Читать книгу Der arme Konrad. Roman aus dem großen Bauernkrieg von 1525 - Rudolf Stratz - Страница 5
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ОглавлениеDurch die Rheinebene hin trabte eilfertig ein junger Priester, verstörten Angesichts, in eine schwarze Kutte gehüllt. Hinter ihm, in ehrerbietigem Abstand, ein gewappneter Ritter und drei Knechte.
„Da sind die Türme von Heidelberg!“ rief der Kanzler Dalberg. „Gnädiger Herr — in einer Viertelstunde sind wir bei Eurer Gnaden Bruder, dem Pfalzgrafen.“
Bischof Georg von Speyer drehte sich um und schaute nach seinen Landen zurück, aus deren Mitte sich, hell im Morgensonnenschein emporgewölbt, der ehrwürdige Kaiserdom erhob. „Gott sei gepriesen!“ keuchte er. „Die Gefahr ist vorbei! Wenn man so gemächlich reisen darf“ — er wies nach vorn — „wie der Reiterzug da vor uns, so kann es hier um die Stadt Heidelberg mit der Bauern Stürmen noch nicht so heftig bestellt sein!“
Ein riesiger Recke ritt da auf hochbeinigem, goldbraunem Hengst, von einer langen Knappenreihe gefolgt. Über den kunstreich mit Gold und Silber getäfelten Harnisch wallte von dem verwetterten, grimmigen Gesicht ein langer, eisgrauer Bart herab. Darunter verschlangen sich zwei schlanke Hände. Dicht an ihn geschmiegt sass hinter ihm ein blondes, junges Weib im Sattel und schaute träumerisch nach rechts und links in das Saatengrün und Himmelblau und das Glitzern und Prangen des Frühlings.
Der stolze Kirchenfürst jagte, ohne die beiden anzuschauen, vorüber. Er scheute sich, erkannt zu werden als ein landflüchtiger Mann, der Hilfe suchend mit einer Handvoll Knechte dahinritt.
Der andere Zug trabte hinterher.
„Lieber Herr!“ sprach das junge Weib nach einer Weile. „Reitet nicht so geschwind! Es stösst mir das Herz ab!“
„Ei was!“ Der Recke warf einen sorgenden Blick nach rechts und links und stiess dem Hengst die goldenen Sporen in die Flanken. „Halt dich fest! Wird dir nicht gleich das Herz verdrucken! Die Zeit tut not. Es begibt sich grosser Lärm am Rhein, im Lande Schwaben und der Pfalz. Und wer sich auch nicht um des gemeinen Pöbels Murbeln kehrt, sieht doch: der Handel kommt allzu grob an den Tag!“
Das junge Weib klammerte sich fester an ihn an. „Man merkt’s: Ihr seid kein Frauenmann!“ stiess sie atemlos im Jagen hervor. „Setzet mich hinter Euch, haltet mich wie einen Beutepfennig aus dem Türkenkrieg und kümmert Euch nicht, ob ich auf laufendem Ross verzucken und vergehen muss. Ihr seid ein grober, rauher Mann! Was es für Gestalt um uns Weiber hat, darein werdet Ihr Euch nie schicken!“
Von hartem Zügelriss pariert fiel das Pferd in Schritt. Es dampfte und sein Reiter blickte finster drein. „Du schöpfst dir trefflich ein Gemüt, Madlene!“ knurrte er, ohne sich umzuschauen. „Belferst tagaus, tagein wider deinen Herrn und Hauswirt ...“
„Der ist’s mit meinem Willen nicht geworden! Das ist uns beiden nicht unbekannt.“
Jetzt wendete sich Herr Wolfgremlich doch im Sattel und schaute zornig unter buschigen Brauen in Madlenes vom Ritt erhitztes Gesicht, um das zerzaust die langen Locken spielten. „Wir sind ein Paar Ehevolk,“ gebot er leise und nachdrücklich, „... und bleiben’s! Und sollst keinen anderen in Sinn und Gemüt haben, wenn ich dir gut bin.“
Sie lächelte müde. „Die Gedanken ... die fliegen als die Schwalben im Herbst! Die meinen gehen weit fort ... weiss selbst nicht, wohin ... kenn’ das Land nicht; aber ich werd’s einmal schauen, wenn Gott mir mein Stündlein rüstet. Des tröst’ ich mich!“
