Читать книгу 900 MEILEN - S. Johnathan Davis - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеWenn etwas auf dem Spiel steht, müssen wir schwere Entscheidungen treffen. Manchmal haben diese Entscheidungen den gewünschten Erfolg. Manchmal nicht.
Ich saß noch auf dem Boden, war nicht sicher, ob ich mich auf den Beinen halten konnte. Ich zitterte heftig und packte den Besenstiel voller Verzweiflung. Kyle fasste mich am Hemdkragen und zog mich zum Aufzug. Er war blutbesudelt, aber bei dem Blut handelte es sich nicht um sein eigenes.
Ich kämpfte um Halt, als ich eine Bewegung hinter uns wahrnahm. Ich drehte mich um, rutschte mit meinem Schuh durch eine Blutlache und fiel hin. Plötzlich stand mein Ex-Boss über mir. Unsere Bewegungen gefroren für den Bruchteil eines Wimpernschlags. Wir hatten Blickkontakt. Einen Moment lang hätte ich schwören können, dass ein flüchtiges Zeichen des Wiedererkennens in seinen Augen zu sehen war. Dann streckte er seine Hände nach mir aus, um mich zu packen.
Dunkle Blutspritzer schossen über die Aufzugtür, als Kyle Schwung nahm und die Metallstange durch seinen Schädel krachen ließ. Der Körper des Zombies schlug leblos auf dem Boden auf. Ich nickte Kyle dankbar zu und krümmte die starren Finger meines fettleibigen Chefs auseinander, um an die Schlüssel des Hummers zu gelangen. Ich hatte kein Auto, und er würde keins mehr brauchen.
»Danke für drei großartige Jahre«, entfuhr es mir.
Der Aufzug läutete und wir sprangen hinein. Die Tür schloss sich gerade in dem Moment, als eine Horde Zombies auf uns zustürmte. Wir konnten die dumpfen Schläge hören, als sie dagegen rannten. Schreie aus der Lobby machten deutlich, dass die Zombies nun den Rest unserer Gruppe erledigten.
Man konnte nichts machen, sagte ich zu mir selbst. Man konnte nichts machen.
Wir nahmen Kurs auf den oberen Teil des Gebäudes. Es war sieben Stockwerke hoch und gehörte damit bei Weitem nicht zu den höchsten Gebäuden New Yorks. Der Fahrstuhl ging nur bis zur sechsten Etage, darum mussten wir eine Reihe steiler und dunkler Stufen bis zum Hausdach hinaufsteigen. Die Sonne ging gerade unter, als wir die Metalltür öffneten und frische Luft auf dem Dach einatmen konnten.
Mr. Halbglatze drehte sich zu uns um. In seiner Faust hielt er einen Knüppel, den er höchstwahrscheinlich aus einem zerbrochenen Bürostuhl hergestellt hatte. Er war offensichtlich überrascht, uns zu sehen, oder eigentlich überhaupt irgendjemanden. Er sah schuldig aus, als ob er etwas Falsches getan hätte. Wir wechselten kein Wort mit ihm. Jeder glotzte für einen kleinen Moment in die Richtung des anderen, um dann getrennter Wege zu gehen.
Ich folgte Kyle zum Rand des Gebäudes und blickte über den Vorsprung. Dutzende dieser Dinger wandelten auf den Straßen umher. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich atmete bewusst langsamer. So versuchte ich zu verhindern, dass ich das Bewusstsein verlor. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Langsam sammelte ich mich wieder.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch hinter uns. Ich wirbelte herum. Dann beruhigte ich mich etwas, als ich sah, wie Mr. Halbglatze ein anderes Teil des kaputten Stuhls zwischen den Türgriff und ein Metallrohr klemmte, das in der Wand neben der Tür eingelassen war. Dadurch würde er uns etwas Zeit verschaffen, falls diese Dinger herausfanden, wie man Treppen hinaufstieg. Das stellte sich als das Klügste heraus, das ich ihn je tun sah. Letztendlich hat es aber einen Scheiß gebracht.
