen Meeresbewohner kennen und wusste, wem sie mit Vorsicht begegnen musste und wer ihr freundlich gesinnt war. Dabei machte sie eine ganz und gar erstaunliche Entdeckung. Es gab Tiere im Meer, die sich durch eine hohe Intelligenz auszeichneten. Die schlanken Delfine, die kräftigen Tümmler, die gefräßigen Orcas und die gewaltigen Blau- und Pottwale, sie alle waren kluge und - von den Orcas abgesehen - friedliebende, sanfte Lebewesen. Doch gerade diese Lebewesen gingen ihr aus dem Weg. Sie fand keinen Kontakt zu ihnen. Auch nicht zu den Seehunden und Robben. Mühelosen Kontakt dagegen fand sie bei den stärksten, schnellsten und wildesten Jägern des Ozeans, den Haien. Haie schwammen in zahlreichen Arten und unterschiedlichsten Größen im Ozean herum. Machilla fand zwar heraus, dass die Haie nicht gerade als intelligent zu bezeichnen waren, doch ihre Sinne und Instinkte waren perfekt an das Leben im Ozean angepasst, sie waren unglaubliche Schwimmer und unschlagbare Jäger.

Machilla bewunderte die Haie und die Haie schienen sie zu mögen. Sie und die Haie wurden erstaunlich gute Freunde, obwohl die großen Jäger eigentlich Einzelgänger waren und sich die Annäherung eines anderen Lebewesens nur zögerlich gefallen ließen. Da war nichts von der verspielten Geselligkeit der Tümmler und Delfine zu finden, dennoch durfte Machilla sich jederzeit einem Hai nähern und sich sogar an einer seiner Flossen festhalten, um sich ein Stück weit mitziehen zu lassen. Allerdings niemals allzu weit, dann wurde der jeweilige Hai unwillig und begann sie abzuschütteln.

Die Haie, die ihr begegneten waren im Prinzip ununterbrochen auf der Jagd, denn das Wasser des Atlantik war kalt und die Haie benötigten viel Nahrung und Energie, um nicht von Unterkühlung heimgesucht zu werden. Auch Machilla verspürte den ständig vorhandenen Hunger und so begann sie sich zunehmend den Jagdgewohnheiten der Haie anzupassen. Wann immer ihr ein jagdbares Lebewesen in die Quere kam, jagte sie es auch und wenn sie erfolgreich war, verschlang sie große Mengen rohen Fleisches.

Das Schwimmen im Meer, die proteinreiche Nahrung, alles zusammen kräftigte ihre Muskeln auf eine Art, die sie gar nicht erwartet hatte und so war sie bald in der Lage, mit den Robben und Seehunden um die Wette zu schwimmen und auch die zahlreichen Tümmler und Delfine waren nicht mehr viel schneller als sie.

Als Machilla zwölf Tage später den Strand von Jersey erreicht hatte und an den Dünen aus dem Wasser stieg, wäre jeder Beobachter erstaunt gewesen. Sie war nicht mehr die Frau, die vor nunmehr nahezu einem Jahr in den See von Winchester geglitten war, um aus dem Bannkreis des verhassten Königs zu verschwinden.

Ihr bis zur Hüfte herunter reichendes, goldblondes Haar kaschierte die starken Muskeln, die sich an ihren Armen und Schultern, am Nacken und den ganzen Rücken hinunter entwickelt hatten, doch ihr Hintern wirkte wie aus Marmor gemeißelt, ihre Beine strotzten vor Kraft und ihr Bauch warf dicke Wülste, wenn sie ihr Zwerchfell anspannte. Sie bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer Seeschlange, allerdings nur so lange, wie der Sand unter ihren Füßen weich und nass war. Sobald Machilla trockenen Boden unter sich spürte, wurden ihre Schritte unsicher und zögernd und ihr ganzer Körper verspannte sich. Trockener Sand, Kies, Geröll oder gar grober Schotter verursachten ihr leicht Schmerzen an den empfindlichen und feinen Membranen zwischen ihren Zehen, die ihr beim Schwimmen so gute Dienste leisteten.

Machilla beschloss deshalb, ihren Aktionsbereich einstweilen auf die Dünen von Jersey zu begrenzen. Sie verzichtete darauf, Jagd auf Ziegen oder Schafe zu machen, die in großen Herden auf der Insel lebten und ernährte sich weiterhin aus dem Meer. Sie schwamm an der Küste der Insel entlang, jagte in den Klippen nach Barschen und Sardinen und fing viele von den großen Garnelen und Meereskrebsen, die besonders nahrhaft waren, wenn man ihre harten, ungenießbaren Schalen geknackt hatte. Auf einem ihrer Jagdzüge, schon am vierten Tag ihrer Ankunft machte sie dann eine Entdeckung, die ihr das Leben sehr vereinfachte.

