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Angsthasen fahren Auto

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Nein!«, hörte ich mich schreien. Viel zu schrill hallte meine Stimme über den endlos weiten Ozean, während ich an der Reling stand und in die Tiefe blickte.

Schweißgebadet schreckte ich aus dem Albtraum hoch, es war seit Wochen immer wieder derselbe.

Ja, warum nur, was suchte ich denn im Wasser? Die Erleuchtung oder gar die Erlösung? Ein Kind konnte es nicht sein, denn die Geländer waren alle mit Glasscheiben abgesichert, für den perfekten Rundumblick und dennoch rausfall- und absturzsicher.

Dennoch, wie viele schlaflose Nächte hatte ich nun hinter mir, in denen ich die Vor- und Nachteile von Kreuzfahrten mit Kindern abgewogen hatte.

Für mich war es die letzte Chance, doch noch in den Urlaub fahren zu können, denn alle anderen Versuche waren bis jetzt gescheitert. Schicke Innenstadthotels hatten uns freundlich erklärt, dass wir nicht mehr erwünscht waren, nachdem unsere Ältere mehrmals ihr Essen unverdaut wieder hochgewürgt hatte. Ich gestehe, irgendwann waren alle Handtücher aufgebraucht, der Abfalleimer quoll über vor Windeln, und meine zur Schüssel geformten Hände … Ach, lassen wir das!

Aber auch abseits gelegene Pensionen hatten uns gebeten, zukünftig woanders zu nächtigen, denn das Schreibaby, unser Jüngster, sei nicht auszuhalten.

Das wiederrum konnte ich niemandem verübeln, aber hatte auch schon mal jemand mich gefragt, wie es für mich war?

»Jeden Tag ein Geschrei von bis zu acht Stunden, das erträgt doch auf Dauer keiner.« Dieser Kommentar konnte nur von einem Mann kommen, in diesem Fall von meinem, der das ruhige Büro dem ihm zustehenden Homeoffice vorzog und meinen erstaunten Das-meinst-du-nichternst-Blick gekonnt übersah.

Man konnte sich also vorstellen, dass unsere Urlaube in den letzten Jahren an einer Hand abzuzählen waren. Wie eine Süchtige befand ich mich auf trockenem Entzug, lechzte nach einem Tapetenwechsel, am liebsten mit Palmen und Sandstrand, doch ich gab mich auch mit einem Pinienwald zufrieden, Hauptsache, weit weg von zu Hause.

Als Paar waren Kreuzfahrten für uns die angenehmste Art zu reisen. Das schwimmende Hotel, meist in den Ausmaßen eines kleinen Dorfes, mit mehreren Tausend Passagieren, brachte uns über Nacht in eine andere Stadt, oft sogar in einen anderen Staat, manchmal sogar zu einem anderen Kontinent, und man brauchte sich um nichts kümmern. Das Essen wurde nahezu rund um die Uhr in den verschiedensten Selbstbedienungs- oder À-la-carte-Restaurants angeboten. Zwischendurch gab es ein Animationsprogramm, welches vom Kreativworkshop über Tanzen bis hin zu Kochkursen reichte, und abends ließen wir uns von Unterhaltungsshows berieseln. Was hatten wir doch für ein erfülltes, aufregendes Leben! Langeweile verspürten wir nie, denn selbst, wenn wir einmal keinen angebotenen Programmpunkt absolvierten, lagen wir faul mit einem Cocktail in der Hand in Sonnenliegen. Die Außenbereiche der Passagierdecks waren vollgestopft mit verschiedenen Bars, Pizza- und Hamburgerstationen, Pools und Outdoorsportbereichen. Und sollte es einen dennoch ins Innere des Schiffes ziehen, vergnügte man sich im Wellnesstempel, beim Friseur oder im Fitnessstudio. Nur wenige der Passagiere nutzten Letztgenanntes tatsächlich für körperliche Betätigung, die anderen quälten sich alibihalber auf einem Laufband oder hantierten ungeschickt mit Hanteln, nur um ihr schlechtes Gewissen niederzuringen.

»Wusstest du, dass viele Freizeitunfälle nicht während der Landausflüge passieren, sondern durch Überschätzung der ungeübten Sportler auftreten?«, fragte ich neulich meinen Mann und prahlte mit Wissen, das mir auf unserer letzten Reise der erste Offizier im Vertrauen erzählt hatte.

Aber auch weniger Sport- und Kosmetikbegeisterte kamen auf ihre Kosten, etwa im Casino, in den zahlreichen Shops, an den Sonnendecks oder in Raucherlounges. Hier durfte man noch ungeniert seinen Lastern frönen, denn überall sonst wurde man nach draußen verbannt und quetschte sich mit anderen Süchtigen unter kleine Heizstrahler im Freien.

