Читать книгу Menschenseelen Teil 2 - Lilith - - S. N. Stone - Страница 3
1. Kapitel
ОглавлениеJenna saß im Garten der Klinik und starrte auf die Rosenbüsche. Sie befand sich in dem Zustand, von dem sie nicht wusste, ob er ihr gefiel oder nicht. Es war der Zeitpunkt, indem die Wirkung der Medikamente nachließ und die Gabe Neuer kurz bevorstand. In diesen Momenten war sie einigermaßen klar, aber sie dachte immer und immer wieder über dasselbe nach und dachte immer und immer wieder über dieselben letzten Tage in 'Freiheit' nach. Sie hatte Danjal getötet, hatte sie geglaubt, und dann war er am Flughafen aufgetaucht, als Elias festgenommen worden war, weil man ihm die Morde zu Last legte, die ER begangen hatte. Sie hatte IHN gesehen und war ausgeflippt, richtig ausgeflippt. Die Polizei hatte sie in eine Nervenklinik bringen lassen, und ja, sie musste zugeben, dass das, was sie erzählt hatte sehr, sehr sonderbar geklungen hatte.
Herr Doktor, der Mann mit dem ich eine Beziehung hatte, war ein Sohn Liliths, der ersten Frau Adams, die ihren Sohn unter die Menschen sendet, um sich an Gott zu rächen. Danjal, so heißt er, ist das personifizierte Böse und hat nicht nur meine Freunde und meine Schwester getötet, sondern ist auch für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich. Er bringt nämlich das Chaos und das Verderben. Er war schuld am Brand von Rom, damals, unter Neros Herrschaft, und er war Jack the Ripper und er war auch für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verantwortlich. Er ist schon ziemlich alt müssen Sie wissen, so an die 6000 Jahre. Und er hat noch viel mehr schlimme Dinge getan, von denen Sie ja nicht einmal ahnen, dass er es war.
Aber Sie brauchen keine Angst zu haben, ich bin die einzig wahre Auserwählte und ich kann ihn vernichten, sagt zumindest die Bruderschaft der Arsaten. Die jagen ihn schon ganz lange. Aber irgendwie, Herr Doktor, hat es nicht geklappt, wissen Sie. Ich habe es versucht, ich habe versucht ihn auszulöschen und habe geglaubt es geschafft zu haben. Ich habe ihm eine Kugel, mitten ins Herz gejagt und mein Freund hat ihn anschließend zerstückelt und die Teile an unterschiedlichen Orten begraben, denn er ersteht auf, wenn er von der falschen Person getötet wird. Wir wollten ganz sicher gehen und das durch das Zerstückeln verhindern. Ach, ich habe vergessen zu erwähnen, dass Lilith im Moment seines Todes erschienen ist, und ihn, also besser seine Seele, wenn er denn eine hat, mitgenommen hat.
Aber Herr Doktor, soll ich Ihnen noch was sagen? Er ist nicht tot. Irgendetwas ist schief gegangen. Ich habe ihn nämlich gesehen, jawohl, auf dem Flughafen, als ich mit meinem Freund nach Rom wollte, ja, da war er und hat mich angegrinst, in dem Augenblick in dem mein Freund von der Polizei festgenommen wurde, jawohl, er ist wieder da ...
Natürlich ist das die Geschichte einer gesunden, jungen Frau, ohne Zweifel, so etwas erlebte doch jeder einmal.
Jenna hätte fast laut aufgelacht. Nein, war es nicht, und sie konnte auch verstehen, dass alle Welt glaubte, sie sei völlig durchgeknallt, aber es war die Wahrheit.
Jenna starrte weiter vor sich hin. Sie musste hier raus, denn sie musste etwas gegen Danjal unternehmen. Dazu würde sie die Bruderschaft brauchen, die konnten ihr helfen, die wussten wie sie ihre Gaben, die sie hatte, wecken und im Kampf gegen das Böse einsetzen konnte. Und sie brauchte Elias.
