Читать книгу Leichte Beute - Ruth Broucq - Страница 6

ungeduldig

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Die ersten drei Wochen nach Ramonas Einzug, in unsere Gemeinschaft, war ich voll mit der Gewöhnungsphase beschäftigt, wobei mir aber alle Familienmitglieder halfen. Jeder, selbst mein Stiefvater, kümmerte sich liebevoll um die Süße, deren Gesicht von Tag zu Tag glatter und dadurch hübscher wurde.

Die Eifrigste jedoch war meine Oma, die nun jeden Tag aufkreuzte. Obwohl ich ihr für ihre tatkräftige Hilfe dankbar war, fand ich es dennoch übertrieben, dass sie die Kleine ständig auf dem Arm wiegte, mit ihr am Fenster stand, und einem Säugling erzählte, was sich da draußen bewegte. „Guck mal da, die Tante hat aber einen großen Hut auf dem Kopf, und der Onkel ist viel kleiner als die Tante, sonst würde er sich an dem riesigen Hut stoßen.“

„Oma, das Kind kann doch noch gar nicht richtig sehen. Leg es bitte wieder hin“, mahnte ich sie, doch ergebnislos. Oma hatte nach langer Zeit des Alleinseins, endlich ein Opfer für ihre liebevolle Fürsorge gefunden. Und da ließ sie sich nicht von abbringen.

Zwar war unser Mädchenzimmer etwas enger geworden, weil wir einen Sessel und unser kleines Tischchen in den Keller entsorgt, und somit Platz für das Kinderbettchen geschaffen hatten, aber dadurch war die Kleine nachts in meiner Nähe. Allerdings hatte meine Schwester das Vergnügen, sich um Ramona zu kümmern, wenn die nachts wach wurde und schrie. Denn ich schlief so tief und fest, dass mich ein Erdbeben nicht hätte aufwecken können. Manchmal maulte Heide deshalb, beruhigte sich aber sehr schnell wieder. Alles schien perfekt zu sein.

Nach drei Wochen in der Wohnung, wurde ich langsam ungeduldig, ich musste aus dem Haus, unter Leute. Freunde treffen, tanzen, und sehen was mit unserem Club war. Als erstes wollte ich meine Freundin Edda aufsuchen.

„Kein Problem“, zeigte sich meine Mutter verständnisvoll, „um Ramona kümmere ich mich schon, aber komm möglichst nicht so spät nach Hause.“

Die sanfte Tonart, noch dazu als Bitte, statt wie vorher als Befehl ausgesprochen, war mir bei meiner Mutter fremd. Ich war total perplex, wie sehr sich mein Status verändert hatte. Wie einfach es war, plötzlich als erwachsen akzeptiert zu werden. Ich brauchte nur ein Kind zu kriegen, und schon unterlag ich keinerlei mütterlicher Vorschrift mehr. Gewöhnungsbedürftig, aber gut.

Also machte ich mich Samstagmittags auf den Weg zum Hauptbahnhof, um Edda von ihrer Arbeit abzuholen. Kurz vor Ladenschluss traf ich in dem Friseursalon ein.

Meine Freundin, und auch die restliche Belegschaft des Salons freuten sich sehr mich zu sehen. Sie gratulierten mir sehr herzlich.

Nachdem die letzte Kundin gegangen war, half ich meiner Freundin noch schnell bei den Aufräum- und Säuberungsarbeiten, dann verließen wir fröhlich quasselnd und kichernd den Laden.

„Wie läuft der Club?“, fragte ich.

„Welcher Club? Du meinst doch nicht den Baby-Club? Den gibt es nicht mehr. Wer soll das denn machen? Seit der Zack beim Bund ist, ist das Lochbachtal nicht mehr gefragt. Das war doch nicht anders zu erwarten“, wunderte sich Edda über meine Frage.

„Hm, die arme Frau Reichel. Aber wo gehen denn nun die ganzen Leute hin, zur Olly und in den Eckstumpf?“, wollte ich wissen.

Edda nickte: „Ja, auch. Aber es gibt noch mehr Möglichkeiten. Das Eiscafe Cortina am Werwolf, ist ne Eisdiele mit Musikbox, aber ohne Tanz, und dann hat vor ein paar Tagen ein neuer Club aufgemacht, unten am Ohligs-Bahnhof, in dem alten Kino. Ich war noch nicht da, deshalb weiß ich nicht, was da los ist. Hab aber gehört, dass schon einige den Club ganz gut finden. Wir können ja mal hingehen. Hast du Lust?“

„Im Bali-Kino? Ist das denn zu?“, staunte ich über so viel Neuigkeiten.

