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Die Splitternden

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Als Antilius in der Dunkelheit der Nacht zum Wurmhügel zurückkehrte, bot sich ihm ein Anblick, der es ihm unmöglich machte, seine Kinnlade wieder zu schließen.

Pais Ismendahl hatte hinter dem Haus ein kleines Feuer entzündet. Hoch über den tanzenden Flammen gaben die Riesen-Glühwürmchen ihre Galavorstellung. Etwa zwei Dutzend von ihnen schwirrten spiralförmig über dem brennenden Holz. Die aufsteigende heiße Luft schien sie zu Höchstleistungen anzuspornen. Sie änderten ohne erkennbaren Rhythmus ihre leuchtende Formation. Mal bildeten sie einen Kreis, mal eine Pfeilform, mal einen Stern oder sogar eine Kugel. Das sanfte Brummen, das sie dabei erzeugten, glich dem beruhigenden Schnurren einer Katze.

Antilius begriff, warum Pais soviel Wert auf diese kleinen Wesen legte. Sie waren äußerst intelligent und wunderschön anzusehen.

Lange, sehr lange beobachteten er und Gilbert die Darbietung, bis die Glühwürmer schließlich erschöpft waren und einer nach dem anderen zur Landung in ihren geräumigen Käfig ansetzten.

Als auch der letzte seinen Kunstflug beendet hatte, war es nicht schwer, Pais davon zu überzeugen, Antilius bei seiner Suche zu begleiten. Der alte Herr meinte, es könne nicht schwer sein, den Ort zu finden, an dem sie Brelius Vandanten vermuteten. Die Largonen-Festung könne man schlecht übersehen, sagte er. Es war schließlich ein Dorf, das von Riesen erbaut worden war.

Am nächsten Morgen wollten sie aufbrechen. Doch bis dahin hatten sie noch die ganze Nacht vor sich. Und die nutzten sie, um gemeinsam am Feuer zu sitzen und so viel wie möglich voneinander zu erfahren. Nur Gilbert hielt sich gewohntermaßen zurück mit Geschichten aus seiner Vergangenheit.

Pais war ein unverschämt guter Erzähler. Er konnte jede noch so unbedeutende Begebenheit aus seinem Leben fesselnd schildern.

Und Antilius bemerkte, wie auch Gilbert auflebte. Und lachte. Er lachte aus vollem Herzen. Kein Streit. Keine Bosheiten. Wie lange war es wohl her gewesen, dass er das letzte Mal so ausgelassen gelacht hatte? Wie lange hatte er mit der Einsamkeit in seinem Gefängnis ausharren müssen? Erst jetzt empfand Antilius echtes Mitleid mit seinem Freund. Man hatte Gilbert alles genommen, aber seine Seele konnte man ihm nicht nehmen.

Nachdem Pais ein paar Anekdoten aus seinem früheren Leben in den Ahnenländern zum Besten gegeben hatte (warum und vor allem, wie er von dort geflohen ist, behielt er zu Antilius’ Unmut und trotz einer beherzten Nachfrage für sich), fragte er freundlich nach Antilius’ Herkunft.

Und das war der Moment, in dem sich für Antilius alles änderte. Zunächst wollte er irgendetwas kurzes Erfundenes daherstammeln, wie er es früher getan hatte, wenn ihn jemand nach seiner Herkunft fragte. Doch dann entschied er sich endlich, das erste Mal in seinem Leben jemandem die Wahrheit zu erzählen. Was hatte er denn zu verlieren? Wieso sollte er etwas erfinden und sich in Lügen verstricken? Er vertraute den beiden Männern am Lagerfeuer. Er wollte es endlich jemandem erzählen. Es musste endlich aus ihm heraus. Es ständig allein mit sich herumzuschleppen war unerträglich. Und er musste sich bemühen, dass er sich beim Sprechen nicht überschlug. Sein Herz raste auf einmal. Sein Mund wurde ganz trocken, und er verspürte ein leichtes Kribbeln in den Armen. Denn das, was er über sich zu erzählen hatte, war so unglaublich, dass er sich bisher noch nie jemandem anvertraut hatte.

»Ich weiß nicht, wer ich bin«, begann er und wartete die Reaktionen von Pais und Gilbert ab.

»Was meinst du damit?«, fragte Pais, der sofort erkannte, dass Antilius angespannt war und es sehr ernst meinte, was er sagte.

»Die ganze Geschichte?«, fragte Antilius.

