Читать книгу Menschenseelen Teil 4 - Ker - - S. N. Stone - Страница 6
4. Kapitel
ОглавлениеJaten hatte sich den Hilfstruppen des Arminius angeschlossen, als er erfahren hatte, dass Publius Quinctilius Varus von Kaiser Augustus als neuer Oberbefehlshaber nach Germanien geschickt werden würde. Arminius sollte ihn begleiten und Jaten fand einfach Gefallen daran, zu sehen, was sich aus dieser Situation herausholen ließ.
Ciara hatte ihren Unmut darüber kundgetan. Am wenigsten gefiel ihr die Tatsache, dass sie von ihrem Zwillingsbruder getrennt sein würde, aber es war ihm egal. Sie nahm auch keine Rücksicht auf ihn, wenn ihr etwas in den Sinn kam.
Jaten mochte Germanien mit seinem rauen, unwirklichen Klima und seiner Einfachheit.
Für die römischen Legionen war es wie eine andere Welt, in der sie sich nur schlecht zurechtfanden. Waren sie es gewöhnt in steinernen Häusern, mit Fußbodenheizung und fließendem Wasser, mit öffentlichen Bädern, Märkten, Theatern, Sitte und Ordnung zu leben, so trafen sie im Land der Barbaren auf Einfachheit, Derbheit und vor allem auf schlechtes Wetter und dichte Wälder.
20 Jahre römische Herrschaft hatten in Germanien nicht viel verändern können. Die unzähligen unterschiedlichen Stämme bekriegten sich nach wie vor und die Bevölkerung tat sich schwer die römischen Sitten anzunehmen und verzichtete überwiegend darauf. Sie hatten nicht einmal ein Schriftbild und galten weiterhin als unzivilisiert.
Für Arminius war es kein fremdes Land und das machte es für Jaten so interessant an seiner Seite zu reiten. Als Sohn eines Cheruskerfürsten war er mit zehn Jahren als Geisel nach Rom gebracht und dort zum römischen Offizier ausgebildet worden. Diese Art der Geiselnahme war nicht ungewöhnlich, so sorgte man für das Wohlverhalten der Väter im fernen Land und zog romtreue Gefolgsleute heran, die irgendwann in die Heimat zurückgeschickt wurden, und die Romanisierung vorantrieben. Sie wurden häufig in den Auxiliartruppen, den Hilfstruppen, eingesetzt, und kämpften an der Seite der Legionen im eigenen Land. Sie bekämpften die unterschiedlichen Feinde Roms mit ihren eigenen Taktiken.
Arminius hatte sich militärisch bewiesen und war sogar in den Ritterstand erhoben worden, als erster cheruskischer Adliger.
Jaten selbst kannte sich natürlich ebenso hervorragend mit dem römischen Militärwesen aus. Germanien war ihm nicht unbekannt, nichts war ihm wirklich unbekannt und er war anpassungsfähig. Während ihrer Reise in die Heimat der Barbaren beobachtete er den Kommandanten bewusst und hörte genau zu.
In Vetera angekommen, kam Varus seiner Aufgabe nach, die römische Verwaltung und das Recht durchzusetzen und das Gebiet zu organisieren. Jaten betrachtete sein Vorgehen skeptisch. Der Oberkommandeur hatte offensichtlich kein Gefühl für das Volk der Germanen. Er behandelte sie wie Unterworfene, erhob extrem hohe Steuern und setzte sich über ihre religiöse Ordnung hinweg, indem er durch Anwendung der Todesstrafe Recht sprach. Entscheidungen über Leben und Tod waren aber nur den Göttern vorbehalten. Auch konnten sie den hohen Forderungen nicht entsprechen, sie waren Selbstversorger und hatten nicht viel.
Es fehlte ihm an Einfühlungsvermögen und für Jaten war klar, dass er auf einem Pulverfass saß.
Es gab sehr wohl auch Stämme, die sich prorömisch verhielten, aus Angst vor den imposanten Streitmächten, oder, weil sie sich einen Vorteil versprachen.
In diesen Konflikten sah Jaten großes Potenzial. Er hoffte auf Arminius, hoffte darauf, dass dessen Herz für sein Volk heftiger schlug, als für das Volk, das ihn aus seiner Heimat gestohlen hatte.
Dass dem nicht so war, erkannte er, als er Zeuge eines Gesprächs seines Kommandeurs mit dessen Vater wurde.
