Читать книгу Menschenseelen Teil 2 - Lilith - - S. N. Stone - Страница 4

2. Kapitel

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Elias fuhr mit Jenna an seiner Seite in den Berliner Bezirk Mitte, ins Nikolaiviertel. Hier, unter dem Deckmantel eines Museums, befand sich der Aufenthaltsort der 'Bruderschaft der Arsaten', der auch er angehörte, wieder angehörte. Nach einem heftigen Zusammenstoß mit IHM, und einem emotionalen Zusammenbruch, war Elias aus der Bruderschaft ausgeschlossen worden. Nun war er wieder einer von ihnen, sie konnten nicht auf ihn verzichten, das hatten sie eingesehen und er war auch bereit erneut einer von ihnen zu sein.

Jenna war verstörend ruhig. Hatte sie eben in der Klinik noch ununterbrochen geredet und geschimpft, saß sie nun schweigend neben ihm und starrte zum Seitenfenster hinaus. Kurz wendete er seinen Blick von der Straße ab und schaute zu ihr herüber. „Alles gut bei dir?“ Sie nickte. „Was ist los?“ „Nichts!“, antwortete sie. „Ich weiß es war schwer für dich, all die Dinge, die geschehen sind, aber-“ „Das ist es nicht“, unterbrach sie ihn. „Ich weiß, du musst glauben ich hätte dich im Stich gelassen. Wir haben wirklich alles versucht, dich da rauszuholen.“ „Das ist mir bewusst und ich bin dir und euch dankbar dafür.“ Elias parkte den Wagen und kam zur Beifahrerseite herum, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Dann nahm er Jennas Tasche und gemeinsam gingen sie in das Palais, um dort die anderen Arsaten zu treffen.

Jenna und Elias wurden von dem Ältesten empfangen. Er führte sie in sein geräumiges Arbeitszimmer, bot ihnen einen Platz und etwas zu trinken an. Als er sich ebenfalls setzte, bemerkte Jen Sorgenfalten, die sich auf seiner Stirn abzeichneten.

„Fräulein Drescher, ich bin froh Sie wieder bei uns zu wissen. Wir hoffen, dass Sie uns nach wie vor als Auserwählte, im Kampf gegen das Böse, zur Verfügung stehen.“ Er lächelte unsicher. „An meiner Entscheidung hat sich nichts geändert, es ist mein Wunsch Sie zu unterstützen.“ Die Sorgenfalten verschwanden und aus dem unsicheren Lächeln, wurde ein freundliches. „Das ist gut, das beruhigt mich. Sie sind eine wichtige Waffe in unserem Kampf, vielleicht die Wichtigste. Doch bevor wir beginnen, denke ich, sollte Ihnen ein wenig Ruhe gegönnt werden. Wir halten es für besser, Sie hier in Berlin zu behalten und nicht nach Rom gehen zu lassen. Wir haben Ihnen ein Zimmer fertiggemacht, ich hoffe das ist Ihnen genehm.“

Ja es war ihr 'genehm', eine Bleibe hatte sie nicht mehr, sie hatte die wunderschöne Altbauwohnung, in der sie zusammen mit ihrer Schwester Laura gewohnt hatte, gekündigt, um mit Elias nach Rom zu gehen, um dort zu arbeiten und um zu kämpfen. Zu 'kämpfen' wie eine Amazone oder Kriegerin, dachte Jen amüsiert. Dabei hatte sie kaum eine Ahnung von dem, was sie erwarten würde. Sie hatte auch keine Ahnung davon, wie ihr Kampf aussehen würde. Natürlich hatte sie bereits Kontakt zu den Arsaten gehabt, bevor das alles auf dem Flughafen geschehen war, aber die Informationen, die sie erhalten hatte, waren spärlich gewesen. In erster Linie hatte man ihr erklärt, dass das, was ihr bevorstand, mit oder ohne Arsaten, gefährlich war für sie. Dass ihr Leben jede Minute, jede Sekunde in Gefahr sein würde, bereits von dem Moment an, in dem klar gewesen war, dass sie eine Auserwählte war. Eine Einweisung hätte sie in Italien bekommen sollen. Und ob nun Rom oder Berlin, es war ihr egal.