„Und an wen denkst du dort?“
„An den, der schon hinüber ist! Den die Reisläufer in Basel erstochen haben in einer schlechten Herberge. Weil er tot ist, darf ich’s sagen. Und ich möcht’ auch tot sein und bei ihm!“
Der Hengst machte, von unvermutetem Sporenhieb getroffen, einen mächtigen Satz und wieherte zornig auf. Die Stimme des Freiherrn klang wie Bärengrollen. „Hab’ ich’s dir nicht verboten,“ knirschte er, „an den verlorenen Gesellen zu denken?“
„Ich hab’ nun einen seltsamen, unverträglichen Kopf!“ Madlene schaute über seine Schulter hinweg in die Ferne. „Ich denke eben doch an ihn. Ich will Euch ja nicht betrügen und Euch kein Storchennest zeigen. Ich meine nur, der Allmächtige gibt einmal uns beiden die ewige Freud’. Es hilft ja keine Stärke, keine Geradigkeit! Es geht zu seiner Zeit alles dahin, wie der Rauch; letztlich nimmt uns der Tod gar hin!“
„Aber noch leben wir, Madlene, und ich bin der Sache nicht zufrieden! Ich weiss ja wohl: ich bin ein frommer grober alter Schwab’ und in Weiberhändeln nicht so behend wie der Franzos, aber doch noch ein aufrechter, reuterischer Mann und empfang’ ein bitteres Missfallen an deinem Wesen! Ganz beschwerlich bist du ... ganz unleidentlich ...“
„Ei — warum habt Ihr mich dann genommen?“
„Ja, warum?“ Der Recke seufzte. „Deine Brüder waren langsam und liederlich in deinen Sachen, Madlene, haben’s verabsäumt, dich zu verheiraten, — ihrem Stamm und Namen wenig Ehre eingelegt. Da bin ich von ohngefähr dazu gekommen, hab’ dich gesehen und bei mir gedacht: eine christliche Hausfrau ist eine Gab’, die sich ins Schwabenland fügt und einen Schwaben so wohl als eine schöne Straussfeder ziert! Es ist der Welt Lauf. Die Alten haben den Cupidinem mit verbundenen Augen, als ob er blind sei, gemalt!“
„Da haben die Heiden aber wohl getan!“ sagte Madlene. „Ich war auch blind!“
„... Dass du deinen Brüdern gehorcht hast und dich mir zuführen lassen — eine arme Jungfer und Waise ohn’ alle Zugab’ und Heiratsgut, ohne Aussteuer und Abfertigung und ...“
„Fröle Annele von der Frölichsburg.“ Madlene sprach mehr zu sich als zu dem Recken vor ihr. „... Die ist mit ihres Vaters Bäcken in die Fremde davongezogen und beide im Elend gestorben, der Gesell und sie. Gott helf’ ihr! So will ich’s nicht treiben. Ich will mich halten. Mein Gesell ist tot, kann mich nicht ins Übel führen. Aber eben darum muss ich an ihn denken mein Leben lang ...“
„Nun aber wahr’ dich,“ — Herr Wolfgremlich ballte vor Zorn die Fäuste über den Zügeln — „oder es gibt rote Ohren und zerstrobeltes Haar!“
Aber Madlene erschrak nicht. „Es steht ein verschlossenes Klösterle oben im Odenwald,“ sagte sie. „Da hab’ ich hinein wollen und Mariä Leid tragen mein Leben lang, als eine gottesfürchtige und vielbetende Klosterfrau. So wär’s recht gewesen und der Handel gut geschlichtet. Schau, da seid Ihr vors Haus geritten ...“
„Und hab’ dich weggenommen von deinen vollen, verspielten Brüdern, wie sie dagesessen haben in dem verfallenen Torstüble und mit ihren Ofenheizern und Buben gewürfelt und gesoffen, und hab’ dich aus der Not herausgefischt und all dem Strudel ...“
„Ja, Herr! Das habt Ihr! Aber ich dank’s Euch nicht!“
„Halt’ ich dich nicht gut und in Ehren?“
„Ja, Herr!“
„Hab’ ich dir nicht zwei welsche Pfauen geschenkt, wie sie die Pfalzgräfin selber kaum hat?“
„Ja, Herr!“
„Ist nicht unser Haus so fest und schön wie keines und sitzen mir nicht dahinter die Bauern auf Stunden weit in Zins und Gülte?“
