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unbegreiflich

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Als ich dann Heides neue Liebe zum ersten Mal sah, wurde mein Bild von meiner Schwester total auf den Kopf gestellt.

Dieses bodenständige, realistische Mädchen, mit dem einfachen, sonnigen Gemüt, das sich immer als normale Arbeiterin, aber auch als mutige Kämpferin dargestellt hatte, ausgerechnet die, brachte einen dieser kleinen, schwarz gelockten, italienischen Gastarbeiter mit nach Hause. Ein Mann, der nicht einmal unsere Sprache beherrschte, und ein unmöglich offenes, anbiederndes Benehmen hatte. Das passte ja wirklich gar nicht. Für mich unbegreiflich, dass ausgerechnet meine energische, rabiate Schwester den kleinen Italiener mit den Augen förmlich auffraß.

Er nannte meine Eltern gleich „Mama“ und „Vati“, und mich nannte er „Rutschen“, aber viel mehr deutsche Worte beherrschte er nicht. Dafür benahm er sich, als habe er schon ewig in unserem Haus gelebt. Ganz offensichtlich hielt er unsere Küche für einen Selbstbedienungsladen, denn er holte sich ganz selbstverständlich Geschirr oder Getränke aus den Schränken, ohne vorher zu fragen. Derartiges Benehmen kannte ich nicht, und es gefiel mir auch nicht.

Was mich aber am meisten nervte, war seine Art meinen Namen auszusprechen.

„Ich heiße Ruth! Nicht Rutschen! Du und ich, wir werden nie rutschen, verstehst du? Also sprich meinen Namen richtig aus, oder lass es ganz“, wies ich ihn genervt zurecht.

Zu meiner Schwester gewandt kritisierte ich: „Mensch Heide, wie kannst du das nur aushalten? Nee, dich versteh ich absolut nicht mehr.“

Heide blieb gelassen: „Ja und? Er wird es schon lernen, ja Rehchen? Du lernen deutsch, werden immer besser.“

Sein Name war Remus. Heide nannte ihn Rehchen. Wie furchtbar.

Ein Horror für mich, jetzt sprach meine Schwester auch noch so ein ätzendes, abgehacktes ausländisch-deutsch. Nein, das war nicht meine Welt. Das würde mir nie passieren, dass ich mich mit einem Ausländer, der nicht einmal unsere Sprache beherrschte, einlassen würde.

Dass ich nicht weniger leichtsinnig, als meine Schwester, war, wurde mir schon bald auf drastische Art bewusst. Als sich meine normale Periode in eine starke, nicht endende Blutung, mit schlimmen Unterleibsschmerzen, veränderte, schaffte ich es nicht mehr, einen Frauenarzt aufzusuchen, sondern ließ mich von Dieter gleich in die Klinik fahren. Das Ergebnis war eine Ausschabung, weil wir natürlich, leichtsinnig, auf Kondome verzichtet hatten, ohne uns Gedanken zu machen.

Da sich mein Körper aber noch nicht von der Geburt erholt hatte, die ja erst ein halbes Jahr zurück lag, war mein Unterleib zu schwach, um eine erneute Befruchtung zu halten. Zum Glück. Mit siebzehn Jahren bereits das zweite Kind zu bekommen, war nun wirklich weder mein Wunsch noch Wille.

Zwei Tage nach der Ausschabung, bekam ich heftige Schmerzen im Blinddarmbereich. Bei der Untersuchung meinten die Ärzte, dass es unmöglich von meinem Blinddarm kommen könne. Als der Schmerz immer stärker wurde, ich die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte, entschloss man sich schließlich doch zu operieren.

Nach dem Aufwachen aus der Narkose wunderte ich mich, über das stark gespannte Gefühl am Bauch, und tastete meinen Körper ab. Mit Entsetzen fühlte ich etwas unangenehmes hartes, das sich direkt über meinen Schamhügel, quer über den Unterleib spannte. Das seltsame Gebilde war eine Reihe kleiner Metallklammern, die eine lange Operationsnarbe zusammenhielten. Auf meine erschreckte Frage, erklärte man mir, es sei tatsächlich der Blinddarm gewesen. Man hatte eine Bauchhöhlen-Schwangerschaft vermutet, deshalb dieser große Bauchschnitt. Na bravo, ich fühlte mich entstellt.