Er war bereits vor einiger Zeit aus der Untersuchungshaft entlassen worden, die Anschuldigungen gegen ihn, hatte er mithilfe der Bruderschaft, entkräftigen können. Er war wieder ein Mitglied der Arsaten geworden und hatte sie auch schon besucht.
Die 'Bruderschaft der Arsaten' hatte sich bemüht sie hier rauszuholen, vergebens. Selbst ihre Eltern waren der Meinung, dass es ihr gut täte, in der Klinik zu sein und kein vernünftiger Arzt würde ihr attestieren, dass sie 'normal' war, bei allem, was sie von sich gab. Jenna hatte schon versucht, so zu tun als wäre wieder alles in Ordnung mit ihr, hatte dem Arzt erzählt, was er hören wollte, aber der war misstrauisch gewesen, hatte ihr ihre plötzliche Wandlung nicht abgekauft. Sie hatte es ein paar Sitzungen lang durchgezogen und war der Meinung gewesen, der Doktor würde ihr langsam glauben. Und dann hatte sie geglaubt IHN gesehen zu haben und dem Arzt dummerweise noch davon erzählt.
Jenna lehnte sich zurück und atmete die warme Luft ein. Sie wartete darauf, dass eine Schwester zu ihr kam, um sie hinein, zur Medikamentenausgabe, zu zitieren. Danach waren die Gruppentherapien dran.
Sie sah Louisa, wie sie den schmalen Kiesweg entlanglief. Louisa war jung, viel zu jung um hier sein zu müssen, fand Jenna. Die junge Frau, gerade 19 Jahre alt, hörte Stimmen, schon ihr ganzes Leben lang, wie sie ihr vertraulich mitgeteilt hatte. Schizophrenie, so nannte man das. Jenna mochte Louisa, sie war liebenswert und herrlich verschroben, aber genau das war es, was sie hier reingebracht hatte.
Louisa kam zu ihr und blieb lächelnd vor ihr stehen. „Hi, darf ich mich zu dir setzen?“, fragte sie, wartete aber die Antwort nicht ab und nahm Platz. „Ich bin abgehauen“, sagte sie und kicherte dabei, „vor der Schwester, sie wollte, dass ich mitgehe, um meine Tabletten zu schlucken, aber ich hatte keine Lust, ich wollte ihnen noch ein bisschen lauschen.“
Mit ihnen meinte sie wohl ihre Stimmen, schlussfolgerte Jen. „Abhauen würde ich auch am Liebsten“, sagte Jen, mehr zu sich selbst, als an die andere gerichtet. Louisa rutschte an die Kante der Bank, drehte sich zu ihr und schaute sie verwundert mit ihren babyblauen Augen an. „Aber wieso solltest du? Du kannst hier doch bald raus.“ Jen war irritiert. „Ich glaube nicht, wie kommst du denn auf die Idee?“ „Na das hat er mir doch erzählt.“ „Wer er?“ „Na der Mann, der letztens hier gewesen ist.“ Jenna dachte an Elias. „Der, der humpelt?“ Louisa schüttelte den Kopf. „Nein“, antwortete sie, „der Hübsche.“ Na hässlich war Elias nun auch nicht gerade, dachte Jen, als Louisa fortfuhr: „Der mit diesen abgefahrenen, hellgrauen Augen. Sie haben mich vor ihm gewarnt. Aber ich habe sie kaum verstanden.“
Es war, als würde eine Hitzewelle über Jenna schwappen, die sie, angefangen am Kopf, bis hinunter in die Zehenspitzen, überrollte, Danjal! Sämtliche Farbe schien aus ihrem Gesicht gewichen zu sein, denn Louisa schaute sie an, als würde sie einen Geist sehen.