Der Älteste wandte sich Elias zu. „Bringe Fräulein Drescher bitte zu ihrem Zimmer und sorge für ihr Wohlergehen.“ Zu ihr sagte er: „Wir werden uns morgen sehen und dann werden wir viel zu reden haben.“

„Schläfst du auch hier?“, fragte sie Elias, als sie durch die Gänge des Gebäudes liefen. „Ja,“ er blieb stehen und öffnete mit einem goldenen Schlüssel eine Tür, „solange wie du hier bist.“

Sie betraten das Zimmer, in dem Jenna vorerst wohnen sollte. Es war gemütlich. Dunkle, antike Möbel; ein Sofa, ein Sessel, dazwischen ein niedriger Tisch, ein Fernseher, ein Sekretär mit einem Stuhl davor, ein Schrank mit Intarsienarbeiten und ein dazu passendes Bett mit einem hübschen Nachttisch daneben. Heller, flauschiger Teppich, helle Wände, ein schwerer Vorhang vor den Fenstern und ein paar Lampen, auf dem Nachttisch, auf dem Sekretär und neben dem Sofa. Sie waren eingeschaltet und gaben ein warmes, freundliches Licht ab.

Elias schloss die Tür hinter ihnen und legte ihre Tasche ab. „Wenn wir hier fertig sind, müssen wir sehen, wo wir bleiben“, führte er das Gespräch fort. „Wir?“, fragte Jen und schaute ihn überrascht an. „Ich bin ein Jäger und du die einzig wahre Auserwählte. Wir sind beide auf der Suche nach IHM und sollten zusammenbleiben. Jede Auserwählte hat einen Jäger an ihrer Seite.“ „Jede Auserwählte? Ich dachte Danjal hätte sie alle getötet, bevor ihr sie gefunden habt.“

Elias setzte sich aufs Sofa, Jen folgte ihm, setzte sich jedoch auf den Stuhl vor dem Sekretär. „ER hat die Auserwählten getötet, die IHM gefährlich hätten werden können, und die ER gefunden hat. Es gibt noch mehr, genauso, wie es noch mehr Jäger gibt. Unser Kampf besteht nicht nur darin IHN zu suchen und zu vernichten, unser Kampf besteht darin alles Böse zu finden und zu vernichte.“ „Es gibt mehr die sind wie er?“ Elias nickte. „Ich dachte er wäre das personifizierte Böse und alle Aufmerksamkeit der Bruderschaft würde auf ihm liegen.“ „Es gibt viele Dämonen, die ihre Abkömmlinge unter die Menschen senden, um das Böse zu bringen. Danjal ist der Schlimmste von allen, weil seine Fähigkeiten enorm sind und die Dinge, die er tut, zum Teil unglaubliche Auswirkungen haben, aber es gibt noch andere. Die größte Aufmerksamkeit der Bruderschaft gilt Danjal, die anderen Abkömmlinge werden jedoch nicht vergessen. Meine Tätigkeit ist natürlich ganz besonders IHM gewidmet, du kennst meine Geschichte und du hast deine Eigene mit IHM.“ Und ob sie die hatte.

Etwas brannte Jenna auf der Seele. Sie wollte nicht verrückt klingen, darum formulierte sie ihre Frage bewusst: „Wo ist Danjal zurzeit, habt ihr eine Ahnung?“ „Ich vermute ihn im Nahen Osten. Es gab dort ein paar Vorfälle, die mich das annehmen lassen. Ich wäre gestern eigentlich nach Israel geflogen, musste es aber verschieben, weil wir die Nachricht erhielten, dass du endlich aus der Klinik entlassen wirst.“

Jenna musste schlucken. Der Gedanke an die Anstalt verursachte ein unangenehmes Gefühl in ihrem Magen. Obwohl sie wusste, dass sie nicht verrückt war, hinterließ dieser Aufenthalt dort ein Gefühl von Verletzlichkeit. Und Elias Antwort auf ihre Frage, ließ sie schon wieder an ihrem Geisteszustand zweifeln; wenn Danjal in Israel vermutet wurde, dann konnte er sie heute nicht beobachtet haben. Sie bildete sich nur ein, dass ER in ihrer Nähe war, dass Louisa ihn auch gesehen zu haben schien, ignorierte sie. Vielleicht hatte sich die junge Frau ja geirrt, vielleicht war es einfach nur ein Patient gewesen, der ihr da gegenübergestanden hatte.