Sie hatte herausgefunden, dass die großen Muränen nicht nur ungemein stark, misstrauisch und aggressiv waren, sondern auch, dass sie zum Jagen Gift benutzten, das über die starken Zähne der Seeschlangen in das Blut ihrer Beutetiere gelangte. Darüber hinaus aber besaßen die Muränen selbst ein sehr wohlschmeckendes Fleisch und Machilla jagte hin und wieder einen der schlangenartigen Fische. An diesem vierten Tag begegnete sie einem besonders starken Exemplar, das soeben in einer großen Öffnung im Uferfels verschwand, als Machilla sie entdeckte. Kurz entschlossen folgte Machilla der Muräne und war nicht wenig erstaunt, als sie durch einen zwar langen aber nur wenig gewundenen Stollen in eine große Höhle gelangte, die nur etwas mehr als zur Hälfte ihrer Höhe unter dem Meeresspiegel lag. Der Stollen maß in Breite und Höhe jeweils mehr als das Vierfache ihrer eigenen Körperlänge und konnte von ihr somit mit Höchstgeschwindigkeit durchschwommen werden. Die Höhle selbst glich einer riesigen Halle mit Balustraden und Bänken, die teilweise unter aber zu einem weitaus größeren Teil über dem Wasser lagen. Es gab Bereiche, die wie Veranden und Balkone aus dem Fels ragten und so hoch über dem Wasserspiegel lagen, dass man wundervoll ins Wasser hinunter springen konnte. Hoch oben, knapp unter dem Gewölbe der Höhlendecke erblickte sie einen recht großen, hellen Fleck und begriff, dass es dort hinaus an die Luft ging. Dieser Ausgang war leicht zu erreichen, obwohl er so hoch oben lag, denn es führte ein Felsband wie ein breiter Weg dort hinauf.

Die Orientierung in der Höhle war leicht, denn es war erstaunlicher Weise recht hell. Die Quelle des blaugrün schimmernden Lichtes mochte wohl in dem dichten Teppich leuchtender Algen liegen, der die Wände der Höhle und auch über weite Strecken die des Stollens überzog.

Die Muräne hatte Machillas Eindringen in ihre Höhle bemerkt und wollte das seltsame Wesen vertreiben, das ihr offenbar ihren Rückzugsbereich streitig machen wollte. Sie schoss aus einer dunklen Stelle heraus und stürzte sich wütend auf Machilla. Es wurde nur ein kurzer Kampf, dann hatte Machilla die Spitze ihres primitiven Jagdspeers tief in den Nacken der Muräne gerammt und die wichtigen Nervenstränge durchtrennt, die dort unter dicken Muskeln verborgen lagen.

Nun war Machilla im Besitz einer perfekten Zuflucht, denn in dieser Höhle würde sie auch dann kaum auffindbar und geschützt leben können, wenn grimmige Feinde wie der Winter sie überfielen. Es war recht warm in der Höhle, stellte sie fest, als sie an einer perfekt dafür geeigneten, flachen Felsbank aus dem Wasser stieg und sie fand Plätze genug, an welchen weicher, feiner Sand vom Meer aufgehäuft worden war und ihr nun als bequeme Unterlage eines perfekten Schlafplatzes diente.

Machilla kletterte vorsichtig an dem breiten Felsband nach oben und starrte durch die Öffnung hinaus auf das Land der Insel.

Die Öffnung gab im Wesentlichen den Blick nach Süden und Osten frei. In diesen Himmelsrichtungen gab es außer Wasser zunächst nichts zu sehen. Der Atlantik lag wie eine ewig wogende, grün und schwarz schillernde Fläche vor ihr, die sich in der Ferne im Dunst des Sonnenaufgangs verlor. Erst wenn man aus der Öffnung hinaus und auf die etwa zehn Schritte im Geviert messende Plattform trat, konnte man auch nach Westen und damit auf weite Teile der Insel sehen. Nach Norden war kein Ausblick möglich, denn die Öffnung zur Höhle lag in etwa halber Höhe einer steil aus dem Ozean aufragenden Felsformation, beinahe so etwas wie ein kleines Küstengebirge.

Machilla jubelte innerlich, denn einen perfekteren Zufluchtsort hätte sie kaum finden können. Sie konnte ihre Höhle sowohl von Land als auch vom Atlantik aus bequem erreichen, in der Höhle gab es genügend Stellen an denen sie sich zur Ruhe legen und wenn es sein musste auch verstecken oder verteidigen konnte. Die Höhle war deutlich wärmer als die Luft draußen und ebenso als das Atlantikwasser. Besser hätte sie es kaum treffen können.

