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Hamburger essen mit Möwen

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Das ist also groß, dachte sich unsere Tochter, wandte sich mir zu und meinte: »Groß trifft es nicht einmal annähernd. Papa ist groß, aber dieses Schiff, das ist doch um so vieles größer als Papa. Es muss also riesig sein!«

»Ganz schön respekteinflößend«, stimmte ich zu.

Mit großen Augen blickte sie mich an.

Etwas verwirrt rätselte sie um die Bedeutung des Wortes und erwiderte dann: »Ich habe keine Ahnung, was dieses Wort bedeuten soll, aber du sprichst es so geheimnisvoll aus, dass es wohl stimmen muss!«

Gemeinsam gingen wir zum Bug. Vorsichtig tastete meine Kleine nach meiner Hand und drückte sich verschreckt an mich. Ängstlich schaute sie zum Schornstein hoch und sagte mit tiefer Stimme: »Es ist so unglaublich respekteinflößend.«

Schnell ein paar Erinnerungsfotos, und schon drängte Papa zum Weitergehen: »Kommt, wir sehen uns das Heck an, und ich zeige euch die Rattenbleche.«

Unweigerlich zuckte ich bei dem Wort »Ratten« zusammen. Wie ich diese Tiere verabscheute, übrigens alles, was kleine spitze Nagezähne hatte und piepsende Geräusche machte.

Verschmitzt lächelte mich meine Tochter an, wusste sie doch über meine Abscheu gegenüber diesen Tieren Bescheid. Auch machte sie sich immer lustig darüber, wenn ich kreischend auf die nächsthöhere Anhöhe kletterte, sobald mir eines dieser Viecher begegnete.

»Siehst du hier dieses kreisförmige Blech?« Mein Mann zeigte auf eine runde Blechscheibe mit circa einem Meter Durchmesser und einem Schlitz vom Rand zur Mitte, welche auf der Festmacherleine steckte. »Das ist ein Rattenblech.« Dann zeigte er auf den Schlitz und erklärte: »Nach dem Aufstecken zeigt der Schlitz nach unten. Wäre es andersrum, könnten die Ratten einfach über die Festmacherleine hinauf ins Schiff klettern. So aber können sie nicht weiter und müssen wieder umkehren.«

Erleichtert nickte ich, als ich registrierte, dass mein Mann diese beschwichtigenden Worte gleichermaßen an mich wie an unsere Tochter Viktoria gerichtet hatte, welche seinen Ausführungen mit glänzenden Augen und offenem Mund interessiert gelauscht hatte.

»Du musst keine Angst haben«, sagte sie schließlich zu mir. »Ich beschütze dich vor Ratten und Mäusen, sollten doch welche auf das Schiff hinaufklettern.« Nun strahlte sie mich an und schickte mir einen Kuss.

Aufgeregt ging mein Mann im Stechschritt weiter. Kichernd beobachteten wir ihn dabei, wie er immer ein ausgetrecktes Bein hoch anhob, es vor das andere setzte und dabei vor sich hinmurmelte. »270, 271, 272, 273, 274, hm … Also nicht ganz 275 Meter ist unser Kreuzfahrtschiff lang«, verkündete er strahlend.

Ein freundlicher Mann in einer blau-weißen Uniform kam auf uns zu. An seiner Hand hielt er ein Mädchen mit langen braunen Zöpfen, die bei jedem Schritt lustig wippten. Wichtigtuerisch verwickelte mein Mann diesen in ein Gespräch. Fachsimpelnd plusterte er sich auf und bekundete seine Liebe zu Schiffen und dem Meer. »Und wie viele Passagiere können auf das Schiff?«, fragte mein Mann eifrig, wohlwissend, wie viele Platz hatten.

»Es sind ganz genau 2679 Passagiere, und dann kommen noch 721 Besatzungsmitglieder hinzu, nicht eingerechnet die blinden Passagiere wie etwa Ratten.« Der Fremde lachte ein tiefes freundliches Lachen, das ansteckend wirkte.

Bleich vor Ekel verzog ich angewidert das Gesicht.

Das bemerkte auch der freundliche Mann, welcher sich als Reyner vorstellte, ein gebürtiger Philippine, dessen echten Namen niemand aussprechen konnte, weshalb er ihn eingedeutscht hatte. Schnell beeilte er sich, mich zu beschwichtigen.

»Deine Mama braucht keine Angst zu haben, mein Papa macht nur einen Spaß«, erklärte Reyners Tochter Sophie an Viktoria gewandt. Ihre Mutter war Deutsche und arbeitete ebenso auf dem Schiff. Ich schätzte das Mädchen etwa ein Jahr älter als unsere Viktoria. Zu meiner Überraschung erfuhr ich im weiteren Gespräch, dass dies bereits Sophies vierte Kreuzfahrt war. Die restliche Zeit wuchs sie bei ihrer Oma auf. Traurig stellte ich mir vor, wie es sich anfühlen musste, monatelang von meiner Tochter getrennt zu sein, spürte aufkeimende Schwermut und schob den Gedanken sofort wieder weg.