„Nee!“, lachte Edda laut los. „Doch nicht im Kino, nur in dem gleichen Haus, unten drin. Ich war noch nicht drin, nur davor, weiß nichts genaues, lass uns gucken was da läuft“, schlug sie vor.

Sofort erklärte ich mich einverstanden, und wir beschlossen gleich am frühen Abend hinzufahren.

Auch von Eddas Eltern kamen spontan Glückwünsche zur Geburt, und sogar eine niedliche Baby-Garnitur, die Eddas Mutter selbst gestrickt hatte.

Zeitig zogen wir los, brachten den nicht unbeträchtlichen Weg, bis zur Haltestelle Schlagbaum zügig hinter uns. Mit dem Bus war es noch eine halbe Stunde zu fahren, bis wir am Bahnhof ausstiegen. Das kurze Stück bis zu dem Kino führte uns durch einen Tunnel, auf die Rückseite des Bahnhofs.

Lange war ich nicht mehr in dieser Gegend gewesen, dennoch bemerkte ich die Veränderung sofort. „Was ist das denn da für ein komischer Wagen? Steht der schon lange hier? Sieht aus wie die Fischbude auf dem Marktplatz“, wunderte ich mich über das große, weiße Gefährt, auf der anderen Straßenseite, dem großen Kino-Gebäude gegenüber.

Edda grinste: „Das ist die Würstchen-Bude vom Conny. Der Kerl ist ne Nummer für sich, warte nur ab, du lachst dich schlapp. Aber seine Curry-Wurst ist echt lecker“, klärte die Freundin mich auf.

„Currywurst? Kenn ich nicht. Hast du die denn schon probiert?“, war ich etwas skeptisch.

„Ja, klar. Komm, ich spendiere dir Eine. Wird dir bestimmt schmecken“, war sich Edda sicher, und zog mich über die Straße.

Alles Neuland für mich. Die Clubszene hatte sich verändert, ebenso das Landschaftsbild. Die Würstchenbude, in der eine neue Art der Zubereitung angeboten wurde, Brat- anstatt Bockwurst, die hatte bisher nicht zum Straßenbild gehört. Die Zeit veränderte sich, was sich allerdings nicht als Nachteil erwies. Offensichtlich war dieses neue Angebot sehr begehrt, denn viele Leute standen vor dem Verkaufswagen, überwiegend Jugendliche.

Es kam mir vor, als sei ich nicht nur ein paar Wochen, sondern eine sehr lange Zeit weggewesen, als käme ich aus der Fremde zurück, und gehöre nicht mehr dazu.

Noch viel fremder kam mir dann dieses „Unikum Conny“ vor. Im Inneren des Wagens, stand der Würstchenverkäufer etwas erhöht hinter einer kleinen Theke.

Ein fettleibiger Mann mittleren Alters, dessen blonde Haare schon so licht waren, dass die einsame Locke, die ihm in die Stirn hing, den Hang zur Glatze auch nicht mehr verdecken konnte. Sein rötliches, verschwitztes Gesicht, passte zu der Farbe seines rosa Polohemdes, und zeugte nicht nur von hitziger Anstrengung, sondern auch von Bluthochdruck. Mit seinen dicken Pausbacken, unter den kleinen Augen, glich er einem rosigen, schwitzenden Eber. Über den leicht vorstehenden Bauch, war eine weiße Schürze gebunden, die aber schon einige Soßenflecke abbekommen hatte. Trotzdem wirkte der Anblick sehr appetitlich, denn ein köstlicher Geruch, zog, aus dem Inneren des Verkaufwagens, in meine Nase.

Was mich aber viel mehr faszinierte, als der leckere Bratgeruch, war das seltsame Gehabe des Mannes, und seine kuriosen Vorträge, während er lachend die Kunden bediente.

„Und was darf ich für dich tun, Baby? Willst du auch ein Würstchen? Aber du kriegst es nicht am Stück, für dich mach ich es nur geschnippelt“, flachste er, unter dem Gelächter der anderen, wartenden Jugendlichen, und während er mit einer Schere eine Bratwurst in kleine Stücke schnitt, fuhr er grinsend fort: „So, Fräulein, wie hättest du denn die heiße Wurst gerne? Scharf, besonders scharf, sehr scharf, oder bist du selbst scharf genug? Ha ha ha“. Dabei bestreute er die Wurststücke mit Currypulver, ohne auf die Antwort zu warten.

Die ganzen hungrigen, jungen Männer grölten vor Lachen, mit seiner lustigen Art, überbrückte der Wurstmann geschickt die Wartezeit seiner Kunden.

Ich fand die Szene total fremd, aber faszinierend und beobachtete staunend, das Gehabe des Wurstverkäufers.