»Ja, bitte.«

»Also schön. Aber ich muss euch erst sagen, dass ich es noch nie jemandem erzählt habe, weil, … weil ich es eben nicht konnte. Und verdammt, es fällt mir auch jetzt sehr schwer, darüber zu reden.«

»Wir haben die ganze Nacht Zeit«, sagte Gilbert in einem erleichternd beruhigenden Ton.

Dann begann Antilius zu erzählen und mit jedem Satz, mit jedem Wort fühlte er, wie eine Last von ihm fiel, wie er sich leichter und leichter fühlte. »Ich erinnere mich nur bruchstückhaft an meine Kindheit. Eine glückliche Kindheit muss es wohl gewesen sein. Ich erinnere mich, wie ich an einem Fluss sitze und angle. Ich erinnere mich, wie sich meine Mutter über mich beugt, um mir einen Gute-Nacht-Kuss zu geben, und ich erinnere mich an einen meiner Geburtstage, bei dem es einen großen dunklen Kuchen gab und viele andere Kinder da waren, und wie wir gelacht haben, und wie wir spielten, bis es dunkel wurde. Ich erinnere mich an das Panorama einer Stadt mit hohen, weißen Türmen, obwohl ich weiß, dass es auf Thalantia so eine Stadt nicht gibt.

Und dann … Dann fehlt mir die Erinnerung. Ich weiß nicht genau, wie viele Jahre es sind. Ich schätze, dass ich mich an die Zeit zwischen meinem zwölften und vielleicht zweiundzwanzigsten oder dreiundzwanzigsten Lebensjahr an nichts mehr erinnern kann. Aber wie gesagt, das ist nur eine Schätzung. Ich weiß nicht genau, wie alt ich jetzt bin. Vermutlich Ende zwanzig. Ich weiß es nicht.«

Pais hätte Antilius einen Tick jünger geschätzt, aber er glaubte, dass Ende zwanzig auch hinkommen könnte.

»Und was ist deine erste Erinnerung nach dieser Zeit des Vergessens?«, fragte er.

Antilius schloss kurz die Augen. Dann war er im Geiste an dem Ort, an dem seine Erinnerungen wieder begannen. »Ich erinnere mich, wie die Luft, die ich einatmete, salzig war. Es war dunkel. Es war eine sternenklare Nacht. Der Mond Pathan war nur eine dünne ockerfarbene Sichel am Nachthimmel. Um mich herum war …«

… das Meer. Es war ganz ruhig. Nur eine leichte salzige Brise strich Antilius durchs dunkelbraune Haar, das in dieser Nacht vor fast sieben Jahren schulterlang war. Er stieg einen felsigen Pfad empor.

Der Pfad war schmal und steil. Er gehörte zu einem kleinen schwarzen Felsen, einem von über vier Dutzend, die vor der Westküste von Bétha aus dem Wasser ragten. Das Felsgestein war brüchig und scharfkantig, weswegen diese Felsengruppe auch ‚Die Splitternden’ genannt wurde.

Ohne sich nach links oder rechts zu drehen, ja ohne sich überhaupt darüber bewusst zu sein, dass Antilius die Spitze des Felsens erklomm, setzte er einen Fuß vor den anderen. Er war noch nicht wirklich dort auf diesem Felsen. Physisch schon, aber er fühlte sich noch wie in einem Traum, alles um ihn herum kam ihm nicht real vor; er fühlte sich dieser Realität nicht zugehörig. Anders konnte er seinen Zustand im Nachhinein nicht besser beschreiben.

Aber allmählich, Schritt für Schritt, wurde die Welt um ihn herum wirklicher. Der Salzgeschmack wurde realer. Die Brise, die sein Gesicht und sein Haar berührte, drängte ihn langsam in diese Realität zurück.

Ehe er auf den Gedanken kam, sich zu fragen, was er hier eigentlich zu suchen habe, geschweige denn, wie er überhaupt hierher gekommen war, sah er am Ende des Pfades auf einem schmalen Plateau an der Spitze des Felsens ein kleines Lagerfeuer brennen.

Antilius blieb stehen und betrachtete es fasziniert mit großen Augen.

Langsam verringerte er die Distanz zwischen sich und den Flammen. Er hatte das Plateau zweihundert Meter über dem Meeresspiegel fast erreicht, als er eine Gestalt mit einer Kapuze über dem Kopf bemerkte, die hinter dem Feuer saß und dem dunklen Meer zugewandt war.

Nach einem kurzen Zögern stellte sich Antilius an das Lagerfeuer und fühlte die (reale) Wärme auf seiner Haut, die es abstrahlte.