Währenddessen hatte Viktoria in Sophie eine Seelenverwandte gefunden. Aufgeregt plaudernd tauschten sie sich aus und schmiedeten bereits Pläne für gemeinsame Abenteuer während der Kreuzfahrt.

Nur kurz ließ ich die beiden aus den Augen, und plötzlich waren sie verschwunden. Hektisch wirbelte ich herum und brüllte immer wieder den Namen meiner Tochter, während mir das Herz bis zum Hals schlug. Ich malte mir die schlimmsten Szenarien aus, wie sie ins Hafenbecken stürzte und ertrank oder von Fremden während meiner Unaufmerksamkeit entführt wurde. Mühsam unterdrückte ich die aufsteigende Übelkeit, ausgelöst durch Angst und das versäumte Frühstück heute Morgen.

Doch dann sah ich sie in einigen Metern Entfernung stehen. Sophie hielt Viktorias Hand, ihr Blick war aufs Festland gerichtet. »Siehst du hier die Möwen?« Sie deutete auf die Vögel, welche zufrieden in der Sonne dösend am Pier hockten, »Sie werden uns auf unserer Reise begleiten. Und sie lieben Hamburger, genauso wie ich.«

Ohne meine Panikattacke zu bemerken, fachsimpelten mein Mann und Reyner noch über unterschiedliche Schiffsmaße und darüber, wie sich die Hafengebühren errechnen ließen, aber auch über Tiefgang, Tragfähigkeit und Geschwindigkeit, bevor sich Reyner schließlich auch nach seiner Tochter umblickte und sich verabschiedete. Gelassen schlenderte er auf das Mädchen zu. Kein Wort des Vorwurfs kam über seine Lippen, keine Anzeichen von Furcht waren ihm anzumerken, und ich dachte bei mir, so gelassen – oder so naiv und ahnungslos, was alles hätte passieren können – reagierten wohl nur Väter.

Sophie drehte sich im Gehen nochmals um und winkte uns zu. »Bis später! Wir sehen uns dann im Hamburger-Restaurant!«, rief sie freudig und verschwand mit ihrem Papa in der Menge.

Ich blickte ihr lange nach und musterte die anderen Passagiere. Nur wenige Kinder waren in der langen Schlange angestellt und betraten das Schiff. Mehrheitlich waren Paare im mittleren Alter dabei, doch auch ganz viele Mittzwanziger, die in kleinen Gruppen reisten.

Einige Jugendliche standen gelangweilt etwas abseits von ihren Eltern, nur nicht outen, dass man gerne hier war, besser ein grimmiges Gesicht ziehen. Belustigt verfolgte ich dieses Schauspiel, doch gleichzeitig fragte ich mich, ob das mit unseren Kindern auch einmal so sein würde. Das Bild war so bunt und vielfältig wie die Menschen selbst. Doch einige stachen mir besonders ins Auge. Eine kleine rundliche Frau mit knallroten Haaren und unglaublich keck dreinblickenden blauen Augen zum Beispiel. Sie strotzte vor Energie und trippelte von einem auf das andere Bein, oder sie musste ganz dringend aufs Klo, überlegte ich und musste kichern.

Etwas abseits, ziemlich verloren und unscheinbar stand eine ältere Frau, die wahrscheinlich allein reiste. Die anderen Passagiere drängten sich an ihr vorbei, schubsten sie an und registrierten sie gar nicht. Ihr Blick war traurig, wirkte abwesend und leer, und dennoch fand ich, hatte sie ein freundliches Wesen. Sie bemerkte meinen Blick und lächelte mir zu.

Hektisch tänzelte ein Mann mittleren Alters durch die Menge. Sein Poloshirt in auffälligem Orange und die vielen bunten Armbänder an seinem Handgelenk ließen ihn jünger erscheinen, als er war, dennoch schätzte ich ihn auf Anfang sechzig. Er selbst strahlte Ruhe aus, doch durch sein Verhalten brachte er Hektik und Chaos in die Gruppe.

»Das ist die MSC Wellenreiter«, riss mich mein Mann aus den Gedanken und strahlte uns an. »Sie wird für die nächsten 13 Tage unser Zuhause sein.« Mit unserem Kreuzfahrtschiff würden wir, ausgehend von Genua, das westliche Mittelmeer bereisen, 3501 Seemeilen zurücklegen und acht verschiedene Häfen kennenlernen. »Hier schlafen wir, werden die Welt bereisen, und wir werden internationale Köstlichkeiten im Schiffsrestaurant essen.«

»Hamburger reichen mir«, gab Viktoria fröhlich zur Antwort und freute sich sichtlich auf das bevorstehende Abenteuer.

Mini-Me auf Kreuzfahrt

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