„Sag mal, Edda, der hat aber ne komische Art, sieht aus als wäre der Kerl…. Na du weißt schon“, flüsterte ich meiner Freundin ins Ohr.

Edda grinste breit, als sie gelassen erwiderte: „Schwul, sag es ruhig. Dem Conny macht das nix aus. Stimmt, das ist er, schwul aber lustig, oder?“

Ich war über Eddas lautstarke Aussage richtig erschrocken, blickte prüfend zu dem Schwulen hoch. Aber der schien es nicht gehört zu haben, die Erklärung war wohl im allgemeinen Gelächter untergegangen.

Als der Wurstmann mich ansprach: „Und Sie, Fräulein, möchten Sie die Wurst auch geschnippelt, oder am Stück?“, nickte ich nur verlegen, weil ich nicht wusste was ich antworten sollte. Aber noch bevor Edda bezahlt hatte, wandte sich der schwule Wurstverkäufer schon dem nächsten Kunden zu, und machte seine süffisanten Sprüche über die anderen.

Die Wurst schmeckte scharf aber köstlich.

Der neue Tanzclub befand sich im Untergeschoss des großen Gebäudes, unter dem Kinosaal. Der Clubraum gehörte zu der Kneipe, denn man musste erst durch den Schankraum, um in den hinteren Raum zu gelangen.

Wegen sehr schwacher Beleuchtung, konnten wir im ersten Moment die Größe sowie die Einrichtung kaum erkennen, und ich brauchte einige Minuten, um mich zu orientieren.

Deshalb blieben wir gleich nach der Eingangstür stehen, und sondierten die Lage.

Der Saal war schmal und lang, und wir erkannten fast am Ende des Raumes, einige Gestalten in rhythmischen Bewegungen. Nur wenige Gäste waren anwesend, denn die Sitzgarnituren, die auf beiden Seiten standen, waren leer.

Der Ohrenbetäubende Lärm sollte wohl Musik sein, was ich aber als widerliches, überdrehtes Gekrächze empfand. Nur Eddas Mundbewegung konnte ich entnehmen, dass sie mit mir sprach, zu hören, was sie sagte, war unmöglich. Allerdings sah ich ihrer Mimik an, dass sie genau so unangenehm berührt war, wie ich.

Plötzlich brach der Krach mit einem hässlich, kratzenden Geräusch ab, und ein blonder, dünner Jüngling kam auf uns zu. Schon an dem Nummern-Block in seiner Hand, konnten wir erahnen, was er von uns wollte.

„Hallo, ihr seid zu ersten Mal hier?“, fragte er und fuhr gleich fort: „Der Eintritt kostet zwei Mark, aber wenn ihr Mitglieder werdet, wird es um die Hälfte billiger. Wenn ihr das wollt, trag ich euch direkt ein. Wollt ihr?“, schien er sich sicher zu sein, denn er machte keine Anstalten, für uns Bons abzureißen.

„Nein!“, erwiderten wir wie aus einem Munde.

„Wie? Nein? Warum nicht?“, staunte er, mit dämlichem Gesichtsausdruck.

„Weil es hier keine gute Musik gibt. Die war viel zu laut und kratzte schrecklich. Kann sich doch keiner länger anhören. Habt ihr kein Geld für ne ordentliche Anlage? Oder habt ihr ein Problem mit den Ohren?“, gab Edda ihre Meinung zum Besten.

„Oder weil das hier eine unmöglich dunkle Höhle ist, deshalb wollen wir keine Mitgliedschaft. Ist das vielleicht klarer?“, wurde ich deutlicher. „Nee, komm, Edda, dafür bezahl ich keinen Pfennig, von zwei Mark ganz zu schweigen. Da geh ich lieber woanders hin, lass uns abhauen“, schlug ich vor und wandte mich zur Tür.

Der Blonde war wohl sprachlos, denn er starrte uns nur mit offenem Mund an. Als wir hinaus gingen, hörten wir seine Schritte auf dem Holzboden, als er zurück zum anderen Ende des Raumes ging.

„Eckstumpf oder Olly?“, fragte ich draußen. „Besser Olly. Ist jetzt näher, oder?“, schlug ich gleich die kürzere Möglichkeit vor.

„Da wird zwar auch nicht viel los sein, aber hast recht. Also Olly.“, nickte meine Freundin.

Verwundert wollte ich wissen: „Wieso? War doch immer was los. Versteh ich nicht. Was hat sich denn verändert?“

Schulter zuckend meinte Edda: „Keine Ahnung, irgendwie ist die ganze Szene mau. Vielleicht weil es sich jetzt auf drei Clubs verteilt? Ist schon komisch, mit dem Ende des Baby-Clubs scheint den Leuten die Lust vergangen zu sein. Ich weiß es auch nicht“, war sie ratlos.