Außer meinem Freund Dieter, hatte ich nur einen Besucher, meine Mutter.

Von ihr musste ich mir zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Vorwürfe anhören. „Du musst aber jetzt mal besser aufpassen, Kind. Schließlich kannst du nicht erwarten, dass die Oma tagelang auf Ramona aufpasst. Sie ist dazu nicht mehr in der Lage, das war schon zu merken, als du in Idar-Oberstein warst. Immerhin ist sie schon 72. Für ein paar Stunden geht das Mal, aber nicht mehrere Tage, und schon gar nicht auf Dauer. Also sieh bitte zu, dass du dich mehr selbst um dein Kind kümmerst.“

Ich hatte ihren untergründigen Hinweis schon verstanden, sagte aber nichts dazu. Was hätte ich erwidern sollen? Dass wir auf Gummis keinen Bock hatten, weil wir keine solchen Gefühlsbremsen mochten? Hätte ich sie fragen sollen, ob sie mir andere Verhütungsmethoden empfehlen konnte? Dass sie mich dann endlich mal darüber aufklären müsse? Nein! Solche Themen konnte niemand mit dieser Frau diskutieren. Dazu war sie zu prüde.

Nach ein paar Tagen holte Dieter mich ab, und brachte mich nach Hause. Am frühen Tag war nur meine Oma anwesend. Sofort nutzte ich die günstige Gelegenheit, sie zu fragen. Nachdem ich mit meiner Großmutter gesprochen hatte, und ihre Zusage erhalten hatte, erklärte ich meiner Mutter, dass ich mir eine Arbeit suchen wolle.

Sie widersprach erneut: „Nein liebes Kind, das geht so nicht. Dein Arbeitswille ist zwar sehr lobenswert, aber eine Vollzeit-Stelle kannst du nicht annehmen. Die Oma ist zu alt, dein Kindermädchen zu spielen. Wenn überhaupt, dann such dir eine Teilzeitarbeit, oder noch besser, eine Beschäftigung für abends. Wenn wir zu Hause sind kannst du gehen, ob arbeiten oder tanzen, egal, dann ist die Kleine versorgt. Aber auf eine alte Frau kannst du nicht bauen. Das musst du endlich einsehen“, schränkte meine Mutter meine Freiheit energisch und konsequent ein.

Auch wenn ich ihr Argument nicht einsah, begann ich trotzdem, die Suche nach einer Abendarbeit.

Ich wurde sehr schnell fündig. Eine Firma suchte eine „flinke Hilfe“, für die Reinigung der Büroräume nach 17 Uhr. Da die Firma im näheren Umkreis, in nur10 Minuten zu Fuß zu erreichen, war, bewarb ich mich, und wurde gleich eingestellt.

Offenbar sah ich flink aus.

Das Angebot hatte sich gut angehört. Für die große Büroetage, aus insgesamt 6 Räumen und einer Teeküche mit Pausenraum, war schon eine flinke Kraft vorhanden, mit der ich mir die Arbeit teilen sollte. Nur drei Stunden Arbeit, jeweils von Montags- bis Freitagabends, bei erstaunlich guter Bezahlung, für eine wirklich leichte Tätigkeit, war ein Glückstreffer. Das sah auch meine Mutter so, zumal die Hausarbeitregelung und Ramonas Betreuung in diese Zeiteinteilung passten. Ich war zufrieden.

Dieter hingegen war unzufrieden, maulte wegen der Arbeitszeit bis 20 Uhr. Damit wurden unsere Treffen, an den Werktagen, etwas eingeschränkt, weil er ja früh um 6 raus musste. Davon ließ ich mich jedoch nicht beeinflussen.