„Du siehst müde aus“, stellte Elias fest. Ich werde dich alleine lassen, damit du deine Sachen auspacken und schlafen kannst. Das Badezimmer ist gleich nebenan, du hast es für dich alleine.“ Nun hatte auch er einen besorgten Blick aufgelegt. „Jenna“, er kam auf sie zu und griff nach ihrer Hand, um sie festzuhalten, „es wird alles gut, glaube mir. Wenn die Medikamente erst einmal aus deinem Körper sind, wirst du dich schon ganz anders fühlen. Und wenn wir IHN gefunden und ausgelöscht haben, und ER für all das gebüßt hat, was ER getan hat, dann wirst du ruhiger.“ Jenna nickte. Sie umarmte Elias und er ging, nicht ohne ihr noch eine gute Nacht zu wünschen.

Während sie ihre paar Habseligkeiten auspackte und im Schrank und dem Sekretär verstaute, dachte sie an Elias Worte. Er hatte es gut gemeint, jedoch gab es in seinen Worten einen immensen Fehler, sie hatten bereits geglaubt Danjal endgültig vernichtet zu haben, aber es hatte nicht funktioniert. Wieso sollte es beim nächsten Mal funktionieren?

Am nächsten Morgen, nach einer guten Tasse Kaffee und einem leckeren Frühstück in einem Café, in der Nähe des Palais, ging es Jen tatsächlich besser. Sie hatte erstaunlich gut geschlafen und merkte, dass die benebelnde Wirkung der Medikamente mehr und mehr nachließ. Zwar trat nun der Schmerz über die Verluste, die sie hatte erleiden müssen, in den Vordergrund, aber wenigstens fühlte sie sich nicht mehr wie ein Zombie.

Als sie mit Elias, der sie nicht aus den Augen ließ, zurück in das Gebäude der Arsaten kehrte, wurden sie vom Ältesten erwartet. „Fräulein Drescher, ich hoffe Sie haben gut geschlafen. Wir würden gerne mit Ihrer Einweisung beginnen“, kam er ohne Umschweife zum Wesentlichen. Jen bejahte und war gespannt, auf das was nun geschehen würde.

Der Älteste lief vorweg, Elias und sie folgten ihm. Als sie am Ziel angekommen waren, war Jen enttäuscht. Sie hatte geglaubt vielleicht in die Katakomben des Hauses geführt zu werden, wo sie, wie bei James Bond oder besser den Geisterjägern, ein Arsenal an Dämonen aufspürenden Geräten, vernichtenden Waffen und allerlei geheimen Gerätschaften, vorfinden würde. Kreuze, die zu Wurfsternen umgearbeitet waren, Weihwasser in rauen Mengen und Mitglieder der Bruderschaft, die geschäftig umhereilten, um neue Dinge zu entwickeln im Kampf gegen das Böse. Stattdessen fand sie sich in einem recht großen Raum wieder, der mit hohen Holzregalen vorgestellt war, in denen sich unzählige Bücher und Papiere befanden. Mit einer Bibliothek als Ausbildungsstätte hatte sie nun gar nicht gerechnet.

Noch bevor sie ihr Erstaunen kundtun konnte, kam ein Mann auf sie zu; groß und hager, in eine Soutane mit Kollar gekleidet, schaute er sie durch dicke Brillengläser an, und stellte sich als Pater Sebastian vor. Sprachlos reichte sie ihm ihre Hand und brachte ein Lächeln zustande. „Der Pater wird Sie unterweisen, Elias und ich werden uns zurückziehen. Wenn Ihnen etwas fehlt, Sie Fragen haben oder sonst etwas ist, sagen Sie es, wir werden uns darum kümmern.“ Und dann verschwanden der Älteste und Elias.