Die Gestalt auf der anderen Seite des Feuers regte sich nicht.

Antilius’ Blick wanderte vom Feuer zu der Gestalt, wieder zurück und dann wieder zur Gestalt. Eine Menge von Fragen begann sich in seinem Kopf zu sammeln.

»Wie geht es dir?«, fragte die Gestalt plötzlich, ohne sich zu bewegen und sich von dem Meer abzuwenden. Die Stimme gehörte einer Frau.

Antilius bekam ein dumpfes Gefühl in der Magengegend. »Wo bin ich hier? Was ist mit mir geschehen?«, fragte er.

»Wir sind vor der Küste von Bétha. Erinnerst du dich an diesen Namen?«

»Ja.« Bétha war die Vierte Inselwelt auf Thalantia. Daran konnte sich Antilius deutlich erinnern.

»Wie heißen die anderen Inselwelten?«

Antilius antwortete mit einer Gegenfrage: »Wieso wollen Sie das von mir wissen? Wer sind Sie ei…«

»Es ist wichtig, was du weißt und was du vergessen hast«, fiel ihm die Frauenstimme ins Wort. »Also, erinnerst du dich an die Namen der Sieben-Inselwelten? Wenn ja, dann nenne mir die Namen der anderen sechs! Streng dich an. Ich weiß, du kannst das.«

Antilius musste einen Augenblick überlegen. Er war sich zwar sicher, dass er die Namen im Schlaf kannte (jedes Kind konnte die Namen im Schlaf aufzählen!), dennoch fiel es ihm schwer, sich an sie zu erinnern. Weil er noch nicht ganz hier war. Er war noch nicht völlig real. Sein Gedächtnis war noch nicht richtig real.

»Die erste Inselwelt heißt … Arbrit, die zweite Brigg«, murmelte Antilius und spürte Erleichterung darüber, dass ihm die Namen doch wieder einfielen. »Dann kommt Panthea, Bétha und Truchten. Nummer sechs und sieben heißen Fahros und Finfin.«

Die Kapuzengestalt hörte aufmerksam zu. Nachdem Antilius alle Namen korrekt aufgezählt hatte, senkte sie den Kopf und amtete schwer ein und wieder aus. Antilius kam es so vor, als wäre sie nicht zufrieden mit seiner Antwort.

»Wie heißt du?« fragte sie ihn schließlich. Dieses Mal war sie jedoch sichtlich interessierter an der Antwort, denn sie drehte sich halb zu Antilius um, sodass er aber immer noch nicht ihr Gesicht zu sehen bekam.

Jemand fragt einen, wie man heißt, und man nennt seinen Namen. Was war daran so schwer? Antilius machte wie aus einem Reflex den Mund auf und … schloss ihn dann wieder. Er hatte sich an alle Namen der Inselwelten erinnern können. Doch an seinen eigenen Namen nicht. Auf seinem Weg nach oben zum Plateau kamen ihm viele Fragen in den Sinn, doch die wichtigste von allen hatte er verdrängt. Wie war sein Name? Wer war er?

Antilius huschte ein gehetzt wirkendes Lächeln der Verlegenheit übers Gesicht und dann bekam er Panik. Sich nicht daran zu erinnern, wer er war, bedeutete für ihn ein schockierendes Gefühl des Kontrollverlusts.

»Ich kann nicht. Ich kann mich nicht … erinnern. Ich …«

»Schon gut«, sagte die Frauenstimme, jetzt ganz sanft. Antilius konnte spüren, wie erleichtert sie zu sein schien.

»Das ist schon gut. Es ist alles gut«, sagte sie, erhob sich dabei und blickte Antilius durch eine bronzefarbene Maske an.

»Wieso trägst du eine Maske? Wer bist du?«, fragte Antilius heiser.

Die fremde Frau schaute kurz zu den Sternen auf und blickte dann wieder Antilius an. Die bronzene Maske, die sie auf ihrem Gesicht trug, hatte nur einen sehr schmalen über das Nasenbein durchgängigen Sehschlitz für beide Augen.

»Es ist eine wunderbare Nacht für deine Rückkehr, findest du nicht?«, sagte sie.

»Rückkehr? Wovon redest du? Wovon redest du nur? Was ist mit mir geschehen?«

»Habe keine Angst. Jetzt beginnt für dich ein neues Leben. Frage nicht nach deiner Vergangenheit. Es wird dir vermutlich sowieso nichts nützen. Es wird wohl niemanden geben, der die Antworten kennt, egal, wen du fragen wirst. Ich hoffe jedenfalls, dass es so ist«, sagte die Fremde. Ihre Stimme war unglaublich beruhigend.