„Ja, Herr!“
„Und wenn wir heute in Heidelberg einreiten, Madlene, lass’ ich dir ein Osterlamm zurichten, ganz artig mit Maienschmalz und Mandeln, hin und her vergoldet und mit den besten Farben angestrichen, dass das ganze Frauenzimmer vom Adel dich vor Neid scheel ansieht! Also was willst noch?“
Das junge Weib lächelte schmerzlich. „Lieber Herr,“ sprach sie. „Ich bin solcher Sachen nicht zufrieden! Möcht’ lieber mit Tod vergehen oder im Kloster liegen als ein schönes Haus haben mit welschen Pfauen und einem güldenen Osterlamm. Das freut mich nicht!“
Jetzt konnte sich der Recke nicht mehr halten. „Wohl ufher in Teufels Namen, dass dich alle Plagen angangen!“ brüllte er und setzte sein Pferd in Galopp. „Ich bin kein Dockemändle, dass du so zu mir sprichst! Sei froh, dass ich nicht mehr in meiner Jugend bin und ein wilder Herr. Sonst wollt’ ich dich zerzausen wie einen Hasenbalg mit deinem Klösterle und dir die Kutten erschwingen, dass nicht viel Staubs darin bleibt! Jetzt aber imponiere ich dir Silentium, bis wir einheimisch kommen. Das merk dir wohl!“
„Wann Ihr mich nicht fragt, Herr, so bin ich still. Wann Ihr mich aber fragt, so sprech’ ich, wie mir ums Herz ist, heut und morgen!“
Stumm ritten sie dahin und schwere Seufzer wölbten die Brust des Recken.
„Warum hast du dich in die Ehe getan?“ dachte er bei sich. „Es geht ein falscher Würfel in der Sache um und was die Alten gesprochen, dass die Weiber lange Kleider tragen und kurzen Sinn — das bescheint sich mir jetzt. So viel bin ich herumvagiert und hab’ meinen abenteuerlichen Kursum gehabt in allen Landen, und nun beisst mir auf meine alten Tage solch Jungfer mit List und Geschwindigkeit und über die Massen schön in die Augen, dass ich mich aller Ruh’ müssigen und entschlagen und in Angst und Nöten mit ihr haushalten muss!“
„Aber dir geschieht recht, wenn du auch als ein vernünftiger Schwab’ nicht dergleichen tust und den Schmerz hinter dich druckst! ‚Treib’s, so geht’s!‘ spricht der Kappler und spricht wohl!“
Seine Heftigkeit tat ihm leid. Er wandte sich reumütig im Sattel um. „Rat mir, Madlene!“ sagte er halblaut. „Was soll ich dir Liebes tun? Da lass’ ich mich keine Kosten bedauern.“
Sie hatte die Augen voll Tränen. „Was kommst du zu mir um Rat?“ fragte sie mit erstickter Stimme. „Wir beide sind nicht witzig, einander zu raten. Ich weiss nichts!“
Da sprengte er zornig weiter und seine bärtigen Lippen seufzten aufs neue. „Wer kann ermessen, wie viel Sorg’, Not und Unfrieden aus dem ehelichen Stand entspringt und welch ein seltsamer Vogel ist es doch um einen weissen Raben, um einen schwarzen Schwanen und ein verständig Weib ...“
Ein wildes Getümmel wogte durch die engen Gassen der Neckarstadt. In flüchtendem Gedränge, als sässe der arme Konrad schon hinten im Sattel, strömte es durch die verschanzten, von pfalzgräflichen Landsknechten bewachten Tore und ritt und karrte vom anderen Ufer über die Dachbrücke hinein. Auf dem Marktplatz, auf den vom Jettenbühl das feste, des Ausbaus wegen mit Erdhaufen und Gerüsten umkleidete Schloss und weiter oben die Hohenstaufenburg herabschauten, staute sich das Gedränge. Ein wirres Geschrei und Gelaufe erfüllte da die Wirtshäuser, die keinen Platz mehr für die Neuankommenden boten, so dass die geflohenen Amtmänner, die Schreiber und Keller ratlos davor mit den Ihren auf offener Gasse irrten und die Schilder musterten, die der vom Lande eingerittene Adel aussen an der Schenke aufgehangen hatte.