Obwohl die Cherusker das Bündnis mit Rom eingegangen waren, war Segimer ein Gegner des Abkommens. Er tat sein Missfallen kund. Arminius hingegen beteuerte, versuchte seinen Vater geradezu zu überzeugen, dass Rom Fortschritt und Frieden bringen würde.
Diese Einstellung machte es Arminius nach Segimers Tod umso schwerer seinen Anspruch auf dessen Nachfolge geltend zu machen.
Für Jaten war die Zeit gekommen etwas zu unternehmen, zumal Ciara nun bereits fast zwei Jahre ohne ihn war, aber was bedeutete schon Zeit.
Als Varus sich mit fünf Legionen und den Hilfstruppen im Frühsommer auf den Weg die Lippia entlang zum Sommerlager machte, reagierte Jaten. Er beseitigte Arminius. Er tötete ihn nicht, sondern gab ihm eine neue Identität ein und schickte ihn zu den Braketen, wo man ihn nicht erkennen würde. Er selbst nahm das Aussehen des Cheruskerfürsten an und seinen Platz ein.
In Mogonaticum ließ Varus zwei Legionen zurück, sodass sie mit der 17, 18. und 19. Legion das Lager erreichten.
Jaten suchte die Nähe zu Varus bewusst. Der Oberbefehlshaber hatte Arminius bereits vertraut, Jaten sorgte dafür, dass dieses Vertrauen gefestigt wurde und tiefer ging, ja sogar ein freundschaftliches Verhältnis entstand. Bald war er regelmäßig Gast an der Tafel des römischen Oberkommandeurs. Eine Rolle zu spielen fiel ihm nie schwer, barg aber auch Gefahren, er musste stets wachsam sein.
Jaten arbeitete verbissen an seinem Plan. Er nahm die Aufgabe als Cheruskerfürst wahr, um unter den einheimischen Verbündete zu gewinnen.
Er rief die Stämme Germaniens zusammen, um sie gegen Rom zu vereinigen.
Segestes, ein weiterer Fürst der Cherusker und Arminius Schwiegervater war ein Sympathisant Roms. Erstaunt über den Sinneswandel seines Schwiegersohns, dem er sowieso nicht wohlwollend gesinnt war, versuchte er die Fürsten zu überzeugen, dass ein Angriff auf die Legionen nur die Rache Roms zur Folge haben würde.
„Bedenkt doch nur ihre Übermacht, ihre Erfolge bei den Eroberungsfeldzügen. Wollt ihr wirklich euer Leben lassen anstatt Kompromisse einzugehen und mit ihnen in Frieden zu leben?“
„Wollt ihr weiter dem arroganten Verhalten dieser Menschen ausgeliefert sein? Wollt ihr euch wie Vieh behandeln lassen? Euch ausbeuten lassen? Du hast recht Segestes, auf dem offenen Schlachtfeld scheinen sie unbesiegbar, jedoch sind wir hier nicht in den weiten Landen Mauretaniens oder Galliens, sondern in den Wäldern Germaniens. Hier gibt es das Dickicht, enge Passagen, unwegsame Pfade. Und genau dort werden wir sie angreifen. Die Legionäre sind keine Einzelkämpfer, können sie sich nicht formatieren, sind sie schwach“, rief Jaten.
„Wie willst du sie auf diese Pfade bringen? Sie haben Marschrouten, die sie nutzen.“
„Ich werde sie dorthin locken. Folgt mir und befreit mit mir unser Land, ich führe euch zu Ruhm und Freiheit!“
Ein Kampfschrei ging durch die Runde.
Auch die Soldaten seiner Hilfstruppe, allesamt in Germanien Geborene, schlossen sich ihm an. Sie waren von enormer Wichtigkeit für seinen Plan.
Bald würde er erneut seinen Hunger stillen können. Bis zur Rückkehr nach Xanten in das Winterlager würde es nicht mehr lange dauern. Jaten organisierte alles, tat seinen Verbündeten seine Pläne kund und blieb gleichzeitig weiterhin in der Nähe Varus.
Am Abend vor der Abreise, sie waren gerade am Speisen, teilte ein Tribun mit: „Unsere Kundschafter berichten, dass einige Stämme im Norden einen Aufstand planen. Es wäre vielleicht besser, wir würden gefechtsbereit ziehen.“
Varus schaute von seinem Becher mit Wein auf. „Was sagst du dazu Arminius?“
„Ich denke das sind Gerüchte, wenn es dir jedoch Sorge bereitet, kann ich mit den Hilfstruppen die Lage auskundschaften.“
Varus nickte. „Dann tu das.“
Sie tranken und aßen weiter. Das Schicksal würde seinen Lauf nehmen und Jaten war zufrieden. Und plötzlich stand Segestus da.