Jenna stand diesem Mann der Kirche unsicher gegenüber, der abzuwarten schien, was sie sagen würde. Aber sie sagte nichts, und so ergriff er das Wort. „Kommen Sie“, er fasste ihr leicht an den Rücken und brachte sie damit dazu, ihm zu folgen. „Sie sehen erstaunt aus, ich kann Sie beruhigen, wir werden alles tun, damit Sie im Kampf gegen das Böse bestehen. Um zu verstehen was wir tun und mit wem wir es zu tun haben, müssen Sie unsere Geschichte und die Geschichte derer, die wir jagen, verstehen. Das ist das Fundament, auf dem alles aufgebaut ist.“ Jenna fasste sich und erwiderte: „Ich möchte mich entschuldigen für meine Unhöflichkeit. Es ist nur so, dass ich geglaubt habe, ich würde im Kampf ausgebildet, würde schießen lernen, Selbstverteidigung und all so etwas.“ Pater Sebastian lächelte, und Jen musste feststellen, dass es ihr unmöglich war, sein Alter zu schätzen. „Sie haben als Auserwählte ganz andere Mittel, als eine Pistole oder ein Messer. Sie haben bestimmte Gaben, mit denen Sie gegen die Abkömmlinge vorgehen, für den rein körperlichen Kampf wird ihnen ein Jäger an die Seite gestellt. Bitte nehmen Sie Platz.“ Sebastian deutete auf einen gemütlichen Stuhl, mit Armlehnen, der an einem Tisch stand. „Darf ich Ihnen einen Tee oder ein Wasser anbieten, bevor wir beginnen?“ „Tee wäre schön“, antwortete Jen, und der Pater verschwand und wurde vom Dämmerlicht verschluckt, das hier zwischen den Regalen herrschte.

Gaben, dachte Jena, ja, die sollte sie haben, das hatte man ihr bereits gesagt, nur leider hatte sie keinen blassen Schimmer welche das nun waren. Sie hatte bisher nicht feststellen können, dass sie irgendwie anders war, als zu dem Zeitpunkt, bevor sie erfahren hatte, dass sie die einzig wahre Auserwählte war. Sie war immer noch Jenna Drescher, 27 Jahre alt, Humanbiologin, momentan ohne Anstellung und frisch aus der Irrenanstalt entlassen.

„Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen“, erklang die Stimme des alterslosen Priesters aus dem Nirgendwo, „es wird alles gut gehen.“ Er tauchte aus der Dämmerung auf und trug ein Tablett mit zwei Tassen, einer Teekanne, einer Zuckerdose und einem Milchkännchen vor sich her, das er auf dem Tisch abstellte, als er bei ihr angekommen war. Er setzte sich ihr gegenüber, goss die dampfende Flüssigkeit in die Tassen, und reichte ihr eine. „Wichtig ist, dass Sie Fragen stellen, wenn Sie welche haben. Haben Sie keine Scheu, ich mache das nicht zum ersten Mal und ich weiß, wie ungewöhnlich Ihre Situation ist. Auch wenn Ihnen etwas auf dem Herzen liegt, wenden Sie sich an mich. Ich bin ein Fremder, noch, aber ich kann Ihnen versichern, ich kann mich in Ihre Lage hineinversetzen. Auch ich musste irgendwann feststellen, dass ich es mit Dingen zu tun habe, für die andere einen als verrückt erklären.“

Er hatte eine warme, angenehme, beruhigende Stimme. Jenna hatte ein gutes Gefühl bei ihm. „Es ist nur so“, begann sie, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, „dass ich keine Ahnung habe, was meine Gaben sind.“ „Sie werden sie noch erkennen. Die Gaben sind von Auserwählter zu Auserwählter unterschiedlich und zeigen sich, wenn man bereit dafür ist. Manche Gaben sind mentaler Natur, andere körperlicher. Viele haben mehr als nur eine. Sie, als einzig wahre Auserwählte, dürften über sehr starke Möglichkeiten im Kampf gegen das Böse verfügen. Warten Sie es ab, lassen Sie sich darauf ein, dann wird es funktionieren.“

O.K., also abwarten dachte Jen, während sie zusah, wie Pater Sebastian ein paar dicke Folianten auf den Tisch hievte, sodass dieser ächzte. „Keine Sorge“, sagte der Geistliche beruhigend, er hatte wohl ihren erschrockenen Blick gesehen, „die müsse Sie nicht alle durchlesen. Es wird vielmehr eine Mischung aus Studium und Gespräch werden. Während wir hier miteinander arbeiten, werden Sie feststellen, dass ich ein geweihter Priester der katholischen Kirchen bin, der die Arsaten unterstehen, jedoch auch Dinge von mir gebe, die Ihnen vielleicht ketzerisch vorkommen mögen. Das ist keine Rebellion, das ist lediglich ein Resultat aus dem was ich, und die anderen Brüder, im Laufe der Zeit erlebt haben und nicht als Wertung des Glaubens zu nehmen.“ Gut, Jen wollte beginnen und Pater Sebastian schwieg, vorerst.

