Читать книгу Leichte Beute - Ruth Broucq - Страница 8

unvorsichtig

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Meine Familie staunte nicht schlecht, als ich ihnen eröffnete, dass ich mich von Robert getrennt hatte, und bereits einen neuen Freund mit nach Hause brachte.

Wie immer, sagte mein Vater gar nichts, außer, dass er, voller Neid Dieters schönes Auto bewunderte. Meine Schwester schien genug eigene Probleme mit den Kerlen zu haben, und meine Mutter meinte nur: „Ich hoffe, du weißt, was du tust, und denkst auch an euer Kind.“

„Für Ramona interessiert sich der Robert doch sowieso nicht. Sie hat auch nix davon, ob ich mit ihm zusammen bin oder nicht. Und die weiß ja, Gott sei Dank, nicht, was für nen verantwortungslosen Vater sie hat. Das muss sie auch nicht unbedingt erfahren“, erklärte ich bockig.

Zwar hatte ich Robert nur kurz geschrieben, dass unsere Beziehung zu Ende sei, ich schon einen anderen Freund habe, aber Robert bekam Urlaub, noch bevor er den Brief erhalten hatte.

Deshalb starrten wir uns völlig erstaunt an, als ich gerade in Dieters Auto steigen wollte, und Robert im gleichen Moment mit seines Vaters Auto, vor unserem Haus hielt.

„Hey, was machst du denn? Was soll das?“, fragte Robert ungläubig, während er aus dem Auto sprang.

Ich drehte gelassen die Scheibe runter, sagte kalt: „Das gleiche, wie du, mein Lieber. Mich anderweitig amüsieren. Was du kannst, kann ich schon lange. Mit uns hat sich sowieso erledigt. Wie du siehst, habe ich schon einen neuen Freund. Und Tschüss“, erklärte ich ironisch, und an Dieter gewandt: „Du kannst fahren, Schatz.“

„Nein, kann er nicht“, schrie Robert wütend, und riss die Beifahrertür von Dieters Auto auf. „ So einfach geht das nicht, mein Fräulein. Was heißt das Gleiche wie ich? Ich weiß nicht, wovon du redest. Steig aus, sofort, los!“, befahl er, und wollte mich aus dem Fahrzeug ziehen.

„He, du, lass sie sofort los, verstanden? Sie will dich nicht mehr, kapier es einfach. Sie gehört jetzt mir.“ knurrte Dieter, gefährlich drohend.

Mit Zufriedenheit registrierte ich, dass Dieter seine Aufgabe, auf mich aufzupassen, durchaus ernst nahm, aber ich konnte es mir nicht verkneifen, mich alleine zu behaupten. Außerdem war ich der Überzeugung, dass ich niemanden gehöre, weder dem einen noch dem anderen. Das letzte Wort wollte ich auf jeden Fall selbst haben, mir konnte doch niemand den Mund verbieten. So weit käme es noch!

„Danke, Schatz, aber ich will ihm mal ein bisschen auf die Sprünge helfen. So, so, du weißt also nicht, warum ich mit dir Schluss mache? Dann überleg doch mal. Falls du deinen Verstand noch nicht ganz versoffen hast, fällt dir vielleicht noch der Abend unten in Burg ein, als ich unser Kind gekriegt habe, und du das andere Weib gepoppt hast. Du Arschloch! So einen Mann brauch ich nicht, und so einen Vater braucht mein Kind auch nicht. Also verzieh dich einfach, mit dir bin ich fertig“, zischte ich verächtlich, und zog die Autotür wieder zu.

Dieter fuhr los, und ich wusste zwar nicht warum, aber als Siegerin fühlte ich mich nicht.

Irgendwie war ich die nächsten Tage unruhig, hatte ich ein Stimmungstief. Lag es daran, dass so vieles offen geblieben war, oder weil Robert noch in der Nähe war? Zufrieden war ich nicht.

Auch zu Hause war eine seltsam, gespannte Stimmung.

Meine Schwester schien in einer Beziehungskrise zu stecken, was mir normalerweise gar nicht aufgefallen wäre, hätte sie mir nicht so komische Fragen gestellt. Dass sie auch mit ihrem langjährigen Freund Werner Schluss gemacht hatte, war selbst zu mir durchgedrungen, trotzt meiner Gleichgültigkeit ihr gegenüber.