Vor den Edelhöfen derer, die in Heidelberg einen eigenen Sitz besassen, standen in langer Reihe die gepackten Wagen und Pferde und lagen, vom Volke begafft, die Truhen und die Weinfässer, die Betten und die Sättel, die Kornsäcke und Waffen auf dem Boden. Da hielt der Edle von Handschuchsheim, der seine nahe Wasserburg im Stich gelassen, und ihm gegenüber leitete von schweissdampfendem Pferde der Dynast von Hirschhorn, von Dienern und Mägden umdrängt, den Einzug in den Hirschhof, sein stattliches Haus. Vor seinem Münchhof sass fassungslos weinend der greise Zisterzienserabt von Schönau. Umsonst versuchten ihn die Brüder zu trösten, und verächtlich blickte, auf sein Schlachtschwert gelehnt, der finstere, streitbare Abt von Maulbronn, dem ein Plattenpanzer den hageren Leib umfing und die weissen Haarsträhne unter dem Eisenhut hervor über die faltigen Züge quollen, zu der verstörten Gruppe hinab. Aus dem Gewühl der Knappen, der Bürger, der aus allen Waldklöstern herabgestiegenen Mönche leuchtete es wie von Schneeflocken um das Deutsche Haus her. Dort quartierten sich die aus ihrem Neckarreich verjagten Deutschherren eilfertig ein, schlaffe, unkriegerische Männer mit angstbleichen Zügen.
„Die Pest über die Pfaffen!“ fluchte, aus seinem Hofe tretend, der Marschall von Habern zu einer Gruppe Edler. „Wahrlich, ein trefflicher Ordenskomtur — der Herr Dietrich von Klee! Kaum rottet sich der gemeine Mann zusammen, so lässt er ihm alles deutschherrliche Land, fährt mit den Rittern seines Wegs und gibt Haus Hornegg, das feste Schloss, das seit Römerzeiten steht, mit allem Gold und Kleinod und Urkunden in den Mutwillen der Bauern.“
„Das Wasser steigt allenthalben!“ erwiderte kopfschüttelnd Hans Landschad von Steinach, der pfälzische Rat. „Es ist bei keinem mehr Rettung, als bei unserem Kurfürsten und dem schwäbischen Bund!“
„... und Gott allein ist’s bekannt!“ murmelte der grimme Junker von Affenstein und schaute gen Westen, da, wo über der Rheinebene in blauem Dunst die ferne Haardt verschwamm, an deren Abhang sein Stammsitz lag. „Gott allein ist’s bekannt, wie weit noch die greuliche Gefahr und geschwinde Empörung durchs Reich fliegt!“
Herr Landschad und der Marschall von Habern blickten in finsteren Sorgen das Neckartal hinauf, wo dem reichen pfälzischen Rat ob Steinach seine vier Schlösser auf das Städtlein niederdräuten und dem Reiterobersten des Pfalzgrafen die Minneburg über sein weites Lehen hinwegsah.
„... ‚Das Übel frisst um sich wie eine ungestüme Flut! In Tirol sind alle Bösewichter auf!‘ schreibt der Hochwürdige aus Salzburg, und aus Frankfurt ist gestern einer gekommen und sprach: ‚In Niederdeutschland sieht es allerdings übel aus! Aufruhr und Mutwille allerwege! Und sonderlich in Thüringen! Dort richtet ein verkehrter Mann zu Mühlhausen, Thomas Münzer geheissen, die fürnehmsten Praktiken der Sedition zuwege, und ein Aufruhr fliesst aus dem anderen, wie eine vergiftet pestilenzische Luft, dass kein Entweichen davor möglich ist!‘“
„Gottlob, da sind wir am Löwen! Ihr, Wirt, schafft mir ein Kandel Wein. Wir sind seit Tag und Tau im Sattel! Die Stadt hat ein böses Gesicht!“ wandte sich der Wolframsteiner zu den Edlen. „Was lauft ihr alle, als sei der Bauer schon im Lande Meister? Ich hab’ im Vorbeireiten durch die Gassen alle Edelhöfe voll gesehen! Die Venningen sind in ihr Haus eingekommen, die Sickingen, die Göler von Ravensburg, die von Botzheim und Wallbronn — ei, was weiss ich, wer alles! — Meine Frau und ich — wir fürchten den Bruder Bauer nicht und reiten unverzagt in unsere Burg!“