Der Vormittag war anstrengend gewesen. Natürlich wusste sie, wie schwer lernen sein konnte, während ihres Studiums und auch danach, hatte sie mehr als genug Erfahrung damit gesammelt, aber hier war es etwas anderes. Jenna war in ein Universum abgetaucht, dessen Geschichte mit der christlichen Erschaffung der Welt begann, und das war eine ziemlich lange Zeit.

Sie hatte erfahren wer die Bruderschaft der Arsaten war. Menschen, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Hintergrundes schlossen sich der Bruderschaft an. Sie war der katholischen Kirche, dem Vatikan, unterstellt. Es gab viele Orte, an denen die Arsaten vertreten waren und jedes Refugium wurde von einem Ältesten geführt, der für alles verantwortlich war. Unterschiedliche Ämter waren besetzt, vom Bibliothekar bis hin zum Koch und vor allem nicht zu vergessen, die Jäger.

Die Jäger hatten eine besondere Fähigkeit, sie hatten ein ausgeprägtes Gespür für das Böse und sie waren widerstandsfähiger, als normale Menschen, gegen dessen Angriffe, sowohl körperlich, als auch geistig.

Zum Teil waren schon ihre Vorfahren Jäger gewesen. Einige waren Nachfahren der Tempelritter, andere hatten Vorfahren, die bereits vor der Ausbreitung des Christentums gegen das Böse gekämpft hatten, und wieder andere hatten im Laufe ihres Lebens festgestellt, dass sie irgendwie anders waren und sich der Bruderschaft angeschlossen.

Es gab Geistliche unter ihnen und welche, die es eben nicht waren. Die Ordnung der Bruderschaft glich entfernt einem Orden, auch für Nichtgeistliche galt eigentlich das Prinzip des Zölibats, eigentlich. Pater Sebastian hatte es so beschrieben; man wollte verhindern, dass die Jäger angreifbar waren. Die Abkömmlinge waren nicht dumm, ganz im Gegenteil, und ein Mensch, den man liebte, wollte man um alles auf der Welt beschützen und brachte dadurch sich und andere und die Aufgabe, in Gefahr. Jenna hatte an Elias denken müssen, dem es genauso ergangen war. Ein Bruch des Zölibats führte jedoch nicht automatisch zu einem Ausschluss aus der Bruderschaft, anderes galt natürlich für die geweihten Mitglieder. Auch Elias war ja nicht ausgeschlossen worden, weil er eine Geliebte gehabt hatte, sondern wegen dem, was er nach deren Ermordung, durch Danjal, getan hatte.

Jenna hatte feststellen müssen, dass alles ein wenig vage war, erklärt hatte der Pater dies, indem er ihr klarmachte, wie umfangreich ihr Handeln war und das starre Regeln hier hinderlich waren.

Der Gegner der Arsaten war das Böse. Dämonen schickten ihre Abkömmlinge unter die Menschen, um Böses zu tun, um Tod, Gewalt, Hass, Zorn, Unglück und all das zu bringen. Gott schickte die Auserwählten und Jäger. Die Existenz eines Abkömmlings auszulöschen war einem Jäger nicht möglich. Er hatte aber die Kraft gegen die Abkömmlinge zu kämpfen und sie mit den unterschiedlichsten Mitteln unter Kontrolle zu bringen. Eine Auserwählte konnte einen Abkömmling jedoch endgültig vernichten. Auch sie hatten eine Verbindung zu dem Bösen. Und dann gab es eben die einzig wahre Auserwählte. Nur die einzig Wahre war in der Lage IHN endgültig zu vernichten.