Tatsächlich konnten die paar müden Figuren, die Ollys Laden nicht einmal zu einem Viertel füllten, die träge Stimmung nicht vertuschen. Zwar lief die Musikbox wie immer, aber weil nur Schmusesongs ertönten, schien der Ton leiser als sonst zu sein. Vielleicht lag es an den sanften Rhythmen, dass niemand tanzte, sondern die Gäste sich nur auf den Plätzen lümmelten.

Sogar die eigentlich quirlige Wirtin, und ihr fleißiger Ehemann, hingen lustlos an der Theke, ohne uns Neuankömmlinge zu beachten, oder nach unseren Wünschen zu fragen. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie alt, verbraucht und äußerlich künstlich aufgeputscht die Frau aussah, und wie aufgedunsen und verlebt ihr Ehemann war. Der Alkoholgenuss hatte seine Zeichen bei den Wirtsleuten hinterlassen. Ja, die ganze Atmosphäre wirkte wie gelähmt. Insgesamt ein betrübliches Bild.

„Mensch, hier ist ja der Hund begraben. Das macht überhaupt keinen Spaß mehr, hier hinzugehen. Sag mal, was machen wir denn jetzt? Oder ist der Treffpunkt jetzt der Eckstumpf? Aber, um noch nach Wald zu fahren, ist es mir heute schon zu spät. Mensch, Edda, was ist denn mit den ganzen Leuten los? Wo sind die denn alle hin?“, fragte ich enttäuscht.

„Was soll ich dazu noch sagen? Es ist keine Stimmung mehr da. Keiner der das Zugpferd macht. War im Baby-Club anders. Tja“, war auch Edda ratlos.

Ungläubig widersprach ich: „Das kann doch nicht nur an dem Wegfall des Baby-Clubs liegen. Willst du damit sagen, dass Robert das Zugpferd der ganzen Club-Szene war? Im Ernst?“

Als sie nickte überlegte ich: „Das ist ja schrecklich! Der kann erst in vier Jahren wieder einen Club aufmachen. So lange soll es so öde zugehen? Nee, das wäre ja todlangweilig. Was können wir dagegen tun?“

„Mach du den Club wieder auf. Du bist die Einzige, die mit der Reichel klar kommt.“ Schlug meine Freundin vor.

„Quatsch! Ich hab doch keine Ahnung wie das abläuft“, lehnte ich spontan ab.

„Das ist doch kein Problem für dich. Wenn es Jemand kann, dann du!“, widersprach Edda energisch.

Im Bett liegend, dachte ich noch lange über Eddas unerwartete Idee nach. Eigentlich hat sie ja Recht, dachte ich. Von der Reichel werde ich sicher keine Ablehnung bekommen, ganz im Gegenteil. Die wird froh sein, wenn ich ihr wieder den Rücken stärke. Aber wie das mit dem Eintritt läuft, muss ich erst wissen, und dann fehlt mir auch noch die Musikanlage. So viele Platten wie ich brauche, habe ich nicht, und zum kaufen fehlt mir das Geld. Vielleicht mit Musikbox, wie bei Olly? Aber dann kann ich keinen Eintritt nehmen. Mir qualmte der Kopf, sodass ich mitten in meinen Überlegungen einschlief.

Als ich am nächsten Morgen gerade die Betten machte, erlebte ich eine große Überraschung. Kaum hatte der Rest meiner Familie das Haus verlassen, als es klingelte.

„Du? Wo kommst du denn her? Wieso bist du hier? Hast du denn schon Urlaub?“, staunte ich völlig fassungslos, denn vor unserer Haustür stand mein Freund Robert.

Breit grinsend, zog er mich schwungvoll in seine Arme, küsste mich stürmisch und strahlte; „Ja, da staunst du, was? Nee, ich bin abgehauen, ich hatte keinen Bock mehr. Langweiliger Laden, da“, zischte er verächtich, mit einer abwehrenden Handbewegung.

„Wie? Geht das denn so einfach?“, fragte ich naiv.

„Siehste doch. Bei mir geht das. Aber frag nicht so blöd. Willste mich nicht reinlassen? Sind doch alle zur Arbeit, oder nicht?“, erkundigte sich Robert lauernd.

Ich nickte: „Klar, komm rein.“

Der Vormittag wurde ein Freudenfest der Liebe und des Wiedersehens, denn selbst die kleine Ramona war stundenlang recht ruhig, ausnahmsweise mal nicht so quengelig wie sie es sonst eigentlich war.