»Wer bist du?«, wiederholte Antilius.

»Ich bin nur jemand, der dir den Pfad in dein neues Leben weist. Die Maske trage ich, weil ich fürchte, du könntest dich doch noch an etwas erinnern, wenn du mein Gesicht erblickst. Hier, nimm das«, sagte sie und zog ein zusammengerolltes Stück Pergament aus ihrer Kutte hervor und gab es Antilius.

Er rollte es hastig auseinander. Es war eine Urkunde, die dem Besitzer dieses Dokuments das Eigentum von einem Stück Land im nördlichen Teil von Bétha garantierte. Diese Art von Urkunden war sehr alt, das wusste Antilius.

Er schaute die Fremde mit der Maske verdutzt und überrascht an.

»Für dein neues Leben«, sagte sie. »Ich bin sehr froh, dass ich es geschafft habe, dich rechtzeitig zurückzuholen, gleichwohl es nicht meine Idee gewesen war. Ich wünsche dir, dass du jetzt ein friedvolles und unbekümmertes Leben führen kannst. Das wünsche ich mir mehr, als du dir je vorstellen könntest.

Aber dennoch weiß ich, dass dich deine Vergangenheit wieder einholen kann. Und dass das Böse wieder zurückkehren kann. Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt.

Ich muss jetzt fort. Je eher, desto besser. Ich gehöre nicht hierher.«

»Wer bin ich?«, fragte Antilius flehend.

»Du bist ein Mann, der neu anfangen darf. Sei dafür dankbar. Frage nicht und sei einfach dankbar.

Und wenn jemand dich nach deinem Namen fragt, dann sagst du: ‚Antilius’.«

»Antilius? Ist das mein richtiger Name. Heiße ich so?«

»Dein alter Name ist vergessen. Von nun an bist du Antilius. Es ist nicht irgendein Name. Er ist einzigartig. Einzigartig auf dieser Welt. Er wird dich vor unangenehmen Fragen beschützen und vor Bösem. Niemand wird sich über diesen Namen wundern, auch wenn es ihn nur einmal auf dieser Welt gibt.«

Antilius wandte seinen Blick von der Fremden ab und schaute zum Meer. Sollte er das akzeptieren? Keine Fragen stellen und auf Bétha ein neues Leben beginnen?

»Was ist, wenn ich, ohne Fragen zu stellen und Antworten zu suchen, nicht werde leben können?« fragte er nachdenklich, wobei er auf das ruhige Meer schaute.

»Dann könntest du sterben«, sagte die Fremde gefasst. »Wenn es das Schicksal so will, dann wirst du herausfinden, wer du bist. Aber wenn das geschieht, dann wird Thalantia in Gefahr sein. Ich will nicht, dass es dazu kommt, aber vielleicht haben wir keine andere Wahl. Ich hoffe für dich, dass nichts geschehen wird, das dich dazu zwingt, nach Antworten zu suchen. Das hoffe ich wirklich.«

»Leb wohl, Antilius.«

Als er sich wieder umdrehte, war…

»…sie fort. Sie war einfach verschwunden. Sie hatte sich in Luft aufgelöst oder sonst irgendwas. Ich weiß es nicht«, sagte Antilius mit einem sehr trockenen Mund.

»Was meinte sie damit, dass du sterben könntest?«, fragte Gilbert beunruhigt und fasziniert zugleich.

»Wenn ich das wüsste«, erwiderte Antilius betrübt.

»Das ist wirklich die merkwürdigste Geschichte, die ich je gehört habe«, sagte Pais und rieb sich das Kinn.

»Ich habe euch das nicht umsonst erzählt. Denn wegen meines Gedächtnisverlusts bin ich jetzt hier. Brelius bat mich, ihm zu helfen - das habe ich euch erzählt. Was ich euch nicht erzählt habe, war, dass er in dem Brief, den er mir geschickt hatte, schrieb, es könnte Antworten auf meine Fragen betreffs meiner Vergangenheit geben, wenn ich nach Truchten reise.«

»Und statt Antworten zu finden, bist du auf noch mehr Fragen gestoßen«, fügte Pais hinzu.

Antilius nickte. Er holte den Brief von Brelius aus seiner linken Hosentasche und gab ihn Pais zum Lesen. Pais las ihn laut vor:

Sehr geehrter Herr Antilius,

dieser Brief erreicht Euch in äußerster Dringlichkeit.