Reiste man als gesunder Erwachsener, abgesehen von den üblichen Wehwehchen wie Rückenschmerzen, Computerbildschirmbrille oder Tennisarm, dann machte man sich keine Sorgen über Krankheiten, Schiffsärzte, Medikamente oder die jeweilige Entfernung vom Ankunftshafen bis nach Hause. Man lebte einfach seinen Urlaubstraum und vergaß seine Sorgen.

Mit Kindern jedoch änderte sich dies schlagartig.

Und noch größer wurden die Sorgen, reiste man mit einem Kleinkind und einem Baby. Viktoria ist gerade 2,5 Jahre, und diese würde ihre erste Kreuzfahrt sein. Baby Bruno, seit Kurzem acht Monate alt, kam ungefragt in diesen Genuss und ich hoffentlich endlich zu mehr Schlaf, vertraute man auf dieses geheimnisvolle weiße Rauschen, von dem sich alle Eltern hinter vorgehaltener Hand erzählten wie von einem Geheimtipp. Im Vorfeld machte man sich als Eltern viele Gedanken. Schließlich wollte man nicht in irgendeinem Hafen freundlich, aber bestimmt aufgefordert werden, das Schiff zu verlassen, da die Kinder allen anderen Passagieren den letzten Nerv raubten. Natürlich versuchte ich, Viktoria auch darauf vorzubereiten. Vergessen Sie es, ein Kleinkind kann diese Art von Dimensionen, die für uns so leicht nachvollziehbar sind, weder einschätzen noch zuordnen. Bei Baby Bruno wäre es sinnlos, denn jeglicher Erklärungsversuch wäre mit stundenlangem Schreien quittiert worden. Ob er es als Zustimmung oder Ablehnung meinte, könnte ich nur schwer deuten.

274,9 Meter war unser Schiff, die MSC Wellenreiter, lang, und 54 Meter ragte das Schiff in die Höhe.

»Wie viel sind 54 Meter?«, fragte mich Viktoria, als ich ihr diese Art zu reisen schmackhaft machte.

»Ungefähr sechs Elefanten hoch, die übereinanderstehen.«

»Und wie sind die Elefanten da hochgekommen?«, war die Antwort meiner Tochter.

Also kein guter Vergleich, aber ein berechtigter Einwand, dachte ich mir und überlegte etwas Treffenderes, welches sie sich vorstellen konnte.

»Siehst du diese Wolken am Himmel?«, fragte ich sie vorsichtig, in der Hoffnung, nun ein Gleichnis gefunden zu haben.

Ein heftiges Nicken folgte. »Und kannst du dich noch an die Geschichte mit den Zauberbohnen erinnern, die dann in den Himmel wachsen, und in den Wolken befindet sich die Welt der Riesen?«

Auch jetzt bejahte sie strahlend. »Das ist aber hoch.« Sie lächelte, denn der Vergleich gefiel ihr anscheinend.

Ein zufriedener Seitenblick auf meinen Mann wurde sofort mit einer hochgezogenen Augenbraue seinerseits und einem verachtenden Kopfschütteln abgetan. Mit einem Räuspern wollte er zu einer Richtigstellung ansetzen, dass selbst tiefe Wolken bis zu zwei Kilometer von der Erde entfernt seien, gar nicht erst zu sprechen von hohen Wolken, die eine Entfernung von bis zu dreizehn Kilometern aufweisen können. Mit einem bösen Blick brachte ich ihn sofort zum Schweigen und griff meine Urlaubsvorbereitung wieder auf.

Vollbepackt reisten wir mit dem Auto bis Genua, welches zugleich auch unser Einschiffungshafen war. 987 Kilometer würden wir zurücklegen, und dafür würden wir rund zehn Stunden brauchen, nicht eingerechnet die ständigen Pausen, um quengelnde Kinder zu beruhigen, oder Besuche in diversen Raststätten zum Befriedigen der Grundbedürfnisse.

»Aber ein Flugzeug ist doch viel schneller«, kam der Einwand von Viktoria, womit sie natürlich recht hatte.

»Bevor ich fliege, springe ich noch eher in ein Becken voller Haie, das ist bei Weitem ungefährlicher!«, murrte mein Mann und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich brach in schallendes Gelächter aus und lachte solange, bis mir der Bauch wehtat und mir Tränen über die Wangen liefen. Atemlos erklärte ich ihr, dass Papa, der Techniker, wusste, wie man Schiffe und Flugzeuge baute, so eine Angst hatte, dass er niemals in seinem Leben freiwillig in ein Flugzeug steigen würde.

»So ein Schisser«, sagte Viktoria daraufhin, drehte sich um und verließ das Zimmer.

»Das hat sie eindeutig von dir«, kicherte mein Mann gespielt bestürzt.

Und jetzt brachen wir beide in Gelächter aus. Dieses Wort aus dem Mund unserer kleinen Tochter zu hören, erheiterte dann auch meinen Mann, und für kurze Zeit vergaß er seine Flugangst.

Mini-Me auf Kreuzfahrt

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