Weder Robert noch ich, machten uns Gedanken über die Folgen seiner Flucht. Zwar war mir unterbewusst klar, dass Roberts Ausflug in die Heimat nicht rechtens sein konnte, aber ich hatte keine Ahnung über die Vorschriften bei der Bundeswehr, und Robert erwähnte zwar am Rande, dass man ihn vermutlich suchen werde, und er wohl bald wieder zurück müsse, aber dramatisch klang das nicht, eher gleichgültig.

Als ich ihm von Eddas Idee erzählte, lachte er mich nur aus und meinte: „Ihr Weiber kommt vielleicht auf blöde Ideen. Das ist doch nix für ein Mädchen, nee, schlag dir das mal schnell wieder aus dem Kopf. Schließlich hast du keine Ahnung davon, wie du nen Club aufbauen musst, und was willst du denn machen, wenn es mal Krach gibt? Schlichten? Oder Jungs aufs Maul hauen? Nee, lass den Quatsch.“

Ich verzichtete auf weitere Diskussionen, wollte die Stimmung nicht kaputt machen.

Kurz nach Mittag entschied er sich dann, zu seinen Eltern zu fahren, und weil ich mit der Kleinen zu Eddas Arbeitsstelle wollte, entschloss er sich, bis dorthin mitzugehen. Kurz vor dem Friseursalon küsste er mich zum Abschied, meinte: „Ich gehe nicht mit rein, ich fahre zu meinen Eltern. Wir sehen uns heute Abend, ich komme dann später zu dir.“

Dazu sollte es nicht mehr kommen. Ich musste mir abends nur die Vorwürfe meiner Eltern anhören, was für ein Hallodri der Vater meiner Tochter sei.

Denn inzwischen waren die Feldjäger auf der Suche nach dem „Fahnenflüchtling“ auch bei uns zu Hause gewesen.

„Dieser Bengel kann aber auch wirklich nichts als Mist bauen. Das bringt ihm jetzt mit Sicherheit viel Ärger ein. Da hast du dir ja einen ausgesucht, unmöglich! Mit dem wirst du noch sehr viel Ärger haben“, wusste meine Mutter über meine Zukunft zu unken.

„Den stecken sie beim Bund mal erst in den Knast, was glaubt ihr denn? Die Flausen werden die dem noch austreiben. Schadet ihm nix.“ kommentierte mein Vater wissend.

Ich enthielt mich eines Kommentars, es war mir egal.

Nun empfand ich für Roberts Probleme nur noch Gleichgültigkeit.

unermüdlich

Am nächsten Tag war Robert schon wieder weg, die Feldjäger hatten ihn schon abgefangen. Aber seit dem Tag, des kurzen glücklichen Zusammenseins, war meine Liebe und Sehnsucht nach Roberts körperlicher Nähe wieder voll erwacht, und während ich immer unzufriedener und schlechter gelaunt wurde, grübelte ich, nach einer Lösung meines Problems.

Hinzu kam dass ich zwar für die Haushaltsführung, von meiner Mutter, ein Taschengeld bekam, das aber mit 6,50 DM so knapp bemessen war, dass es gerade für eine Busfahrt und eine Cola reichte, wenn ich ausging.

Auch meine Garderobe war inzwischen auf ein spärliches, unmodernes Häufchen zusammen geschrumpft, während ich voller Neid zusehen musste, wie meine Schwester jede Woche mit chicen, neuen Klamotten nach Hause kam. Bei Heides gutem Verdienst konnte sie sich ständig neues leisten.

Ich stand mit langer Nase daneben. Wenn ich dann mal vorsichtig anfragte, ob sie mir mal einen Rock oder Pulli leihen würde, kam sofort die Forderung, entweder 50 Pfennig Leihgebühr oder Haare machen. Bei meinem bescheidenen Taschengeld blieb mir nur die zweite Variante. Also stand ich sonntags mittags in unserer Küche, und quälte mich ab, aus den Pferdehaaren meiner Schwester eine Frisur zu zaubern. Ich hasste diese Arbeit. Und ich hasste meine Schwester.

Immer öfter sprach ich davon, wieder zu arbeiten, und dass ich am liebsten in Roberts Nähe sein würde.

Nach langen Diskussionen willigte meine Mutter endlich ein, mich ziehen zu lassen.

Mit meiner Oma hatte ich längst vereinbart, dass sie sich tagsüber um Ramona kümmern werde, wenn ich wieder arbeiten ginge. Dass ich dann so weit weg war, in Idar-Oberstein, spielte für meine Oma keine Rolle. Sie war sowieso voll auf die Betreuung meiner kleinen Tochter konzentriert, sodass meine Anwesenheit unwichtig war. Auf die Betreuung durch meine Familie hatte ich eh keinen Einfluss, denn jeder wusste und machte es besser als ich, was ich mir aber gerne gefallen ließ.