Aber Heidemaries einschmeichelnde, sanfte Art war mir suspekt. Woran ich damals zuerst bemerkt hatte, dass ich in anderen Umständen war? Zu welchem Arzt ich gegangen sei, ob der auch feststellen konnte, wie weit ich war, wollte sie wissen. Solche eindeutigen Fragen ließen eigentlich nur einen Schluss zu, dass sie in anderen Umständen war. Aber ich war zu sehr mit meinen Belangen beschäftigt, um mir über Heides Veränderung ernsthafte Gedanken zu machen. Warum auch? Schließlich hatte sich meine Schwester bisher nicht sehr familiär, oder teilnahmsvoll, mir gegenüber verhalten. Im Gegenteil.

Sie hatte mich schikaniert, wo sie nur gekonnt hatte. Was interessierte mich also ihr Dilemma? Obwohl ich ihre entgegenkommende, nette Haltung nicht völlig übersehen konnte, reagierte ich einfach nicht darauf, sondern bemühte mich, es zu ignorieren.

Ganz anders meine Mutter. Sie zeigte neuerdings meist ein zufriedenes Lächeln. Ihre Sorgenfalte, zwischen den Augenbrauen, kam nur noch selten zum Vorschein, denn sie hatte eine neue Vorliebe entdeckt, die ihrem Leben einen neuen Sinn gegeben hatte. Ihr einziges Interesse galt ihrem ersten Enkelkind.

Die kleine Ramona hatte diese harte, mürrische Frau total verändert. Mutti hing mit einer solchen Affenliebe an diesem kleinen Wesen, die mich schier sprachlos machte, weil ich ihr diese liebevolle Art nie zugetraut hätte.

Meiner Mutters neue Lebensaufgabe, erleichterte und erschwerte mir mein Leben gleichzeitig, weil die Kleine sich zur Nervensäge entwickelte. Zwar war ich glücklich darüber, dass sich alles um mein Baby drehte, und meine Mutter sowie alle Familienmitglieder, sich liebevoll um die Kleine kümmerten, gleichzeitig hieß das aber auch, dass das Kind viel zu sehr verwöhnt wurde. Wenn dann irgendwann die Geduld meiner Angehörigen erschöpft war, sie den Schreihals leid waren, bekam ich den schwarzen Peter. Dann hieß es allgemein: Du bist eine Rabenmutter, kümmere dich endlich um dein Kind.

Deshalb hatte ich den Eindruck, dass jeder in unserer Familie seinen Frust an mir auslassen wollte. Natürlich wehrte ich mich dagegen, reagierte aggressiv, und neigte wirklich zum Egoismus. Zusätzlich bedrückte mich meine finanzielle Knappheit, die sich wieder eingestellt hatte, weil ich durch die Aufgabe meines Clubs, keine Einnahmen mehr hatte. Auch, täglich nur Kind und Hausarbeit, als einzige langweilige Beschäftigungen, zermürbten mich. Ich nutzte jede Möglichkeit, aus der häuslichen Enge zu fliehen, sobald die anderen Familienmitglieder von der Arbeit zurück waren, und ich sicher sein konnte, dass mein Baby unter liebevoller Aufsicht war.

Dieter entwickelte sich zu meinem Rettungsanker. Er war mir so verfallen, dass er mir nicht nur jede freie Minute widmete, sondern fast jeden Wunsch erfüllte. Dass er schon deshalb mit seinen Eltern Probleme hatte, ahnte ich anfangs nicht. Denn er hatte kaum noch Zeit und Lust für die notwendigen familiären Einkäufe und Erledigungen. Dabei gehörte das Auto gar nicht Dieter, sondern seinem blinden Stiefvater. Dieter war nur der eingetragene Chauffeur.

Ich nahm alles, was ich von Dieter kriegen konnte, rücksichtslos und gierig, saugte ihn aus, ohne darüber nachzudenken wie, woher seine Zuwendungen kamen. Er trug mich auf Händen, betete mich an, vergötterte mich. Erst später erfuhr ich, dass Dieter viel mehr tat, als er eigentlich konnte.

Aber ganz so selbstlos war er nicht, denn dafür nahm er meinen Körper als Belohnung. Darin war Dieter gefräßig und lebte seine Bedürfnisse, jeden Abend, rücksichtslos und unvorsichtig aus. Ohne Sex wollte er nicht schlafen gehen.