„Gott bewahr’ Eure Burg und Euch vor den teuflischen Rotten!“ sprach der Affensteiner. „Ich habe böse Zeitung vom hochwürdigsten Greiffenclau aus Trier. Das schändliche Übel des Aufruhrs ist auch über ihn gekommen —“
„Selbes ist mir nicht unbekannt!“ unterbrach ihn der von Wolframstein. „Wir reiten ja vom Rheine her! Dort haben sich überall leichtfertige Burschen im Gespräch zusammen verpflichtet, neue Haufen aufzuwerfen und an der Haardt wie im Elsass sind die Bauern zusammengeloffen! Ei, ihr Herren, was habt ihr aber ein Schwert zur Seite hangen? Fahret unter sie, ehe es zu spät ist. Denn auf Ostern, geht die gemeine Rede, soll der Tanz begonnen und mit Mord, Brand, Nahm’ und Raube Ritterschaft und Pfaffheit wacker begegnet werden!“
„Ihr redet, wie Ihr’s versteht!“ erwiderte der stattliche Marschall von Habern. „Wer soll wider die Bauern zu Felde ziehen? Der Truchsess von Waldburg hat mir noch gestern geschrieben: ‚Als des schwäbischen Bundes Feldhauptmann kann ich die aufrührerischen Gesellen nicht strafen, wenn mir von den Fürsten nicht eilends Hilfe wird!‘ Die aber vermögen’s nicht, sondern haben’s mit eigenem zu tun!“
Eine plötzliche Stille legte sich über den Marktplatz und ehrfurchtsvoll wich alles zurück.
Durch die Menschengasse ritt, von vielen Edlen gefolgt, ein junger Mann in goldbelegtem Harnisch und Seidenschaube heran. Beim Anblick des Wolframsteiners glitt ein Lächeln über sein leichtsinniges Gesicht. „Willkommen, Wolframstein! Lieber, Besonderer!“ rief Pfalzgraf Ludwig. „Ihr kommt mir zu guter Stunde!“
Herr Wolfgremlich beugte sich im Sattel. „Was befehlen Euer Gnaden?“
„Wisset!“ sagte der Kurfürst halblaut. „Wie übel und mutwillig sich der gemeine Mann überall verhält, ist Euch nicht unbemerkt geblieben. Und von Tag zu Tag zeigt uns Gott mehr seinen Ernst. Der Bischof von Würzburg ist auf dem Wege hierher, von den Bauern aus seinem Herzogtum Franken vertrieben, und nun meldet mir der Erzherzog Eugen, des Landes Württemberg Verweser, seine Bauern hätten überall am Neckar und im Odenwald angefangen zu rumoren, seien hinausgezogen, in Sinn und Meinung, ihren Landesfürsten und Herrn samt aller Ritterschaft zu erschlagen und zu erstechen. Da bittet er mich um Gottes willen, ich sollt’ ihm Hilfe senden, nach Weinsberg, wo sich seine Ritter unter dem Grafen Helfenstein sammeln. Ich aber kann’s nicht. Mir tun Mann und Pferd hier selbst not.“
„Und da, meinen Euer Gnaden, sollt’ ich von meinem Hause nach Weinsberg reiten?“
„Des wär’ ich von Herzen froh!“ versetzte der Pfalzgraf und wies auf drei junge Edle, die höfisch geputzt, Haupthaar und Bart nach welscher Art gekräuselt, mit verwegenem Lächeln die Treppe des Goldenen Bären herabstiegen. „Ihr mit Euren Schwähern da, den drei Heerdegen, und Euren Reisigen seid ein stattlicher Ritterzug, an dem die zu Weinsberg meinen redlichen Willen erkennen. Und Euer Schloss ist fest genug, dass es indessen eine Handvoll Knechte gegen die Bauern verwahrt!“
Der Wolframsteiner machte ein missmutiges Gesicht. „Es ist keine Ehr’ an dem schlechten Bauernvolk zu holen, Euer Gnaden!“ sprach er, „und einem alten Kriegsmann ist solch leichtfertiges Gesindel ein recht dummer Feind. Mir will’s nicht eingehen, dass ich mich nach Weinsberg heben soll. Bin nicht mehr lustig zum Kriegen! Hab’ ein junges Weib. Die hütet ein verständiger Mann vor jungem Gesind und hält sie unbeschrien!“
„Ein verständiger Mann traut seinem Weibe!“ Sehr überzeugend klang die Stimme des liederlichen jungen Fürsten nicht.