Wir gingen das gesamte Dach ab und suchten nach einer Feuertreppe. Vergeblich. Allerdings konnten wir feststellen, dass sich direkt neben uns ein Parkhaus befand. Eine schmale Gasse, angefüllt mit Mülltonnen und Müllsäcken, stand zwischen unserem Gebäude und einer möglichen Flucht. Mit dem richtigen Wind und ein bisschen Glück wären wir vielleicht in der Lage, hinüberzuspringen. In einer derartigen Situation zieht man jede Möglichkeit in Erwägung – auch die selbstmörderischsten.
Es kam uns unendlich vor, wie wir schweigend nebeneinander auf dem Dach standen und das Chaos unterhalb betrachteten. Es war still in den Straßen, wenn die Toten jedoch neue Opfer aufstöberten, drangen die jämmerlichen Schreie der Sterbenden bis zu uns herauf.
Mr. Halbglatze stand in der Nähe der Tür, als wir etwas hörten, das wie Artilleriefeuer klang. Es hörte sich weit entfernt an. Mir schien es, als ob es aus der Stadtmitte kam. Lichtblitze zuckten durch die Straßen und tauchten die Gebäude in einen surrealen Schimmer. Die Jungs von der Army fuhren wirklich harte Geschütze auf. Wir konnten sehen, wie vier Hubschrauber über das Kampfgebiet flogen. Zwei von ihnen erkannte ich als grüne Militärhubschrauber. Die anderen beiden sahen eher aus wie Nachrichten-Helikopter.
Kyle äußerte sich gerade über das Kaliber der Kugeln, als ich bemerkte, dass sich die Straßen zu unseren Füßen allmählich leerten. Die hirnlosen Kreaturen torkelten in Richtung des Lärms. Wie Mäuse, die dem Geruch von Käse folgten. Während der Kampf weitertobte, erwähnte Mr. Halbglatze, dass wir besser auf Hilfe warten sollten. Irgendwie war das eine etwas andere Taktik als die, über die er noch in der Lobby gesprochen hatte.
Kyle spekulierte darüber, welche Strategie die Army wohl verfolgte. Er war der Meinung, dass sie ein stetiges Sperrfeuer legen würden. Wenn die Zombies vernichtet auf der Straße lägen, würden sie eine Weile warten, bis sich die Straßen wieder mit den Dingern füllten. Dann würde die Army erneut feuern. Machte Sinn, war aber nur eine Vermutung.
Die Sonne verschwand hinter den Gebäuden, Dunkelheit brach herein. Wir beschlossen, auf dem Dach auszuharren. Keiner von uns wollte in der Dunkelheit umherwandern.
Ich wusste nicht, ob Teile des Stromnetzes ausgefallen oder ob die Leute einfach zu ängstlich waren, um ihre Lampen einzuschalten. Gab es überhaupt noch Leute, die sie einschalten konnten? Mit Ausnahme der Ampeln, die rhythmisch ihre Farben änderten, gab es in diesem Viertel kein elektrisches Licht. Das konstante Artilleriefeuer der Army und die Brände, die allerorts wild loderten, erzeugten jedoch genug Helligkeit, um die umherwandelnden Schrecken sehen zu können.
Meine Hand glitt in meine Tasche. Ich beschloss, das Telefon auszuschalten, um so viel Akkuleistung wie möglich zu sparen. Dann drehte ich mich um und ließ mich an der Wand zum Treppenhaus hinabgleiten. Ich fühlte mich immer noch benommen und mochte nicht daran denken, was uns noch bevorstehen würde.
Kyle gesellte sich zu mir und äußerte, dass auch er eine Pause bräuchte. Ich blickte kurz auf, als Mr. Halbglatze mit zögernden Schritten zu uns herüberkam. Widerwillig bewegte ich mich und machte ihm Platz. Ich erkannte in diesem Moment jedoch, dass eine größere Gruppe mehr Sicherheit bot.
Als wir drei so zusammensaßen, erfuhr ich, dass Mr. Halbglatze eigentlich Ron Chauffer hieß. Er war Geschäftsführer eines Versicherungsunternehmens und handelte mit Versicherungspolicen für Naturkatastrophen wie Hurrikans und Erdbeben. Er machte einige abfällige Bemerkungen darüber, dass sein Unternehmen die ganzen Schadensforderungen der Versicherungsnehmer, die durch dieses Ereignis entstünden, nicht würde abdecken können.
Wir Glücklichen, dachte ich voller Abscheu. Jetzt sitzen wir zu allem Überfluss mit einem ganz besonderen Hurensohn auf diesem Dach fest.