„Varus, ich bin gekommen dich zu warnen“, rief er aus.
Varus erachtete es nicht einmal für nötig sich zu erheben. „Wovor willst du mich warnen?“ Ein herablassendes Lächeln lag auf seinen Lippen.
„Vor einem Aufstand, vor einer Revolte gegen dich und die Legionen.“
Der Römer lachte auf. „Wer sollte denn so todesmutig sein gegen uns die Waffen zu erheben?“
Segestus deutete auf Jaten. „Dieser Mann, den du deinen Freund und Vertrauten nennst.“
Für einen Augenblick sah Jaten alles in Gefahr, glaubte, Varus würde Arminius Schwiegervater Glauben schenken und Enttäuschung breitete sich in ihm aus. Varus schaute ihn an und er konnte den Ausdruck in dessen Gesicht nicht deuten.
„Er hat recht“, begann Jaten, „ich werde die Legionen bei ihrem Marsch in den Hinterhalt locken und alle töten. Anschließend werde ich dir mein Schwert in die Brust rammen und auch deinem Leben ein Ende setzen.“
Und genau diese oder zumindest eine ähnliche Reaktion des Publius Quinctilius Varus, dem Statthalter Germaniens hatte er erhofft. Varus begann zu grinsen und brach dann in schallendes Gelächter aus, in das er und die anderen anwesenden römischen Offiziere lauthals einstimmten.
„Mein Freund Arminius, verschonen mich mit deinen Scherzen. Du bist romtreuer als die Huren, hier im Lager, die ewige Verbundenheit säuseln, wenn man ihnen nur genügend Gold unter das Gewand steckt.“
Am frühen Morgen des nächsten Tages verließ Varus mit der 17., 18. und 19. Legion sowie sechs Kohorten und drei Reitereinheiten das Sommerlager. Dem Zug gehörten noch der Tross und etwa 5000 Reit-, Zug- und Tragtiere an, sodass er sich mit etwa 22.000 Mann auf mehr als 13 Meilen erstreckte.
Jaten oder eher Arminius, brach mit einem Teil der Auxiliartruppen auf, um auszukundschaften, ob es der Wahrheit entsprach, dass es einen Aufstand gab.
Tatsächlich begab er sich mit seinen Männern jedoch gezielt zu den Wachtürmen, die entlang der Marschrouten der Römer errichtet worden waren. Die Besatzungen dieser vermuteten nichts Böses, als sie die römisch gekleideten Reiter erblickten. Jaten und seine Leute töteten die Wachmannschaften und steckte die Türme in Brand. Zur gleichen Zeit, so wusste er, versammelten sich die Krieger der Germanen in den Wäldern.
Sie hatten die Marschroute verlassen, nachdem sie am Ende des ersten Tages Rauchschwaden in der Ferne gesehen hatte. Nun zogen sie durch die Wälder. Bei den Aufständen handelte es sich wohl doch nicht nur um Gerüchte und Quinctilius Varus wollte Arminius zu Hilfe eilen, der offensichtlich in Kämpfe verwickelt worden war, und die Unruhen niederschlagen. Anschließend würden sie wieder auf ihre ursprüngliche Route zurückkehren.
Servius Licinius hasste dieses Land. Er hasste das Wetter, es regnete beinahe ständig. Er hasste dieses grüne undurchdringliche Dickicht, der Boden war glitschig und von Wurzeln überwuchert. Seine schwere Ausrüstung machte ihn von Schritt zu Schritt müder.
Sie hatten aufgrund des unwegsamen Geländes bereits ihre Marschformation auflösen müssen, und unablässig machten sie den Weg frei oder bauten gar erst einen, damit die Zivilisten und die Trosswagen durchkamen. Bäume wurden gefällt, Äste und Stämme zur Seite geschafft, Hügel abgetragen.
Schwerfällig und langsam kam der Zug voran und das zehrte nicht nur an seinen Nerven. Ein Umkehren war nicht mehr möglich, bei einem Wendemanöver hätte sich der Zug komplett aufgelöst. Licinius marschierte in der Mitte des Trosses und obwohl die Pioniere die meiste Arbeit erledigten, blieb auch für ihn genug übrig. Er sehnte sich nach einer Rast. Seinen Kameraden ging es nicht anders und so waren die Gespräche verstummt und die Rufe der Befehle wenige geworden.