Sie kehrte in die Höhle zurück, stieg das Band hinunter und fand ein weiteres, sehr viel schmäleres Band, dem sie bis zu einer Nische im Fels folgen konnte, einer Art Grotte, vielleicht zehn Schritte breit, drei Schritte hoch und gut fünf Schritte in den Fels gegraben. Hier, so beschloss sie spontan, wollte sie sich sozusagen häuslich einrichten. Der Wasserspiegel lag mindestens fünfzig Fuß tiefer als der Boden dieser Grotte und dennoch war der Grottenboden dicht mit dem feinen, weichen Sand bedeckt, der doch eigentlich nur auf dem Meeresgrund vorkommt. Ein Zeichen dafür, dass es Situationen gab, an denen der Wasserspiegel bis in diese Höhe reichte. Machilla ging allerdings über diese Erkenntnis leichten Herzens hinweg, denn zum Einen war der Sand unter ihren Füßen zundertrocken, was bewies, dass das letzte Hochwasser lange zurück lag und zum Andern stellte das Wasser für sie ja keinen Schrecken dar. Das Wasser war ihr Freund.

Jetzt, da sie diesen Platz gefunden hatte, nahm sie zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch von der Hütte der Alten, seit ihrer Wiedergenesung also, das große Schwert von ihrem Rücken und suchte nach einem geeigneten Platz, an dem sie es unterbringen konnte. Ein schmaler Felsvorsprung auf Höhe ihrer Brust war dafür bestens geeignet und dort legte sie das Schwert ab. Allerdings erst, als sie es aus der schützenden Hülle aus gegerbter Karpfenhaut genommen hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit betrachtete Machilla das Schwert wieder genauer.

Das Schwert stak in einer schlichten Scheide, doch was man von der Waffe sehen konnte, war ganz und gar nicht schlicht. Vielmehr schien es sich um eine wahre Kostbarkeit zu handeln.

Der Knauf bestand aus einem Material, das weiß wie Perlmutt schimmerte und ebenso wie Perlmutt von feinen, grauen Schlieren durchzogen war. Die Hand eines Künstlers hatte diesen Knauf zu einer perfekten Kugel geschliffen und wie immer bewunderte sie voller Staunen, das im Innern dieser Kugel verborgen Bild, das einen großen, starken Hai in Angriffshaltung bis ins kleinste Detail wieder gab. Einen Hai mit weißer Haut, von dem man erwartete, dass er sich jeden Moment aus dem Knauf befreien und davon schwimmen würde …

Das Heft, der Griff des Schwertes war lang genug, dass man die Waffe notfalls auch mit zwei Händen halten konnte und dieser Griff war mit einem seltsamen Material umwickelt, dessen bestimmende Farbe ein stumpfes Weiß, allerdings mit einer Vielzahl von feinen grauen und wenigen schwarzen Sprenkeln durchsetzt war. Wie schon so oft legte Machilla ihre Hände auf den Griff des Schwertes und fühlte wie sich dieser warm und trocken und ein ganz klein wenig rau in ihre Hand schmiegte und dadurch wie angegossen in der Hand lag.

Die Parierstangen waren aus fein geschmiedetem Stahl und zeigten zwei starke Schlangen, deren Mäuler sich um das Heft schlossen. Die Schlangen hatten sogar Augen und diese Augen waren aus roten Achaten geschnitten und exakt in den Stahl eingearbeitet worden.

Sie fühlte die eigenartige Macht, die von diesem Schwert ausging, sobald sie es nur ein wenig in der Scheide anhob. Sie hatte die Klinge noch nie blank gezogen, seit sie die Waffe in ihre Hände bekommen hatte, doch jetzt, da sie einen derart guten Platz gefunden hatte, würde sie dieses Versäumnis bald nachhohlen.

Zum Schwert gehörte ein recht schmuckloses und einfach aussehendes Wehrgehenk, das dafür geeignet war, über die Schulter getragen zu werden. Das Wehrgehenk war aus nicht ganz glattem, schwarz gefärbten Leder hergestellt worden. Breite Riemen und Gurte mit Verstellmöglichkeiten aus Messingschnallen, die es erlaubten, das Gehenk in alle Richtungen an seinen jeweiligen Träger anzupassen. Das Leder stammte von einem Fell, dem man bei der Herstellung des Leders den Narben nicht abgezogen hatte, so war die leichte Struktur in der Oberfläche entstanden.

An diesem Wehrgehenk hing eine recht lange, gerade Scheide aus einem schlichtem, schwarz lackiertem Material, möglicherweise aus Holz, nur an der Spitze und an der Öffnung der Scheide waren Beschläge aus Messing angebracht, auch die Einhängungen am Wehrgehenk waren aus Messing. Die Messingteile waren in der langen Zeit, da das Schwert nicht benutzt worden war, mit Patina beschlagen, was die Farbe aber noch interessanter machte.