„Ich trau’, so weit ich schau’!“ Der Blick des Freiherrn streifte flüchtig Madlene. „Ich bin bei Jahren. Manch junger Gesell ist vor mir Tods verfahren, hat mit der Haut bezahlt, in einer schlechten Herberg’ drüben bei den Reisläufern oder anderswo. Aber solch flinker Gesellen vom Adel gibt es mehr!“
„Ei — das lasst Euch nicht verdriessen!“ lachte der Pfalzgraf. „Jetzt ist nicht die Zeit dazu geschickt, in währender Bauernnot!“
„Es findet doch einer seinen Weg!“ beharrte Herr Wolfgremlich. „Gleich ist er da, läuft auf dem Seil und scharmuziert im Frauenzimmer. Die Weiber wollen ja immer besondere Moden und Manier. Da muss es abenteurig zugehen. Dazu bin ich zu alt. Und sind solch Gäste zu erwarten, so tut ein freundlich Aufsehen und Aufpassen ganz wohl!“
„Also bleibt zu Haus!“ sagte der Pfalzgraf achselzuckend. „Lasst Euch vom Küchenbub den Löffel bringen und tut Euren Schlaftrunk im Frauenzimmer. Was es unterdem für eine erschreckliche Gestalt da draussen hat, das darf Euch dann nicht scheren!“
„Doch, Euer Gnaden!“ Des Freiherrn finstere Züge röteten sich im Unmut. „Der Bauern Aufruhr liegt mir schwer an und ich bin kein hinkend Pfäffle, zieh’ nicht die Hosen herab und lass’ Schwarzwald und Feierabend sehen, wenn das Feindsgeschrei ausgeht. Was Ihr mich heisst, das tu’ ich nicht gern, aber ich tu’s. Will meine Frau wohl im Hause Wolframstein verwahren, dass kein Bauer seinen Grind hineinsteckt, und dann auf Weinsberg reiten, so rasch die Pferde laufen und ...“
Eine plötzliche Bewegung Madlenes liess ihn verstummen. Als sei ihr ein Geist erschienen, starrte sie, im Sattel zurückfahrend, vor sich auf den Markt.
Ein fremder Ritter stand da neben seinem abgetriebenen, von Schmutz und Schweiss befleckten Gaul. In den verblichenen Wettermantel gehüllt, mit beiden Händen auf das rostige Schwert gestützt, schaute er sie unverwandt an, und ein wildes Lächeln lag über seinen bartlosen Zügen.
Ein Gemurmel und Gegrolle des Erstaunens lief über den Platz.
Der Kurfürst wandte sich zum Landschad. „Wer ist der Mann?“
„Ein landflüchtiger Ritter, Euer Gnaden!“ sprach der pfälzische Rat. „Trug seinen Burgstall Trughof am Neckar von der Pfalz zu Lehen und hat sich in die Sickingenschen Händel eingelassen. Kam solcher Art in Acht und Bann und tat sich auf und davon in die Schweiz. Weiss nicht, was er seitdem getrieben. Meint’, er sei schon tot!“
„Nun gedenk’ ich’s wohl!“ Pfalzgraf Ludwig liess sein Auge in strenger Prüfung auf dem Trughofer ruhen. „Was wollt Ihr hier, Ritter?“
Felix von Trugenhoffen hatte sein Schwert auf das Pflaster gelegt und trat vor den Landesherrn hin. „Meinen Herrn such’ ich! Ich will Busse tun!“
Der Kurfürst runzelte die Stirn. „Wie lange seid Ihr landflüchtig?“
„Ein Jahr!“
„Und wo waret Ihr selbe Zeit?“
„Bin kreuz und quer dahingezogen!“ sprach Ritter Felix gleichgültig. „Hab’ in vieler Herren Ländern umsonst meine Fortune gesucht.“
„Man sieht’s Euch an!“ sagte der Pfalzgraf und schaute dem Trugenhofer forschend in das abgezehrte, wettergebräunte Gesicht mit den grossen, dunklen Augen.