„Wann hast du den Mann gesehen?“, fragte Jen ganz leise, laute Worte wollten ihr nicht über die Lippen kommen. „Ich weiß nicht genau, vorgestern oder vor-vorgestern oder-“ Jen hob die Hand. „Schon gut“, leeres Gerede wollte sie jetzt nicht, „vor ein paar Tagen also?“ Die junge Frau nickte. „Er stand da, ganz plötzlich, im Gang vor den Aufenthaltsräumen. Meine Stimme Nummer eins hat mich auf ihn aufmerksam gemacht, Nummer zwei hat gesagt, ich solle mich vor ihm in acht nehmen.“
Louisas Stimmen hatten keine spezielle Personifizierung, sie schienen männlich zu sein, hatten aber keine Namen. Das Mädchen nummerierte sie einfach durch.
„Ich habe ihn trotzdem angesprochen, ihn gefragt, ob er neu sei, und er hat geantwortet, dass er nur jemanden beobachten würde.“ „Kam dir das nicht sonderbar vor?“, fragte Jen und wurde sich im selben Moment ihrer Worte bewusst. Sie war hier in einer Nervenklinik, was oder wer war hier denn nicht sonderbar? „Nein, er war eigentlich recht freundlich, hat mich nach meinem Namen gefragt und mir gesagt, dass du hier bald rauskommen würdest. Ich habe mich so für dich gefreut. Ich weiß gar nicht, was Nummer zwei gegen ihn hatte.“ Louisa strahlte sie an. „Das ist doch wunderbar, oder? Ich meine, dass du hier bald raus kannst. Ach, wieso kann man uns nicht einfach bleiben lassen, wer wir sind? Ich mag meine Stimmen, wenn ich die Tabletten nehme, dann gehen sie weg, und ich bin einsam. Das will ich nicht, ich komme mit ihnen ganz gut klar und sie tun doch keinem was.“
Jenna verstand, was das Mädchen meinte. Die Menschen, denen sie hier begegnet war, lebten in einer anderen Welt. Einige von ihnen waren darin sehr glücklich, aber viele von ihnen waren nicht in der Lage, ihr Leben innerhalb der Gesellschaft zu bestreiten. Andere, hatten mehrere Selbstmordversuche hinter sich, hatten anderen wehgetan, oder sich selbst in Gefahr gebracht, ohne es wirklich beabsichtigt zu haben oder steuern zu können. Für all diese Leute gab es keinen Platz, also brachte man sie hier her und schloss sie weg. So wie man auch sie weggeschlossen hatte, obwohl Jenna nicht verrückt war.
Wie viele der anderen war es wie ihr ergangen, überlegte Jen. Wie viele hatten vielleicht eine Begegnung mit etwas oder jemanden gehabt, wie sie und waren als verrückt abgestempelt worden? Würde man Elias Geschichte hören, oder die der anderen Arsaten, man würde sie ebenfalls hier einweisen, ganz sicher, obwohl es Tatsachen waren? Oder etwa nicht? Jenna merkte, wie sie an sich zweifelte, ihre Gedanken abschweiften. Hatte sie sich alles vielleicht nur eingebildet, hatte sie vielleicht auch in einer Traumwelt oder eher Albtraumwelt gelebt? Nein! Der Tod von Laura, von Markus, von Lukas, das war Realität, genauso wie Danjal Realität war. ER hatte sie berührt, ER hatte mit ihr gesprochen, IHN hatte sie geliebt, IHN hatte sie getötet.
Das waren diese verdammten Medikamente! Die brachten sie dazu zu zweifeln, an sich zu zweifeln.
Louisa starrte sie mit offenem Mund an, und Jen realisierte, dass die junge Frau mit ihr gesprochen hatte und auf eine Antwort wartete. Jenna schüttelte sich kurz und sagte: „Entschuldige, was hast du gesagt?“ „Ich wollte wissen, warum du dich so für den Mann interessierst, kennst du ihn?“ Sonderbare Frage, warum hatte sie nicht gefragt, weshalb sie noch gar nicht wusste, dass sie aus der Klinik entlassen werden würde. Aber so dachte Louisa nicht, das schien ihr nicht wichtig, der Mann war ihr wichtiger. „Ich dachte ich würde ihn kennen“, antwortete Jen.