Mein Name ist Brelius Vandanten. Ihr werdet mich nicht kennen, und eigentlich kenne ich Euch auch nicht, und doch weiß ich, wer Ihr seid.

Mir sind in den letzten Tagen Ereignisse widerfahren, die ich mir nicht mit logischen Argumenten erklären kann. Ereignisse, die dazu geführt haben, dass ich gezwungen worden bin, etwas zu tun, das unabsehbare und furchtbare Konsequenzen haben könnte.

Ich habe erfahren, dass Ihr, Herr Antilius, der Einzige seid, der mir noch helfen kann, ein großes Unheil, das über uns alle kommen könnte, zu verhindern.

Deshalb bitte, nein, ich flehe Euch an, zu mir zu kommen. Ich lebe auf der Fünften Inselwelt Truchten in der Nähe der Stadt Fara-Tindu.

Ich weiß, dass Ihr jetzt skeptisch sein und versucht sein werdet, mir keinen Glauben zu schenken, während Ihr diese Zeilen lest.

Doch hört mich an: Ich kenne zwar nicht Eure Biographie, doch weiß ich, dass es etwas gibt, nach dem Ihr Euch sehnt. Die seltsamen und zugleich beängstigenden Dinge, die mir widerfahren sind, müssen in irgendeiner mir nicht nachvollziehbaren Verbindung mit Euch stehen. Eine Verbindung, von der Ihr selbst wahrscheinlich auch keine Kenntnis habt. Doch wenn Ihr hierher kommt, könnt Ihr dies ändern:

Wenn Ihr Antworten auf Eure Fragen sucht, die Eure Vergangenheit betreffen, dann kommt zu mir.

Mehr kann ich nicht tun, um Euch zu überzeugen, denn die Zeit läuft mir davon. Ich werde zunächst versuchen müssen, meinen Fehler auf eigene Faust rückgängig zu machen, doch spüre ich, dass ich vermutlich nicht dazu imstande sein werde.

Verzeiht mir, aber mehr kann ich Euch in diesem Schreiben nicht anvertrauen.

Kommt zu mir! Es eilt! Wenn es Euch möglich ist, brecht am besten sofort auf. Ich werde auf Euch warten. Falls ich nicht zuhause bin, geht einfach in mein Haus. Dort werdet Ihr eine weitere Nachricht von mir finden.

Ich weiß, dass Ihr kommen werdet.

Das Schicksal Thalantias kann davon abhängen.

Hochachtungsvoll

Brelius Vandanten

»Merkwürdig«, sagte Pais.

»Das kann man wohl sagen!«, pflichtete ihm Gilbert bei. »Aber hast du denn keine Angst? Ich meine, was die Frau mit der Maske gesagt hat. Dass du nicht nach Antworten suchen sollst, weil es sonst deinen Tod bedeuten könnte«, fragte Gilbert.

»Natürlich habe ich Angst. Aber der Brief von Brelius klang so verzweifelt, und die letzten Jahre waren so … so leer für mich. Ich muss herausfinden, wer ich bin. Versteht ihr?«

»Ja, ich glaube schon«, sagte Pais. »Vermutlich würde ich genauso handeln, wenn ich an deiner Stelle wäre.«

»Was jetzt Vorrang hat, ist, Brelius Vandanten zu finden. Wenn ich dabei auf Antworten stoße, dann sei es so. Und wenn nicht, dann kann ich es nicht ändern. Ich freue mich jedenfalls, dass ich nicht alleine bin«, sagte Antilius aufrichtig.

»Wir werden Brelius finden«, sagte Pais.

»Genau, wir halten zusammen, oder?«, fragte Gilbert ermutigend.

»Ja, das tun wir«, sagte Pais.

»Ja«, sagte Antilius.

In dieser Nacht bildete sich zwischen den drei Kameraden ein Band. Unsichtbar und unantastbar. Es war, als hätten sie sich schon immer gekannt. Als seien sie alte Freunde, die alles füreinander tun würden.

Antilius schmeckte die kühle Nachtluft des Spätsommers auf seiner Zunge und spürte, wie er sich mit jedem Atemzug besser fühlte.

Er war nun bereit, seinen Platz in diesem Rätsel einzunehmen und es im Kampf gegen die Zeit zu lösen. Und seine Freunde würden ihm dabei helfen, egal, was auch geschehen mochte.

Die Zeit.

In dieser Nacht schien sie es gut mit ihnen zu meinen.

Sie schien still zu stehen.

Verlorenend

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