Also suchte ich mir in den Stelleinanzeigen der Rhein-Zeitung einen Arbeitsplatz in Rheinland-Pfalz.

Das passende Angebot schien mir ein kleines Hotel im Grünen, am Stadtrand zwischen Idar-Oberstein und Baumholder zu sein. Dort suchte man ein freundliches Zimmermädchen, mit der Fähigkeit zum Servieren, bei gutem Verdienst, mit Kost und Logis im Haus. Zimmer sauber machen konnte ich schließlich, und gekellnert hatte ich auch lange genug.

Nach kurzem Schriftverkehr bekam ich einen monatlichen Verdienst von 350 DM, bei freier Kost und Logis, offeriert, und als ich einverstanden war, wurde ich, ohne Vorzeigen irgendwelcher Zeugnisse oder Unterlagen, sofort angenommen. Man erwartete meine Anreise.

Robert freute sich genau so wie ich, denn endlich konnten wir wieder zusammen sein. Ohne Zögern stieg ich, kurze Zeit nach Roberts Besuch, in freudiger Erregung, in die Bundesbahn, um meinen Arbeitsplatz anzutreten.

Das kleine Hotel war sehr abgelegen, von der Bundeswehr-Kaserne circa 20 km entfernt, schon fast im Nachbarort Baumholder, nahe dem amerikanischen Militärstützpunkt.

Das brachte die Schwierigkeit mit sich, dass Robert zwar in der Nähe war, aber trotzdem zu weit von mir. Da er wegen seiner verbotenen Fahnenflucht, 6 Wochen Ausgangssperre hatte, war Wartezeit angesagt. Also war in den ersten vier Wochen nicht an ein Zusammentreffen zu denken.

Während der Einarbeitungszeit fand ich die Arbeit akzeptabel, denn die wenigen Zimmer waren nur teilweise belegt, deshalb die Reinigung der Räume leicht zu bewältigen. Dass ich vorher noch das Frühstück vorbereiten musste, machte mir, am Anfang, ebenfalls keine Mühe. Schwierig wurde es erst, als die Abende in der Hotelbar länger wurden, weil viele amerikanische Soldaten gerne die Bar besuchten. Denn, dass der abendliche Barbetrieb, bis 1 Uhr morgens, auch noch zu meinen Aufgaben gehörte, hatte man mir vorher nicht so deutlich erklärt. Man hatte mich als Zimmermädchen eingestellt, und die Fähigkeit zum servieren am Rande erwähnt. Nun sah es so aus, dass die Zimmerreinigung, mangels Belegung, nebensächlich war, aber das Servieren in der Frühe und am späten Abend, die Hauptaufgabe darstellte.

Auch die drei bis vier Stunden Mittagspause, zwischen meinen Aufgaben, halfen mir nicht, über die morgendliche Zerschlagenheit hinweg, weil ich mittags nicht schlafen konnte.

Zwar gaben die AMIS sehr großzügige Trinkgelder, aber die harten Dollar konnten meinen Schlaf nicht ersetzen, ich musste morgens früh raus.

Schon nach einer Woche hatte ich ein Schlafdefizit, und meinen Robert immer noch nicht gesehen.

Mit Mühe und Not hielt ich die nächsten Wochen durch, dabei wusste ich immer weniger, ob dieser Schritt sich wirklich gelohnt hatte. Ich fühlte mich alleingelassen, überflüssig, wie ausgelaugt, und kam immer schwerer morgens aus dem Bett.

Dann kam es auch noch vor, dass ich mich mit total betrunkenen Amerikanern auseinandersetzen musste, und weder mein Chef, noch seine Frau und Köchin im Haus waren. Eines Nachts eskalierte es.

Ich war ganz alleine in dem abgelegenen einsamen Haus, und wusste eine Horde betrunkener Amis nicht hinaus zu bekommen. Die Soldaten verstanden mich genauso wenig, wie ich deren Sprache, und ich konnte ihnen nicht verständlich machen, dass es um ein Uhr keinen Ausschank mehr gab, sondern, dass sie das Lokal verlassen mussten.

Sie lachten, während ich letztlich schimpfte: „Verdammt, jetzt raus mit euch! Hier ist Schluss für heute! Raus! Feierabend!“

Als die Eingangstür aufging, und ein großer uniformierter Mann in den Raum trat, und etwas schrie, was ich nicht verstand, war plötzlich Ruhe.

Der Ankömmling fragte in gebrochenem Deutsch: „Du kriegen noch Geld?“ Währenddessen staksten die Betrunkenen ganz leise und so steif hinaus, als hätten sie einen Stock verschluckt.

Ich schüttelte den Kopf, sagte erleichtert: „Nein. Alles schon bezahlt.“ Als der Offizier als letzter die Bar verließ rief ich ihm noch hinterher: „Danke“, dann schloss ich schnell die Tür.