Als Jen am Abend auf ihrem Bett lag und an die Decke starrte, huschten die Schatten ihrer Vergangenheit nur vorüber. Die Medikament wirkten, und ließen nicht zu, dass die Erinnerungen an ihre Schwester an die Oberfläche ihres Bewusstseins drangen. Aber ein Gedanke schaffte es aus dem Nebel auszubrechen. Danjal war hier gewesen, Louisa hatte ihn auch gesehen. Dann schlief Jen ein.
Jeder Tag war dem Vorangegangenen irgendwie gleich: 7:00 Uhr Frühstück, 8:30 Medikamentenausgabe, 9:00 Uhr Gruppentherapie, 10:00 – 11:00 Uhr Freizeit, zum Erholen, eine Stunde stumpfsinniges Basteln, Malen oder rhythmisch im Takt der Musiktherapie klatschen, 12:00 Uhr Mittagessen, Mittagsruhe bis 15:00 Uhr. Danach dreimal die Woche Einzeltherapie bei einem Psychiater oder Freizeitgestaltung, entweder unter Inanspruchnahme des Angebotes der Klinik, Yoga oder Stricken oder noch einmal Malen oder sonst was oder sich selbst beschäftigen. Fernsehen, Lesen, Spazierengehen, Unterhalten oder vor sich Hinstarren.
Jenna entschied sich meistens fürs Lesen. Ihre Eltern und ein paar Freunde, die sich getraut hatten sie zu besuchen, hatten ihr eine beträchtliche Anzahl an Büchern, darunter auch Fachliteratur, mitgebracht. Heute jedoch saß sie da und starrte auf die Sätze, Wörter, Buchstaben, die vor ihren Augen hin und her tanzten. Louisa hatte ihn auch gesehen, spukte es in ihrem Kopf herum, Louisa hatte ihn auch gesehen. Aber Louisa war verrückt, so wie sie. Diese verdammten Tabletten! Jen schmiss das Buch in die Ecke. „Der Klinikleiter möchte sie gerne sprechen“, vernahm sie die Stimme einer Krankenschwester, die das Buch aufhob, und vor ihr auf den Tisch legte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie und schaute Jenna besorgt an. „Ja, ja es ist alles O.K. Entschuldigung, ich habe mich nur über eine Stelle im Text geärgert“, sagte sie und folgte der Frau zu Dr. Prof. Prof. med. Richter, dem Klinikleiter.
Vor dessen Büro angekommen, klopfte die Krankenschwester an und sie warteten. Jenna starrte auf das Namensschild und stellte schmunzelnd fest, dass der Doktor wohl ein zweites Schild anbringen müsse, wenn er noch einen Doktor oder Professor machen würde. Dann hörte sie die Stimme von innen, die hereinbat. Jenna betrat alleine das Zimmer und zu ihrer großen Freude war dort noch jemand, der auf sie wartete. Elias drehte sich zu ihr um, als sie den Raum betrat und lächelte.
„Lass uns bloß schnell hier weg, bevor sie es sich noch anders überlegen“, sagte sie zu Elias, als sie mit ihm die Straße hinunter, zu seinem Wagen eilte. Keine zehn Minuten waren vergangen, von dem Moment, indem ihr Prof. Prof. Prof. 'ich lasse mir die Zähne bleichen' Richter gesagt hatte, dass sie gehen könne, bis zu diesem Augenblick. Ihre Sachen hatte sie in eine Reisetasche gestopft, das, was nicht mehr reingepasst hatte, hatte sie zurückgelassen. Elias humpelte hinter ihr her, und bevor er den Wagen aufschloss, schmiss Jen noch die Medikamente, die sie von der Klinik erhalten hatte, in den Mülleimer an der Laterne. Dann stellte sie ihre Tasche auf den Rücksitz und stieg zu ihm in den Wagen, nicht ohne noch einen kurzen Blick zurück zur Klinik zu werfen. Sie sah den Mann, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand und sie beobachtete. Und sie sah auch SEIN Grinsen.