Sehr zu ihrem Erstaunen musste sie hören, dass es nicht nur eine einzig Wahre gab, in der gesamten Geschichte der Menschheit und für alle Zeiten, sondern jede Generation eine hervorbrachte. Elias hatte es damals ganz anders formuliert, ebenso hatte er behauptet, ihr Kampf würde sich ausschließlich gegen Danjal richten. Pater Sebastian begründete es damit, dass es für Elias nur einen Gegner gab, weil sein Hass auf IHN so groß war, dass alle anderen ihm nicht wichtig erschienen. Und Jenna glaubte zu verstehen, warum er ihr hatte einreden wollte, dass sie die Einzige war, die IHM Einhalt gebieten konnte; hätte sie nämlich erfahren, dass die nächste Generation auch eine hervorbrachte, hätte die Gefahr bestanden, das Jenna sich nicht gegen Danjal wendete. Da sie ihn geliebt hatte, hätte sie es auf die nächste Generation abwälzen können. Sie konnte Elias verstehen, würde aber noch einmal mit ihm reden müssen.

Die Dämonen sandten ihre Abkömmlinge, Gott seine Auserwählten und Jäger und der Kampf begann. Die Abkömmlinge wurden nach ihrer Auslöschung durch Neue ersetzt, und ebenso war es mit den Auserwählten und Jägern, Neue kamen.

Jenna verbrachte die Mittagspause mit dem Pater. Sie aßen beide einen Salat und ein Pastagericht, welches in einem Speiseraum serviert wurde und hingen ihren Gedanken nach, eher sie hing ihren Gedanken nach.

„Warum macht ihr das?“, fragte sie den Geistlichen, als sie bei einem Kaffee saßen. Er schaute sie fragend an. „Na ich meine, ihr habt doch keine Chance. Das Böse kommt immer wieder, egal in welcher Form und ist unsterblich. Ihr seid Menschen und sehr wohl sterblich, ihr werdet ersetzt, wie ein Teil an einem Motor, das kaputt geht. Ihr kämpft für jemand anderen.“ Der Pater räusperte sich, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. „Ja, der Kampf scheint aussichtslos, jedoch nur, was den Sieg angeht. Wir, und damit meine ich zukünftig auch Sie, versuchen dem Bösen Einhalt zu gebieten. Würden wir es nicht tun, wäre die Menschheit verloren. Wir versuchen ein gewisses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, und unser Lohn ist der Dank Gottes. Oder für die weniger tief Gläubigen, eine gewisse Befriedigung etwas Gutes im Leben getan zu haben. Und Sie sollten unsere Möglichkeiten nicht unterschätzen.“

Der Nachmittag verging, und Jenna erfuhr weitere Dinge, einiges über die Dämonen, einiges über Fähigkeiten und Gaben. Den Abend verbrachte sie alleine auf ihrem Zimmer. Elias ließ sich nicht blicken, und das, obwohl sie gerne mit ihm hätte reden wollen.

In den darauf folgenden Tagen ging ihre Einweisung weiter. Die Gespräche führten unweigerlich, immer wieder zu Danjal.

„Ist Danjal tatsächlich das personifizierte Böse?“, fragte sie Pater Sebastian, als sie durch den Garten des Palais liefen. „Jeder der Abkömmlinge ist das personifizierte Böse“, war seine Antwort. „Elias hat IHN immer als so allmächtig dargestellt, ist ER wirklich so unangreifbar, wie auch ER sich gerne selber darstellt?“ „Das müssten Sie doch beantworten können, wie haben Sie IHN kennengelernt?“

Jenna brauchte nicht lange darüber nachzudenken. Kennengelernt hatte sie IHN als Menschen, ohne Erinnerungen, der Angst davor gehabt hatte, zu erfahren, wer er wirklich war.

