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Vorwort

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Der erste Band meiner Arbeiten umfasst – wie die beiden folgenden Bände – Texte aus den letzten 18 Jahren meiner Tätigkeit als Publizist, Kolumnist und Sachbuch-Kritiker. Bei der Auswahl der Texte konzentrierte ich mich in allen drei Bänden auf solche Arbeiten, die ohne Anmerkungen verständlich sind, dem tagespolitischen Handgemenge also nicht zu nahe stehen. Die Daten der Erstveröffentlichung verweisen auf die historischen und politischen Kontexte.

Die Anlässe für die Essays und Porträts diktierte das journalistische Gewerbe mit seiner etwas seltsamen Vorliebe für runde Geburts- und Todestage, wobei die gnadenlose Konkurrenz der Organe häufig dazu führt, dass die Geburtstage und runden Jubiläumstage groteskerweise kalendarisch vorverlegt werden, weil jedes Organ das Erste sein möchte in einem öden Wettlauf.

Die politischen Kommentare für die »Tageszeitung« und für den »Freitag« beziehen sich zwar auf die tagespolitische Aktualität und entstanden in der Zusammenarbeit mit den beteiligten Redakteuren, aber ich habe nur solche Kommentare aufgenommen, die über das Tagespolitische hinaus ins Grundsätzliche gehen.

Dadurch entstehen inhaltliche Ligaturen zu Themen, die in den historischen Essays und Porträts dargestellt werden. Im Nachhinein erweisen sich manche Essays und Porträts als Vorarbeiten für politische Kommentare. Meiner Ansicht nach nicht zu deren Nachteil, da die Stringenz und Haltbarkeit von Argumenten und Kommentaren nicht von der Stärke der darin vertretenen Meinungen zehren, sondern von historischem, sozialwissenschaftlichem, philologischem und philosophischem Wissen, auf denen sie beruhen. Thematische Überschneidungen sind dabei nicht zu vermeiden.

Dies in Kauf zu nehmen, erschien mir weniger gravierend, als die Texte nachträglich in starre Rahmen von kalendarisch oder thematisch geordneten Blöcken zu pressen, die noch gar nicht existierten, als die Texte geschrieben wurden. Die Grenzen zwischen den einzelnen Textsorten sind fließend und immer auch willkürlich. Die meisten Texte entstanden aus äußerlichen Zwängen des Kulturbetriebs, aus situativen Intuitionen sowie als subjektive Reaktion auf den laufenden sprachlichen und politischen Schwachsinn – also aus zufälligen Anlässen, die sich gegen eine systematische Ordnung sperren. Damit soll auch das Moment von Spontaneität der Reflexion und der Reaktion, das ich mit dem Titel andeute, betont und erhalten bleiben. Jede Behauptung eines »roten Fadens«, dem die Texte folgten, liefe auf eine alberne Selbstinterpretation hinaus. Den durchgehenden Faden zu erkennen oder zu bestreiten, ist Sache der Leserinnen und Leser.

Die Glossen sind zum größten Teil auf der Wahrheitsseite der »Tageszeitung« erstmals erschienen. Dieses Forum bietet die in der deutschen Presselandschaft einmalige Chance, den sprachlichen und politischen Zumutungen im Fernsehen und in der Presse mit sprachlichen Mitteln heimzuleuchten.