Licinius legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Er atmete tief durch. Was man diesem Land zugestehen musste, war, dass die Luft hier rein und klar war, anders als im warmen Rom, mit seinen staubigen Straßen und den Gerüchen nach Menschen, Essen, Gewürzen und Leben.
Nur einen Augenblick verharren.
Und es näherte sich ein Dröhnen, ähnlich eines heranrollenden Gewitters und die Vögel brachen ihren Gesang ab. Der Wald schien die Luft anzuhalten und auch Servius Licinius tat es, denn der Tod eilte herbei.
Der Wald spuckte die Krieger der Germane geradezu aus. Sie stürzten sich auf die völlig überraschten Legionäre. Licinius zog sein Schwert. Pfeile schwirrten durch die Luft und die ersten Kameraden gingen zu Boden. Er würde sich zu verteidigen wissen. Immer vor Augen hielt er sich, dass die Gegner es niemals mit ihnen würden aufnehmen könne. Die Legionen Roms waren kampferprobt und hervorragend organisiert. Und dann realisierte er, dass es hier diese Organisation nicht gab, und auch, dass die Reitertruppen, die ihnen eigentlich Flankenschutz hätten geben sollen, die Seiten gewechselt hatten. Und als die stumpfe Axt eines der Wilden seinen Körper spaltete, dachte er, dass er auch die Barbaren hasste, denn sie waren offensichtlich nicht so dumm, wie er geglaubt hatte.
Jaten war mit der ersten Angriffswelle sehr zufrieden, jedoch gab es noch mehr als genug Soldaten, die es in der Schlacht fallen zu lassen galt.
Auf einem Hügel stehend, konnte er das Marschlager einsehen, das den Römer gelungen war zu errichten.
Überall brannten große Feuer und sie übergaben einen Teil der mitgeführten Wagen den Flammen.
Die Römer gaben nicht auf, hatten auch keine andere Wahl, als sich zu wehren, denn es gab keine Fluchtmöglichkeit. Die Truppe hatte sich vom Tross getrennt. Sie hatten die Zivilisten zurückgelassen, ebenso, wie weitere Wagen, die nicht verbrannt worden waren. Als Jaten das am Morgen gesehen hatte, war klar, dass die Stämme reichlich Kriegsbeute machen würden. Eigentlich stand er auf keiner der beiden Seiten, darum ging es ihm nicht, ging es ihm nie, trotzdem freute er sich insgeheim darüber, dass die Römer abgeschlachtet wurden, wie sie in der Vergangenheit selbst geschlachtet hatten. Und auch der zweite Tag endete verlustreich für die Legionäre.
Am Abend des dritten Tages hatten die Wilden aus Germanien ein Achtel des Gesamtheeres des Römischen Reichs vernichtend geschlagen. Die letzten Überlebenden und schwer verwundeten waren den Göttern der Germanen geopfert worden. An Bäumen genagelt hingen ihre leblosen Körper bleich im Schein des vollen Mondes. Der Boden, noch von Blut getränkt, war übersät von Leichen von Tier und Mensch
Ein wenig wehmütig war Jaten, der wieder sein wahres Aussehen angenommen hatte, schon, gerne hätte er Publius Quinctilius Varus nämlich tatsächlich sein Schwert in die Brust gerammt, nur um zu sehen, ob dieser wieder in schallendes Gelächter gefallen wäre. Jedoch hatte der Feldherr es mit seinen obersten Offizieren vorgezogen, sich selbst zu töten.
Als er so durch die toten Körper streifte und aus der Ferne die Siegesgesänge der Barbarenkrieger vernahm, sah er die Gestalt einer Frau über das Schlachtfeld wandeln. Er kniff die Augen zusammen und bewegte sich zügig auf die in ein weißes Totenhemd gekleidete Erscheinung zu.
Als er sie erreicht hatte, sprach er zu ihr: „Findest du nicht, dass deine Kleidung ein wenig zu dramatisch ist?“
Die Frau drehte ihren Kopf zu ihm und lächelte. „Findest du nicht, dass du viel zu lange gebraucht hast dieses Mal? Ich habe dich vermisst.“
Dann schob sie ihre Hand in seine und gemeinsam gingen die Abkömmlinge des Ker, die Geschwister des gewaltsamen Todes über den Kampfplatz.