Machilla war nie als Schwertkämpferin ausgebildet worden, doch jetzt, da sie ihren Rachefeldzug plante, wollte sie diese Kunst erlernen. Machilla hatte schon von dem Augenblick an, da sie das Schwert zum ersten Mal angefasst hatte erkannt, welche ganz besonderen Eigenschaften diese ungewöhnliche Waffe besaß. Eine eigentlich sanfte Stimme war direkt in ihrem Gehirn erklungen und hatte sie als Meister begrüßt. Doch schon bald musste Machilla feststellen, dass die sanft und weich klingende Stimme glasharte Forderungen verbrämte. Das Schwert war als Waffe zum Kämpfen und zum Töten geschaffen worden, auch wenn sich in seiner „Seele“ eine Philosophie und ein Auftrag verbargen. Der weiße Hai war als Schwert des Westens geschaffen worden um die Idee der Neuerschaffung des gesamten menschlichen Lebens auf der Erde durchzusetzen. Sie, Machilla spielte dabei offenbar eine wichtige Rolle. Ihre von einem Mensch aus der fliegenden Stadt Ninive geschaffene Genstruktur sollte die mütterliche Basis der neuen Menschen bilden. Das war ihr von ihrem Schwert bereits anvertraut worden.

Machilla hob die Klinge behutsam ein kleines Stück aus der Scheide und spürte sofort das eigenartige Kribbeln in ihrer rechten Hand, das ihr einen unmittelbar bevorstehenden Kontakt mit der Seele des Meerwolfes – so lautete der Name des Schwertes – ankündigte. Doch im Augenblick war sie nicht zu einem solchen Kontakt bereit. Sie löste ihre Finger vom Heft und ließ die Klinge in die Scheide zurück gleiten. Sie spürte allerdings, wie schwer es war, die Hand vom Heft des Schwertes zu lösen.

„Ich muss mich in Geduld üben, meine Zeit ist noch nicht gekommen, dann musst auch du, mein schönes Schwert, noch geduldig sein.“

„Oh, hattest du den Eindruck, ich sei ungeduldig? Das tut mir leid. Ich kann dir versichern, meine Geduld ist groß und ich kann warten. Immerhin warte ich schon seit dreieinhalb tausend Jahren. Allerdings solltest du nicht mit mir spielen. Entweder du lässt mir fortan meine Ruhe oder aber, wenn du mich ergreifst, dann ziehst du auch blank. In diesem Fall will ich – muss ich – aber auch Blut trinken und Seelen essen.“

„Du sagst, wenn ich dich aus der Scheide ziehe, muss ich töten? Ich darf dich nicht zu Übungszwecken benutzen?“

Die Stimme hatte plötzlich ihren gewohnt sanften und weichen Klang verloren. Es hörte sich fast verächtlich an, als die Antwort in Machillas Kopf ertönte:

„Wer will denn schon mit einem Schwert meiner Art üben? Nur ein blutiger Anfänger benutzt sein Kampfschwert auch zu Übungszwecken. Und welcher Art könnten Übungen sein, was könnten solche Übungen taugen, wenn dein Schwert dabei ohne Nahrung bleiben muss? Bist du doch nicht die Meisterin, die ich erhofft habe? Hätte ich möglicherweise doch bei dem alten Mann bleiben sollen?“

Ein unliebsamer Disput, auf den Machilla im Augenblick nicht eingestellt war. Deshalb verzichtete sie auf eine Antwort. Stattdessen legte sie das Schwert auf seinen künftigen Platz, dann trat sie nach vorne an den Rand der Plattform vor ihrer Grotte, richtete sich hoch auf, stellte sich auf die Zehenspitzen, breitete die Arme aus und stieß sich ab.

Gleich einem riesigen Vogel stürzte sie in die blaugrün schimmernde Tiefe, den ganzen Körper gestreckt und gespannt, jeden Muskel kontrollierend sauste sie dem schwarzen Wasser der Höhle entgegen, nahm im letzten Moment die Arme nach vorne, dann tauchte sie ein in das salzige Nass des Atlantiks. Sie war aus großer Höhe hinunter gesprungen, so erreichte sie beinahe den Grund des Meeres, ehe sie sich wieder in die Waagerechte begab und mit schnellen Beinschlägen aus der Höhle hinaus ins offenen Meer schwamm.

Sie fühlte sich wie eine Göttin des Meeres und sie schwamm hinaus und hinein…

Hinaus aus der Höhle. Hinein in den gefräßigen Rachen des Todes.

Shandra el Guerrero

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