Ein großer Teil meiner Arbeiten besteht aus Besprechungen politischer, historischer und sozialwissenschaftlicher Bücher. Ich habe aus der Fülle der Rezensionen nur einige exemplarische Verrisse ausgewählt. Diese Auswahl beruht nicht auf einem atavistischen Willen, Autoren und ihren Büchern oder den Verlagen zu schaden. Selbst wenn ich das wollte, schaffte ich dies als Sachbuch-Rezensent nicht, denn alle diese Bücher werden von Vielen besprochen und bewertet. Und ultimativ oder verheerend »päpstlich« auftretende Urteilende gibt es unter den Sachbuchkritikern – im Unterschied zu einigen in der Literaturbranche – nicht. Verrisse sind mir deshalb wichtig, weil das redaktionelle Gewerbe sie gar nicht schätzt und dafür uneigennützig und freiwillig dabei mithilft, restlos überflüssige – sogar ausgesprochen liederliche – Bücher auf gute Plätze in Sachbuch-Bestenlisten zu hieven. Dabei nicht mitzuspielen, gehört zum Ethos von Kritik, die sich von redaktionellen und verlegerischen Kalkülen nicht beeindrucken lässt. Man macht sich dadurch nicht immer Freunde bei Verlagslektoren und Autoren, aber das ist das Risiko jedes autonom Urteilenden.

Der journalistische Betrieb hat sich durch die Konkurrenz mit dem Internet in den letzten Jahren stark verändert. Die Ausnahme, zum Beispiel Nachrufe ganz schnell liefern zu müssen, ist jetzt zur Regel geworden. Neben Vorteilen hat die enorme Beschleunigung des Betriebs und die Vermehrung der Plattformen auch einige Nachteile – die gravierendsten sind boulevardesk-personalisierende Oberflächlichkeit und der Verlust an intellektueller Substanz, der in vielen Feuilletons mit Händen zu greifen ist.

Zumutungen wie diejenige, ein 800 Seiten starkes Buch innerhalb von ein paar Tagen zu besprechen, sind an der Tagesordnung, die Resultate auf den Rezensionsseiten zu besichtigen: Festangestellte Redakteure verhandeln auch schon mal vier Bücher mit zusammen 3500 Seiten auf weniger als 200 Druckzeilen. Den euphemistisch »Freie« genannten Mitarbeitern bleibt die Wahl zwischen solcher Instant-Schreiberei oder prekärer Auftragslage, über die hinwegzuhelfen jedoch nach wie vor verantwortungs- und qualitätsbewusste Redakteurinnen und Redakteure bereit sind, indem sie die Rahmenbedingungen für seriöses Arbeiten sichern. Ich nenne deren Namen nicht, um sie nicht in Konflikt zu bringen mit den maschinenmäßig produzierenden Kollegen.

Die Texte sind in sechs Blöcke eingeteilt, die unterschiedliche Textsorten enthalten: Historische Essays (I.), Porträts gegen das Vergessen (II.), politische Kommentare (III.), Glossen (IV.), Verrisse (V.). Am Schluss stehen Texte in eigener Sache (VI.).

Einige Texte sind mehrfach oder in gekürzten und redaktionell mehr oder weniger stilsicher bearbeiteten Versionen erschienen – nach einem Wort Günter Ohnemus’ in »kannibalisierten Fassungen«. In gravierenden Fällen habe ich deshalb meine ursprünglichen Textversionen den von fremder Hand zugerichteten vorgezogen und mache dies durch das Kürzel UTV (ursprüngliche Textversion) in der Liste der Erstdruckorte am Ende des Buches deutlich. Bloße Druckfehler und kleine Irrtümer (z. B. falsche Jahreszahlen und Vornamen) habe ich stillschweigend korrigiert. Inhaltlich habe ich die Texte nicht verändert und biete sie als durchaus zeitgebundene den Leserinnen und Lesern zur Beurteilung an.

Mein Dank gilt Michael Billmann und Roland Tauber vom Verlag für die Hilfe bei der Organisation der Texte sowie für das Angebot, die Texte in drei Bänden zu publizieren. Ich widme das Buch Eva-Maria in Dankbarkeit und Bewunderung. Sie hat alle Texte als Erste gelesen und korrigiert. Mit Hinweisen, Ratschlägen, fulminanten Verweisen und ultimativen Vetos am Textrand hat sie mich in vielen, zuweilen turbulenten Diskussionen vor etlichen Abwegen und Irrtümern bewahrt. Die verbliebenen gehen auf mein Konto.

Frankfurt am Main, Juli 2011 Rudolf Walther
Aufgreifen, begreifen, angreifen

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