Auf meine Beschwerde, lachte mein Chef nur: „Ach die sind doch harmlos, die tun Ihnen nichts, da brauchen Sie keine Angst zu haben.“

Ich fand das nicht lustig, sagte nur: „Ich bleibe hier aber bestimmt nicht mehr ganz alleine im Haus. Wenn Sie mich hier noch einmal alleine lassen, kündige ich.“

Ein paar Tage später sah ich endlich meinen Liebsten, und erzählte ihm die Geschichte. Auch Robert lachte und meinte: „Stimmt, die Amis sind harmlos. Du bist ne Bangbüx. Ha ha ha. So kenn ich dich gar nicht, Ruthchen. Hast doch sonst so eine große Klappe. Ha ha ha.“

Ich fand die Stelle zum Lachen nicht, und fragte säuerlich: „Was lachst du so blöd? Woher willst du denn wissen, was da alles passieren kann, wenn die gesoffen haben? Du warst ja nicht da, um mir zu helfen. Überhaupt, erzähl mal, wann du deine Ausgangszeiten hast, muss ich ja auch mit dem Chef klären, dass er mir dann frei gibt.“

Robert winkte ab: „Das ist leider erst wieder am Sonntag in zwei Wochen, während der Grundausbildung alle 14 Tage sonntags, und erst danach ein ganzes Wochenende. Tja.“

„Wie? Wann ist denn die Grundausbildung zu Ende?“ fragte ich naiv.

„Na, in 2 Monaten. Die haben mir den ersten Teil nicht angerechnet. Aber was soll ich dir erklären? Verstehst du eh nicht. Ist halt so“, knurrte er.

„Was mach ich dann hier? Bin bei dir, und doch nicht bei dir? Hätte ich ja auch zu Hause bleiben können. Watt ein Mist!“, empörte ich mich. „Nee, das gefällt mir nicht!“

Abends im Bett, dachte ich über die verfahrene Situation nach. Ich sah ein, dass ich eine Fehlentscheidung getroffen hatte. Wegen Robert hatte ich diese Arbeit angenommen, sicher arbeiten wollte ich ganz bestimmt, aber das könnte ich auch zu Hause. Und sei es nur stundenweise, sicher würde meine Oma auch dann auf Ramona aufpassen. Aber in der Fremde, dieser Einöde, wo ich doch nichts von meinem Freund hatte, da wollte ich nicht bleiben, das wurde mir immer klarer. Nein, in dem Hotel war ich am falschen Fleck.

Bereits am nächsten Tag warf ich den Job hin. Fuhr froh gestimmt wieder nach Hause. Und als ich meine Kleine in den Arm nahm, war ich glücklich, zurück gekehrt zu sein. Zum ersten Mal wurde mir klar, wie sehr die Mutterliebe mich an dieses kleine Wesen band.

Natürlich war ich finanziell nicht weiter gekommen, weil ich nicht einmal einen Monat voll gearbeitet hatte. Das meiste war für die Bahnfahrt draufgegangen, denn die versprochene Fahrgelderstattung, hatte der Hotelier nicht eingehalten. Aber ich war entschlossen, meine schwache Finanzlage aufzubessern.

Nur mein Baby versorgen, und immer knapp bei Kasse zu sein, meiner Schwester bei ihrem Kaufrausch zusehen, und um Almosen betteln, war nichts für mich. Ich würde mein Weiterkommen selbst in die Hand nehmen.

Eddas Anregung kam mir in den Sinn, und ich fand den Gedanken recht sinnvoll, denn ich hatte natürlich nicht versäumt, Robert durch die Blume auszufragen, was man zum Betreiben eines Clubs benötigte.

Außerdem fand ich es besser, am Abend zu arbeiten, um tagsüber bei meinem Kind zu sein, denn in meiner Abwesenheit, hatte ich die Kleine doch wirklich sehr vermisst.

Kaum zu Ende gedacht, machte ich mich auf dem schnellsten Weg ins Lochbachtal, zu Frau Reichel.

Die Gute war rundweg begeistert, von der Idee, dass ich den Club zu neuem Leben erwecken wollte. „Ach da freue ich mich aber Ruth“, stimmte sie mir gegeistert zu. „Von mir aus kannst du jederzeit loslegen. Bei dir weiß ich, dass die Sache in guten Händen ist, und dass alles seinen rechten Weg geht. An welche Tage hattest du denn gedacht, und wann willst du denn anfangen?“ fragte sie zustimmend.

