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Sonntag, 9. Juli 2006, 18 Uhr 21

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Ein neuer Anfang.

Die gesamten Einträge meines Tagebuchs, das ich im Forum führte, sie sind unwiederbringlich verloren - ein ganzes Jahr meines Lebens! Alles nur wegen einer einzelnen, durchgeknallten Administratorin, die das Glück hatte, das bedeutendste Selbsthilfeforum für Borderliner von dessen Gründer übernehmen zu dürfen, und die dieses Forum nun in einer Eskalation ihres Narzissmus zerstört hat!

Das ist ein harter Schlag für mich, nicht nur wegen des gelöschten Tagebuchs. Das Forum war für mich so etwas wie eine virtuelle Heimat. Fast meine sämtlichen Sozialkontakte spielten sich dort ab. Mein fragiles Lebenskonstrukt ist zertrümmert worden.

Doch solche Situationen sind mir eigentlich vertraut. Sie sind ein Teil von mir, diese ständigen Zusammenbrüche, denen Wiedergeburt und Neubeginn folgen. Nicht ohne Grund bin ich im Netz unter dem Alias Phoenix unterwegs. In dem Phoenix sehe ich ein Symbol für das ewig wiederkehrende und schmerzhafte Sterben im Feuer der eigenen Seelenqualen, aber auch für die hierauf folgende Auferstehung und Erneuerung. Zudem steht er für fortwährenden Wandel. Nachdem ich in der Anfangsphase meiner Netzaktivitäten meinen Alias häufig gewechselt hatte, entschied ich mich schließlich für den Phoenix als einen Ausdruck dieses Wandels. Mit ihm, einem Symbol für Identitätslosigkeit, konnte ich mich endlich dauerhaft identifizieren.

Wieder einmal ist es an der Zeit für eine Auferstehung. Ich werde mich auf die Suche nach einem anderen Forum machen müssen. Leicht wird das nicht werden. Denn mein bisheriges war das größte und lebendigste Forum mit einem Bezug zum Thema Borderline-Syndrom im gesamten deutschsprachigen Netz. Doch wo immer ich am Ende landen werde, der Verlust von Tagebucheinträgen soll sich jedenfalls nirgendwo wiederholen können. Von nun an werde ich meine im Netz veröffentlichten Einträge zusätzlich auf meinem eigenen Computer abspeichern. Dadurch bin ich unabhängig von dem Fortbestand eines bestimmten Forums oder der Reflexionsfähigkeit eines Administrators.

Leider habe ich nicht ausschließlich in der virtuellen Welt mit Problemen zu kämpfen, sondern auch in der realen. Und hier sieht es weit weniger nach einer Wiedergeburt aus. Ich stecke in einem tiefen und dunklen Loch. Mit Ausnahme des Laufens bin ich zu keinem Sport mehr in der Lage. Es ist mir jede Energie abhanden gekommen. Kämpfen musste ich ja schon immer, aber nun hat die Situation sich zugespitzt. Ich bin nur noch ein depressives Häufchen Elend.

Ist mein Leben so unerträglich geworden, weil mein Dispokredit bis zum Anschlag überzogen ist und ich trotz aller Bemühungen bisher nicht einen einzigen Euro davon abzahlen konnte? Oder liegt es an den verdammten Dauerdurchfällen, die kein Ende nehmen wollen? Sind die Ursache stattdessen vielleicht die ganzen zusätzlichen Kilos, die ich mir in letzter Zeit erneut angefressen habe?

Letztlich ist wohl ausschlaggebend, dass ich nach all den Jahren des Strampelns immer noch keine echte Chance sehe, aus der Einsamkeit, der Erwerbsunfähigkeitsrente mit aufstockender Grundsicherung und dieser ganzen Scheiße mit dem Borderline-Syndrom inklusive einer Sozialphobie herauszukommen. Dieses verdammte ständige Rotwerden! Das ist wie ein bösartiges Tier, das hinter meiner Stirn lauert!

Wozu noch weiter kämpfen? Ich habe einfach keine Kraft mehr, keinen Anker, keine Ziele und keine Hoffnung. Ich finde, ich habe jetzt wirklich mal etwas Glück verdient! Ich will Geld, ich will ficken und ich will raus aus dieser verdammten Stadt!

Aus dem Off

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