Nach ein paar Wochen fiel mir auf, dass die Besteckfabrik offenbar Kunden in Frankreich hatte, weil ich einen Brief mit französischer Sprache, auf dem Boden eines Büros, fand. Diese Erkenntnis ließ mich nicht mehr los, denn das erinnerte mich wieder an meine Suche nach meinem Erzeuger.

Nur ein paar Tage später, schrieb ich an ihn, diesmal nicht nur eine Postkarte, sondern einen langen Brief. Vielleicht waren meine Karten nicht angekommen, unterwegs verloren gegangen? Hatte ich deshalb nie eine Antwort erhalten? Ich hoffte, dass es nun anders wäre.

Tatsächlich erhielt ich nach zehn Tagen Post aus Frankreich. Hurra, endlich eine Antwort meines Vaters.

Aber seltsamerweise stand als Absender nicht Rene, der Vorname meines Erzeugers, sondern M. Broucq, auf der Rückseite des Briefes. Die Adresse des Absenders war alles was ich lesen konnte, die steilen ungelenken Buchstaben waren natürlich in französischer Sprache. Dieses Rätsel konnte nur meine Mutter lösen. Was blieb mir übrig?

Ich fragte sie aufgeregt: „Sag mal, wer kann denn M. Broucq sein?“

„Wieso? Wie kommst du darauf?“, kam die erstaunte Gegenfrage.

„Hab einen Brief aus Frankreich gekriegt, der Absender ist M. Broucq.“ Erklärte ich mutig.

Ruhig erwiderte meine Mutter: „Kann seine Schwester oder seine Mutter sein. Zeig mal.“

Entschlossen hielt ich ihr den Brief hin.

Mit einem Blick auf die Buchstaben machte sie eine ablehnende Geste, und ihr Gesicht wurde hart und verschlossen, als sie bestimmt sagte: „Das ist die Schrift seiner Mutter. Die kenne ich. Dass die dir schreibt wundert mich. Kann aber nichts Nettes sein, glaube mir. Aber du kannst das ja sowieso nicht lesen, also wirf den Brief besser direkt weg. Bringt nichts.“

„Nö, ich frag mal in der Firma, die können mir den Brief bestimmt übersetzen. Ich bin neugierig.“ Lehnte ich das Ansinnen ab, und ging schnell hinaus, denn weder nähere Erklärungen noch eine Diskussion wollte ich hören.

Dass es besser gewesen wäre, meiner Mutter Rat zu befolgen, musste ich bald einsehen.

Denn als mir die nette Französisch-Korrespondentin, mit pikierter Miene, den Inhalt mitteilte, lief ich Krebsrot an. Ob es Scham oder Wut war, konnte ich in diesem Moment nicht beurteilen, aber für Beides hatte ich Grund genug.

„Also das Schreiben wörtlich zu übersetzen habe ich nicht die Zeit, wobei ich denke, dass sich das auch nicht lohnt. Die Schreiberin fordert Sie unmissverständlich auf, ihren Sohn in Ruhe zu lassen, weil der verheiratet ist und zwei Kinder hat. Tja, offenbar eine alte Dame, die uns Deutsche hasst. Ich weiß ja nicht, in welchem Verhältnis Sie zu dieser Frau stehen, Fräulein Schütz, aber das ist auch nicht mein Problem. Allerdings, den Kontakt weiter beizubehalten, finde ich nicht ratsam.“

Bums, das war eine kalte Dusche, mit Eiswasser.

Ich hatte nur schwach ein Dankeschön gestammelt, und war schnell aus dem Blickfeld der Übersetzerin gerannt.

Bildete ich mir das nur ein, oder sah mich das Büropersonal danach anders an? Denn nach der Übersetzung, hatte ich das seltsame Gefühl belächelt oder gar bemitleidet zu werden. Anfangs gelang es mir ganz gut, das zu übersehen, weil die kaufmännischen Angestellten die Büros verließen, wenn unsere Arbeitzeit begann. Der Vorfall lehrte mich Ignoranz.

Leichte Beute

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