Dem klugen Landschad entging die Wandlung in den Zügen des Pfalzgrafen nicht. „Herr,“ sagte er, „das ist kein Quidam und gemeiner Reiter, sondern ein Guter vom Adel, wohlberedt und einschlägig, in allen Sätteln zu Schimpf und Ernst vor anderen zu brauchen!“
„Und wunderbar starken Leibes ist er,“ pflichtete der von Affenstein bei. „Wisset, Habern, der Ritter steht Euch für drei Reisige im Feld!“
„Und uns tun Reisige wahrlich not!“ murmelte der Marschall, ohne seinen Herrn anzuschauen.
Doch der Kurfürst hatte seinen Entschluss schon gefasst. „Felix von Trugenhoffen,“ sagte er rauh, „Ihr kommt zu guter Stunde, da vor der gemeinen Not alles andere schwindet. Euch ist verziehen! Seid mein Lehnsmann, wie zuvor!“
Ritter Felix hob sein Schwert auf. „Ich danke Euer Kurfürstlichen Gnaden! So nehm’ ich den Burgstall Trughof wieder von Euch zu Lehen und schwöre Euch Treue und Gehorsam als ein Freier vom Adel!“
Pfalzgraf Ludwig neigte das Haupt. „Den Gehorsam könnt Ihr gleich bekunden. Der Wolframstein, der da vor Euch hält, der reitet mit seinen Schwähern und seinem reisigen Zeug noch vor Mittag gen Weinsberg, um Stadt und Burg vor Jäcklein Rohrbach und seinen aufrührerischen Buben bewahren zu helfen. Da mögt auch Ihr —“
„Nein, Herr!“ Der von Trughoffen richtete sich finster auf. „Ich will nach Weinsberg reiten Tag und Nacht, wie Ihr befehlt, aber nicht mit dem Wolframsteiner!“
„Und warum nicht?“
Ritter Felix schwieg. An seiner Stelle nahm der Recke ihm gegenüber das Wort. „Dass es Seine Gnaden wissen!“ höhnte er. „Nicht um Urfehd’ zu schwören, ist der Trughöfer zurückgekommen und nicht, um sein geringes Burgstädlein wieder aufzurichten, sondern um Madlenes willen, meiner Hausfrau! Tut mir leid, dass er dasteht. Ich hab’ nicht anders gewusst, als er sei längst abgestorben.“
„So war die gemeine Rede überall!“ sprach der Affensteiner.
Ritter Felix lachte. „Ich bin von den Toten aufgestanden!“ sagte er. „Hab’ im Grab nicht können schlafen, dahin die Heerdegen mich haben stecken wollen und gelogen in ihren Hals hinein ...“
„So waren wir berichtet!“ schrie Hans Daniel. „Zu Basel in der Herberg’! ...“
„Jawohl, zu Basel in der Herberg’,“ sprach der fahrende Ritter. „Da sass einer vom Adel ...“
„... ein kleinfüger armer Mann ...“ höhnte der Wolframsteiner, „trägt die Harfe im Wappen und sonst nichts ... ein schlechter Verdorbener vom Adel ... mit den Sickingenschen und aller Fürsten Feinden stets ein Kuchen und Eier ... nimmt noch einmal eine schimpfliche Kappe ...“
„Selber Geselle vom Adel,“ fuhr Ritter Felix fort, „hat von dem Blasius Schmidt, einem alten fröhlichen Mann am Rhein, in der Herberg’ gehört: Der Heerdegen Sach’ steht der Gestalt und Gelegenheit nach wohl. Die haben ihre Schwester dem Wolframstein ins Haus gegeben, — sie hat wollen oder nicht, da war nicht viel Erbarmen, ob sie sich auch ganz übel gehub und befand, ihr sei der bittere Tod lieber als solch alter keinnutziger Schwab’ vom Wolframstein, der all seine Zeit und Datum nur noch auf den Wein gestellt hat ...“
„Hol’ mich der leibhaftig’ Teufel im Himmel!“ Herr Wolfgremlich brüllte los. „Ich will dir das Maul abhauen, du Lotterbub’!“
„Denn ihr Herz“ — der Trugenhofer würdigte seinen Gegner keines Blicks, sondern schaute dem Pfalzgrafen fest ins Gesicht — „das hat an einem andern Herzen gehangen, einem edeln, kecken, gesunden Herzen, in starkem Leibe wohl verschlossen. Selb’ Herz ist in mir übermächtig geworden. Da hab’ ich zu mir gesprochen: Ich will mich so halten und herfürtun, dass mein Herr, der Pfalzgraf, meine untreuen Praktiken vergisst und ich wieder in ein Lehnsrecht und Verstand mit Seiner Gnade komm’!“
„Dass dich die Pestilenz ankomm’, du Bösewicht!“ schrie Hans Daniel, „... in dein böses ungezähmtes Maul hinein!“
„Dann aber will ich mir die Buben ersuchen, die ihre Schwester hinkuppeln, und den alten Guggelmann, der sie nimmt.“ Des Trugenhofers Stimme bebte in verhaltener Wut. „Will sie erreiten und mein Schwert in sie stechen, dass sie racks vom Gaul fallen und tot sind ...“
„Lieber Esel ... beiss mich nicht!“ höhnte von hinten der junge Jörg Heinrich. Aber sein Gesicht war bleich.