Chauffer schlief schließlich ein. Sein Stuhlbein hielt er fest umklammert.
Kyle und ich blieben wach und beobachteten den Schein, der von den Straßen zu uns heraufdrang. In Gedanken war Kyle bei seinem Militärdienst. Er erklärte mir, dass er sich so bald wie möglich wieder verpflichten würde. Er hatte keine Familie, mit der er diese Entscheidung absprechen musste, außer einem Vater, mit dem er sich zerstritten hatte und der irgendwo in San Francisco wohnte. Es schien ihm egal zu sein, ob sein Vater noch lebte oder längst tot war. Ich war mir nicht sicher, ob diese Gleichgültigkeit seinem Vater oder ihm selbst galt. Ich drängte auch nicht darauf, den Grund dafür zu erfahren.
Jersey sei sein Zuhause, sagte Kyle, weil es zu teuer war, in der Stadt zu wohnen. Nun ist es wohl nicht mehr zu teuer, dachte ich mir, als ich auf den Schein des Feuergefechts hinausblickte.
Ich beschloss, zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu viel über mich preiszugeben. Ich erzählte ihm nur das Offensichtliche. Und zwar, dass ich geschäftlich in New York wäre. Ich redete ein bisschen über meine Frau Jenn, die immer noch in Atlanta war, und erzählte ihm, dass ich irgendwie zu ihr zurückkehren musste.
Als ich Atlanta erwähnte, drehte sich Kyle zu mir um und sagte, dass er sechs Monate im Fort Gordon in Augusta stationiert gewesen war. Augusta war eine Stadt an der Grenze von Georgia und South Carolina, circa zwei Autostunden östlich von Atlanta. Von Zeit zu Zeit waren sie vom Hartsfield-Jackson Flughafen in Atlanta aus geflogen. Einige seiner besten Kumpel wären noch dort unten stationiert.
Er erzählte mir eine Geschichte darüber, wie drei von ihnen in irgendeinem Jahr nach Atlanta gegangen wären, um sich dort das Peach Drop anzuschauen, eine alljährliche Feier am Silvesterabend. Nachdem sie zu viel gefeiert und eine verdammte Menge Alkohol intus gehabt hatten, wäre einer der Typen mit drei Prostituierten im Bett gelandet. Laut Kyle sollte es die beste Nacht im Leben dieses Burschen gewesen sein.
Das brachte uns zum Lachen und half dabei, die Anspannung und Angst des Tages zu vergessen. Danach saßen wir schweigend da. Wir beobachteten und lauschten dem Feuergefecht, das nur einige Blocks entfernt tobte.
Ich saß einfach nur da und spielte nervös mit meinem Ehering. Meine Frau hatte mich immer angeschrien, wenn ich mit dem Ding herumfuchtelte. Ich tendierte dazu, mit ihm zu spielen, wenn es zu einer Situation kam, in der ich nervös wurde. Ich denke, dass die letzten Stunden dazuzählten. Fast die ganze Nacht betrachtete ich mal mehr und mal weniger aufmerksam den Himmel. Ich bemerkte, dass dunkler Smog die Sterne verdeckte. Von Zeit zu Zeit riss die Wolkendecke auf und enthüllte einen fast vollen Mond. In den frühen Morgenstunden fiel ich schließlich in einen tiefen Schlaf. Selbst in meinen Träumen wanderten die Toten umher.
Als die Sonne zwischen den Gebäuden hindurchspähte, wurde klar, wie wir unsere Flucht bewerkstelligen konnten. Chauffer war über einen roten Werkzeugkasten gestolpert, als er in der Nacht pissen gehen wollte. Diesen hatte er zu unserem Schlafplatz gebracht. Wir schätzten, dass jemand ihn zurückgelassen hatte, als er den hauseigenen Sendemast reparieren wollte und das Gemetzel unten begann. Der Mast ragte ungefähr drei Meter über die Spitze des Daches hinaus.