Meist nahm er mich im Auto, oft aber auch in seinem Zimmer. Dann schlichen wir, spät nachts in die elterliche Wohnung. Sehr leise, damit sein Stiefvater uns nicht hörte, weil Blinde ein scharfes Gehör haben. Dorthin ging ich aber nur ungern, denn ich mochte seine Familie gar nicht. Ich fand die Leute dumm, primitiv, und die Wohnung schmuddelig. Eben kinderreiche Leute vom Land.

Dieter war der älteste von 6 Kindern. Er hatte vier Halbbrüder im Alter von 4, 6, 8, und 9 Jahren und noch einen 16jährigen Bruder. Dieter war mit Abstand der hübscheste, wenn man überhaupt von hübsch reden konnte.

Die 4 Kleinen ähnelten alle ihrer Mutter. Sie trugen dicke Brillen, waren schmutzig, hatten triefende Rotznasen, und die Dummheit stand ihnen im Gesicht geschrieben. Diese vier Knaben waren die Ableger des Blinden, während der 19ährige Dieter und der jüngere Peter vom gleichen Vater stammten. Allerdings schien Peter ein reizendes Früchtchen sein, arbeitsscheu und kleptoman. Denn der Knabe saß zu der Zeit in Jugendarrest, wegen mehrerer Einbrüche und Diebstähle. Für mich also nicht erstrebenswert, ihn kennen zu lernen.

Dieters Mutter war eine kleine, dicke, rotgesichtige Frau, die ihr Gegenüber, durch ihre starken Brillengläser, mit offenem Mund anstarrte, was zwar an ihrem Luftmangel, durch ihre häufige Verschnupftheit lag, aber eben ziemlich dämlich aussah. Dass sie nicht die Klügste war, konnte sie jedoch nicht leugnen, schon ihre unkorrekte Aussprache zeugte davon, wozu der ostpreußische Dialekt noch beitrug. So stellte ich mir eine ungebildete Bäuerin vor, die außer Kühen, Mist und Schweinen sowie Kinder kriegen, keinen anderen Lebenssinn kannte.

Das einzig fast normale Mitglied dieser Familie, war Dieters Stiefvater, der zwar blind, groß, dick und verfressen war, sich aber normal ausdrücken konnte, und auch dementsprechende vernünftige Ansichten hatte.

Die ganze Familie war streng katholisch, was die Mutter besonders vorlebte, denn sie hatte es zur Pflicht gemacht, regelmäßig zum Beichten und zur Sonntagsmesse zu gehen. Auch dabei war Frau Buchner das Paradebeispiel. Sie ging täglich in die Kirche. Nicht nur, um zu beten, auch um den anliegenden Friedhof zu besuchen. Als Mutter von sechs Söhnen, hatte sie die Totgeburt ihres siebten Kindes, des einzigen Mädchens, besonders hart getroffen, deshalb pflegte und dekorierte sie mit unnatürlicher Hingabe, täglich stundenlang das Grab ihrer Tochter. Dass sie oft den Haushalt, und ihre lebenden Kinder, darüber vernachlässigte, schien ihr gar nicht wichtig zu sein. Dieter war der einzig, wirklich natürliche, sympathische Mensch dieser Familie, und das allein war für mich für mich wichtig.

Bedauerlich fand ich allerdings, dass mir Roberts Familie zu kühl und hochnäsig, und Dieters Familie zu primitiv und schmuddelig war, sodass ich mich in beiden nicht heimisch fühlen konnte. Gab es denn kein Mittelmaß, eine Familie zu der ich passte, oder die zu mir?

Wirklich glücklich und zufrieden war ich mit meiner Situation nicht.

Immerhin hatte ich mehr Glück als meine Schwester, mit deren konfuser Lage ich mich ungewollt zum Vergleich gezwungen sah, als ihr Ex-Freund, im betrunkenen Zustand, vor unserem Haus protestierte.

Ausgerechnet an diesem späten Abend waren unsere Eltern bei Bekannten zum Geburtstag, somit Heide und ich, mit der Kleinen, alleine zu Hause.