Sie antwortete jedoch: „Ich glaube das was ich an ihm kennengelernt habe ist nicht repräsentativ. Er hatte einiges durchgemacht und konnte sich an nichts erinnern, er war verletzlich.“ „Sie haben alle ihre Schwächen, Danjals Schwäche ist Lilith. Sie war ein Mensch und wurde zu dem gemacht, was sie ist. Sie wollte frei entscheiden können und wurde bestraft. Dafür rächt sie sich. Ich habe keine Kinder, und sicher entspringt es den Geschichten der alten Schreiber, dass sie so unglaublich viele hatte, dass Gott täglich 100 von ihnen töten lassen konnte. Fakt ist aber, dass er viele ihrer Nachkommen hat töten lassen. Keine Frau würde das ungesühnt lassen. Das ist die Schwäche, die sie weitergegeben hat, das menschliche, ihr Begehren auf Verteidigung der Familie. Auch wenn es ganz tief in SEINEM Inneren steckt, es ist da und das macht IHN abgreifbar, hat es immer getan, auch wenn ER dies bestreitet und Elias IHM das abspricht. ER ist im Laufe der Geschichte immer wieder den Jägern in die Hände gefallen, wenn ER so allmächtig wäre, wäre das nicht geschehen, denke ich.“

Der Pate war sehr viel rationaler im Umgang mit Danjal, als Elias. Aber war es Elias zu verübeln? Nach allem, was Danjal ihm angetan hatte, musste ER für ihn einfach das einzige personifizierte Böse sein, was es galt zu vernichten.

„Ist er der Mächtigste von allen?“ „Och, ich würde sagen nicht der Mächtigste, aber der Älteste und der Ausdauerndste und er kann durch die normalen Auserwählten eben nicht ausgelöscht werden. Es gibt Abkömmlinge, die schwere Naturkatastrophen heraufbeschwören können und mit einem Schlag, ganz bewusst vielen Menschen den Tod bringen. Sie schlagen nicht so häufig zu. ER bedient sich eher der menschlichen Schwächen, lässt die Menschen für sich arbeiten. Die Folgen SEINER Taten sind ganz unterschiedlich, manchmal fordern sie wenige Opfer, manchmal Millionen, manchmal begnügt ER sich damit einen einzelnen Menschen zu töten.“

„Er sammelt Seelen“, murmelte Jen. „Er sammelt Leben, Energie, den Funken, der in einem Menschen steckt, um sich zu stärken, die Heilung seines Körpers voranzutreiben oder um sich einfach nur daran zu laben.“ Mit Grausen musste sie daran denken, dass ER es auch bei ihr getan hatte und auch bei ihrer Schwester. Laura hatte ER dabei getötet, sie nicht. Bei dem Gedanken an ihre Schwester hatte sie einen Klos im Hals und die Frage, die sie Sebastian nun stellte, war eher ein Krächzen. „Wieso habe ich ihn nicht auslöschen können, warum ist er zurückgekommen?“ Der Pater setzte sich auf eine steinerne Bank, sie nahm neben ihm Platz. „Die Frage zu beantworten fällt mir schwer. Es ist eher eine Vermutung, die wir diesbezüglich angestellt haben und sie ist beinahe zu einfach, weil Lilith es nicht wollte.“ „Elias hat ihn zerstückelt“, sagte sie, „wie konnte er sich wieder zusammensetzen?“ Sebastian lächelte. „Sie müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass alles logisch auf der Welt ist.“ „Ich bin Wissenschaftlerin.“ „Sie waren Wissenschaftlerin, und auch dort ist Ihnen sicher das ein oder andere begegnet, das sich nicht logisch erklären ließ. Man hat sogar schon versucht IHN zu verbrennen, sein Körper war nur noch Asche und trotzdem kam ER wieder, an IHM ist etwas Besonderes.“

Tausend Fragen schwirrten in ihrem Kopf umher, sie alle drehte sich um IHN. Sie saß in ihrem Zimmer und wollte sich eigentlich ein paar Notizen machen, um die wichtigen Dinge nicht zu vergessen. Welche Dämonen es gab, was ihre Stärken und Schwächen waren, geschichtlich relevante Ereignisse und so, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Jen beschloss das Refugium zu verlassen und ein wenig spazieren zu gehen. Den Kopf freikriegen, so hatte es Danjal genannt, wenn er von ihr aus aufgebrochen war, um zu töten. Sie wollte auch den Kopf freikriegen, aber sicher würde sie niemanden töten. Sie zog sich ihre Jacke über und verließ das Palais.

Menschenseelen Teil 2 - Lilith -

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