Nachdem ich alles geklärt hatte, begann ich mit den Vorbereitungen. Von vielen Freunden bekam ich die Platten geliehen, und Edda besorgte mir sogar ein altes Radio, und einen Plattenspieler. Als ich mit zwei Bonblöcken ins Rathaus kam, um die einzelnen Bons für die Vergnügungssteuer abstempeln zu lassen, wünschte mir der Beamte noch viel Erfolg. So einfach ging also selbständiges Betreiben eines Clubs. Fein.

„Und wie soll der Club heißen? Auch Baby-Club?“, wollte Edda wissen.

„Hm, nee, das finde ich blöd. Mit dem Baby-Club verbindet man auch den Zack und seine Kumpels. Nee. Hat doch nix mehr mit dem Zack zu tun. Tanzclub Blau-Rot. Ist besser. Okay?“, überlegte ich laut.

Edda nickte. „Ja, wieso nicht?“

Abends berichtete ich meiner Mutter von meiner neuen Arbeit. „Arbeit? Du meinst wohl Vergnügen?“, meinte sie skeptisch.

„Nein, Mutti, glaub mir, ich werde nicht nur das Eintrittsgeld verdienen, auch mit kellnern werde ich noch was dazu verdienen. Es stimmt zwar, die Leute kommen zum tanzen da hin, aber zu meinem Vergnügen wird das nicht, dafür habe ich keine Zeit. Hast doch selbst gesehen, dass ich bei der Frau Reichel immer gut verdient habe. Und jetzt wird das doppelt so viel werden, warte es nur ab“, war ich mir ganz sicher.

„Ach, so einfach kann das doch nicht sein, einfach nur ein paar Bons verkaufen, und damit Geld verdienen? Das glaube ich nicht“, blieb sie anfangs ungläubig, denn sie war zu einfach, obrigkeitstreu und unflexibel, um sich ungewöhnlichere Wege vorstellen zu können, als irgendwo, in einer Firma, zu malochen. Allerdings war sie neugierig genug, mich meine Sache machen zu lassen.

Ich verzichtete darauf, sie über die Abläufe, und die 5Prozentige Vergnügungssteuer aufzuklären, weil sie es dennoch nicht geglaubt hätte. Ihr musste man das Geld unter die Nase halten, Tatsachen vorzeigen, wenn man sie überzeugen wollte. Wollte ich das denn? Nö. Lieber würde ich sie bei ihrer Meinung lassen.

Nachdem Edda und ich einige Tage, in allen Clubs, die Werbetrommel gerührt hatten, starteten wir, mit Hilfe von Roberts bestem Freund Klaus, an einem Freitag Ende Mai.

Der Besuch war mäßig, aber nach einem schönen Abend, unter den erschienenen Freunden, war meine liebste Freundin mit mir der Meinung: „Das war ein netter Anfang, das wird noch!“

Zwar bekamen wir unsere Clubabende gut gefüllt, und dank der engsten Clique, war auch immer eine ausgelassene gute Stimmung im Saal, aber an Baby-Club -Zeiten konnten wir nicht anknüpfen. Die ganze Szene hatte sich verändert, irgendwie auseinander gezogen.

Natürlich ging ich an anderen Wochentagen auch manchmal in das Eiscafe Cortina, oder in die anderen beiden Clubs.

Aber das Cafe war nur sonntags nachmittags gut besucht, und zudem gefiel mir das Publikum dort nicht. Gymnasiasten, Studenten und Existenzialisten bildeten den größten Teil der Gäste, die wir in der Club-Szene nie zu Gesicht bekamen. Junge Leute aus besseren Kreisen, die mit dem Auto des Vaters protzten, weil sie damit mal fahren durften. Auf engen Kontakt, mit dieser Art von Jugendlichen, legten wir aber auch keinen großen Wert.

Von den beiden anderen Clubs, war im Eckstumpf mittlerweile sogar gähnende Leere, sodass der sich nicht mehr lange würde halten können, nur der Beat-Club in Ohligs, dieser dunkle Schlauch, war noch gut besucht. Was meiner Meinung nach, mehr an der Würstchen-Attraktion Conny, als an dem dunklen Saal und seinen Betreibern lag, obwohl die Musik zunehmend besser wurde. Man spielte sehr viel die neue Musik von den englischen Pilzköpfen, nach denen der Club auch benannt war. Damit war die Konkurrenz gefährlich auf dem Vormarsch.

Noch dazu hatten die Anderen den Vorteil, günstiger gelegen zu sein, denn zum Lochbachtal fuhr leider immer noch keine Buslinie. Ich ahnte schon, dass meine Club-Zeit nicht mehr lange dauern würde. Aber ich blieb unermüdlich im Einsatz. Ich wollte es nutzen, so lange es ging.

Mein Geschäftssinn war geweckt.

Leichte Beute

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