Meine Schwester hatte eben erst ein Gespräch begonnen, indem sie mir von ihren Problemen erzählte, und mich um Rat fragte. Das war schon ungewöhnlich genug, aber ihre Schwierigkeiten umso mehr. Ich staunte nicht schlecht, dass sich ausgerechnet meine rabiate Schwester Heidemarie, von ihrem Ex , hatte derart unter Druck setzen lassen.

Als sie sich von ihm trennen wollte, weil sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte, wollte Werner das nicht akzeptieren. Dann hatte dieser Kerl es tatsächlich noch in letzter Minute geschafft, ihr ein Kind anzudrehen, und setzte sie damit unter Druck. Nun war meine Schwester guter Hoffnung, was sie allerdings nicht gut fand.

Ihr neuer Freund ahnte nichts von ihrem Zustand, obwohl sie schon im fünften Monat war. Jetzt wusste sie nicht, wie sie aus der Geschichte heraus kommen konnte. Sie wollte nicht zu Werner zurück, wollte logischerweise auch sein Kind nicht. Werner erpresste sie, drohte, ihren neuen Freund aufzuklären. Weil Heide ihre neue Liebe nicht verlieren wollte, suchte sie verzweifelt einen Ausweg aus dem Dilemma. Es war ein Spagat zwischen zwei Problemen.

Diese Neuigkeiten musste ich erst einmal verarbeiten.

Während der betrunkene Werner klingelte, ans Fenster klopfte und laut rief: „Heide, mach die Tür auf. Ich will mit dir reden. Los, mach auf. Du kannst dich nicht verstecken, und du wirst mich auch nicht los. Jetzt kannst du mich nicht verlassen, oder es gibt ein Unglück. Mach schon auf. Ich gehe nicht hier weg“, sah mich meine sonst so energische Schwester, mit ängstlicher Miene an, und zitterte wie eine Fahne im Wind.

„Was soll ich denn bloß machen?“, stöhnte sie verzweifelt, und hockte sich so tief es ging in den Sessel, als fände sie dort Schutz.

„Den Idioten zum Teufel schicken. Du bist doch sonst so knochenhart. Wenn du das nicht kannst, werde ich ihm mal den Kopf waschen. Reiß dich mal zusammen. Ich bin ja auch noch da. Also komm, wir werden ihn mal verjagen“, entschied ich und stand entschlossen auf.

„Nein, mach nicht die Tür auf, den werde ich dann nicht mehr los“, zweifelte meine Schwester an meinem Erfolg.

„Lass mich mal machen, bin ja nicht blöd. Mit widerspenstigen Kerlen kenne ich mich schon aus“, behauptete ich und ging ans Badezimmerfenster.

„Hör auf, hier rum zu schreien, Werner, du scheuchst die ganze Nachbarschaft auf. Wenn die Ramona wach wird, sorg ich dafür, dass es dir leid tut, kapiert? Die Heide ist gar nicht hier, die schläft heute bei der Liesel. So besoffen wie du bist, bringt das doch sowieso nichts. Los, geh jetzt nach Hause, sonst werde ich andere Seiten aufziehen, dann ist der gemütliche Teil vorbei. Verstanden? Wenn du morgen wieder nüchtern bist, kannst du mit der Heide reden. Also hau jetzt ab“, schimpfte ich mit fester Stimme.

„Nicht da? Bei der Liesel? Warum das denn?“, stammelte der Betrunken verwirrt.

„Na, weil du sie nicht in Ruhe lässt. Also verschwinde jetzt. Komm morgen Nachmittag wieder, hast du das verstanden? Bevor die Nachbarn noch rauskommen, und Ärger machen“, gab ich meinen Worten Nachdruck.

Tatsächlich zog er, vor sich hin grummelnd, davon.

„Gott sei Dank! Das ist dir ja schnell gelungen. Ist er auch wirklich weg?“, fragte Heidemarie ängstlich, als ich wieder in die Küche kam.

Ich nickte nur, und staunte im Stillen über die Hilflosigkeit meiner Schwester. Diese ganz neue Seite an ihr musste ich erst einmal verdauen.

Was ich nur nicht verstand sagte ich ihr klar und deutlich: „Wie konntest du dir denn von dem Werner noch ein Kind andrehen lassen, wenn du doch Schluss machen wolltest? Wie konntest du denn so unvorsichtig sein? Das verstehe ich nicht.“

Über derartigen Leichtsinn fühlte ich mich erhaben.

Leichte Beute

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