„Und vordem will ich keinen Trost meines Lebens haben, eh’ ich mich an Euch ritterlich gehalten hab’ mit Hauen und Stechen und Euch herausgeklaubt hab’ aus Euren Knechten und allem Tross, womit Ihr Euch verfasst. Da will ich Euch einen Reuterdienst erweisen, davor Ihr Euch bedankt! Soll Euer letzter sein!“
Der Pfalzgraf gebot mit einer Handbewegung Schweigen. „Trugenhoffen!“ sprach er. „Ich merk’s: Ihr seid ein übler, unsinniger Mann. Die Hitz’ verblendet Euch. Schickt Euch in Gottes Willen. Wann die Heerdegen ihre Schwester einem andern zur Hausfrau gegeben haben, so ist der Handel aus und sie ist für Euch ab und tot!“
„Die Liebe ist nicht ab und tot!“ sagte der Trugenhofer. „Die war zwischen uns und bleibt!“
Er schaute Madlene an. Sie erwiderte seinen Blick nicht. Starr und reglos wie versteinert stand sie da und sah zum Himmel auf, an dem in eiligem Flug die Frühlingswölkchen hintrieben.
„Und darum, Herr!“ hub Ritter Felix nach kurzer Weile wieder an, „steht der Handel so: Wann die Bachforelle bergabwärts schwimmt, will ich Frieden machen mit den Heerdegen von Hirnsheim. Wann dort in der Ebene der Neckar umkehrt und in den Odenwald zurückfliesst, dann reich’ ich dem Wolframsteiner meine Hand. Und wann die Sonne dort über dem Rhein aufgeht und von der Haardt gen Osten läuft, zur Stund’ lass’ ich von Madlene, des Wolframsteiners Hausfrau. Doch vordem nicht!“
Der Lärm unterbrach ihn. Die Heerdegen drängten sich heran und in aufschnaubendem Grimme fuhr Herr Wolfgremlich an sein Schwert. „Wahr’ dich, du Heckenreiter!“ dröhnte seine tiefe Stimme. „Mein Zorn greift hart zu!“
Vor ihm am Boden klirrte es. Der Eisenhandschuh des Trugenhoffers lag da auf den Steinen. „Das gilt dir!“ sprach Ritter Felix. „Dir und den Heerdegen von Hirnsheim! Wisset, ihr Herren, dass ich euch Feind sein will in ehrlicher Fehde, bei Tag und Nacht, auf Leben und Tod!“
„Hebt Euch von meinem Angesicht!“ zürnte der Pfalzgraf. „Es frommt Euch wahrlich besser, wenn ich Euch verlorenen Gesellen nicht mehr seh’!“
„Ihr habt mich wieder zum Lehnsmann angenommen —“ Der Ritter hob den Handschuh auf, trat auf sein Ross zu und schwang sich in den Sattel. „So will ich meiner Lehnspflicht walten und mich, so müd’ der Gaul ist, nach Weinsberg auf den Weg tun und meine Fehde anstehen lassen! Wann aber der Mutwille der Bauern gestillt ist und Ordnung in deutschen Landen, dann treff’ ich euch, Wolframstein und Heerdegen, mit der Schärfe des Schwertes! Euer Feind soll mein Freund sein und was euch leid tut, tut mir wohl. Das wisset alle, ihr Wohlgeboren, Edel, Streng und Ehrfest, ... gnädig Herren und guten Freunde!“
Er warf sein Ross herum und trabte die Gasse zur Neckarbrücke hinab. Die Hufe des Hengstes donnerten und von weither klangen und klagten im Frühlingssturm des armen Konrads mahnende Glocken.