Kyle hatte einen Plan ausgearbeitet. Er wollte die Werkzeuge dazu nutzen, die Verankerung des Mastes zu lösen, um die Kluft zwischen dem Bürogebäude, auf dem wir uns befanden, und dem Parkhaus nebenan zu überbrücken. Wir drei waren überzeugt davon, dass wir in der Lage sein würden, den Mast niederzureißen. Er sah lang genug aus, um bis auf die andere Seite der Gasse zu reichen. Es könnte zwar knapp werden, aber wir waren sicher, dass es klappen würde. Wir mussten einfach sicher sein. Es war unsere einzige Chance.
Während Kyle und Chauffer die Schrauben lösten, verschaffte ich mir erneut einen Überblick über die Umgebung. Die Sonne stand inzwischen im Zenit und erleichterte es mir, das Ausmaß der Zerstörung zu erkennen. In der Ferne konnten wir noch immer Pistolenschüsse hören. Der Kampf war also noch nicht vorbei. Immer noch wankten Kreaturen auf der Straße herum. Größtenteils waren sie unorganisiert und es erschien, als würden sie plündern. Ich bemerkte, dass sie sich nicht mehr so schnell wie gestern Nachmittag bewegten. Ich tippte darauf, dass die Mehrzahl der Untoten weiterhin vom Lärm des Feuergefechts angezogen wurde.
Im Süden erblickte ich das Ufer des Battery Parks. Von dort fuhr die Fähre zur Freiheitsstatue oder Ellis Island. Chauffer hatte recht; wir waren wirklich nicht allzu weit vom Wasser entfernt. War man einmal an den paar Blocks vorbei, die mit Autos zugestellt waren, war da nichts als eine offene grasbedeckte Fläche, die uns eine relativ gefahrlose Flucht ermöglichte.
Kyle kam zu mir und sein Blick folgte meinem. Wir sahen Schiffe, die flussaufwärts und flussabwärts fuhren. Ein Schiff nahm Kurs auf die Anlegestelle und es sah so aus, als würde es dort anlegen, um Passagiere aufzunehmen.
»Es ist doch nicht möglich, dass der Fährdienst immer noch in Betrieb ist«, murmelte Kyle ungläubig. Genau das war auch mein Gedanke.
Wir sahen, wie Besatzungsmitglieder von der Fähre sprangen und eine kleine Verteidigungslinie am Kai bildeten. Als Leute zum Boot rannten, sicherten die Besatzungsmitglieder die Flüchtenden mit unregelmäßigen Schüssen ins Nirgendwo ab. Sie schossen, bis die Leute sicher an Bord waren.
So nah und doch so fern, dachte ich und blickte hinunter zur Straße. Es tauchten noch immer mehr Zombies auf. In diesem Moment erregte Chauffer meine Aufmerksamkeit.
»Wenn diese Scheiße über New Yorks Grenzen hinausreicht, dann sollten wir aufs Land flüchten. Weniger Einwohner bedeutet auch weniger Zombies.«
Ich nickte zustimmend und sagte: »Yeah. Wir müssen nur einen Weg heraus finden. Zwischen hier und Sticksville liegt eine stark bevölkerte Gegend.«
Kyle hob unschlüssig sein Kinn. Dann fragte er, ob ich behilflich sein könnte. Er sagte, dass ich mich unter den kleinen Sendemast stellen sollte. Er und Chauffer würden ihn zu mir herablassen. Ich griff den Mast an der Spitze und war überrascht, wie leicht er war. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Art Titan. An meinem Ende war der Turm einen halben Meter breit, er verbreiterte sich nach hinten und es gab eine Leiter, die die ganze Länge hinaufreichte.
Chauffer fragte: »Ist dieses Ding überhaupt stabil genug?«
Mir ging die gleiche Frage durch den Kopf. Ich hoffte, dass wir es nicht herausfinden würden.
»Endlich, ein Glücksfall«, sagte Kyle, als wir den Mast in Position gebracht hatten. Er war gerade lang genug, um die Kluft zwischen den beiden Gebäuden zu überbrücken.
Wir bewunderten unser Werk. Ich griff nach unten, um mir einen Hammer aus dem Werkzeugkasten zu nehmen. Er hatte einen traditionellen Holzgriff mit einem überdimensionalen Metallkopf. Kerben und Macken machten deutlich, dass dieses Werkzeug seine besten Zeiten schon hinter sich hatte. Er lag gut in der Hand, wie für mich gemacht. Ich klemmte ihn in meinen Gürtel.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Hammer mir noch mehr als einmal das Leben retten würde.